Neben Nordmazedonien, Russland, San Marino und Ungarn schickt nun auch Serbien eine Rückkehrerin zum Eurovision Song Contest 2019 nach Tel Aviv: bereits vor sechs Jahren stand Nevena Božović in Malmö auf den Brettern, die die Welt bedeuten; seinerzeit als Teil des unmittelbar nach dem Wettbewerb wieder aufgelösten Trash-Trios Moje 3 mit ihrer Alle-meine-Entchen-Melodie ‘Ljubav je svuda’, das vermutlich auch dank der grausam entstellenden Klamottenwahl der drei serbischen Liebchen im Semifinale ausschied. Modisch hat sich die erschreckend dünne Nevena, die zur Sicherheit stets eine ganze Batterie von Vomitierspateln am Arm und um den Hals mit sich führt, um bei bulimischen Fressanfällen sofort gegensteuern zu können, zwischenzeitlich weiterentwickelt. Auch musikalisch kommt sie 2019 anders daher: ihre selbst geschriebene, für meine Ohren allerdings seltsam blutleere und sakrileghaft mit englischen Texteinsprengseln versehene Balkanballade ‘Kruna’ (‘Krone’) vermochte im gestrigen Finale der Beovizija die Juror:innen überzeugen, die sie mit deutlichem Punktevorsprung an die Spitze wählten.
Von der Jury zur Königin gekrönt: Nevena.
Beim heimischen Publikum landete Frau Božović hingegen nur auf dem dritten Rang. Die anrufenden Serb:innen favorisierten stattdessen erstaunlicherweise zwei furchtlose, starke Frauen, nämlich Nataša Guberinić und Una Senić, die zu bollernden Beats das selbst getextete ‘Samo bez Straha’ (‘Nur ohne Angst’) herausbrüllten. Angst durften die Beiden auch keine zeigen, jedenfalls nicht vor einer jederzeit möglichen Garderobenfehlfunktion ihrer wagemutig ausgeschnittenen Hosenanzüge, die einen (dann allerdings doch nicht eingetretenen) Busenblitzer geradezu herausforderten. Allerdings beinhaltete der Song auch einen Rap-Part, und da sich die Verantwortlichen des serbischen Senders RTS augenscheinlich mit den geschmacklichen Vorlieben bzw. Abneigungen der internationalen Grand-Prix-Fans und ihrer absoluten Allergie gegen alles dem Hip-Hop auch nur im Entferntesten Nahekommenden bestens auskannten, sorgten sie dafür, dass die eigene Jury, welche Nataša & Una im ersten Semifinale noch mit einem Mittelfeldplatz bedachte, die Beiden rein vorsorglich so weit nach unten strafvoteten, dass die prolligen Zahnspangenträgerinnen Nevena die ‘Kruna’ auf keinen Fall mehr streitig machen konnten.
Selbstbewusste Frauen? Da sei die Jury vor!
Das passt natürlich bestens ins aktuelle Bild Serbiens, in dem die Demokratie ohnehin keinen hohen Stellenwert mehr besitzt. Noch vor Nevena Božović schloss im Televoting auch der etwas mindercharismatische Dženan Lončarević mit seiner herzergreifenden Schmerzensballade ‘Nema Suza’ (‘Keine Tränen’) ab, für den es im Gesamtranking nur für den undankbaren zweiten Platz reichte. Für die nicht serbisch sprechenden Teile der Zuschauerschaft ließ er den Inhalt seines Songs, in dem eine Mutter den Tod ihres im Kosovokrieg gefallenen Jungen betrauert, mittels eines strickenden, verhärmten Mütterchens plastisch auf der Bühne illustrieren. Und ich gebe es gerne zu: mich kriegt man mit einem solchen Tränenzieher immer! Der unschöne Verdacht eines nationalistischen Abstimmungsverhaltens der serbischen Zuschauer/innen und Juror/innen nährte der punktelose letzte Platz im Televoting für die Slowenin Jana Šušteršić, über deren diakritischen Nachnamen und seine Aussprache (“Schuschterschitsch”) sich die Moderator/innen der Beovizija sowohl im Semi als auch im Finale wiederholt auf ziemlich rüde Weise lustig machten.
Viel hilft viel, schien das Motto von Jana, die ihren verräterischen Nachnamen extra offiziell ablegte. Half nicht.
Dabei hätte ihr Outfit die viel bessere Angriffsfläche geboten: die mehrfache EMA-Teilnehmerin konnte sich bei der Wahl des passenden Accessoires einfach nicht zwischen einer Vielzahl farbiger Broschen und Schleifen entscheiden und legte sie schließlich alle an. Auch das Youtube-Sternchen Sofija Perić, das im Green-Room-Interview ständig irgendwas von der Ukraine erzählte, musste sich mit einem der hinteren Plätze begnügen. Dabei hatte sie mit ‘Aritmija’ einen rundheraus fabelhaften Discoschlager am Start, der im diesjährigen ESC-Aufgebot zu meinem Leidwesen noch immer dringendst (!) fehlt. Unglücklicherweise half es der Sache wenig, dass Sofija ihren Songtitel plastisch unterstrich, in dem sie sich zur Musik aus der Feder von Vladimir Graić (‘Molitva’) so wenig wie möglich bewegte – und wenn, dann tatsächlich ziemlich arhythmisch. Die beiden ihr zur visuellen Ablenkung an die Seite gestellten, minderjährig wirkenden, tanzenden Milchbübchen machten es leider nur noch augenfälliger.
Ein wenig mehr Training in der Eleftheria-Eleftheriou-Schule für Tanz und Gesang wäre von Vorteil gewesen: die arythmische Sofija.
Für kurze Irritation in deutschen Ohren sorgte der schon am 2‑Millimeter-Haarschnitt leicht als Serbe identifizierbare Ivan Kurtić, der in seiner schön schunkeligen Balkan-Tavernen-Nummer ‘Bella’ immer mal wieder was von seinen “Zipperlein” sang. Tatsächlich ging es wohl eher um seine abgrundhässlichen roten “Cipela” (“Schuhe”). Das Pausenprogramm im zweieinhalbstündigen Finale bestritt schließlich der bis kurz vor die völlige Gesichtslähmung gebotoxte und offensichtlich mit dem Schuhlöffel geschminkte Željko Joksimović, der uns die Ruslana gab und gefühlt seinen kompletten musikalischen Katalog zu Gehör brachte. Nicht, dass ich mich in seinem Falle darüber beschweren wollte!
Eine Pflichtveranstaltung für Vorentscheidungsfans: die Beovizija 2019.
Vorentscheid RS 2019
Beovizija. Sonntag, 3. März 2019, aus dem RTS-Sendestudio 8 in Belgrad, Serbien. 12 Teilnehmer:innen. Moderation: Dragana Kosjerina, Ivan Mihailović, Nebojša Milovanović und Ana Babić. Fünfköpfige Jury (50%), SMS-Voting (50%).# | Interpret/in | Titel | Televote | Jury | Platz |
---|---|---|---|---|---|
01 | Saška Janks | Da li čuješ moj glas | 4.964 | 42 | 03 |
02 | Majdan | Budim te | 2.514 | 19 | 07 |
03 | Sofija Perić | Artimija | 2.862 | 11 | 09 |
04 | Dženan Lončarević | Nema Suza | 5.858 | 36 | 02 |
05 | Wonder Strings + Ivana Vladović | Moja Bol | 4.088 | 40 | 05 |
06 | Jana Šušteršić | Victorija | 1.487 | 15 | 10 |
07 | Lord | Radnički sin | 2.435 | 29 | 08 |
08 | Nevena Božović | Kruna | 5.708 | 56 | 01 |
09 | Ana Popović | Lutaš | 1.757 | 05 | 12 |
10 | Ivan Kurtić | Bella | 5.010 | 19 | 06 |
11 | Nataša & Una | Samo bez straha | 10.427 | 13 | 04 |
12 | Aleksandra Sekulić | Tugo | 1.872 | 05 | 11 |
Vor lauter überlegen, warum die Dame einen Kuli und einen Füller oder 2 Kulis oder 2 Füller am Arm hat (keine Brusttasche für die Teuren von Montblanc?) habe ich nicht auf das Lied geachtet!
Darf ich es nochmal hören?
Jo mei.….ein blondes Gift ohne toxische Wirkung. Muss man schon mögen.…aber KANN man es überhaupt mögen? Wenn’s nach mir geht: Nein!
Tja, was soll ich sagen… oft empfinde ich da, dass eine Jury ein notwendiges Korrektiv ist. Aber hier halte ich es mal mit dem Chronisten: Jurys sind W.…er. Klar, Nevana hat ihr Lied gut gemeistert, aber es ist eine Ballade ohne Höhepunkt. Gefallen haben mir noch die Wonder Strings feat. Ivana Vladovic – eine eigentlich aus Serbien erwartete klassische Balkannummer, aber sehr weiblich.
Dennoch: Die SMS-Voter haben eine eindeutige Stimme gesprochen, auch von den absoluten Stimmzahlen her: über 10.000 Stimmen für Nataša und Una gegenüber nicht einmal 6.000 für Nevana. Das wäre eine Nummer gewesen, die man nicht vom Balkan erwartet, Frauenpower, kraftvoll, und das obwohl ich Rap eigentlich hasse (den habe ich ohne Google-Translate auch nicht verstanden…). Modern verpackt und trotzdem eine Ode an die Liebe. Schade, Chance vertan.
Einen Kommentar, der so sehr an Volksverhetzung grenzt, findet man heutzutage wirklich selten.
Sprüche wie „schon am 2‑Millimeter-Haarschnitt leicht als Serbe identifizierbare Ivan Kurtić„ oder „Das passt natürlich bestens ins aktuelle Bild Serbiens, in dem die Demokratie ohnehin keinen hohen Stellenwert mehr besitzt„ sind einfach nur peinlich und sorgen für Fremdschämen.
Ein bisschen Recherche wäre übrigens nicht schlecht gewesen, bevor man peinliche Klopper wagt. Jana Susteric ist in Slowenien als Tochter eines Slowenen und einer Serbin geboren, lebt aber seit ihrem 4. Lebensjahr in Serbien. Da reicht schon ein Wikipedia Artikel, um das herauszufinden. Wo man hier den Verdacht für nationalistisches Abstimmungsverhalten herleitet, scheint nur der Autor dieses Textes zu wissen. Dass sich das Lied „Nema suza“ auf den Kosovo Krieg bezieht, scheint wohl auch nur ihm bekannt zu sein… usw.. usw… Einfach nur erbärmliches Rumgifteln.
Aber was wäre das Leben eines einfach gestrickten Menschen ohne Vorurteile? :-))