Gäbe es einen Wettbewerb um das absurdeste Vorentscheidungsformat zum Eurovision Song Contest, dann spielte die Evrovizijska Melodija (EMA) wohl um den Sieg mit. 12 Acts versammelte das slowenische Fernsehen RTV SLO gestern Abend in Ljubljana, von denen sich zehn die Mühen strenggenommen von vorne herein hätten sparen können. Denn nachdem alle 12 gesungen hatten, tagte eine reizvoll um eine riesige Schüssel Mini-Dickmanns drapierte Jury, bestehend aus drei Generationen slowenischer Eurovisionsdiven, namentlich Darja Švajger, Nuša Derenda und Maja Keuc. Und die schickten zehn von ihnen gleich wieder nach Hause, darunter alles auch nur annähernd Aussichtsreiche sowie die zwei in einem wochenlang zelebrierten Nachwuchswettbewerb namens EMA Freš Ausgewählten. Lediglich zwei Songs ließ man dem Publikum gnädig zur Abstimmung übrig: eine blasse Ballade sowie… eine noch blassere Ballade. Mit einem diabolischen Abstand von 666 Anrufen entschieden sich die Slowen:innen dann immerhin für das etwas weniger dröge der beiden inhaltsgleichen Angebote, nämlich das von der anämischen Interpretin Ana Soklič mitkomponierte ‘Voda’ (‘Wasser’). Das kann nämlich zumindest mit einem ansatzweise dramatischen Refrain punkten, der die Zuschauer:innen nach einer leider anderthalb Minuten andauernden, komainduzierenden Wegfindung wieder aus dem Tiefschlaf reißt.
Rief panisch den Erlöser an, als sie erfuhr, dass sie mit den Stimmen des Teufels gewann: Ana Soklič.
Mit einem um 50% erhöhten Tempo und einer um zwei Drittel gekürzten Eingangsstrophe könnte daraus eventuell sogar etwas leidlich Anhörbares werden. Allerdings ließ Ana bereits durchblicken, dass sie stattdessen überlege, ihr Lied in Rotterdam auf englisch zu singen und somit jeglichen Reizes zu berauben. Bitte, wenn man mit Gewalt im Semifinale rausfliegen möchte… Immerhin kann man es als göttliche Fügung betrachten, dass Ana wenigstens den Sieg der früheren slowenischen Junior-ESC-Vertreterin und ehemaligen The Voice Kids Germany-Teilnehmerin Lina Kuduzović verhinderte, deren Midtempoballade ‘Man like U’ lediglich aus einer kunstvoll zusammengenähten Ansammlung vollkommen seelenloser, castingshow-optimierter Prüfmuster bestand, mit denen die Interpretin ihr stimmliches Talent unter Beweis stellen konnte. Für ewig in der Hölle schmoren mögen die drei Juror:innen – die nach meiner verschwörungstheoretischen Vermutung dabei lediglich die strikten Vorgaben des Senders befolgten – für das Abwählen der Boyband Imset. Die sorgte für eine wunderbare Bild-Ton-Schere, gerierten sich die kernigen Jungs auf der Bühne optisch nämlich als ultraharte Rocker, während es sich bei ihrem Beitrag ‘Femme fatale’ unterdessen um einen lupenreinen, uptemporären Disco-Pop-Schlager handelte, wie er das Herz und die Gehörgänge des Rezensenten erquicket und labet.
Teufelshörner und Tätowierungen: die Jungs von Imset beißen aber nicht, die wollen nur spielen.
Insofern ein kleines Wunder (und irgendwie schon fast bedauerlich), dass ihnen die konkurrierenden, waschechten Metaller von Inmate für so viel dreistes Posertum nicht noch während der Sendung den Allerwertesten versohlten. Wobei ich zugeben muss, dass es sich dabei noch um die harmlosere all jener Phantasien handelt, zu denen mich der Gruppenname der Band anregte. Welche Rolle dabei ‘The Salt’, so der Titel ihres musikalisch leider ziemlich ziellos umher irrlichternden Beitrags, spielte, möchten Sie gar nicht wissen. Doch die Sträflinge scheiterten ebenso am Schaumkuss-Triumvirat der drei slowenischen Ex-Vertreterinnen wie deren Kollegin Tinkara Kovač (‘Spet’). Gegen die nahe liegende Vermutung der Stutenbissigkeit sind die Hexen von Ljubljana jedoch in Schutz zu nehmen: ‘Forever’, Tinkaras aktueller und komplett flötenfreier Song, erwies sich als katastrophal schief zusammengezimmerter Rohrkrepierer, von seiner Interpretin stimmlich komplett gegen die Wand gefahren.
Inmate: sehr geiler Sound und geile Kerle. Fehlt nur noch ein Song, der nicht bloß aus einer wahllosen Ansammlung von Ideen besteht, die jeweils nur ein paar Sekunden lang tragen.
2002, die Älteren erinnern sich, sorgte die Wahl des Drag-Queen-Trios Sestre bei der EMA noch für wütende, homophobe Proteste in Slowenien. Um so erfreulicher, dass diesmal gleich zwei Lesben am Vorentscheid teilnahmen. Wobei es sich bei dem Altstar, ehemaligen Jugovizija-Teilnehmer (1983 als Teil der Gruppe Rendez-Vous) und (laut Wikipedia) Schneeballsystem-Anlagebetrüger Božidar “Wolf” Wolfand tatsächlich um einen Mann handelt, der jedoch mit einer Frisur für optisches Aufsehen sorgte, wie sie sonst ausschließlich an gleichgeschlechtlich (oder aber, so uneindeutig geht es zu in diesen Zeiten, extrem nationalistisch) orientierten Frauen zu finden ist: billig blondiert, rechts ausrasiert, links bis über das Kinn überhängend. Ergänzend zum halben Haarschnitt trug der Wolf zudem einen halben Schottenrock zur Schau. Und all das passte natürlich hervorragend zu seinem halbherzig-unentschlossenen, todlangweiligen Folkliedchen ‘Maybe Someday’. Maybe not.
Er ist wieder da: der Führer trägt jetzt Extensions.
Nach soviel audiovisuellem Schauder nun aber flugs die dringend benötigte Linderung: bei der herzallerliebst-hochsympathischen Manca Berlec, die im pinkfarbenen Hosenanzug mit Regenbogen-Herz am Revers auf einem Barhocker sitzend ihre wunderbar entspannte Easy-Listening-Nummer ‘Večnost’ (‘Ewigkeit’) zu Gehör brachte, handelte es sich nun tatsächlich um eine bekennende Lesbe. Die dem Vernehmen nach (meine Slowenischkenntnisse sind leider nicht existent) denn auch ihre ewige Liebe zu ihrer Liebsten besang und dafür spontanen Szenenapplaus aus dem Publikum erhielt. Und das war alles sehr intim und herzerwärmend und Labsal auf die Seele, leider jedoch etwas unspektakulär. Wenn auch schön.
Ihr bossa-beschwingtes Kaffeehausliedchen möchte ich bitte ab sofort ganz oft auf ESC Radio hören: Manca Berlec, eine Lesbe ohne Gitarre.
Für die spektakulären Momente des Abends sorgte der Moderator der EMA, Klemen Slakonja. Den kennen Fans noch von seinen stets hochgradig lustigen Momenten als slowenischer Punkteansager beim ESC. Der vielfach begabte Stand-up-Comedian eröffnete den Abend mit einer Interpretation von Duncan Laurences 2019er Siegerlied ‘Arcade’, mit originalgetreuer Inszenierung am Flügel. Wobei hier, auf einen entsprechenden Vorfall in Tel Aviv anspielend, plötzlich die über dem Piano hängende große Leuchtkugel hinunterkrachte, selbiges zusammenbrach und Klemen sich scheinbar am Kopf verletzte. Was natürlich gespielt war: im Laufe der Sendung erschien der slowenische Måns Zelmerlöw dann mit stetig ihren Standort in seinem hübschen Antlitz wechselnden Verbänden, Pflastern, Wunden und immer größer werdenden blauen Flecken. Verstörend und brachial, aber höchst unterhaltsam!
Wesentlich unterhaltsamer als das Original: Klemen als Duncan.
Den Pausenact bestritt er mit einem (voraufgezeichneten) Medley slowenischer Eurovisionsbeiträge, dargeboten im jeweiligen, originalgetreuen Kostüm und mit sorgsam beachteter Gestik. Um so ärgerlicher, dass RTV SLO mit seiner bevormundenden Vorauswahlpolitik sicher dafür sorgt, dass das Land niemals den Grand Prix gewinnen wird, denn nach diesem Auftritt wünschte man sich das alleine schon aus dem Grunde, damit Herr Slakonja endlich einmal den großen Wettbewerb moderieren möge.
25 gloriöse Jahre slowenischer ESC-Geschichte: ich will Rebeka Dremelj zurück!
Vorentscheid SI 2020
Evrovizijska Melodija (EMA). Samstag, 21. Februar 2020, aus dem RTV SLO-Fernsehstudio in Ljubljana. Zehn Teilnehmer/innen. Moderation: Klemen Slakonja.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Anrufe | Platz |
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01 | Simon Vadnjal | Nisi sam | x | – | – |
02 | Saška | Še kar lovim tvoj nasmeh | x | – | – |
03 | Gajar Prestor | Verjamem vase | x | – | – |
04 | Ana Soklič | Voda | Q | 5.035 | 01 |
05 | Inmate | The Salt | x | – | – |
06 | Manca Berlec | Večnost | x | – | – |
07 | Tinkara Kovač | Forever | x | – | – |
08 | Božidar “Wolf” Wolfand | Maybe someday | x | – | – |
09 | Parvani Violet | Cupid | x | – | – |
10 | Klara Jazbec | Stop the World | x | – | – |
11 | Imset | Femme fatale | x | – | – |
12 | Lina Kuduzović | Man like U | Q | 4.369 | 02 |
“Voda” geht nur im bulgarischen Original, wie kann man nur den Namen für diese Schnarchnummer missbrauchen!
Allerdings wird im Balladenduell in Semi 1 hoffentlich Norwegen die Attention bekommen und das hier untergehen…blub
Zu belanglos, als dass sich einem wenigstens die Fußnägel aufrollen könnten.
Klemen Slakonja war leider das einzige Highlight im eigentlich für mich hochgeschätzten Slowenien.
Ich bin enttäuscht. Slowenien bringt eigentlich tolle Lieder. Sebi ist meine Lieblings-ESC Lied überhaupt (auch wenn ich mir hier damit wenig Freunde mache :). Voda ist zwar nicht furchtbar. Aber es wirkt wie Paper von Scala ohne Puls.
Kleine Anekdote zu Hr Slakonje. Wir waren letzte Woche beim Konzert von Zala und Gašper in Ljubljana (top) und der Gute Slakonje ist Überraschungsgast mit den beiden auf der Bühne gewesen und hat Sebi mit ihnen gesungen. Sehr cool