Bei Diskussionen mit anderen Grand-Prix-Fans oder dem Lesen von Kommentaren stellt man immer wieder erstaunt fest: selbst die scheußlichsten Eurovisionsbeiträge haben ihre Anhänger*innen. Aber es muss doch in der langen ESC-Geschichte mit ihren vielen musikalischen Missgriffen wenigstens einen einzigen Song geben, bei dem sich im Hinblick auf seine fehlende Attraktivität mal ausnahmslos alle einig sind? Dies herauszufinden, machte sich der selbst für einige Rohrkrepierer wie zum Beispiel ‘Et cetera’ von Sinéad Mulvey verantwortliche schwedische Komponist Jonas Gladnikoff mithilfe des internationalen Fan-Bords auf ESC Nation zur Aufgabe und veranstaltete dort ein Voting mit rund 70 Teilnehmer/innen über den am wenigsten gemochten Eurovisionstitel von 1956 bis heute. Und siehe da: es gibt tatsächlich ein Lied, das mit Nul Points als unfreiwilliger Sieger aus der Abstimmung hervorging und damit offiziell als unbeliebtester Grand-Prix-Beitrag aller Zeiten gelten darf. Die zweifelhafte Ehre geht an den gebürtigen Griechen Jimmy Makulis, der im Jahre 1961 mit der streichersatten Ballade ‘Sehnsucht’ Österreich vertrat. Die ESCN-Voter*innen sind sich in der Bewertung übrigens einig mit den damaligen Juror*innen, die Makulis seinerzeit einen geteilten letzten Platz zuwiesen.
Niemand verspürt ‘Sehnsucht’ nach diesem Lied: Jimmy Makulis sülzt sich umsonst die Seele aus dem Leib.
Den als Demetrius Macoulis geborenen Sänger, der in den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern im deutschsprachigen Raum massive Verkaufserfolge mit hemmungslosen Schnulzen wie ‘Gitarren klingen leise durch die Nacht’ und ‘Ich habe im Leben nur dich’ feierte, dürfte die Ablehnung indes nicht mehr grämen: er verstarb 2007. In der nach Jahrzehnten aufgesplitteten Wertung kann Österreich noch einen zweiten Eintrag vorweisen: das vom Operettenkönig Robert Stolz komponierte und beim Contest in London 1960 auch höchstselbst dirigierte ‘Du hast mich so fasziniert’, gesungen von Harry Winter, faszinierte lediglich drei Fans und landete in der 1960er-Kategorie damit auf dem fünften Rang. Deutschland siegte in der Neunzigerjahre-Rubrik mit dem bereits in der seinerzeitigen heimischen Vorentscheidung zu Recht ausgebuhten ‘Dieser Traum darf niemals sterben’ des räudigen Retortensextettes Atlantis 2000 rund um den Komponisten Alfons Weindorf und den Texter Helmut Frey. Lediglich fünf ESCN-Voter/innen konnten sich, vermutlich aus purem Mitleid, für den Song erwärmen, der beim Kult-ESC von Rom auf Rang 18 von 21 landete.
Der offiziell schlechteste deutsche Beitrag aller Zeiten: dieser Traum muss baldigst sterben.
Als schlechtestes Jahrzehnt für Deutschland erwiesen sich jedoch interessanterweise die aus Schlagersicht eigentlich so grandiosen Siebziger, wo wir zwar einerseits mit Katja Ebstein, Joy Fleming und Mary Roos unsere absolut Besten schickten, andererseits jedoch mit der kläglich-latschigen ‘Sommermelodie’ von Cindy & Bert sowie dem sumpfigen Siegelschen ‘Sing Sang Song’ von den Les Humphries Singers gleich zwei der fünf unbeliebtesten Grand-Prix-Lieder beitrugen. Drei gar, wenn man Jürgen Marcus’ ‘Chansons pour ceux qui s’aiment’ aus der Feder seines Stammkomponisten Jack White (deutscher Titel: ‘Der Tingler singt für Euch alle’) mitzählt, das allerdings offiziell unter luxemburgischer Flagge segelte. Die Schweiz wiederum toppte die 2000er-Abstimmung mit dem entsetzlich aufdringlichen Kindergeburtstagslied ‘Celebrate’ von Piero Esteriore, der 2004 im allerersten Eurovisionssemi mit schmählichen Nul Points rausflog. Unter den ESCN-Voter*innen vermochte er mit seinem für Connaisseure der Schadenfreude hochgradig unterhaltsamen Eurovision-Car-Crash und der überraschenden Attacke des heimtückischen Mikrofons immerhin noch zwei Stimmen für sich zu sammeln.
Der eine Song, den von den Televoter*innen 2004 keine*r mochte: ‘Celebrate’.
Als am wenigsten gemochte Nation beim Eurovision Song Contest gilt nach der (natürlich nicht repräsentativen) ESCN-Abstimmung Belgien. Das sprachlich wie politisch zweigeteilte Land stellt nicht nur gleich sechs der insgesamt 35 Spitzentitel (und damit mehr als jede andere Nation). Es siegte auch gleich zwei Mal: zum einen, ziemlich nachvollziehbar, in den Fünfzigern, wo sich Fud Leclerc im Rennen um das unbeliebteste Lied mit ‘Ma petite Chatte’ trotz Punktegleichheit in einer Kampfabstimmung gegen seinen ewigen Konkurrenten Bob Benny und dessen ‘Hou toch von mij’ durchsetzen konnte. Und zum anderen, etwas überraschender, im gerade zu Ende gehenden Jahrzehnt, wo die ESCN-Voter*innen mit der Wahl von Axel Hirsoux’ gefühls- und kitschtriefender Ode an die ‘Mother’ wohl unter Beweis zu stellen suchten, dass Grand-Prix-Fans entgegen der Legende eben doch keine tragisch veranlagten Muttersöhnchen sind. Oder brach sie da die Adipositasphobie Bahn? Ich muss zugeben, zu den nur vier Voter*innen zu gehören, die dem Song ihr Plazet gaben. Weswegen der in seiner übertriebenen Abgeschmacktheit schon wieder lustige Balladenriemen aber weniger Fans hat als das völlig humorlose und damit komplett unerträgliche ‘C’est ma Vie’ von Evelina Sašenko, einer weiteren berechtigen Finalistin, bleibt mir unverständlich.
Trägt wirklich dick auf: Axel Hirsoux.
Wohin kleines Pony.… ist schlechthin der schlechteste Beitrag. Da hätte Heidi Brühl auf dem Immenhof bestimmt auch im Strahl.… ihr wisst schon.
Also ich vermute mal, dass die 70 Huschen, die da gewählt haben die meisten Songs vor 2000 gar nicht kennen, geschweige denn ein Lied aus den 60ern. Unbeliebt ist halt nicht das gleiche wie unbekannt. Schon gar nicht bei gerade mal 70 Teilnehmern.
@ichkommhieroftvorbei: Es wurden Youtube-Playlists mit allen Titeln als Erinnerungsstütze zur Verfügung gestellt. Bei den ESCN-Leuten handelt es sich nach meiner Einschätzung durchaus nicht nur um Huschen.
Repräsentativ ist die Abstimmung natürlich trotzdem nicht, aber das sind die Ergebnisse beim jährlichen Barbara-Dex-Award genau so wenig (und, wie man an den ersten Plätzen dort sieht, auch von keinerlei Sachverstand getrübt). Trotzdem finden sie weite Beachtung.
@Breezermuc: wasche er sich den Mund mit Kernseife aus! ‘Wohin kleines Pony’ ist eine Perle des österreichischen Eurovisionsschaffens!
@aufrechtgehn
da geb’ ich dir schon recht, aber nur weil die youtube playlists zur verfügung standen, heißt das nicht, dass die abstimmenden sie auch angehört haben. (für jeweils 10 jahre würde das nämlich ziemlich lange dauern…) aber sei’s drum. war wohl ein lahmer versuch meinerseits mir das ergebnis schön zu reden.
den begriff “huschen” nehme ich natürlich mit dem ausdruck allergrößten bedauerns zurück, wenn sich dadurch jemand auf den schlips getreten fühlt. Oder wie man bei uns in Ösi-land neuerdings sagt: “ich distanziere mich davon”. ;-D
Na, ich sags mal so:
Wenn ich mir eins von den obigen Liedern aussuchen muss, um damit bis zum Lebensende jeden Morgen geweckt zu werden, ist der Jimmy noch der erträglichste.
Die Nachfahren des Komponisten (The Composer, Le Compositeur) , die Fürsten Andrijewitsch, haben ja beklagt, dass der Dirigent (The Conductor, Le Chef d‘orchestre), der göttliche Franck Purzel, ihren Beitrag (the entry, la contribution) völlig vermasselt habe. Nun ist zwar richtig, dass Purzel so manchen dreisten Schabernack mit seinen Interpreten getrieben hat (sehr zum Wohle einiger mäßiger französischer Beiträge), die ein Höchstmaß an musikalischer Kompetenz erforderten, die die Mischung aus mediterraner Schleimspur und österreichischer Bräsigkeit sicherlich an den Rand der Makulisdegeneration gebracht hat, aber wir können den Schmock ja sonst nirgendwie anderes hören, weil sich alle Plattenfirmen geweigert haben, ihre Vinylpressen damit zu verschmutzen