Bevor sie ganz unter den Tisch fallen: neben den fünf nationalen Vorentscheidungen des vergangenen Wochenendes mit ihren fünf furchtbaren Beiträgen für Tel Aviv fanden am vergangenen Samstag in zahlreichen Ländern diverse Semifinale statt, die nun hier in Windeseile abgearbeitet sein wollen. Beginnen wir bei den Gastgebern des letzten Jahres: in der ersten von zwei Vorrunden des portugiesischen Festival da Canção kam der Favorit Conan Osíris erwartungsgemäß eine Runde weiter, landete mit dem rundweg experimentell-bizarren ‘Telemóveis’ (‘Mobiltelefon’) jedoch bei der augenscheinlich ausschließlich mit Kulturbanausen besetzten Jury lediglich auf dem vierten Rang. Das wesentlich sachverständigere Publikum bedachte ihn hingegen mit der Höchstwertung. Der mit einem grotesken Gesichtsgeschirr angetante Conan und sein goldglitternder Tänzer mussten sich in der Gesamtwertung einem voluminösen Schwarzen mit dem Namen Matay geschlagen geben, der im Videoeinspieler noch den Hip-Hopper mimte, auf der Bühne jedoch im eleganten Frack erschien und eine einschläfernd sanfte Ballade zum Besten gab. Über die vier Ausgeschiedenen hingegen gibt es leider nichts Interessantes zu berichten, sie langweilten schlichtweg.
Vom Golfer zum Goldschatzräuber: Conan Osíris.
Bei der litauischen Nacionalinė Eurovizijos Atranka schrägte es derweil den unter dem Künstlernamen Alen Chicco bekannt gewordenen Tom Alenichik. Der androgyne Interpret, der durch seine Kostümierungen und Make-up schon bei der Castingshow X‑Factor für Aufsehen sorgte, saß bei der Anfang Februar 2019 in einer der siebenhundert Vorrunden erfolgten Erstvorstellung seines Beitrags ‘Your Cure’, in dem es um eine schwule Beziehung geht, anfänglich im Rollstuhl. Später stand er auf, womit er nach eigener Aussage die heilende Kraft der Liebe visualisieren wollte. Beim Auftritt am vergangenen Samstag verzichtete er hingegen auf das Bühnenrequisit, wie auch auf seine Haare: mit bemalter Glatze stieg er in den Ring. Seine offen lesbische Konkurrentin Aldegunda griff für ihre putzige Liebeserklärung ‘I want your Love’ zwar nur zum Barhocker, verpasste aber ebenso den Einzug ins Atranka-Finale. Dort zog stattdessen Monika Marija mit dem Titel ‘Criminal’ ein – obwohl die Sängerin, die mit ‘Light on’ noch ein zweites, von ihr deutlich präferiertes Eisen im Feuer hat, die Zuschauer/innen vorher öffentlich aufrief, diesmal nicht für sie zu stimmen. Was für ein Arschlochverhalten! Auch wenn sie in Litauen, wo ja offensichtlich jede/r antreten darf, niemandem dem Platz wegnimmt: wenn sie ‘Criminal’ doch nicht mag, wieso singt sie es dann?
So geht Homo-Heilung: durch Selbstakzeptanz und Liebe. Doch die Litauer mögen offenbar lieber Kriminelle als sitzende Homos.
Beim zweiten Semi des isländischen Söngvakeppnin enttäuschte der Wiederkehrer Friðrik Ómar Hjörleifsson, der mir 2008 als Teil der Euroband mit dem fabelhaft campen Eurodance-Klassiker ‘This is my Life’ meinen liebsten Eurovisionsbeitrag aller Zeiten bescherte. Mittlerweile ließ er sich zwar einen sehr netten Bart stehen, lieferte mit seinem aktuellen Titel ‘Hvað ef ég get ekki elskað?’ (englische Fassung: ‘What if I can’t have Love?’) jedoch lediglich eine bereits tausendmal gehörte, völlig ausgelutschte Formatballade. Immerhin kam er damit ins Finale, wo sich nun hoffentlich die Stimmen der Menschen mit konservativem Musikgeschmack gleichmäßig zwischen ihm und Hera Björk aufteilen und damit den Sieg für Hatari ebnen. Kein Foto gab es am Samstag für den ehemaligen maltesischen Vertreter Richard Micallef (Firelight), der sich als hier als Komponist versuchte, mit seiner Alle-meine-Entchen-Melodie ‘Þú bætir mig’ aber nichts ernten konnte, obwohl er mit Ívar Daníels ein ausgesprochen niedliches Bärchen als Interpreten verpflichtet hatte. Welche Drogen man in Island so zu sich nimmt, diese Frage kam bei dem rundweg chaotischen Auftritt von Elli Grill, Skaði + Glymur auf. Allerdings lag der Schockfaktor von ‘Jeijó, keyrum alla leið’ im Vergleich zu Hatari dann doch auf Kindergartenniveau.
Alle meine Bärchen / schwimmen auf dem See / Mit ’nem bess’ren Liedchen / fänd ich ihn okay.
Wenig Spektakuläres trug sich im knapp vier Stunden andauernden, zweiten Semifinale der ukrainischen Vidbir zu, wo man neben epischem Gequassel zwischendrin acht Acts auftreten ließ. Sowie, als Stargäste, die tschechischen Eurovisionsvertreter Lake Malawi. Unter den fünf völlig zu Recht Ausgeschiedenen blieb allenfalls der bereits aus dem Vorjahr bekannte Laud in Erinnerung, allerdings eher aus optischen Gründen. Schade war es um seinen Beitrag ‘2 dni’ jedenfalls nicht. Als weitere Hinguckerinnen entpuppte sich das ins Finale eingezogene Zwillingsschwesternduo Anna Maria, für das sich die US-amerikanische Schauspielerin Marcia Cross (Bree Van de Kamp in Desperate Housewives) offensichtlich gleich zweifach klonen ließ. Das Semi gewann unterdessen ein Damentrio mit dem obskuren Namen Freedom Jazz. Wobei, strenggenommen handelte es sich um ein Quartett, trug die Leadsängerin doch einen bereits weit gereiften Braten in der Röhre. Mit dem flotten ‘Cupidon’ lieferten die Freiheitsjazzerinnen wenig überraschend eine weitere Elektro-Swing-Nummer ab, wie sie in diesem Jahr die nationalen Vorentscheidungen gleich rudelweise bevölkern.
Die doppelte Bree: Anna Maria.
Und während aufgrund des Votinggates in der rumänischen Selecția Națională, wo die vom Sender TVR als Juroren beschäftigten britischen Wiwiblogger praktisch im Alleingang die heimischen Zuschauer/innen entmachteten und den Sieg der wegen ihrer Äußerungen zur Homo-Ehe umstrittenen Laura Bretan verhinderten, eine spannende Diskussion um die Grenzen der Beteiligung von Fan-Medien am Contest aufkommt, möchte ich angesichts der Ergebnisse im dritten Semifinale des schwedischen Melodifestivalen vom vergangenen Samstag erneut meiner Forderung Ausdruck verleihen, auf das heimische Televoting in den nationalen Vorentscheidungen komplett zu verzichten und die musikalische Bestückung des Wettbewerbs einzig und alleine internationalen, ausschließlich aus Bloggern und OGAE-Mitgliedern zusammengesetzten Fan-Jurys zu überlassen. Dann könnten solche Fehlentscheidungen wie in Leksand nicht geschehen, wo mit den Lovers of Valdaro und Dolly Style gleich zwei verlässliche Camp-Lieferant/innen ins Gras bissen. Immerhin macht es mir das Abstimmungsverhalten der Schwed/innen leicht, auch künftig an den Supersamstagen anderen nationalen Vorentscheidungen den Vorzug vor dem MF zu geben. Und so hat doch alles sein Gutes!
Zu alt für den JESC, zu trashig für den richtigen ESC: Dolly Style sind Opfer der Zeit.
Lake Malawi bei Vidbir hat mir noch das desaströse ESC Wochenende gerettet, der Junge ist ja live richtig gut!
Ja, Lake Malawi war tatsächlich das Highlight unter den ESC-Beiträgen des Wochenendes. Der hat LIve bei mir auch ordentlich zugelegt.
Lovers of Valdaro – hätte ich gern im Finale oder zumindest Andra Chansen gesehen. Auch wenn ich sagen muss, dass ich den “ich muss jetzt unbedingt hoch singen, auch wenn ich es nicht kann”-Trend nicht ganz nachvollziehen kann – Männer, die nicht hoch singen können, sollten es auch nicht versuchen. Das war bei Lovers of Valdaro, aber auch bei Omar Rudberg so.
Dolly Style waren zwar trashig, aber meiner Meinung nach, zurecht rausgeflogen.
Alles in allem war es aber eine gute Melfest-Show. Jon Henrik war eh klar, dass er weiterkommt (auch wenn ich das sein schwächstes Lied bisher finde…). Und Lina Hedlund im Finale gibt Hoffnung – zumindest ein moderner schwedischer pop-schlager hats geschafft 😉
Felix Weisheit:
Auch ein Bärtchen im Gesicht schützt vor schlechten Liedern nicht!
Dem Felix sein Senf dazu:
Politische und religiöse Themen, die einer guten, menschlichen oder sozialen Sache nur Schaden – sollten auf jeden Fall schon im Keim erstickt werden wenn die Möglichkeit da ist!
Die ESC Bühne ist ja schon lange keine neutrale Plattform mehr und wird oft genug missbraucht für persönliche Interessen. (Iveta Mukuchyan hätte ich, um nur ein Beispiel zu nennen ohne Wenn und Aber rausgeschmissen).
Aber gut – jeder hat da seine eigene Meinung und das ist auch gut so.
Felix sein Fazit:
Generell bin ich ja weltoffen und tolerant aber mittlerweile vielleicht zu Alt um alles freundlich durchzuwinken.
Der rosa Faden in den VE und Semis ist bei mir aber neuerdings eine Farbe zwischen aschgrau und weiß. Leider müssen sich auch 2018/19 die Leute noch outen oder gay singen um Ihre Message an den Mann oder die Frau zu bringen. Ich steh auf Männer und kann mit den androgynen Kindern dann nicht viel anfangen. Aber wir sind ja hier nicht bei Heidi! Wenn wenigstens dann das Lied gut wäre…
Bei Frankreich bin ich etwas traurig weil das Gesamtpaket echt farblos und lala ist und das Beste an Al(i)en Chicco wäre auch nur seine Stimme.
Felix Anmerkung für den Autor:
Seit 3.2. pisst mir ein Tiger nicht in den Käfig sondern ins Gehirn!
Wer bitte außer Anna soll nun noch für Schweden in Israel singen?
2 verdammt lange Tage habe ich gebraucht um mein Kopfgesumme zu lokalisieren.
Ich hatte mir ihren Auftritt nur Aufgrund deines Textes angeschaut und komme nicht mehr davon los. Das ist wirklich mal Trash vom Feinsten! Da kann sich Wictoria mit dem abgestandenen Wasser von Ruth Lorenzo überschütten so viel sie will -
Not With Me ! Ich will ANNA !
Felix PS.
Ich kann nur hoffen, das unserer Jamie Lee eine Zukunft als Dolly Style erspart bleibt.
Nur von der Straße weg ist auch keine Lösung – Handwerk hat goldenen Boden!