Zehn Songs, drei Abstimmungsrunden und das von Anfang an erwartete Ergebnis: das norwegische Fernsehen NRK zeigte am gestrigen Abend mal wieder, wie man einen nationalen Vorentscheid mit einem klaren Ausgang dennoch unnötig in die Länge ziehen kann. Trotz aller Manipulationsversuche durch die internationale Jury gewann am Ende des unterhaltsamen Abends, wie allgemein vorhergesagt und völlig zu Recht das Trio Keiino mit dem eingängigen Grand-Prix-Disco-Tanzflächenfüller ‘Spirit in the Sky’, der uptemporäre Drums, einen supersüffigen Refrain und auf samisch gejoikte Ethno-Verzierungen zu einem Gesamtkunstwerk aus dem Lehrbuch für Eurovisionsschlager verbindet. Das eigens für den Melodi Grand Prix gebildete Projekt Keiino besteht aus den früheren MGP-Solo-Teilnehmer/innen Tom Hugo und Alexandra Rotan, ergänzt um den glatzköpfigen Rapper Fred Buljo, die den Song gemeinsam mit Toms Ehemann Alex Olsson schrieben (oder vielmehr in weiten Teilen bei Saara Aaltos ‘Monsters’ abkupferten).
Welche Geister da wohl von Fred Buljos Stimmbändern Besitz ergriffen hatten?
Interessanterweise besteht zwischen den Dreien ein ganz klares stimmliches Gefälle: während Hugo seine Strophen sehr sauber und klar verständlich intonierte, vernuschelte Rotan ihren Part schon arg vernehmlich. Buljo klang unterdessen, als habe er vor dem Auftritt einen Ochsenfrosch verschluckt, der ihm nun im Hals sitze. Das konnte, ebenso wie die stark überarbeitungsbedürftige Bühnenshow, jedoch den mitreißenden Gesamteindruck nicht trüben. Dabei gingen Keiino, vom NRK hilfreich auf den letzten Startplatz gesetzt, in der ersten Wertungsrunde, als die internationalen Juror/innen lediglich ihre jeweiligen Douze Points verkündeten, noch vollkommen leer aus. Stattdessen versammelten sich die Länderflaggen mehrheitlich beim musikalisch noch ein paar Jährchen weiter zurückliegenden Dance-Projekt D’Nash, Verzeihung, D’Sound und ihrem belanglos-netten ‘Mr. Unicorn’, dessen prominentestes Feature ein Keybordplayer mit aufgesetzter Schweißerschutzmaske war.
Shirt: Paradise Oscar.
Die Stimmen des Publikums retteten Keiino jedoch in das Silberfinale, wo sie neben besagter Band auch die symphatische RnB-Sängerin Anna-Lisa Kumoji zur Seite räumen konnten, die mit ‘Holla’ ein hart bouncendes Bollerbeat-Brett hinlegte. In der letzten Abstimmungsrunde, dem Goldfinale, ging es dann noch gegen Adrian Jørgensen und sein von Aleksander Walmann und Kjetil Mørland komponiertes ‘The Bubble’ – nein, kein Song über die Eurovisionsfans und ihre bunte schillernde Blase, in der sie sich von Januar bis Mai jeden Jahres befinden, sondern ein leicht countryeskes Jammerlappenliedchen im Stile Ed Sheerans, das Gott sei Dank gegen die Himmelsgeister von Keiino keinen Stich machen konnte. Mørland hatte mit ‘En livredd Mann’ (‘Ein verängstigter Mann’) ein weiteres, selbstkomponiertes und ‑gesungenes Eisen im Feuer, das aber die erste Abstimmungsrunde nicht überlebte. Dabei wusste der in einem augenscheinlich aus Resten aus der Altkleidersammlung zusammengenähtem T‑Shirt nachlässig gekleidete und ansprechend verstrubbelte Sänger im Verbund mit einer hinreißenden Ballettdarbietung visuell durchaus zu überzeugen. Seine heisere Ballade blieb dennoch nicht im Ohr hängen.
Ganz tief im eigenen Hintern steckend: Elend Bratwurst, der Troubadix Norwegens.
Gleich zweimal die Zuschauer/innen belästigen durfte hingegen ausgerechnet der norwegische Harald Glööckler, Erlend Bratland, mit seinem tragisch-pompösen, sich selbst deutlich zu wichtig nehmenden Balladenriemen ‘Sing for you’, der mit seiner Pyrotechnik Pech hatte: bei den Proben zur Show verbrannte sich die elende Bratwurst am Funkenflug die Pfote, weswegen seine Teilnahme sogar kurzzeitig auf Messers Schneide stand. Beim ersten Durchgang während der Livesendung fiel dagegen das Feuerwerk komplett ins Wasser. Man kann sich das verzickte Herumgetucke Erlands förmlich vorstellen, mit dem er die MGP-Verantwortlichen zu einem Zweitauftritt mit dann endlich funktionierender Pyro nötigte. Als hätten wir beim ersten Mal nicht schon genug gelitten! Für unterhaltsame drei Minuten sorgte schließlich der Hardrocker Hans Erik Dyvik Husby alias Hank von Hell, bekannt geworden als ehemaliger Frontmann der Punkband Turbonegro, die getreu des Mottos, dass im konservativen Rockbereich nichts so sehr schockt wie Homosexualität, mit vorgetäuschtem Schwulsein provozierten.
He was made for loving you, Baby: Hank von Hell.
Von Hell selbst, seit einem Heroinentzug Mitglied der Sekte Scientology, soll jedoch laut Wikipedia in einem Interview die Homo-Ehe mit Sodomie gleichgestellt haben und steht damit auf der selben Stufe geistiger Armut wie die deutsche CDU-Vorsitzende und erklärte Katholikin Annegret Kramp-Karrenbauer. Ob Religion die Dummheit aktiv befördert oder einfach nur die subfontanell Minderbemöbelten besonders stark anzieht? Wie auch immer: das melodiöse ‘Fake it’ entführte uns zurück in die guten alten Zeiten von Kiss, woran Hank mit entsprechender Gesichtsbemalung auch anknüpfte. Im MGP-Rahmenprogramm gab es zudem ein Wiedersehen mit dem scheinbar stets unter MDMA-Einfluss stehenden Alexander Rybak und mit den Bobbysocks, die der Sender mit einem Flashmob überraschte. Hübsch!
Viel Rauch um Nichts: mehr als zweieinhalb Stunden brauchte das norwegischen MPG 2019, um das einzig richtige Ergebnis zu liefern.
Vorentscheid NO 2019
Melodi Grand Prix. Samstag, 2. März 2019, aus dem Spektrum in Oslo, Norwegen. 10 Teilnehmer:innen. Moderation: Heidi Ruud Ellingsen und Kåre Magnus Bergh.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Silberfinale | Platz |
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01 | Chris Medina | We try | x | – | – |
02 | D’Sound | Mr. Unicorn | –> | x | – |
03 | Kjetil Mørland | En livredd Mann | x | – | – |
04 | Anna-Lisa Kumoji | Holla | –> | x | – |
05 | Erlend Bratland | Sing for you | x | – | – |
06 | Ingrid Berg Mehus | Feel | x | – | – |
07 | Hank von Hell | Fake it | x | – | – |
08 | Carina Dahl | Hold me down | x | – | – |
09 | Adrian Jørgensen | The Bubble | –> | –> | 02 |
10 | Keiino | Spirit in the Sky | –> | –> | 01 |
Gut gemacht, Norwegen!
Okay, das würde ich immer sagen, wenn sie den geilen Tom Hugo zum ESC schicken.….
.….aber das Liedchen verdient dieses Lob ebenfalls.
Schon interessant, wie man sehr deutlich von einem anderen Song Passagen nimmt, um diesem zu zeigen, wie man wirklich was draus macht.
SPIRIT IN THE SKY ist tatsächlich eine Option für mich dafür anzurufen. Davon gibt es 2019 ja nicht gerade viele.