Mit einem ähnlichen Rezept wie die im aufrechtgehn.de-Ranking eine Nummer tiefer platzierte Schweiz versuchen es in diesem Jahr auch die Spanier. Nur, dass ihr mitklatschfähiger Latinopop deutlich authentischer klingt als die eidgenössische Rösti-Variante. Dennoch vermag ‘La Venda’ nur in Maßen zu überzeugen. Der Schwachpunkt hier vor allem: der Interpret.
Platz 16: Spanien – Miki Núñez: La Venda (Die Augenbinde)
Dabei ist der junge Katalonier kein Kind von Hässlichkeit. Es gibt Fanseiten im Netz, die ganze Elogen auf seine durchtrainierten Oberarme singen. Sein ausgesprochen nachlässiger Kleidungsstil und sein tapsiges Auftreten lassen ihn gleichzeitig zugänglich wirken. Selbst seine in manchen Momenten an den toten Biber auf dem Kopf des US-amerikanischen Präsidenten erinnernde tuffige Naturkrause wirkt an ihm noch ganz ansehnlich, solange Miki nicht im Takt zur Musik auf und ab hüpft und der Biber in Wallung gerät. Mit dem Gespringe, einer Polonäse durchs TV-Studio und der direkten Interaktion mit den Fans gelang es dem Sängerschlumpf, im Finale der Operación Triunfo die Meute mitzureißen und so den Vorentscheid zu gewinnen. Für Tel Aviv braucht es jedoch eine andere Strategie: gerade die nordischen Nationen entflammen nicht so leicht für Ballermannschlager, und der etwas verpeile Kiffercharme des Interpreten dürfte oberhalb des Weißwurstäquators eher auf eisige Ablehnung stoßen. Für schwedische Seelen muss Mikis OT-Performance vor allem linkisch und unprofessionell wirken, und in Kombination mit seinem von keinerlei Selbstzweifel angekratzten Auftreten und den fünf ausschließlich zu Dekorationszwecken hinter ihm (deutlich stringenter) operierenden Mädels könnte er als Musterbeispiel für einen weißen Hetero-Mann herhalten, der sich seiner Privilegien nicht bewusst ist.
Der Adam Sandler des ESC: Miki “Krause” Núñez bei der OT.
Nämlich des hier demonstrierten Privilegs, dass Männer mit eher halbherzigen Leistungen durchkommen, die man Frauen niemals durchgehen lassen würde. Ein Beth beispielsweise hätte man für so ein Herumgehüpfe und so eine Klamottenauswahl von der Bühne gebuht. Die gute Nachricht: direkt nach dem OT-Finale kündigte der spanische Sender an, dass man an einem Remix von ‘La Venda’ arbeite. Und tatsächlich klingt der in der Originalversion noch arg platte Song in der einige Zeit später vorgestellten, instrumental aufgemöbelten Studiofassung deutlich frischer und erträglicher. Spannend dürfte nun sein, ob es gelingt, dem Interpreten bis Tel Aviv noch eine ohne Augenschmerz anschaubare Choreografie einzubläuen. Und ihm einzutrichtern, dass er für die europäischen Zuschauer/innen mit der Kamera agieren muss und nicht mit dem Studiopublikum. Wer das Händchen der Iberer für das Staging kennt, dürfte wie ich wenig Hoffnung hegen, dass diese Übung gelingt. Bis dahin hören wir uns, je nach Neigung, den Beitrag durch wiederholten Genuss noch schön oder versuchen, uns so weit wie möglich entfernt davon zu halten, um uns keinen schrecklichen Ohrwurm einzufangen.
Eine clevere Abrechnung mit der furchtbaren Austeritätspolitik der EU, welche die iberische Jugend vorübergehend in die Hoffnungslosigkeit stürzte, oder eine plumpe Hurenrettungsfantasie? Egal, von den Lyrics bleibt ohnehin nur das vuvuzelahafte “La Venda va cayooooooooooohooohooooohoooo” hängen.
Chancen im Finale: Hängen von der Präsentation ab. Wenn es gelingt, den Auftritt professioneller wirken zu lassen, könnte es fürs Mittelfeld reichen. Sonst droht erneut das gewohnte Ergebnis.
Beste Textzeile: gleich die allererste, “Te compran porque te vendes” (“Sie kaufen dich, weil du dich verkaufst”). Die Kapitalismuskritik ist in diesem Jahrgang irgendwie omnipräsent. Was angesichts der äußeren Umstände ja auch nicht verwundert.
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Boah Nein!! Dieser Song vereinigt für mich das allernervigste aus “Despacito” und “Ai Seu Eu Te Pego”, ein Song den ich mir noch nicht mal mit 3 Promille am Ballermann schönhören kann. Wird wahrscheinlich so ablaufen wie jedes Jahr, die Spanier werden sich sooo sicher sein das ihr Song gewinnen wird und nach dem mauen Endresultat dann die Welt wieder nicht verstehen.
Ich würde den Spaniern ein gutes Ergebnis wirklich gönnnen, zu diesem Song sage ich aber nur: No gracias!!
mmmh. Anfangs wäre dieser Song bei mir auf Platz 30 oder tiefer gelandet. Ballermann eben. Stimmt so aber nicht. Der Text ist dann doch des Nachdenkens wert. Soweit mein Spanisch reicht jedenfalls. Und auf jeden Fall ist das deutlich authentischer als der “Latino-Hit” aus der Schweiz.
Für eine prima Party reicht das auf jeden Fall.
Das wird so schlecht nicht dastehen. Allerdings habe ich mich bei wesentlich besseren Beiträgen aus Spanien schon schwer verschätzt.
Vielleicht liegt es an der Sprache – was dramatisch ungerecht ist/wäre!
Die Gefahr liegt hier in der Präsentation. Bitte nicht so wie im Vorentscheid. Dann gäbe es Hoffnung auf einen Platz zwischen 6 und 16
Einer meiner absoluten Haßbeiträge dieses Jahr – besoffener Depp auf der Vertriebs-Office-Party grölt und stolpert über die Bühne und findet sich dabei ganz toll. Dazu ganz schlimmes sub-Primark Styling mit dem in Deutschland beliebten Hetero-Männer-Look “ich müsste eigentlich mal wieder zum Frisör”. Gibt leider sicher Televote-Punkte von Karnevals- und Ballermann-Fans aus D, NL, UK.
Den Song mag ich sehr gerne. Von den TOP 5 gefällt mir Spanien am besten. Würde mir echt wünschen, dass sie dieses Jahr besser abschneiden, zumindest vorderes Mittelfeld.
IN deutschen Foren heißt es natürlich abgedroschen “Ballermann”, international zumindest schon “mucha alegria” und Stadionhymne und damit liegt man gar nicht so falsch. Da ich den Text verstehe, kann ich gut nachvollziehen, warum meine spanischen Freunde diesen Song ausgewählt haben. Mich erinnert “La Venda” sehr an braslilanische Sänger wie Michel Telo und Gustavo Lima und nach den Rohrkrepierern 2016 und 2017 sowie der Schmonzette 2018 ist es wenigstens ein Beitrag, dem ich zumindest eine Platzierung im Mittelfeld wünsche.
Das Duell mit Portugal geht aber auch dieses Jahr verloren.
@ Ulrich
An der Sprache läge es wohl nicht, denn viele finden Spanisch richtig cool. Wahrscheinlich eher an der Performance.
Nachdem der Dream Team Art-Direktor tatsächlich aus Miki einen Ricky machen wird, werden die Wettquoten für Spanien nach den ersten Proben nur so durch die Decke gehen!
Und als Mensch südlich des Weißwurst-Äquators steh ich ja sowieso drauf 🙂
Stadionhymne nennen das manche? Da würde ich aber ein ‑chen dahintersetzen. Die waren wohl noch nie bei einer Sportveranstaltung im Stadion, sondern nur bei einem dieser Mammut-Treffen der Zeugen Jehovas.
Nur den Song hörend, ist das für mich weit überwiegend ein hektischer Takt im Schweinsgalopp, nicht gerade super gesungen. Den Auftritt beim Vorentscheid sehend, frage ich mich, wer da alles vom wilden Affen gebissen wurde, das so auf die Bühne zu bringen. Aber zumindest das kann ja noch anders werden in Tel Aviv.
Bei mir im hintersten Fünftel.