Zwei­ter Super­sams­tag 2019: Wo sind die Katzen?

Wie in einer der infla­tio­när aus­ge­strahl­ten nach­mit­täg­li­chen Zoo-Sen­dun­gen in den drit­ten Pro­gram­men der ARD ging es stel­len­wei­se zu beim gest­ri­gen zwei­ten, aus­schließ­lich aus Semis bestehen­den Super­sams­tag der Euro­vi­si­ons­sai­son 2019. So bei­spiels­wei­se in Lett­land, wo das zwei­te Pus­fināls der Super­no­va statt­fand, die bekannt­lich kei­ne sol­che ist ohne den legen­dä­ren Riga-Biber ali­as Mār­tiņš Koz­l­ovskis, ein Schau­spie­ler und Come­di­an, der in den ver­gan­ge­nen Jah­ren, im Kos­tüm des die Kanä­le der let­ti­schen Haupt­stadt heim­su­chen­den Nagers ste­ckend, für skur­ri­le Unter­hal­tung in den Wer­be­pau­sen sorg­te. Dies­mal aller­dings nahm er am Wett­be­werb teil, unter sei­nem Musi­ker-Namen Koz­mens und in Beglei­tung der Band Dziļi Vio­lets (Deep Pur­ple). Ihr Bei­trag ‘Tau­tasd­zies­ma’ ver­such­te, alle Ant­wor­ten zu berück­sich­ti­gen, die Koz­mens bei einer Come­dy-Show auf die Fra­ge, was ein Euro­vi­si­ons­song braucht, vom Publi­kum zuge­ru­fen wur­den, näm­lich “lang­sam”, “schnell”, “Tanz”, “kei­nen Tanz”, “let­tisch”, “eng­lisch”, “fran­zö­sisch” und “Lie­be”. Das Ergeb­nis über­zeug­te zumin­dest die Lands­leu­te, die das wun­der­bar bizar­re, aber erfri­schend untra­shi­ge Kon­glo­me­rat ins Fina­le weiterwählten.

Macht im Schot­ten­rock min­des­tens eine genau so gute Figur wie als Riga-Biber: Kozmens.

Uner­hör­tes trug sich unter­des­sen eine bal­ti­sche Nati­on wei­ter zu, näm­lich in Est­land, das für mich ab sofort offi­zi­ell nicht mehr exis­tiert. Nach­dem das ers­te Pool­fi­nal der frü­her ein­mal für ihre exqui­si­te Cool­ness berühm­ten Eesti Laul am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag durch die voll­stän­di­ge Abwe­sen­heit von auch nur annä­hernd inter­es­san­ten Songs ent­täusch­te und sich als extrem zähe, voll­stän­di­ge Zeit­ver­schwen­dung her­aus­stell­te, offe­rier­te das gest­ri­ge, um Licht­jah­re bes­se­re zwei­te Semi gleich zwei Lie­der, die auf wohl­tu­en­de Wei­se den Glanz ver­gan­ge­ner Tage auf­schei­nen lie­ßen, bei­de jedoch schei­ter­ten. Wäh­rend ich das im Fal­le des fabel­haf­ten Jaan Pehk ali­as Ore­li­poiss und sei­ner wun­der­bar schrä­gen Elek­tro-Maul­trom­mel-Num­mer ‘Parmu­mäng’ schwe­ren Her­zens, aber eini­ger­ma­ßen gefasst vor­aus­ahn­te, trug mich das Aus­schei­den von Kaia Tamm mit ihrem musi­ka­lisch lose am Acht­zi­ger­jah­re-Meis­ter­werk ‘Living on Video’ von Trans‑X ange­leg­ten Elek­tro­lo­re-Smas­her ‘Wo sind die Kat­zen’ (jawohl, auf deutsch!) völ­lig aus der Kur­ve. Est­land, das in mei­ner Sym­pa­thie-Ska­la von der Top Ten in den Kel­ler rutsch­te, scheint eine Nati­on der Hun­de­freun­de zu sein, anders ist es nicht zu erklä­ren, wie man so abso­lut hirn­ver­brannt sein kann, sich einen der­ar­tig auf­merk­sam­keits­star­ken Euro­vi­si­ons­knal­ler frei­wil­lig durch die Lap­pen gehen zu lassen.

Die will ich für den deut­schen Vor­ent­scheid. Noch ist Zeit, NDR!

Zumal Kaia Tamm ihre Sache auch live ordent­lich mach­te und sogar ihre bei­den Backings im Kat­zen­kos­tüm wäh­rend der Green-Room-Schal­ten den ansons­ten sehr ver­krampft wir­ken­den Mode­ra­tor der Eesti Laul durch per­ma­nen­tes, spie­le­ri­sches Her­um­zup­fen und ‑tol­len mehr­fach zum Lachen brach­ten. Statt­des­sen qua­li­fi­zier­te sich die Toch­ter des im Green Rom anwe­sen­den, erschre­ckend ver­lebt aus­se­hen­den Dave Ben­ton, die sich den eigent­lich für die his­to­ri­sche öster­rei­chi­sche Kai­se­rin reser­vier­ten Namen Sis­si gab und vor allem mit tie­fer Stim­me und buschi­gen Augen­brau­en beein­druck­te, weni­ger aber mit ihrem Song ‘Strong’, der sei­nen Titel zu Unrecht trug. Anders beim Favo­ri­ten auf den Gesamt­sieg: ‘Pret­ty litt­le Liar’ ist die per­fek­te Beschrei­bung sei­nes Inter­pre­ten Uku Suvis­te, eines zwei­fel­los gut aus­se­hen­den, aber auch sehr in sich selbst ver­lieb­ten Sän­gers. Der ein­zi­ge Grund, das erst in 14 Tagen statt­fin­den­de Eesti-Laul-Fina­le even­tu­ell noch ein­zu­schal­ten, ist nun­mehr die pos­sier­li­che, mit­tel­ge­schei­tel­te Mini­gi­tar­ren­les­be Inger Fri­do­lin aus dem ers­ten Semi, deren lieb­lich dahin­plin­kern­de Lager­feu­er­num­mer ‘Coming Home’ direkt aus einem mal­te­si­schen Fina­le stam­men könn­te, durch die über­ra­schend gut­tu­ra­len Töne, in die sie wäh­rend des Refrains ver­fällt, jedoch für unge­woll­te, har­te Lach­an­fäl­le sorgt.

Schnell, holt den Exor­zis­ten: Inger scheint wäh­rend des Refrains von bösen Geis­tern besessen.

Auch im drit­ten bal­ti­schen Staat, Litau­en, ging eine wei­te­re (vor­auf­ge­zeich­ne­te) Vor­run­de der Nacio­nal­inė Euro­vi­zi­jos Atran­ka über die Anten­ne. Hier schei­ter­te die Sän­ge­rin Vale­ri­ja Ilji­nai­tė mit einem Bei­trag aus der Schub­la­de der schwe­di­schen Pers­son-Schwes­tern und einem phi­lo­so­phi­schen Text aus der Feder des ame­ri­ka­ni­schen Autoren Char­lie Mason (‘Rise like a Phoe­nix’, ‘Beau­ty never lies’). ‘Sca­res are beau­tiful’ erzähl­te von den Nar­ben auf der See­le, die einem das Leben (und man sich selbst) so zufügt, und begann mit einem ent­spre­chend düs­te­ren, gespro­che­nen Intro. Als Kon­zept sicher gut gedacht, als Dar­bie­tung aber doch ein biss­chen zu anstren­gend und depri­mie­rend. Unfrei­wil­lig lus­tig ledig­lich die letz­te Sekun­de, als Vale­ria noch­mal dra­ma­tisch die Aug­äp­fel ver­dreh­te und man sofort wie­der nach dem Exor­zis­ten rufen woll­te. Vom Tele­vo­ting aus­ge­schlos­sen und damit chan­cen­los blieb die Teil­neh­me­rin Gabrielė Ryb­ko, nach­dem her­aus­kam, dass ihr Vater ver­sucht hat­te, Anru­fe für sei­ne Toch­ter und ihren nerv­tö­ten­den Bei­trag ‘Lay it down’ zu kau­fen. Ups!

Wie eine Net­ta mit schwe­ren Depres­sio­nen: Valeria.

In Ungarn stand der beim A Dal tra­di­tio­nell breit ver­tre­te­ne und übli­cher­wei­se recht erfolg­rei­che Hard­rock ges­tern Abend auf ver­lo­re­nem Pos­ten. Sowohl die mit­tel­lahm und stimm­lich arg wacke­lig vor sich hin jau­len­de Band Sal­vus als auch die bereits aus den bei­den Vor­jah­ren bekann­ten, heu­er ziem­lich folk­lo­ris­tisch auf­spie­len­den Lean­der Kills schei­ter­ten an den Juro­ren, in bei­den Fäl­len zu Recht. Das ohren­schein­lich tau­be Publi­kum ret­te­te das Hip-Hop-Duo USNK, das sehr ange­strengt auf unga­risch vor sich hin rapp­te, ein gele­gent­li­ches, in Zei­ten von Social Media unver­zicht­ba­res “Hash­tag, Hash­tag, Hash­tag, Hash­tag” ein­streu­end und von einem bedroh­lich mas­kier­ten DJ beglei­tet. Wel­che bun­ten Pil­len Petrus­ka ein­ge­wor­fen hat­te, dar­über las­sen sich nur Ver­mu­tun­gen anstel­len. Sei­ne kreis­run­den Pupil­len und der Büh­nen­hin­ter­grund spra­chen jeden­falls Bän­de. Muss ein Hor­ror­trip gewe­sen sein: ‘Help me out of here’ lau­te­te sein ver­zwei­fel­ter Hil­fe­ruf. Dass Joci Pápai und sein ganz schö­ner, aber gegen­über sei­nem 2017er Euro­vi­si­ons­bei­trag ‘Ori­go’ deut­lich abfal­len­der Song ‘Az én apám’ die Vor­run­de gewann, sagt viel aus über die man­geln­de Qua­li­tät des dies­jäh­ri­gen unga­ri­schen Vorentscheids.

Der klei­ne Petrus­ka möch­te aus dem Bäl­le­bad abge­holt werden!

Bleibt zugu­ter­letzt das ers­te Semi des schwe­di­schen Melo­di­fes­ti­valens, das ges­tern in Göte­borg über die Büh­ne ging. Das wur­de sei­nem legen­dä­ren Ruf vor allem durch den Pau­sen­act gerecht, bei dem die gleich vier (!) Moderator/innen einen rund­her­aus fan­tas­ti­schen Mash-up isrea­li­scher Sie­ger­lie­der prä­sen­tier­ten, wobei die fabel­haf­te Sarah Dawn Finer ali­as Lyn­da Wood­ruf eine extrem über­zeu­gen­de Net­ta Bar­zi­lai gab und der irgend­wie deut­lich jün­ger als bei sei­nem Euro­vi­si­ons­auf­tritt wir­ken­de Eric Saa­de im haut­engen Cat­su­it und mit den bun­ten Strau­ßen­fe­dern von Dana Inter­na­tio­nal der­ma­ßen enga­giert voguend die ‘Diva’ in Sze­ne setz­te, dass er den trotz offi­zi­el­ler Hete­ro­se­xua­li­tät nie ganz begra­be­nen, stil­len Hoff­nun­gen in den Her­zen sei­ner schwu­len Fans frag­los neue Nah­rung ver­schaff­te. Weni­ger über­zeu­gend die sie­ben Songs des gest­ri­gen Line-ups, an denen prak­tisch immer ent­we­der Tho­mas G:sson oder Lin­nea Dab kom­po­si­to­risch betei­ligt waren. Oder bei­de. Bis auf ‘Mina fyra Års­ti­der’ (‘Mei­ne vier Jah­res­zei­ten’) der sich bereits im Spät­herbst ihrer Kar­rie­re befin­den­den Schla­ger­le­gen­de Arja Sajon­maa, deren zweit­plat­zier­ter Mel­lo-Bei­trag von 1987, ‘Högt över Havet’ zu den Klas­si­kern jeder Grand-Prix-Dis­co zählt.

Man­do­li­nen im Mon­den­schein: Arja ent­führ­te uns zurück in die seli­gen Schla­ger­zei­ten der Sechzigerjahre.

Ihr man­do­li­nen­durch­ström­ter Dis­co­fox­schla­ger, von der weiß­ge­wan­de­ten Fin­nin etwas über­per­for­ma­tiv prä­sen­tiert, lan­de­te trotz neu­er, nach dem Alter sor­tier­ten Gewich­tung der Publi­kums­stim­men unsanft auf dem letz­ten Platz. Wie respekt­los! Scha­de auch um das eben­falls aus­ge­schie­de­ne Duo Zea­na und Anis Don Demi­na: eine extrem prol­lig wir­ken­de Dame im oran­ge­far­be­nen Trai­nings­an­zug mit auf­ge­spritz­ten Lip­pen und einer furcht­ba­ren, mit­tel­ge­schei­tel­ten Dau­er­wel­le in Beglei­tung eines ganz put­zi­gen, behü­te­ten Bär­chens, die mit dem aller­dings haupt­säch­lich aus “Ay ay ay”-Rufen bestehen­den ‘Mina Brän­der’ den ein­zi­gen ande­ren hei­mat­spra­chi­gen Bei­trag in den Sand setz­ten. In die Andra Chan­sen schaff­ten es zwei Wiederkehrer/innen: zum einen Schwe­dens Ant­wort auf den Rag’n’Bone Man, Nano, der offen­sicht­lich die fran­zö­si­sche Desti­na­ti­on Euro­vi­si­on gese­hen hat­te und sich einen Mini-Me mit auf die Büh­ne brach­te, dafür aber sei­ne Stim­me zu Hau­se ver­gaß. Und zum ande­ren Anna Ber­gen­dahl, die bis­lang ein­zi­ge jemals in einem ESC-Semi aus­ge­schie­de­ne schwe­di­sche Ver­tre­te­rin von 2010, deren Kopf-zu-Kör­per-Ratio seit­her erschre­cken­de Ver­än­de­run­gen durch­lief. Was noch das Inter­es­san­tes­te ist, was sich über sie sagen lässt.

Nein, mit “Mini-Me” mei­ne ich nicht den obsku­ren Dutt. Schau­en Sie selbst.

Direkt ins Fina­le wan­der­te die bis­lang eher für unver­dau­li­chen Upt­em­po­lärm bekann­te Wik­to­ria, die sehr erfolg­reich ihre inne­re Ruth Loren­zo chan­nel­te und nicht nur ihre unver­dau­li­che Bal­la­de ‘Not with me’ ent­spre­chend laut­stark ins Mikro­fon röhr­te, son­dern auch einen auf die Büh­ne her­nie­der­ge­hen­den Platz­re­gen tsu­na­mi­haf­ten Aus­ma­ßes insze­nie­ren ließ, der sie bis die Kno­chen durch­näss­te. Was tut man nicht alles für eine Punk­te­du­sche! Für einen hei­te­ren Moment sorg­te die Blon­di­ne indes wäh­rend der Repri­se ihres Mit­fi­na­lis­ten Mohom­bi Mou­pon­do, der für mei­nen Geschmack wenig über­zeu­gend sei­nen inne­ren Mor­ten Har­ket chan­nel­te und vor einem Zau­ber­spie­gel ver­mit­tels der unab­läs­sig wie­der­hol­ten Beschwö­rungs­for­mel ‘Hel­lo’ ver­such­te, eine Zei­chen­trick­fi­gur in die Rea­li­tät hin­über­zu­zie­hen. Wie mei­nen? Scham­los aus dem legen­dä­ren ‘Take on me’-Video geklaut? Natür­lich, aber das liegt jetzt ein Vier­tel­jahr­hun­dert zurück, die Jugend kennt das doch gar nicht mehr! Im letz­ten Refrain gelang ihm das Unter­fan­gen. Doch just die­sen Moment nutz­te Wik­to­ria, um die Büh­ne zu entern und dem armen, die gan­ze Zeit hin­ter dem Spie­gel aus­har­ren­den dun­kel­haa­ri­gen Mädel die Schau zu stehlen.

A Tiger pis­sing in the Cage”: damit schlie­ßen wir unse­re heu­ti­ge klei­ne Tier­schau. Tschüss!

4 Comments

  • Ich fand Wik­to­ria tat­säch­lich am bes­ten… Mohom­bi fand ich ehr­lich gesagt ganz schlimm. Das Lied an sich wär ok, aber das mit dem hohen sin­gen soll­te er lie­ber Leu­ten über­las­sen, die das kön­nen 😉 und die Per­for­mance mit dem Spiegel…Naja.

  • Bit­te, bit­te, lasst Wik­to­ria gewin­nen, nicht dass sie sonst im nächs­ten Jahr beim Sin­gen bren­nen­de Schwer­ter schluckt für den Sieg!

    Ewig scha­de um den Kat­zen-Song, wenn Sie nur live bes­ser sin­gen wür­de wäre das mei­ne Nr.1 aller Vorentscheide!
    So fand ich die Maul­trom­mel­num­mer am bes­ten, aber war­um durf­te der Kauz­bär nur als schlech­tes Holo­gramm auf die Bühne?

  • Haha­ha­ha ? Dan­ke für dei­ne posi­ti­ven Wor­te zu mei­nem Auftritt !

    Lie­be Grü­ße aus Estland-KAIA

  • Super­sams­tag – gut und schön. Aber was ist das schon gegen die jähr­li­che Audi­tion in Weiß­russ­land? 113 Acts und einer bes­ser als der ande­re. Als Anspiel­tipps emp­feh­le ich DAZ SAMPSON & NONA sowie VITA­LY VORON­KO & ARTEM SOR­OKO. Abso­lu­te Knal­ler­bei­trä­ge, jeder auf sei­ne Weise 😉

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