Das muss man dem weißrussischen Sender BTRC wirklich lassen: er schafft es, seine nationale Eurovisions-Vorentscheidung jedes Jahr auf eine andere Weise absurd aufzuziehen und dabei die hohe Kunst der Schiebung völlig ungeniert vor unser aller Augen zu zelebrieren. Diesmal schloss man das Publikum zur Sicherheit komplett vom Voting aus und legte das Schicksal der zehn angetretenen (bzw. ausgewählten) Kandidat/innen in die Hände einer siebenköpfigen Jury unter Mitwirkung von Koldun, die ihre Voten direkt im Anschluss an den Auftritt verteilte. Zehn Punkte durfte jede/r Juror/in jedem Act maximal geben, sieben waren offensichtlich das Minimum: weniger als das erhielt gestern Abend niemand. 70 Zähler konnte man also höchstens erreichen, und nachdem gleich die zweite Kombattant/in, die erst 16jährige Zena (Zinaida Kupriyanovich), ihres Zeichens zweifache Junior-ESC-Teilnehmer/in und 2018 Moderatorin des Kinderwettbewerbs, 69 Punkte abräumte, hätten sich die restlichen acht Konkurrent/innen die Mühe eigentlich sparen können. Der Fairness halber soll gesagt sein: die vor Selbstbewusstsein nur so strotzende Mini-Playback-Show-Göre-spielt-Britney-Spears-Darstellerin Zena gewann mit ihrem unglaublich billigen Wegwerf-Uptempofetzen ‘I like’ den Vorentscheid völlig zu Recht!
Zena verfügt über tonnenweise Potential. Car-Crash-Potential. Dennoch war ‘I like’ das beste Angebot.
Ihre unterlegenen Konkurrent/innen, die der Sender aufgrund der absurden Votingmethode nur Sekunden nach ihrem Auftritt, noch vollgepumpt mit Adrenalin, vor laufenden Kameras mit der harten Wahrheit ihres Ausscheidens konfrontierte, sahen das naturgemäß nicht alle so. Auch, wenn man des Weißrussischen nicht mächtig war, sprachen der Tonfall mancher Debatten, die giftigen Blicke, das säuerliche Grinsen, das nicht immer erfolgreich unterdrückte Augenrollen und die größtenteils nur mit äußerster Mühe gewahrte Contenance doch Bände. Als besonders pfiffige Idee konfrontierte BTRC die Künstler/innen nicht nur direkt im Anschluss ans Singen mit ihrer Niederlage, sondern später noch einmal im Green Room, wo am gestrigen Abend einige der unentspanntesten Interviews der TV-Geschichte über die Antenne gingen. Großes Fernsehen, dafür vielen Dank! Bereits der erste Sänger im Line-up, der unfassbar tuntige Michael Soul, der sich mit dem rundweg grauenhaften ‘Humanize’ um den Michał-Szpak-Unsympathenpreis bewarb, roch nach der Entgegennahme seiner 59 Punkte den Braten und zog ein Gesicht, dass dem britischen Ausdruck “The Queen is not amused” eine völlig neue Bedeutung gab.
‘Humiliate’ wäre der passendere Titel gewesen: der winselige Jammerlappen Michael Soul reagierte eingeschnappt auf sein Ergebnis.
Gesicht, Frisur, Schminke, Gestus, Gesang, Lied: an Roos’ Auftritt gab es nichts, das mich nicht vollständig abstieß.
Nicht weniger angepisst (und nicht weniger tuntig) wirkte Sebastian Roos – nein, nicht etwa der Sohn der deutschen Contestlegende Mary Roos, sondern ein Schwede, der angeblich schon mal in irgendeiner Melodifestivalen-Vorrunde ausschied und der mit seinem Songtitel ‘Never getting close’ sein eigenes Schicksal adäquat beschrieb. Auch bei ihm erwies sich das Green-Room-Interview als absolutes Highlight, als die Moderatorin ihn fragte, wo er denn seine Begleitsängerinnen gefunden habe und seine etwas wirre Antwort für das heimische Publikum mit “von so einer Website” übersetzte. Unglaublicherweise reichte es für Roos’ zähen Poprock-Riemen sogar zum dritten Rang, nur noch getoppt vom weißrussischen DJ BLGN, der sich – wie schon beim Vorsingen – erneut mit einer skurrilen, beleuchteten Gasmaske und einem zur Perücke umfunktionierten Schrubber tarnte. Sein Sänger, der gebürtige Nigerianer Mirex, nahm die Niederlage am gelassensten auf, obwohl ein rassistischer Juror seine (nur) 9 Punkte damit begründete, dass Mirex nicht über die belarussische Staatsbürgerschaft verfüge. Die gleiche Jury erwies sich dann im Umgang mit dem Duo Aura, das mit der sanften Ethno-Ballade ‘Čaravala’ den einzigen landessprachlichen Beitrag des Abends präsentierte und auf dem vorletzten Platz landete, als komplett unpatriotisch.
Cesár Sampson tarnte sich für den weißrussischen Auftritt mit einem komischen Kürzel.
Verständlich, dass BTRC das Damenduo nicht wollte: die Zusatzkosten für den eigenen Gärtner hätten sicher den finanziellen Rahmen gesprengt.
Natürlich durften zwei Acts nicht fehlen, ohne die es schlichtweg keine amtliche weißrussische Vorentscheidung wäre. Nämlich die Boyband Provokatsiya, in der Vergangenheit regelmäßige Sieger im Televoting und ebenso regelmäßig von der Jury verhindert, die sexy Lederhosen mit futtigen silberglitternden Pailettenshirts kombinierten und deren Beitrag ‘Running away from the Sun’ musikalisch noch chaotischer, fast schon kakophonisch daherkam. Und natürlich Olga Shimanskaya alias Napoli, die bereits zum siebten Mal am Vorentscheid des Landes teilnahm und trotz all der Jahre im Geschäft noch immer kein Englisch lernte. Was sie lyrisch radebrechte, ließ sich größtenteils nur vage erahnen, und da, wo man es verstand, grauste es einen. So wie im Refrain, der aus der denkwürdigen Zeile “Even if you can’t stand feeling this nasty way” bestand. Visuell lenkte Olga mit einem aparten, barfüßigen Tänzer ab, der mit einer dicken Rolle Wolle herumhantierte, die er am Schluss gar ins Publikum warf – man wartete die ganzen drei Minuten förmlich darauf, dass eine Katze auf die Bühne spränge, um mit dem Knäuel zu spielen.
Man nehme tausend halbgare Song-Ideen, schütte sie in den Thermomix und lasse das Ganze 20 Minuten auf kleiner Stufe simmern: fertig ist der Vorentscheidungsbrei!
“Schnell, erschießt es jemand, es quält sich doch nur noch!”
Eine Erwähnung trosthalber verdient die finale Interpretin im gestrigen Line-Up. Die hölzern agierende Keysi zeigte sich nicht in der Lage, einen einzigen Ton zu halten oder ein auch nur rudimentäres Verständnis für Timing und Flow zu entwickeln: die viel zu vielen Silben ihres englischen Textes, von dem sie offensichtlich selbst nicht ein Wort verstand, rammte sie ohne Rücksicht auf Verluste in das einfallslose Musikbett, das sich wie eine zähe Lavamasse aus schmerzhaftem Lärm in die Ohren der Zuschauer/innen ergoss. Drehte man den Ton ab, was sich unbedingt empfahl, konnte man sich zumindest am Anblick der beiden halbnackten, mit schusssicheren Westen ausgestatteten Polizistendarsteller erfreuen, die neben ihr tanzten und wie aus einem Achtzigerjahre-Fetischporno entsprungen wirkten. Um trotz des längst feststehenden Endergebnisses künstlich die Spannung zu erhalten, vergaben nach Keysis Auftritt die Juror/innen ihre Punkte nicht direkt, sondern mäkelten zunächst ausführlich am militaristischen Staging herum, bevor sie endlich zur Tat schritten und bereits die erste Acht-Punkte-Wertung den Sieg von Zena besiegelte. Die tat im Green Room dennoch völlig überrascht – und verdient alleine dafür den Orden der Verdienten Schauspielerin des Volkes.
Soldiers of Love: Keysi und die Sunshine Band.
Vorentscheid BY 2019
Nationalny Otbor. Donnerstag, 7. März 2019, aus den BTRC-Studios in Minsk, Weissrussland. 10 Teilnehmer:innen. Moderation: Teo und Olga Ryzhikova.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz |
---|---|---|---|---|
01 | Michael Soul | Humanize | 59 | 04 |
02 | Zena | Like it | 69 | 01 |
03 | Eva Kogan | Run | 54 | 10 |
04 | BLGN + Mirex | Champion | 65 | 02 |
05 | Sebastian Roos | Never getting close | 62 | 03 |
06 | Alyona Gorbachova | Can we dream | 59 | 04 |
07 | Provokatiya | Running away from the Sun | 55 | 08 |
08 | Aura | Čaravala | 55 | 08 |
09 | Napoli | Let it go | 58 | 07 |
10 | KeySi | No Love lost | 59 | 04 |
Ich komme nicht umhin, diesen Bericht über diese Veranstaltung mit der äußerst.……eigentümlichen Punktevergabe zu loben. Beim Siegertitel kann man dies ja nicht, was bei der Auswahl an Liedern allgemein auch schlicht unmöglich ist.
Bittebittebitte Finale!!!
Allein schon für solche Perlen der Dichtkunst:
“It feels crazy a little, well
I know what is going to work, it’s right
Here to make me wiser, tam da-da-dum
[?]
Now okay, put our [?] sneakers on
And show your emotions on the floor
Ah, hashtag feel fine, yeah, tam da-da-dum
I know it’s gonna be”