Zwei raus – zwei rein: mit 41 bleibt die Anzahl der von der EBU heute bestätigten Teilnehmernationen beim Eurovision Song Contest 2020 in Rotterdam gegenüber Tel Aviv unverändert hoch. Oder, je nach Sichtweise, niedrig: den bisherigen Rekord von 43 Ländern, zuletzt eingestellt in Lissabon, holt die EBU nicht wieder ein. Von dem im Vorjahr beteiligten Nationen sagten zwei ab: das kleine Montenegro aus finanziellen Gründen, das unter dem Populisten Viktor Orbán zusehends ins Faschistische driftende Ungarn wohl eher aus kulturellen. Dort folgt man dem traurigen Vorbild der seit 2013 beim ESC absenten Türkei und igelt sich kulturell ein: zwar ist für 2020 eine weitere A Dal geplant, allerdings nicht wie bisher in der Funktion eines Vorentscheids. “Anstelle einer Teilnahme am Eurovision Song Contest 2020 wollen wir die wertvollen Produktionen der ungarischen Popmusiktalente direkt fördern,” hieß es in einer Presseaussendung des zuständigen Senders MTVA. Wer bei A Dal 2020 siegt, soll mit Radio-Promotion und senderseitiger “Unterstützung bei der Entwicklung der Musikkarriere” wie zum Beispiel “der Chance, bei den prestigeträchtigsten ungarischen Festivals aufzutreten,” entlohnt werden. Ungarn lässt also nicht nur weiterhin keinen mehr rein, sondern auch keinen mehr raus, zumindest auf der europäischen Pop-Bühne.
Die Gefahr, erneut einen talentierten Rom wie Joci Pápai als Vertreter Ungarns schicken zu müssen, will Orbán offenbar nicht mehr eingehen. Lieber bleibt man gleich unter sich.
Nach dem unschönen innenpolitischen Eklat um die Vidbir 2019 und dem darauf erfolgten Rückzug vom 2019er Contest ist die Ukraine unterdessen in Rotterdam wieder am Start. Um im Hinblick auf die innere Zerrissenheit des Land zwischen pro-europäischen und pro-russischen Kräften nicht erneut Anlass für eine weitere Zuspitzung zu geben, schrieb der öffentlich-rechtliche Sender UA:PC diesmal allerdings in die Teilnahmebedingungen hinein, dass bei der Vidbir nur mitmachen dürfe, wer seit der Krim-Annexion 2014 keine Auftritte in Russland oder der besetzten Halbinsel gehabt habe oder solche plane. Damit scheidet ein erheblicher Teil der möglichen Künstler*innen, die oft schon aus finanziellen Gründen zu solchen Gigs gezwungen sind, aus. Maruv, die Auslöserin der ukrainische Eurovisionskrise, ließ sich beispielsweise Anfang November 2019 bei den MTV Europe Music Awards in der Kategorie “bester russischer Act” küren. Nach einem Jahr finanzieller Zwangspause kehrt auch Bulgarien zurück: der chronisch klamme Sender BNT fand heuer einen externen Sponsoren, der alle Kosten übernimmt. Und wer sich jetzt vor einem neuen Siegel-Song fürchtet, sei beruhigt: laut ESC Kompakt “soll es sich um ein sehr erfolgreiches englisches Unternehmen handeln, das für seine Arbeit für Beyoncé sowie andere Stars bekannt ist.” Am 25.11. sollen wir mehr erfahren.
Löste tatsächlich einen “Bäng” aus: Maruv mit dem Siegersong der ukrainischen Vorentscheidung 2019.
Zerstoben sind damit alle Hoffnungen auf eine Rückkehr der von mir nach wie vor schmerzlich vermissten Türkei und von Bosnien-Herzegowina, wo man zwar gerne möchte, aber nach wie vor das Geld fehlt. Weiterhin draußen bleiben müssen die asiatische Erdöldiktatur Kasachstan und das Kosovo, die beide seit Jahren um eine Vollmitgliedschaft in der EBU buhlen, hierfür aber keine Mehrheiten finden. Hinsichtlich seiner erneuten Eurovisionsteilnahme bis zu letzt in Schweigen hüllte sich Moldawien. Das ist nun mit im Boot, soll aber nach unbestätigten Meldungen auf seine legendär-gefürchtete Vorentscheidung O melodie pentru Europa verzichten. Angeblich habe auch hier ein Produzent mit der erforderlichen Knete zugesagt, der die ESC-Teilnahme des bettelarmen Landes alleine finanziell wuppen will. Alle Finger zeigen dabei auf den russischen Ralph Siegel, Phillip Kirkorow, der sich bereits 2018 mit dem von ihm produzierten transnistrischen Trio DoReDos und dem fabelhaften ‘My lucky Day’ mit Hilfe des dort besonders kostengünstig zu beeinflussendes Televotings und der für ihre Bestechlichkeit berüchtigten Jury eine Eurovisionsteilnahme organisierte.
https://youtu.be/KYq1k5Egq54
Wenn wieder so eine geile Nummer dabei herauskommt, kann Kirkorow wegen mir gerne noch mehr Kleinstaaten kaufen: die DoReDos beim moldawischen Vorentscheid 2018.
Immerhin liegt Moldawien dabei voll im Trend zurück zur internen Auswahl: neben den niederländischen Gastgebern greifen auch die Big-Five-Nationen Spanien und Großbritannien diesmal darauf zurück. Vom NDR hingegen ist in Sachen Vorentscheid bis dato noch nichts Konkretes zu hören, dort sitzt man wohl noch immer ratlos über den Scherben des Vorjahres. Oder hat sich, wie man bei ESC kompakt spekuliert, nach Schweizer Vorbild ebenfalls für eine interne Wahl entschieden, um sich nicht mehr länger mit den ewig nörgelnden Fans herumschlagen zu müssen, welche (so das Empfinden) die sendereigenen Wunschkandidat*innen kaputtreden. Theoretisch möglich sogar, wenn auch nur schwer vermittelbar, dass wir erst mit der offiziellen Deadline für das Einreichen von Beiträgen am 7. März 2020 erfahren, wer uns vertritt. Schließlich sind wir hier ja (noch) nicht in Russland. Zudem hat der NDR mit nichtöffentlichen Auswahlen in diesem Jahrtausend eher schlechte Erfahrungen gemacht, wie der Flop mit Alex swings, Oscar sings und vor allem das mehr als unrühmliche Xavier-Naidoo-Gate belegen.
Auch eine Domina konnte aus dem Televoting keine Punkte herauspeitschen: ASOS beim ESC 2009.
Teilnehmer:innen 2020
Wäre aus Deiner Sicht eine interne Wahl des deutschen ESC-Beitrags 2020 akzeptabel?
- Um es mit Kohl zu sagen: entscheidend ist, was hinten rauskommt. (51%, 31 Votes)
- Auf keinen Fall. Gerade der NDR hat keinen blassen Schimmer von einem erfolgversprechenden ESC-Beitrag. (31%, 19 Votes)
- Unbedingt. Das deutsche Publikum ist ohnehin geschmacksgestört. (18%, 11 Votes)
Total Voters: 61
Ungarn werde ich auch sehr vermissen, nächstes Jahr. Hatten bisher meist super Beiträge. Bosnien-Herzegowina fehlt mir eh schon lange.
Warum sollte es Deutschland nicht auch mal mit einer Direktnominierung versuchen? Gemotzt wird hinterher (leider) sowieso. Das ist irgendwie typisch deutsch. Andere Länder haben schon bewiesen, dass man mit Direktnominierungen gute bis sehr gute Ergebnisse erziehlen kann. Die Chance besteht 50:50.
Immerhin sind Alex swings, Oskar sings, so schrecklich der Auftritt auch war, auf Platz 20 gelandet und nicht auf dem letzten Platz (Ironie off).
Das AlexOscar-Bashing finde ich schlimm; meine schlimmste Erinnerung ist, dass Oscar in MUC aus der Sauna kam, als ich reinging. Kann amn ihm aber nicht verdenken, war nur Schrott da.