“Ich habe die Bombe mitgebracht (…). Wenn Du nein sagst, sprenge ich alles in die Luft:” mit diesen Zeilen wartete der für die serbische Eurovisions-Vorentscheidung Beovizija 2020 gelistete Beitrag ‘Svadba velika’ (‘Große Hochzeit’) auf. Bora Dugić, der beim ESC 2008 mit Jelena Tomašević (‘Oro’) auf der Bühne stand und die Flöte spielte, sowie die Romakapelle Balkubano interpretieren das traditionalistische Volkslied mit seinen fröhlichen Tönen und Rhythmen, deren Text es in sich hat: in ihm bedeutet der Sänger einer Frau, in die er sich verliebt haben will, dass er plane, in Gegenwart ihres Vater um ihre Hand anzuhalten. Verbunden mit der offenen Drohung zum Einsatz von Sprengstoff, falls sie es wage, abzulehnen. Denn: “niemand anderem ist es erlaubt, dich zu haben,” so der Songtext weiter. Das Autonome Frauenzentrum Serbien forderte nun vom Sender RTS, den Beitrag zu disqualifizieren, weil es inakzeptabel sei, einem expliziten Mordaufruf eine öffentliche Bühne zu geben: “Das ist nicht der erste oder einzige Popsong, der zur Gewalt gegen Frauen aufstachelt, und wir finden es extrem wichtig, solche Werte nicht mehr zu unterstützen,” heißt es in einem Statement des Frauenzentrums. “Wir erinnern daran, dass in Serbien jedes Jahr zwischen 30 und 40 Frauen durch häusliche Gewalt getötet werden. An dieser Situation wird sich nichts ändern, solange nicht alle gesellschaftlichen Kräfte Verantwortung dafür übernehmen, Gewalt gegen Frauen zu verhindern”.
Hier ein Auszug mit der beanstandeten Fassung des Liedtextes.
Der Sender lehnte das Ansinnen ab, forderte jedoch die Autoren des Songs auf, die inkriminierten Lyrics abzuändern. Was diese bereits taten und sich dafür entschuldigten, nicht den richtigen Ton getroffen zu haben. Auch wenn der ursprüngliche Text natürlich nur augenzwinkernd gemeint gewesen sei. In einem Facebook-Kommentar schrieb ein serbischer Fan: “Auf der einen Seite ist es ekelhaft. Auf der anderen Seite ist es ja nicht so, als ob diese Wahrnehmung der Ehe nicht tief in unserer Kultur verwurzelt wäre. Um Himmels Willen, wir ‘kaufen’ nach wie vor die Braut bei der Hochzeit”. Auch im deutschen Schlager sind Texte, in denen die Frau als Besitz des Mannes begriffen wird, weiterhin präsent. Etwas, das sich als Spiegelbild der Zeit durch die gesamte Popgeschichte zieht, man denke beispielsweise an Countrysongs wie ‘Ruby, don’t take your Love to Town’, in welchem ein bettlägiger (und impotenter) Vietnam-Veteran davon fantasiert, seine untreue Ehefrau zu erschießen, wenn er nur aufstehen könne, oder Mörderballaden wie Nick Caves ‘Where the wild Roses grow’. Von ostentativem Frauenhass und Gewaltglorifizierung im Rap erst gar nicht anzufangen. Was die Frage aufwirft: ist es moralisch richtig, in die Kunstfreiheit – immerhin ein geschütztes Grundrecht – einzugreifen und Songtexte zu zensieren, wenn ihr Inhalt aus gesellschaftlicher Sicht nicht (mehr) akzeptabel ist?
Gruselige Geschichte, toller Song: Nick Cave tötet Kylie Minogue, denn “alles Schöne muss sterben”.
Und muss man bei einem offensichtlich lustig gemeinten Volkslied wie ‘Svabda velika’ auch mal fünfe gerade sein lassen, oder darf ein solcher Text, gerade bei einer Veranstaltung wie dem ESC mit ihrer hohen Publikumswirkung, unter keinen Umständen hingenommen werden? Wie sehen das meine Leser:innen? Plus: fallen Euch frühere Grand-Prix-Beiträge ein, die heutzutage ebenfalls nicht mehr gingen? Schreibt es in die Kommentare!
Bestimmt würden bei “zwei kleine italiener” die italienische volksseele kochen?.
Das die gruppe den text ändern muss, versteh ich nicht. Der song soll doch authentisch serbisch rüberkommen
Ich glaube, dass schon das wenige Jahre alte ‚Frauen regier‘n die Welt‘, schmierig, herablassend und verlogen, heute schon nicht mehr tragbar wäre.
@Mic: Genau – 2007 war ich ganz eingeschnappt, dass Roger Cicero keine bessere Platzierung erreicht hat, heute krümme ich ich vor Widerwillen, wenn mir dieser Song einmal unterkommt. Dabei gab es in den 90ern schon das hier:
Ha, das Beispiel oben ist doch gar nix gegen den besten deutschen Grand Prix Beitrag aller Zeiten!
In den siebzigern konnte man noch mordende, brandschatzende und Frauen missbrauchende Horden ungestraft beim ESC glorifizieren! 😉
@Rainer1
Wie müsste der Text denn dann lauten, damit er “authentisch Deutsch” rüberkäme? Hm … müsste man mal Goran Bregović fragen, ob er einen seiner bekanntesten Titel starten lassen würde.