Wie die uneheliche Tochter von Marge Simpson und einer Kragenechse, so sah die diesjährige Siegerin des Eurovisionsvorentscheids Australia decides, Montaigne, bei ihrem heutigen Auftritt aus. Dabei erwies sich der Titel der aufgrund der Zeitverschiebung in Europa bereits am Samstagmittag über den Äther gegangenen Sendung als glatte Lüge: denn nicht die australischen Zuschauer:innen, die sich mehrheitlich für eine in dieser Form bereits millionenfach dargebotene Baukasten-Powerballade der ehemaligen Siegerin der Aussieversionen der Trash-TV-Formate DSDS (2004) und IBES (2017), Casey Donovan, entschieden, bestimmten am Ende, wer Down Under in Rotterdam vertreten darf, sondern die Juror:innen, welche das Televoting überstimmten und der 24jährigen, in Sydney geborenen Jessica Alyssa Cerro alias Montaigne den Vorzug gaben. Cerros Trennungstitel ‘Don’t break me’ gehörte denn auch zu den wenigen einigermaßen eigenständig wirkenden Beiträgen des diesjährigen Vorentscheids, der über weite Strecken leider mit abgelutschtestem musikalischen Mittelmaß oder katastrophal schlechten stimmlichen Darbietungen aufwartete.
Ein eigenwilliges audiovisuelles Gesamtkonzept: Montaigne.
Deutlich stärker als der eigentliche Song blieb von Montaignes Bühnenpräsentation jedoch der visuelle Part hängen: verlieh die an das sanfte, organische Wogen einer Kornblume im Frühlingswind erinnernde tänzerische Darbietung der Interpretin und ihr Agieren im brutal harten Lichtkegel der Bühnenkamera ihrem Auftritt eine ultimative Dringlichkeit und aparte Anmut, so verstörten das groteske Clown-Make-up und der lila Chiffonkragen nachhaltig und erschufen eine gewisse Faszination des Grauens, die am Ende reichte, um sich aus der Eintönigkeit herauszuheben. Cerro tritt damit in die Fußstapfen der Vorjahresrepräsentantin Kate Miller-Heidke, welche die Show mit einer Art Klavierballadenversion ihres Eurovisionsbeitrags ‘Zero Gravity’ eröffnete und dabei unter Beweis stellte, dass von der Nummer absolut nichts übrig bleibt, wenn man die gigantischen Showeffekte mit den schwingenden Stangenhexen abzieht. Wie man einen sterbenscoolen Hammertrack mit einer atemberaubend guten Bühnenshow verbindet, zeigte unterdessen die in Japan als Tochter einer Taiwanesin und eines Australiers geborene Jaguar Jonze mit dem rundheraus fantastischen Song ‘Rabbit Hole’, in dem sie sich mit ihrer eigenen posttraumatischen Belastungsstörung auseinandersetzte – ganz so wie KMH 2019 mit ihrer Depression, nur deutlich edgier und ohne die schlimmen schrillen Popera-Töne.
Schade, da haben sich die Australier:innen mal wieder eine potentielle Top-3-Platzierung entgehen lassen: Jaguar Jonze.
Persönliche Geschichten schienen ohnehin die Losung des Abends: fast jede:r Teilnehmer:in bemühte sich im Greenroom-Interview zu betonen, wie sehr die Story ihres bzw. seines Songs aus dem eigenen Leben gegriffen sei. Was am wenigsten überzeugend wirkte beim größten Namen der Sendung: Vanessa Amorosi, die vor genau 20 Jahren mit dem Dance-Knaller ‘Absolutely Everybody’ einen Welthit landete, versuchte bei Australia decides mit der supergenerischen Midtempoballade ‘Lessons of Love’ vergeblich ihr Comeback. Im Einspieler betonte sie ihre jahrzehntelange Bühnenerfahrung, die ihr Sicherheit verleihe, was sich auch bei ihrem Auftritt zeigte. Den zog sich nämlich trotz etlicher versemmelter oder angestrengter Töne sehr stringent durch. Mit ihrer Inszenierung, in welcher sie sich als wiederauferstehendes Opfer eines Verkehrsunfalls präsentierte, forderte sie allerdings die Analogie eines stimmlichen Car-Crashs heraus. Den lieferte statt ihrer jedoch der junge Mitch Tambo, nach eigener Aussage Angehöriger der australischen Ureinwohnersippe der Kamilaroi, deren ursprünglicher Kultur er mit dem zweisprachig gesungenen ‘Together’ die Reverenz erweisen wollte. Und dabei, man möge mir meine unglaubliche eurozentristische Arroganz verzeihen, in seiner Federschmuck-Seidenpyjama-Neonsneakers-Kostümierung doch irgendwie wirkte wie ein betrunkener weißer Collegestudent auf einer fehlgeleiteten Faschingsparty. Gut gemeint ist halt doch meist das Gegenteil von gut gemacht.
https://www.youtube.com/watch?v=Ofa-SYvgeb4
So much cringe: Mitch Tambo.
Am Rande zu erwähnen gäbe es noch zwei stimmlich leider ebenfalls katastrophal vergeigte queere Beiträge, nämlich gleich zum Auftakt eine in der Studiofassung ganz nett anzuhörende Glamrocknummer eines schon etwas lebenserfahrenen Künstlers namens Iota sowie den ehemaligen Australia’s got Talent-Sieger Jack Vidgen, der sich nach einem Burn-out vor fünf Jahren mit seinem kaum wahrnehmbar dahingehauchten Bilal-Hassani-Gedächtnisliedlein ‘I am King I am Queen’ und frisch aufgespritzten Goldie-Hawn-Lippen ebenfalls umsonst an einem Comeback versuchte. Weitere Gastauftritte gab es vom Schwedenschuckel Måns Zelmerlöw, dem sich auf großer Abschiedstournee befindlichen, abtretenden EBU-Regenten Jan Ola Sand, den der australische Sender SBS klimabilanzbelastend eigens einfliegen ließ, nur um ihn noch mal live seine Catchphrase “Take it away” aufsagen zu lassen, sowie Dami Im, die unmittelbar vor der Ergebnisverkündigung in einer dramatisch als “großes Geheimnis” annoncierten Verkündigung androhte, selbst nochmals für Australien antreten zu wollen. Weswegen für Sekundenbruchteile die Befürchtung im Raum hing, SBS könne den laufenden Vorentscheid an Ort und Stelle canceln und Im in allerletzter Sekunde direkt nominieren. Was dann aber Gott sei Dank nicht geschah. Puh!
Beim nächsten Mal vielleicht lieber so, Mitch: die Digderidoo-Version eines alten Camp-Klassikers im australischen Outback.
Vorentscheid AU 2020
Australia decides. Samstag, 8. Februar 2020, aus dem Gold Coast Convention and Exhibition Center in Broad Beach. Zehn Teilnehmer:innen. Moderation: Myf Warhurst und Joel Creasey.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Televoting | Platz |
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01 | Ioata | Life | 19 | 13 | 09 |
02 | Jordan-Ravi | Pushing Stars | 11 | 12 | 10 |
03 | Jaguar Jonze | Rabbit Hole | 18 | 28 | 06 |
04 | Jack Vidgen | I am King I am Queen | 19 | 15 | 08 |
05 | Vanessa Amorosi | Lessons of Love | 42 | 40 | 03 |
06 | Diana Rouvas | Can we make Heaven | 24 | 18 | 07 |
07 | Mitch Tambou | Together | 24 | 33 | 05 |
08 | Casey Donovan | Proud | 40 | 60 | 02 |
09 | Montaigne | Don’t break me | 54 | 53 | 01 |
10 | Didirri | Raw Stuff | 39 | 24 | 04 |
Hey, ist ja gar nicht mal so gut. Weder Lied noch Gesang. Ob das so beim ESC auf die Bühne gebracht wird wie beim Vorentscheid, weiß man noch nicht. Aber egal wie, wird es nix mehr groß rausreißen.
Warum das Harajuku Girl nur sechste wurde, verstehe wer will…
Ansonsten war das ja eine eher dürftiger VE
Wird diesmal ne enge Kiste um den Finaleinzug für Down Under