Gleich zweifach erfuhr die fabelhafte Dana International, die 1998 beim Eurovision Song Contest in Birmingham den mit weitem Abstand bedeutsamsten Sieg in der über sechzigjährigen Geschichte des Grand Prix errang, die ihr gebührende Ehrung im gestrigen ersten Semifinale 2019 zu Tel Aviv, wo sie als Interval Act auftrat. Der für seine 40 Lenze erstaunlich jung aussehende Assi Azar, einer der überflüssigerweise erneut vier (!) Gastgeber/innen des Abends, benannte die offensichtlich in den selben Jungbrunnen gefallene LGBTQI*-Ikone in seiner Anmoderation als sein persönliches Idol. War es doch ihr seinerzeitiger Sieg, der dem damals Zwanzigjährigen aus dem Versteck half und ihm die Kraft zum Coming Out gab. Zehn Jahre später listete das US-amerikanische Magazin OUT den Showmaster, Filmemacher und Aktivisten als einen der “100 weltweit einflussreichsten Schwulen”. Doch auch für die tolle letztjährige Eurovisionsgewinnerin Netta Barzilai, welche den Reigen mit einem Remix von ‘Toy’ eröffnete, war Dana laut Einspieler der Ausgangspunkt für ihre trotz aller Widrigkeiten als nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechende Frau verfolgte Gesangskarriere. Die ‘Diva’ selbst demonstrierte mit einer Bearbeitung von ‘Just the Way you are’, dass sich selbst Bruno-Mars-Songs ohne all zu großen Würgereiz anhören lassen, wenn eine Künstlerin ihres Formats sie übernimmt.
Queere Vorbilder sind so immens wichtig. Ob vor zwanzig Jahren, heute oder in der Zukunft. Danke für alles, Dana International. Du bist und bleibst für immer eine Inspiration.
Das israelische Fernsehen verband die offensichtlich im Vollplaybackverfahren gesungene Liebeserklärung mit einer Kiss Cam und zeigte vom Publikum gleichermaßen umjubelte, herzerwärmende Bilder homo- wie heterosexueller Pärchen aus der Halle bei der Zungenakrobatik. Für Letztere mussten die Kameramänner vermutlich etwas länger im nicht ganz ausverkauften Zuschauerraum suchen, Erstere veranlassten den weißrussischen TV-Kommentator Evgeny Perlin zu Ausrufen der Abscheu. Es ist leider noch immer ein langer, langer Weg. Danas Auftritt gehörte jedenfalls zu den Highlights der vom Sender KAN mit Liebe gestalteten Sendung, neben dem fantastischen Gina‑G-Gedächtnisfummel der Moderatorin Bar Refali und den beiden weiteren Überbrückungsacts, einer Collage der sehr schön produzierten Postkarten zu einem Remix von ‘A Ba Ni Bi’ sowie vor allem einem unglaublich clever konstruierten, temporeichen und hoch unterhaltsamen dreiminütigen Zusammenschnitt aus der reichen Eurovisionsgeschichte, bei dem man zweifellos auch beim zwanzigsten Anschauen noch neue, witzige Details entdeckt und der durchaus das Zeug hat, ‘Love Love Peace Peace’ als bisher beste ESC-Pausenunterhaltung abzulösen. Respekt, KAN, da vermochte man dann auch gnädig über die hölzernen und allesamt nicht zündenden Gags des Altersvorsitzenden im Moderationsquartett, Erez Tal, hinwegzusehen.
Dschinghis Khan müssen einen bleibenden Eindruck in Israel hinterlassen haben!
17 Acts traten am im musikalisch fraglos interessanteren, vielfältigeren der beiden Semifinale. Sieben mussten also ausscheiden, und entgegen aller in den letzten Jahren und auch heuer wieder inflationär gestreuten Beteuerungen, wie sehr der Eurovision Song Contest doch die Diversität feiere, wurden durch die anrufberechtigten Televoter/innen und / oder die Jurys gleich vier Nationen abgestraft, die diese Botschaft leichtsinnigerweise ernst nahmen und keinen glattgebügelten Pop-Fluff sandten, sondern kulturell andersartige, anspruchsvolle Lieder in Landessprache. Als größter Schock muss dabei wohl das Ausscheiden des portugiesischen Gesamtkunstwerks rund um Conan Osíris gelten. Auch, wenn dieser es einem mit seiner Kostümierung zusätzlich schwer machte, hatte er doch die goldenen Gesichtslöffel aus dem heimischen Vorentscheid Festival da Canção durch einen noch stärker irritierenden schwarzen Vollbartschoner aus Plaste ersetzt. So dass man sich die ganzen drei Minuten lang fragte, warum sich jemand freiwillig dermaßen entstellt, und seine hoch artifizielle Modern-Dance-Performance ebenso an einem vorbeirauschte wie seine frappierende Klangcollage aus arabesken, technoiden und Fado-Tönen.
“Oh, Felicia. Wie oft muss ich es Dir sagen: grün ist nicht deine Farbe!” (PT)
Und erst recht seine existenzielle Botschaft über die Bedeutung der ‘Telemóveis’ (Mobiltelefone), die längst die Herrschaft über uns übernommen haben. Es muss für die Portugiesen unfassbar sein: zuerst ein Überraschungssieg, gefolgt vom letzten Platz im Finale und nun gar vom Ausscheiden in der Qualifikationsrunde. Und dies alles mit jeweils der selben Herangehensweise, nämlich dem bedingungslosen Festhalten an den eigenen, sperrigen kulturellen Wurzeln. Mit einem bereits erfolgreich geprobten Rezept baden ging auch Ungarn, das erneut den anmutigen, kernigen Roma Joci Papái schickte. Nach der sterbensschönen Ballade ‘Origo’ trug dieser, diesmal komplett alleine und barfüßig auf der Bühne, heuer eine liebevolle, sentimentale Ode an seinen Vater vor. Allerdings entfaltete das zu weiten Strecken aus “Na na na”-Gesängen bestehende ‘Az én Apám’ trotz des sehr persönlichen Sujets musikalisch nicht ganz nicht die tiefe emotionale Sprengkraft seines 2017er Beitrags, der den meisten Zuschauer/innen und Juror/innen noch in wohliger Erinnerung gewesen sein dürfte. Und da wir leider alle der unheilvollen Tendenz unterliegen, Künstler/innen ausschließlich an ihrem größten Erfolg zu messen, verlor Joschi gemeinerweise das Rennen gegen sich selbst.
Stimmungsmäßig heller gefärbt als sein Erstlingswerk, damit leider weniger eindringlich: Joci aus Ungarn.
Was, ich muss es mit tadelndem Ton sagen, eine Schande ist. Denn ohne den unnötigen Vergleich mit ‘Origo’ gehörte ‘Az én Papám’ fraglos mit zu den zehn besten Songs des Abends. Nicht ganz so unerwartet, wenn auch nicht weniger bedauerlich, gestaltete sich das Final-Aus für die vier Polinnen von Tulia. Das erst seit einem Jahr bestehende und in der Heimat extrem erfolgreiche Damenquartett bediente sich der traditionellen slawischen Gesangstechnik des Weißen Gesangs, eine für westliche Ohren ungewohnte und damit etwas anstrengende Art des Vokalvortrags, der sich aber trotz der eher lauten, ans Schrille grenzenden Töne insgesamt sehr harmonisch und auf den Punkt anhörte. Allerdings verzichteten Tulia für ihren Auftritt in Tel Aviv auf eines ihrer Markenzeichen, nämlich den stoisch finster dreinblickenden Resting Bitch Faces aus dem professionellen Videoclip zu ‘Pali się’. Stattdessen konnte man ein verhaltenes Lächeln wahrnehmen, was die Vier zwar weniger bedrohlich und abweisend erscheinen ließ, aber auch deutlich weniger selbstbewusst und eigensinnig. Minuspunkte gab es zudem für die komplett überflüssigen englischen Textzeilen zum Auftakt und zum Ende, zumal diese aufgrund ihrer Aussprache kaum zu verstehen waren. So konnte noch nicht mal die interessantere Aufforderung “Love me now, love me now, harder and harder” für Aufmerksamkeit sorgen.
Die deutschen Sisters haben zwischenzeitlich von der Drehscheibe Abstand genommen. Tulia aus Polen übernahmen das Requisit. Es brachte ihnen kein Glück.
Auch die geschickte Publikumsanimation mittels doppelter Handklatscher kam zu spät, um das Ruder noch herumzureißen. Aber den größten Fehler begingen Tulia mit der Wahl der Garderobe. Wobei nichts gegen die gigantischen Goldkronen gesagt sein soll oder die mit dicken bunten Glassteinen geschmückten roten Roben. Nein, die vermutlich als Verneigung von dem queeren Publikum gedachten Röcke in den Farben des Regenbogens trugen die Schuld am Final-Aus, riefen sie doch Erinnerungen an das ähnlich testbildhafte Outfit der Spanierin Lydia Rodríguez Fernández aus dem Jerusalem-Jahrgang 1999 wach, die dort ebenfalls äußerst unverdient auf dem letzten Platz landete. Keine Zugeständnisse ans Publikum machte hingegen der georgische Vertreter Oto Nemsadze. Das von inneren wie äußeren Konflikten bedrohte Kaukasusland scheint, anders als seine südliche Nachbarn Armenien und Aserbaidschan, beim Eurovision Song Contest ohnehin nicht mehr das Ziel einer Platzierung im Spitzenfeld um jeden Preis zu verfolgen, sondern nutzt die ähnlich wie Portugal die Show als europäisches Schaufenster für die kompromisslose Präsentation seiner nationalen Kultur. Otos hochgradig dramatischer Beitrag ‘Sul tsin iare’ entpuppte sich bei genauerem Hinsehen denn auch als kaum verhüllter Aufruf an die von Russland unterstützten, abtrünnigen georgischen Republiken Abchasien und Südossetien zur Wiedervereinigung mit dem Mutterland.
Gewinnt auf jeden Fall den Preis für das intensivste Starren in der gesamten ESC-Geschichte: der georgische Oto.
Die eher düstere emotionale Wucht seines Anliegens teilte sich nach einer noch vergleichsweise verhalten vorgetragenen ersten Minute spätestens mit dem Aufdrehen des Lautstärkereglers in der zweiten Strophe mit, in der Oto erstmalig die volle, ungezügelte Kraft seiner rauen Röhre nutzte, gefolgt von einer der wohl intensivsten Kamera-Interaktionen in der Historie des Grand Prix, bei der uns der Georgier bis in die tiefsten Winkel unserer Seele schaute. Zartbesaiteten Zuschauer/innen dürften seine manische Grimassen und seine blinzellos aufgerissenen Augen jedoch eher Alpträume verursacht als sie zum Mitfühlen und Anrufen animiert haben. Und auch der fünfköpfige, im Halbdunkel agierte Männerchor, der im Call-and-Response-Verfahren das auf historischen georgischen Liedern basierende, charakteristische “Varaada, varada” doppelte, trug nicht zu einer Vertrauen schaffenden Atmosphäre bei. Es war Oto und seinem Gefangenenchor bitter ernst, so viel ließ sich auch für den des Georgischen nicht Mächtigen erspüren. Aber womit genau, das erschloss sich nicht. Und das verstörte wohl die meisten Zuschauer/innen. Schade! Gespannt bin ich hier auf das Verdikt der Jury: wenn sie dieses Kleinod nicht unter die ersten zehn wählten, haben sie ihre Existenzberechtigung erneut verspielt.
Kam offenbar direkt vom Fallschirmspringen: Eliot wirkte noch etwas verschreckt (BE).
Vollkommen in Ordnung ging das Ausscheiden hingegen bei den drei restlichen betroffenen Ländern. Belgien tat das, was es in den letzten Jahren mit wechselhaftem Erfolg stets tut: es schickte eine in den Strophen ziemlich überzeugende, im Refrain hingegen schauderhaft unterfinanzierte Elektroballade, vorgetragen von einem bis dato noch ziemlich unbeleckten und völlig verängstigen Künstler, in diesem Fall dem gerade erst achtzehnjährigen Eliot Vassamillet. Der stand in einer mindestens vier Nummern zu großen Jacke schreckensstarr auf der Bühne, blickte in die Kamera wie ein Reh im Kegel des Autoscheinwerfers auf der nächtlichen Landstraße und vermittelte in jeder Sekunde den Eindruck, gerade ganz woanders sein zu wollen als hier auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Keine Sorge, Eliot: auf die wirst du nun sicher nie wieder müssen. Rettungslose Amateure kamen auch aus Montenegro. Das Glee-Gedächtnis-Sextett D Mol performte ungelenk umherstolpernd und ruppige Ringelreihen tanzend einen lauwarmen ‘If we all give a little’-Aufguss, den in dieser Qualität noch nicht mal Ralph Siegel sich mehr zum ESC einzureichen trauen würde. Das Beste, was sich über den Schwarzgebirgs-Beitrag sagen lässt, ist, dass er nun endlich die Schmach und Scham über die deutschen Atlantis 2000 als bisher grottigste Grand-Prix-Darbietung aller Zeiten vergessen lässt. Dafür ein herzliches Danke nach Podgorica!
Kommt zurück, Six4one, alles ist vergeben (ME)!
Die Engelbert-Humperdinck-Medaille für das am härtesten verkackte Karriere-Comeback ging erwartungsgemäß an den finnischen DJ Darude. Ist halt blöd, wenn man mit ‘Sandstorm’ vor zwanzig Jahren einen Welthit hinlegte, an dem man – ich erwähnte es bereits – für den Rest des Lebens gemessen wird und es nun beim Eurovision Song Contest mit einer dermaßen lendenlahmen Nummer versucht, über dessen Chancenlosigkeit sich bereits im Vorfeld alle einig waren. Inklusive des verantwortlichen Show-Produzenten, der ‘Look away’ folgerichtig auf den Startplatz 2 3 setzte, einen der Todesslots. Dabei versuchte das YLE noch alles, um zumindest inszenatorisch die bekannten Schwächen der Darbietung auszubügeln: da man wusste, dass weder der 43jährige Ville Virtainen (so Darudes bürgerlicher Name) noch sein Sänger Sebastian Rejman optisch all zu viel hergeben, verbannte man die beiden auf die Brücken zwischen der Satelliten- und der Hauptbühne, die man für eine im Sturm der Windmaschine agierende Tänzerin freihielt. Die ebenfalls bekannten stimmlichen Schwächen Rejmans überdeckte man mit einem nicht im Bild zu sehenden Backing. Doch sein Charismadefizit ließ sich nicht ausgleichen: der lederbechapste Rockband-Frontmann wirkte müde und in diesem Titel fremd.
Der Aufforderung kommt man bei seinem Anblick doch gerne nach: Sebastian Rejman (FI).
Von den ins Finale weiter gezogenen Zehn will ich hier nur eine Handvoll kurz erwähnen. Nämlich unter anderem zwei meiner vorhergehenden Hass-Titel, deren Qualifikation ich aber nach dem gestrigen Abend zähneknirschend nachvollziehen kann. So wie bei der Belarussin Zena, die das stotternd schrottige Pop-Amalgam ‘Like it’ im Verbund mit ihren beiden extrem leckeren und agilen Tänzern extrem überzeugend verkaufte. Selbst wenn ich mich als spießiger alter Sack innerlich daran störe, wenn eine erst Sechzehnjährige in Nuttenstiefeln und Hotpants über die Bühne turnt. Was nicht heißen soll, dass sie das nicht darf: eine Jede, wie sie möchte! Respekt auch an Kate Miller-Heidke, die es schaffte, die erfrischend trashige Darbietung ihres Depressionsliedes vom Vorentscheid Australia decides nochmals zu toppen. Denn nicht nur ihre Begleittänzerin steckte diesmal auf einer fünf Meter hohen, biegsamen Stange, sondern auch die Popera-Diva selbst. Und während die Frage, wo selbige Stange wohl an oder in ihr befestigt war, ihre kreischig hohen Töne und das selige Strahlen erklärte, lieferte das anmutige, frei flottierende Herumschwingen der drei Damen im Raum einfach ein hinreißendes Bild. Da machte das Zusehen so viel Spaß, dass man sogar das absolut verdammenswerte musikalische Genre kurzzeitig vergessen konnte.
Gespanntes Warten auf den Moment, in dem die drei Freischwingerinnen aneinander dotzen. Leider kam er nicht. Vielleicht im Finale (AU)?
Völlig unverständlich bleibt mir jedoch das Weiterkommen des im Heimatland Schweden mehrfach zu Recht abgewiesenen und nun nach Estland weitergewanderten Schleimpropfens Victor Crone, dem Jeff Colby des Eurovision Song Contest. Sein musikalisch völlig belangloses und aus ausgelutschten Textklischees zusammengesetztes Allerweltsgesusel ‘Storm’ bezeichnete Peter Urban völlig korrekt als “laues Lüftchen”, und Victors überperformatorischer sowie stimmlich katastrophaler Auftritt machte die Sache nicht besser. Den sphärisch sanften slowenischen Song ‘Sebi’, anfänglich mein letzter Platz im Ranking, habe ich mir hingegen in den letzten Wochen schöngehört. Und im Gegensatz zum Vorentscheid EMA schauten Zala Kralj und Gašper Šantl gestern Abend nur rund zweieinhalb ihrer drei Minuten drein wie die Anführer einer verschrobenen Selbstmord-Sekte. Zwischendrin zeigte Zala ein zögerlich zaghaftes Mona-Lisa-Lächeln und huschte dem wie eine unter Speed stehende Giraffe vor sich hin staksenden Kaschper sogar mal ein kurzes Grinsen übers Gesicht, so als könne er dem kuhäugigen Starren seiner Angebeteten nicht mehr länger standhalten. Seine so ungelenken wie zärtlichen (und offenbar nicht unwillkommenen) körperlichen Annäherungsversuche an die streng Gescheitelte brachten dann die Herzen der Zuschauer/innen endgültig zum Schmelzen. Inklusive meinem.
Love for Sale: Zala & Gašper in der diesjährigen Modefarbe weiß. Na dann, auf ein “Wiedersehn, wiedersehn” (das singen sie doch im Refrain, oder nicht?) im Finale (SI).
Auf die Trendfarbe Sunil-weiß setzte neben Slowenien und Montenegro auch das Team aus San Marino. Der türkischstämmige Zahntechniker, Gameshow-Host und Sprechgesangskünstler Serhat, noch in bester Erinnerung für sein discotastisches ‘I didn’t know’ von 2016, lieferte mit dem selbstgeschriebenen, schamlosen Guilty Pleasure ‘Say na na na’ auch diesmal einen nicht minder discotastischen Titel ab. Auf den letzten Startplatz (also den Pimp Slot) gesetzt, galt sein Finaleinzug vorab als sicher. Gestern Abend kamen dann aber kurzfristig Zweifel auf, denn in den ersten anderthalb Minuten hing der sexy Daddy mit seinen Vokalparts rettungslos dem Playback hinterher und traf grob geschätzt lediglich die Hälfte aller Töne. Was bei den eher gesprochenen Strophen nicht so viel ausmachte, im Refrain jedoch, da auch Serhat singen sollte, für sich aufrollende Fußnägel sorgte. In der zweiten Hälfte des Songs balancierte die Technik ihn indes besser aus, was heißen soll, dass man sein raspelndes Gurgeln mit den weiblichen Chorstimmen überflutete. Und sein unverdrossen selbstsicheres Strahlen machte den kleinen Faux-pas vom Anfang vergessen, zumal man sich dem ‘Verona’-Appeal seines Siebzigerjahre-Discostampfers einfach nicht zu entziehen vermochte.
In dem Alter kann es schon mal zu leichten Startschwierigkeiten kommen. Man ahnt aber, dass der mit allen Wassern gewaschene Serhat dennoch dank seiner langjährigen Erfahrung zu einem überaus befriedigenden Gesamtergebnis gelangt ℠.
Doch all dies verkam zur Nebensächlichkeit angesichts des von mir heißen Herzens erhofften und glücklicherweise auch eingetretenen Finaleinzugs meiner Lieblinge Hatari. Dessen Sänger Klemens Hannigan (der Blonde mit der Engelsstimme) sorgte denn auch für den absolut schönsten Moment des gestrigen Abends, als bei der Verkündung der Qualifikation Islands im Greenroom sitzend sein Bein in die Luft warf wie ein wohltrainierter Powerbottom. Mit ihrem Weiterkommen ist die Welt nun wieder in Ordnung und ich kann entspannt auf den Samstag blicken, wo sie ihre essentielle Botschaft, dass der aktuell freidrehende Turbokapitalismus die Welt in einen finsteren Ort verwandeln wird, wenn wir ihm und seinen Auswüchsen nicht endlich bald abschwören, einer breiteren Öffentlichkeit verkünden können. Und abschließend noch ein kleines Dankeschön an den bereits eingangs erwähnten Assi Azar, der bei der Kurzvorstellung der fixen Finalisten aus Israel, Frankreich (auf einnehmende Weise bescheiden und charmant: Bilal Hassani) und Spanien vermittels eines von Azar ausgegrabenen Instagram-Fotos den iberischen Interpreten Miki Nuñez zu dessem erkennbaren, mühsam unterdrückten Unmut auf seine körperlichen Vorzüge reduzierte. Große Unterhaltung!
Das komplette erste Semifinale 2019. Enjoy!
ESC 2019, 1. Semi
1. Semifinale des Eurovision Song Contest 2019. Dienstag, der 14. Mai 2019, 21 Uhr, aus dem Expo Convention Center in Tel Aviv, Israel. 17 Teilnehmer:innen. Moderation: Bar Refaeli, Erez Tal, Assi Azar und Lucy Ayoub.# | Land | Interpreten | Songtitel | Televoting | Jury | Summe | Platz |
---|---|---|---|---|---|---|---|
01 | CY | Tamta Goduadze | Replay | 054 | 094 | 149 | 09 |
02 | ME | D Mol | Heaven | 015 | 031 | 046 | 16 |
03 | FI | Darude + Sebastian Rejman | Look away | 014 | 009 | 023 | 17 |
04 | PL | Tulia | Pali się (Fire of Love) | 060 | 060 | 120 | 11 |
05 | SI | Zala Kralj + Gašper Šantl | Sebi | 093 | 074 | 167 | 06 |
06 | CZ | Lake Malawi | Friend of a Friend | 085 | 157 | 242 | 02 |
07 | HU | Joci Pápai | Az én Apám | 032 | 065 | 097 | 12 |
08 | BY | Zena | Like it | 044 | 078 | 122 | 10 |
09 | RS | Nevena Božović | Kruna | 065 | 091 | 156 | 07 |
10 | BE | Eliot Vassamillet | Wake up | 020 | 050 | 070 | 13 |
11 | GE | Oto Nemsadze | Sul tsin iare (Keep on going) | 033 | 029 | 062 | 14 |
12 | AU | Kate Miller-Heidke | Zero Gravity | 140 | 121 | 261 | 01 |
13 | IS | Hatari | Hatrið mun sigra | 151 | 070 | 221 | 03 |
14 | EE | Victor Crone | Storm | 133 | 065 | 198 | 04 |
15 | PT | Conan Osíris | Telemóveis | 043 | 008 | 051 | 15 |
16 | GR | Katerine Duska | Better Love | 054 | 131 | 185 | 05 |
17 | SM | Serhat Hacıpaşalıoğlu | Say na na na | 124 | 026 | 150 | 08 |
Kleine Korrektur meinerseits: Finnland startete auf Position 3 😉
Insgesamt fand ich das Semi vergleichsweise schwach, viele Gesangsdarbietungen waren ziemlich dürftig. Bezüglich der Finalisten bin ich ganz zufrieden, lediglich Estland hätte meiner Meinung nach nicht unbedingt weitermüssen.
Zu den Ausscheidern.
- Montenegro: Der erwartete Carcrash!! Die sechs wirkten wie eine Theater-AG die sich zufällig auf die große Bühne verirrt hat, und diese komischen Klamotten ließen sie je nach meiner Laune entweder die Patienten einer geschlossenen Anstalt oder die Mitglieder einer Sekte wirken. Zum Gesang und den komischen “Tanz” am Schluss äußere ich mich lieber nicht mehr, möchte nicht gegen die Netikette verstoßen.
-Finnland: Neben Montenegro das erwartbarste Semi-Aus. Darude hat seinen Zenit schon mindestens 20 Jahre überschritten und der miese Katzengesang von Sebastian und der extrem repetitive Refrain taten ihr Übriges.
-Polen: War ja kein Fan des Songs, dachte aber dass sei auffallend genug um ins Finale einzuziehen. Vielleicht war der weiße Gesang für die europäischen Ohren dann doch zu anstrengend??
-Ungarn: Mein persönlicher Trauerfall dieses Semis!! Der Song war zwar schwächer als “Origo”, aber dennoch mit so viel Herzblut vorgetragen dass selbst meine anfängliche Skepsi gewichen ist. Keine Ahnung woran das gescheitert ist. :/
-Belgien: Das überrascht mich hingegen weniger. Der gute Eliot hat sich sichtlich unwohl gefühlt, und auf der Bühne viel der flache Refrain noch deutlicher auf. Zum Gesang sage ich höflicherweise lieber nichts.
-Georgien: Ne, das war so gar nicht meins!! Wirkte sehr schwer verdaulich und sehr bedrohlich. Würde gerne wissen wie viele davon Albträume bekommen haben.
Portugal: Im Jahre zwei nach Sobral sind die Portugiesen wieder da wo sie vorher waren, und zwar im Semi hängengeblieben. Kaum hatte man das Gefühl man hatte die Nummer verstanden kam eine völlig andere Wendung. War mir und wohl vielen anderen zu “anders”.
Übrigens: Die PK war schon ziemlich witzig! Durchpreschen durch die Auslosung der Starthälften. Danach die Fragerunde verkam so sehr zur Serhat-Show (!), dass Klemens von Hatari, an den die erste nicht an Serhat gerichtete Frage ging, meinte: “Vielleicht will Serhat diese Frage auch beantworten.” Schaut Euch das mal an, es hat schon was.
Serhat ist auf jeden Fall eine Bereicherung fürs FInale, aber er muss sich noch steigern, was ja schwer zu überhören war.
Außerdem bemerkenswert: Die Sprechstimme von Katarine Duska (die sich ebenfalls GEWALTIG steigern muss, wenn das noch irgendwas werden soll) klingt tatsächlich komplett normal. Die unangenehme Singstimme kommt von ihrer Knödeltechnik. Wer verklagt freiwillig ihren Gesangslehrer?
Joci und Oto sind ebenfalls meine Trauerfälle, durch Hatari muss ich halt nochmal durch (was nimmt man nicht alles auf sich dafür, dass Oliver uns erhalten bleibt), und für Slowenien hab ich mich wie ein Plätzchen gefreut.
(Alle weiteren Details gibt’s bei einem Klick auf meinen Namen! Merci fürs Vorbeischauen!)
Ungarns Ausscheiden verstehe ich so gar nicht (heul!). Stattdessen kommt ausgerechnet Estland weiter, für mich neben Montenegro die schlechteste Darbietung des Abends. Okay, Serhat hat schon recht schief gesungen, aber sein Charme hat vieles wieder wettgemacht. War echt erleichtert, dass San Marino es geschafft hat. Georgien hat mich irgendwie fasziniert, find es klasse, dass sie jenseits des Mainstreams einfach immer ihr Ding machen. Hat mir wider Erwarten gefallen. Zustimmung bei Finnland und Belgien, wobei ich mir Belgien am Ende sogar richtig schöngehört habe, hätte ich noch eher im Finale akzeptiert als Estland. Und Portugal war schon ein wenig unfreiwillig komisch, glaube, sie haben sich durch ihr unsäglich grünes Outfit ins Aus katapultiert. Fand den Song schon immer ein wenig anstrengend, aber irgendwie auch mutig. Aber die weisse Garderobe aus der VE hat mir wesentlich besser gefallen.
Wie immer wunderbar geschrieben, danke!
Allerdings erinnert mich der estnische Bachelor weniger an Jeff Colby (der war nämlich sexy + sympathisch) sondern eher an Adam Carrington (unsympathisch + hölzern).
Dass es für Ungarn nicht reicht, dachte ich mir während des Auftritts schon. Wirkte doch etwas blass. Überhaupt hatte ich bei den ersten Startern komplett das Gefühl, jeder Song sei schon nach zwei Minuten auserzählt gewesen.
Weißrusslands Weiterkommen verstehe ich gar nicht und San Marino hat mich ebenfalls überrascht. Besonders da Serhat sich stimmlich tatsächlich erst hörbar eingrooven musste. Aber toll, dass er weiter ist!
Und Island hat Belgien gezeigt, wie ein eindringlicher “Wake-up-Call” heutzutage aussehen muss. Genial! Trotzdem schade, dass Belgien seine Acts nicht mehr rund bekommt. Letztes Jahr das Staging-Fail und dieses Jahr einfach der falsche Sänger. Dabei ist die Songwahl gar nicht so schlecht.
Soweit zur ständig wiederkehrenden Forderung “Kantig muss ein Beitrag sein, kantig, kantig!”
Das wurde ja am Dienstagabend reichlich belohnt, nä?.…..
Mein Kompliment übrigens an Katerine Duska: Live klingt sie noch besch.….eidener als in Studioproduktion.
Während der Verkündung der Finalisten fragte ich mich öfter ob sie nicht stattdessen diejenigen nennen, die ausgeschieden sind. Abwechslungsreich hin oder her freue ich mich heute Abend auf die bessere Qualität des zweiten Semis.
Wie mir mehrere auf Männer stehende Personen beiderlei Geschlechts glaubhaft versicherten, liegt das Weiterkommen Estlands nicht am Song oder der Sangesleistung sondern daran, dass der Victor offenbar ganz schnuckelig aussieht. Aha.
Das innovativste, in meinen Augen auch das beste Lied, ist ausgeschieden.
Europa ist (noch ) nicht so weit, faszinierend Fremdem und Neuem eine Chance zu geben.
Aber die Macher des Projektes haben auch ein bißchen selber Schuld. Beim Auftritt in Lissabon waren die weiße Kleidung, die goldglänzende Maske und Hände von Conan und seinem Tänzer zu einem wichtigen Teil der Inszenierung geworden. Jetzt wurden sie durch das schreiende Grün ersetzt, was die Fremdartigkeit des Titels nur noch steigerte. Ebenso wirkten jetzt die Bewegungen nicht mehr so verinnerlicht wie beim ersten Auftritt, sondern eher extrovertiert, aggressiv. Auch das offensichtliche Bemühen, das Ganze mehr sexy wirken zu lassen, wirkte auf mich wie eine Anbiederung und nahm den Ganzen den Zauber, den es bisher hatte. Dem Gesicht Conans konnte man wenig Ausstrahlung ablesen; eher den Streß, den er sich bei ihm in den 2 Rehearsals aufgebaut hatte. Schade drum, wirklich. Ob er es ein zweites Mal noch versuchen würde?
Ich bin ja schon gespannt auf das Split-Resultat. Was hat die Jury verbockt und was die Televoter? Meistens verbockt es ja die Jury (Igranka, Blackbird usw.).
Vielen Dank für diese tollen Kommentare. Ich habe mich sowohl schlapp gelacht als auch ein paar Traumas verarbeitet 🙂
@Porsteinn: ich würde mir ja tatsächlich wünschen, dass es diesmal die Zuschauer/innen verbockt haben. Ich bin es so unendlich müde, jedes verdammte Jahr die Jury beschimpfen zu müssen. Aber sie lässt mir halt meistens keine Wahl…
@Tamara: awwww, jetzt bin ich sehr, sehr gerührt. Vielen Dank! Und beruhigt bin ich auch, dass ich nicht der Einzige bin, der Frau Duskas Gesangsstimme so unangenehm findet.
Im Nachgang das bessere Semi, leider mit ein paar bizarren Qualifiern:
– Mit dem Karakoke Gesang sollte Sehrat ausscheiden, ich glaub im Finale muss ich Ihm den Ton abdrehen vor lauter fremdschämen.
‑Zu Crone habe ich irgendwo folgendes gelesen: Veni, Vidi, Avicii – Stimmt, wenn auch unverdient!
‑Zu Griechenland kam zur Stimme des Grauens noch jede Menge affektiertes Gehabe plus falsche Töne hinzu, scheint ja trotzdem viele Fans zu haben
‑Serbien musste ich am Ende zum Schutz meiner Ohren stumm schalten, zu viel Drama Baby! Dabei fängts so schön an…
Unverzeihlich Portugal, Ungarn und Polen dafür zu Opfern!
Bin auch auf den Voting-Split gespannt, mir schwant nix Gutes