Noch keine zwei Tage ist die Eurovisionssaison 2020 alt und wird bereits vom ersten Voting-Skandal überschattet. Bekanntlich zog im gestrigen Finale des albanischen Festivali i Këngës das von vielen Fans favorisierte Pop-Sternchen Elvana Gjata mit ihrem hervorragend inszenierten Uptempo-Knaller ‘Me tana’ knapp den Kürzeren im hochspannenden Kopf-an-Kopf-Rennen mit ihrer einzigen ernst zu nehmenden Herausforderin, der Kosovarin Arilena Ara und ihrer erkennbar auf eine möglichst hohe Jury-Punktzahl hin optimierten Ballade ‘Shaj’. Der Clou dabei: die alleine abstimmungsberechtigte, fünfköpfige FiK-Jury bestand diesmal aus drei internationalen Juroren (ja, alles Männer) und zwei skipetarischen Jurorinnen (ja, beides Frauen). Und die drei Herren – der Schwede Christer Björkman, der Grieche Dimitris Kontopoulos und der Isländer Felix Bergsson – vergaben ihre jeweilige Höchstpunktzahl geschlossen an Frau Gjata. Die landete jedoch bei ihren Landsfrauen, den Komponistinnen Rita Petro und Mikael Minga, nur im Mittelfeld beziehungsweise ganz hinten. Für Aufregung sorgte insbesondere das offensichtliche Strafvoting durch Frau Minga, deren Höchstwertung an den Softrock-Langweiler Bojken Lako ging, und die Elvana mit nur zwei Pikët (Punkten) abspeiste. Schlussendlich fehlten der albanischen Eleni Foureira magere vier Zähler zum Sieg.
https://youtu.be/PQyXHhB8xMM
Es zeigt sich einmal wieder: Frauen scheitern oft nicht an den Männern, sondern an neidischen Geschlechtskolleginnen, die ihnen Knüppel zwischen die Beine schmeißen.
Nein, keine Angst, ich möchte an dieser Stelle nun nicht das vermutlich vierhundertste Jury-Bashing betreiben, das langweilt mich mittlerweile selbst. Ich will auf etwas ganz anderes hinaus, nämlich auf die aus meiner Sicht wünschenswerte (oder zumindest diskutable) Entmündigung der teilnehmenden Nationen bei der Auswahl ihrer Wettbewerbsbeiträge für den Eurovision Song Contest. Denn es sind ja nicht nur die Albaner/innen, die sich bei der Song-Nominierung mit ihrer fatalen Vorliebe für laut schreiende Frauen oder sterbensöden Dad-Rock selbst im Wege stehen. Langjährige Fans des Melodifestivalen beispielsweise wissen aus eigener leidvoller Erfahrung um den Hang der Schwed/innen, stets das Falsche zu wählen, weswegen der Vorentscheid-Verantwortliche Christer Björkman dort vor Jahren die internationale Jury als Korrektiv einführte. Und es zeigt sich: immer, wenn die “Ausländer” die Einheimischen überstimmen, ist es zum Vorteil aller Zuschauer/innen des Eurovision Song Contest. Auch der NDR greift seit der Neustrukturierung des deutschen Vorentscheids zu diesem von immer mehr TV-Stationen eingesetzten Mittel. Macht Sinn: schließlich muss der Eurovisionsbeitrag nicht dem eigenen Volk gefallen, das beim ESC ohnehin nicht dafür anrufen darf, sondern den Menschen in den anderen Ländern Europas. Warum also nicht strategisch vorgehen und im Vorfeld darauf achten, was dort ankommt?
Er kann so nicht weitermachen, oder doch? Robin Bengtsson setzte sich beim schwedischen Vorentscheid dank der internationalen Jury gegen den Rapper Nano durch.
Nun höre ich schon die “aber die Sisters!”-Rufe im Hintergrund. Und richtig: den absolut verdienten (vor-)letzten Platz beim Wettbewerb zu Tel Aviv verdanken wir auch der internationalen Jury, welche beim deutschen Vorentscheid 2019 gemeinsam mit den heimischen Televoter/innen für das vom NDR eilends für seine lendenlahme Retortennummer zusammengeschusterte Schneeweisschen-und-Rosenrot-Duo stimmte. Doch wie immer steckt der Teufel im Detail: tatsächlich war es das Plazet des Revolverhelden Johannes Strate, des einzigen Deutschen in diesem doch eigentlich nur aus Auswärtigen bestehen sollenden Gremiums, die den Ausschlag für die Höchstwertung für die Sisters gab. So, wie nun eben auch in Albanien eine einzelne einheimische obstinate Disco-Hasserin das kluge Urteil der internationalen Kollegen zu Fall brachte. Was mich zu meiner Kernforderung bringt: wenn schon internationale Jury, dann auch richtig. Nämlich unter komplettem und bewusstem Ausschluss einheimischer Juror/innen oder Anrufer/innen. Doch, Sie lesen richtig: beim Vorentscheid plädiere ich für hundertprozentige Fremdbestimmung. So vermeidet man nebenbei auch einen öffentlichen Aufruhr, wenn die Vorlieben des heimischen Publikums und der internationale Sachverstand hart miteinander kollidieren, wie bei der Selecția Națională 2019.
Hier hatte die einheimische, repräsentativ ausgewählte Fan-Jury den richtigen Riecher: Aly Ryan hätte in Tel Aviv sicher mehr als Nul Points geholt.
Dort stimmten die Rumän/innen im Televoting bekanntlich mit großer Mehrheit (wobei: diese bestand aus gerade mal viereinhalbtausend Anrufen, in einem Land mit knapp 20 Millionen Einwohner/innen) für ein furchtbares Preiset-den-Herrn-Liedchen einer evangelikalen Sechzehnjährigen. Was aber Gott sei Dank nichts brachte, da die internationale Jury über sechs Siebtel der Entscheidungsgewalt verfügte und in einer konzertierten Aktion eine völlige Außenseiterin am Publikumsliebling Laura Bretan vorbeimogelte. Die Empörung über diese Entmachtung gipfelte in der Beschimpfung der Verantwortlichen des Staatssenders TVR als “stinkende Kommunisten”. Auch in Schweden kam es übrigens zu (wenngleich deutlich gesitteteren) Missfallensbekundungen der Nano-Fans gegen den Sieg von Robin Bengtsson. Aber das liegt am System: Kunst – selbst so kommerzielle wie die eines ESC-Beitrags – entzieht sich nun mal dem Kompromiss. Ein Mischmaschvoting muss scheitern. Und so sehr ich sonst für den Publikumsentscheid plädiere: beim Vorentscheid gehört er, zumindest versuchsweise, abgeschafft und durch eine internationale Jury ersetzt. Und zwar eine, die diesen Namen auch verdient, also nicht nur aus einer Handvoll abgehalfterter ehemaliger Grand-Prix-Hanseln besteht.
Nur mal zur Erinnerung: mit dieser Songgurke krächzte Christer 1992 Schweden ans untere Tabellenende.
Um die eigentlich kluge Vorarbeit des NDR aufzugreifen: mindestens einhundert nach belastbaren statistischen Faktoren ausgewählte Menschen sollten es sein, die über unser Lied für Rotterdam bestimmen. Nur eben keine Deutschen. Oder halt beim Festivali i Këngës keine Albaner/innen. In Zeiten von Big Data und unter Einbindung der EBU müsste sich doch ein europaweiter, variabel einsetzbarer Pool an Abstimmungsberechtigten organisieren lassen, welche die verschiedenen Vorentscheidungen der anderen Länder verfolgen und dort jeweils für ihren Lieblingstitel abstimmen. Zumindest als für die Sender freiwillig nutzbares Angebot. Eine gute Alternative zum internen Vorentscheid, der nach unbestätigten Gerüchten aktuell für 2020 wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen schwebt, wäre es allemal. Eine weitere Variante, die der NDR in Sachen heimische Fan-Jury in Betracht ziehen könnte, um einen wettbewerbsfähigen Titel auszuwählen, der dem europäischen Publikum gefällt, bestünde im Anzapfen bereits vorhandener Ressourcen: man fusioniere beide Jurys und befülle diese wie bisher – aber ausschließlich mit Menschen mit Migrationshintergrund! In meiner Heimatstadt Frankfurt am Main leben Leute aus fast allen Länder der Erde, da fände sich mit Sicherheit aus jeder der rund 40 abstimmungsberechtigten Grand-Prix-Nationen jemand, der uns geschmacklich den Weg weisen könnte.
https://www.youtube.com/watch?v=5fUwSa89BrE
Weis mir den Weg in die Niederlande: da wir ihn alleine nicht finden, sollten wir ruhig jemanden fragen, der sich damit auskennt.
Interessante Frage!
Bin eigentlich für größtmögliche Freiheit bei der Sendung des jeweiligen Interpreten für die einzelnen Länder.
Am Geschmack der Albaner liegt es glaube ich nicht, sonst hätte Elvana nicht 5x mehr YouTube Views.
Das Fik braucht eine Modernere und diversere Jury und/oder Televote.
Ich fürchte etwas um die ausgefallenen Nummern, wenn man den ESC schon in der Landesauswahl mit einer internationalen Jury nivelliert.
Frohe Weihnachten!
Kurz zur Entscheidung in Albanien: Egal, für welches Lied man sich entschieden hätte – keins würde den Sprung ins ESC-Finale schaffen.
Ich glaube, genauso wenig wie es DAS funktionierende System gibt, ein wettbewerbsfähiges Lied für den ESC zu ermitteln, gibt es ein 100%ig funktionierendes System, wer darüber entscheiden soll, wenn mehrere zur Auswahl stehen. Wenn man nach dem Motto verfährt, wonach der Köder den Fischen, nicht dem Angler schmecken muss, ist es sicher ein interessanter Ansatz. Leider gibt es auch sowohl bei ausländischen Experten wie auch Laien viele, die nicht gar so geschmackssicher sind. Das beste Mittel ist immer noch ein Song in der Auswahl, der so outstanding ist im Vergleich zu den anderen, sodass man kaum umhin kommt, den vorzuziehen. So war es letztes Jahr bei Michael Schulte, diesmal aber nicht in Albanien.
Gleich zu Beginn der Saison die erste Entscheidung, die für gewaltigen Zündstoff sorgt.… Meines Erachtens auch zu Recht, wenngleich generelles Jurybashing hier unangebracht ist. Immerhin war es lediglich eine “Expertin”, die die Fanfavoriten um den Sieg gebracht hat und das hatte einen faden Beigeschmack, weil es in der Tat sehr “gewollt” war und die Managerin von Arilena anscheinend großen Einfluß auf die ganze Sendung hatte. Ein anderes Gerücht besagt, daß “Me tena” in einem Dialekt gesungen wurde und damit die heimischen Preisrichter nicht klar kamen. Der deutliche Unterschied zu den Wertungen der internationalen spricht eindeutig Bände. Natürlich sollte auch das Publikum befragt werden. Ich bin lediglich beim ESC-Finale gegen reines Televoting und das hat nun wirklich Gründe.…
Meine Favoritin war Elvana Gjata nicht, ich hätte mit ihr in Rotterdan aber sehr gut leben können. “Shaj” ist dagegen die übliche Schreiballade, mit denen die Shkipetaren regelmäßig gescheitert sind und es mit der englischen Version noch schlimmer geworden ist. Anscheinend will man nicht lernen.… Zudem kam Arilena im Interview sehr unsympathisch rüber und bei dem Amazonenkampfanzug bekomme ich Angst.
Kurzum: Nach zwei erfreulichen Beiträgen aus Albanien geht es in meiner Gunst deutlich bergab. Ich werte mit 2/10 und hoffe auf ein Scheitern im Semifinale.
Mal sehen, was die Auslosung der Semis bringt.… Falls Albanien nicht die Telvotingstimmen von Italien, Griechenland, Nordmazedonien und der Schweiz bekommen kann, müßte man bei der Jurywertung sehr stark abschneiden, um das Finale zu erreichen.
Eher ein unspektakuläres Liedlein wurde ausgewählt. Sollte es wirklich auf englisch dargeboten werden, nimmt man dem Song noch den letzten Charme. Über Chancen mag ich noch gar nichts sagen, da man die Konkurrenz noch nicht kennt. Aber der Song schreit geradezu danach, überhört zu werden. Sehr schade, 2018 und 2019 hatte Albanien tolle Songs am Start, meiner Meinung nach. Mit Elvana hätte ein weiteres Highlight dazukommen können.
off-topic: wann kommt denn Dein Artikel zu Vincent Bueno?
Also ich mag diesen Blog nicht zuletzt auch für seine mitunter provokanten Äusserungen wirklich gern, aber diese Idee gefällt mir milde formuliert überhaupt nicht, nicht nur weil ich verbohrter Demokratiefreund bin, sondern auch wegen der daraus folgenden (auch in diesem Blog erwähnten) dramaturgischen Schwächen für die sogenannte Nationale Selektion: da die Entscheidung von einer wie-auch-immer-dubios-zusammengewürfelten Jury zu einem beliebigen Zeitpunkt getroffen wird (hier am besten noch irgendwo das Wort Hinterzimmer dazu denken), werden die traditionellen Intervall-Acts ebenso beliebig in der Sendung verteilt, wobei letztere dank der quasi internen Selektion zumindest auf nationaler Ebene eigentlich auch nicht mehr nötig wäre. Konsequenteweise müsste das übergangene heimische Publikum dann auch beim ESC für den “eigenen” Song abstimmen dürfen (sofern es sich dafür denn überhaupt noch erwärmen sollte).
Wahrscheinlich sollte ich das ganze nicht so ernst nehmen, aber wenn ich mir so angucke, wie gerade dieses Jahr einige Länder auf die interne Wahl einschwenken, erscheint diese Denkweise (zumindest im Ansatz) leider zunehmend verbreitet und gerade wo nicht auszuschliessen ist, dass man auch hierzulande das ach so innovative Konzept der Schweizer (re-)importiert, triggert mich so ein Geschwurbel ungemein.