Sie kommen wie ein Wirbelwind über Europa, die drei serbischen Pop-Königinnen Ivana Nikolić, Ksenija Knežević (die im Chor ihres Papas beim ESC 2015 in Wien mit auf der Bühne stand) und Sanja Vučić (‘Shelter’), welche gemeinsam die (übrigens wirklich nach zwei tropischen Orkanen benannte) Girlgroup Hurricane bilden. Als haushohe Favoritinnen gingen sie im Finale der Beovizija 2020 am vergangenen Sonntag ins Rennen, und haushoch räumten sie im Televoting ab. Selbst die Jury, die sich ansonsten bei so gut wie keinem der elf Konkurrenztitel mit dem Publikum auch nur im Entferntesten einig zeigte, ergab sich kampflos und schob den drei Glitzerelsen die Höchstwertung rüber, wohl um einen Volksaufstand zu verhindern. Und das mit Recht: ‘Hasta la Vista’ (serbischer Text, spanische Hookline) überzeugt als erfrischend billiger, extrem hart bouncender, unwiderstehlicher Hands-in-the-Air-Euroclubkracher, der einfach ohne Ende Spaß macht. Er lebt neben der elektrobrasslastigen Instrumentierung vor allem von der selbstbewussten In-your-Face-Attitüde der drei sensationellen Eurovisionsdiven, die in ihren futtigen Glitzeroutfits, nuttigen High Heels und mit im Windmaschinensturm wehenden Haaren wunderbar trashig aussahen, dazu jedoch dermaßen dominante Blicke in die Kamera schickten, dass sofort klar wurde: diese drei starken Frauen sind angetreten, um in Rotterdam zu regieren!
Ich dreh mich in der Mühle / der stürmischen Gefühle: so ein Hurricane.
Dabei zeigte sich das Finale des serbischen Vorentscheids vollgestopft mit Knallern: fast alle schwächeren Beiträge hatten die Zuschauer:innen und Jurys in den beiden am Freitag und Samstag Schlag auf Schlag abgehaltenen Semis aussortiert. Lediglich der Youtube-Star Andrija Jo konnte sich aufgrund seiner Beliebtheit beim jüngeren Publikum mit einem ausgesprochen faden Song aus schwedischer Serienproduktion in den Sonntag mogeln, wo er für seine fiepsig vorgejaulten ‘Oči Meduze’ (‘Augen der Medusa’), offensichtlich eine Verbeugung vor der Konkurrentin Sanja Vučić, verbunden mit einer hübschen Show mit einer von der Decke hängenden Sängerin sowie Tänzern mit Das-Schweigen-der-Lämmer-Masken, mit 3.000 Anrufen Abstand einen zweiten Platz im Televoting ergatterte. Die Jury votete ihn vorsorglich auf den drittletzten Rang herunter. Der einst durch eine Realityshow entdeckte Bane Mojićević positionierte sich stimmlich wie musikalisch als Lidl-Variante von Željko Joksimović. Seine klassisch aufgebaute, dramatische Balkanballade ‘Cvet sa Prokletija’ schmachtete ‘Eine Blume aus den verwunschenen Bergen’ an, die sich auf den Staatsgebieten Albaniens, Montenegros und des Kosovo befinden und aufgrund ihrer Abgeschiedenheit tatsächlich einen großen floralen Reichtum vorweisen können; darunter 19 Arten von Wildblumen, die auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen. Dennoch will es mir irgendwie nicht scheinen, als ob Bane hier einen Öko-Song zelebrierte.
Bane Mojićević: besorgt um das ökologische Gleichgewicht?
In die völlig entgegengesetzte Richtung ging es mit dem laut Wikipedia “international erfolgreichsten Vertreter der Roma-Blasmusik des Balkan,” Marko Marković (ich frage mich bei so einer Namensgebung immer: was denken sich die Eltern dabei? Ha ha, lustig? Echt? Naja: ist es). Der brachte mit seinem von ihm selbst im Verbund mit Vladimir Graić komponierten, wie zu erwarten brasslastigen ‘Kolači’ (‘Kuchen’: das endleckere österreichische Plunderteilchen, die Kolatsche, klingt zwar genau so, ist aber aus dem Tschechischen und aus einem anderen Wortstamm entlehnt. Was man beim Grand-Prix-Glossieren alles so nebenbei lernt!) die Stimmung im RTS-Sendestudio zum Kochen, übrigens auch in praktisch jeder der unvermeidlichen, nach jedem dritten Song erfolgenden Schalten in den Greenroom. Ein Teufelskerl! Neben seiner stets sicher gehandhabten Trompete überzeugte der junge Bandleader auch durch ein supersexy hart gerolltes “R” und beeindruckende Fähigkeiten im synchronen Tanzen und Singen. Auch hier gilt: für exakt solche Beiträge lohnte es sich, das nervtötende Anmeldeverfahren auf der Internetseite des serbischen Senders RTS (muss das denn sein?) durchzustehen, um in den Genuss dieses Auftritts zu kommen!
Marko hat Kuchen, den müssen Sie versuchen.
Einen eher optischen als akustischen Knaller servierte Igor Simić, der sich und seine Tänzerinnen für seinen Beovizija-Auftritt im Gesicht mit schwarzlichtaktiver Farbe anmalte. Was in seinem Fall beinahe schade war, da er über ein ziemlich hübsches Antlitz verfügt, das man so vollgepinselt aber kaum erkannte und genießen konnte. Und natürlich strahlten auch die Klamotten in kribbelbunten Leuchtfarben, was im Dunkel der Bühne tatsächlich ziemlich hübsche Effekte ergab. Gegen Ende seiner Performance folgte dann noch ein spektakulärer Kleiderabwurf mit einer plötzlich in der Luft schwebenden Jacke und eine Art von Fädenziehen. Leider konnten diese netten visuellen Eindrücke nur unzureichend von seinem musikalisch eher mittelmäßigen Midtemposong ‘Ples za Rastanak’ (‘Tanz zum Abschied’) hinwegtäuschen. Der stammte übrigens in Teilen aus der Feder des ebenfalls im Green Room anwesenden und so sexy wie eh und je ausschauenden Daniel Kajmakoski. Und hörte sich auch genau so an. Zu den wenigen schwachen Titeln zählte die Ballade ‘Sudnji Dan’ (‘Tag des jüngsten Gerichts’) der Österreicherin Thea Devy. Die hatte den ursprünglich auf Englisch geschriebenen Song zunächst beim ORF eingereicht, wo er aber nicht zum Zuge kam. Unter Mithilfe ihrer Eltern übersetzte sie ‘Judgement Day’ dann ins Serbische und bewarb sich bei der Beovizija, wo sie es zwar ins Finale schaffte, dort allerdings nur ein Zehntel so viele Zuschauer:innen überzeugen konnte, für sie anzurufen, wie die Diven von Hurricane.
Psychedelisches Makramée: die Begleiterinnen von Igor Simić tanzen zum Abschied.
Ältere Menschen zählen bekanntlich zu den besonders gefährdeten Risikogruppen im Hinblick auf das aktuell grassierende Coronavirus, das unter ihnen eine höhere Sterbewahrscheinlichkeit auslöst. Insofern erschien es nur folgerichtig, dass die vier jugendlichen, kernig-virilen (und damit selbst eher als Weiterverbreiter der Seuche ohne eigenes Krankheits- und Mortalitätsrisiko geltend müssenden) Tänzer der siebzigjährigen (!) Schlagerqueen Neda Ukraden zum Schutz des gesamtjugoslawischen popkulturellen Nationalheiligtums Gesichtsmasken trugen. Wobei sie damit optisch eher an Hatari erinnerten, was dem Ganzen nochmal einen hübschen ironischen Biss verlieh. Ihr hohes Alter hielt die fabelhafte Neda, seit 1967 (!) im Geschäft und zahlreiche unvergessene Evergreens wie ‘Zora je’ oder ‘Boli, boli’ zu ihrem Repertoire zählend, nicht davon ab, eine helenefischereske Bühnenshow hinzulegen und sich von ihren Maskenmännern auf Händen tragen zu lassen. Ihr aktueller Song schlug naturgemäß ein wie die titelgebende ‘Bomba’. Ernsthaft, Serbien: in welchen geheimen Genlabors züchtet ihr solche Kaliber? Uns Normalsterblichen verbleibt im Angesicht solcher Kraft nur das Versinken in Demut.
Hätte ich nur ein Viertel der Energie dieser Powerfrau! Neda Ukraden rockte die Hütte.
Und natürlich wäre es keine amtliche Beovizija ohne stundenlange, nostalgiegesättigte Auftritte von Stargästen, die praktisch jedes einzelne Jahr jeden einzelnen Eurovisionsbeitrag Jugoslawiens und seiner Nachfolgestaaten nochmals zu Gehör bringen. Was ich übrigens nicht als Beschwerde verstanden wissen möchte! So gab es in einem der beiden vorangegangenen Semifinale Extra Nena (Snežana Berić) zu bewundern, die letzte Repräsentantin des Staatenbundes beim Eurovision Song Contest vor seinem offiziellen Auseinanderbrechen. Sie trug ihren damaligen Beitrag ‘Ljubim te Pesmama’ (‘Ich küsse dich mit Liedern’) im originalen (!) Auftrittskleid von 1992 vor, in welches sie noch immer hinpasste. Respekt! Im Finale der Beovizija versüßten uns der erschreckend erschöpft und betrunken aussehende, aber tadellos intonierende Hari Mata Hari und Marija Šerifović die Auszählungspause. Letztere sieht zwar mehr denn je aus wie ein britischer Hafenarbeiter, mit dem man keinen Streit anfangen möchte. Doch wenn sie den unsterblichen Grand-Prix-Klassiker ‘Molitva’ oder die nicht minder sterbensschöne Ballade ‘11’ performt, fängt man selbst zu später Stunde zuhause vor dem Bildschirm an, vor Ergriffenheit zu schluchzen, so tief gräbt sich das Lied ins blutende Herz.
https://youtu.be/HCtEQMBxS2o
Queeres Vorbild und eine begnadete Sängerin: Marija Šerifović.
Drei Stunden Zeit? Dann ist hier das komplette Beovizija-Finale! Lohnt sich!
Vorentscheid RS 2020
Beovizija. Sonntag, 1. März 2020, aus dem RTS-Sendestudio 8 in Belgrad, Serbien. 12 Teilnehmer:innen. Moderation: Dragana Kosjerina und Jovan Radomir. Fünfköpfige Jury (50%), SMS-Voting (50%).# | Interpreten | Songtitel | Televote | Jury | Platz |
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01 | Milan Bujaković & Olivera Popović | Niti | 02.544 | 05 | 09 |
02 | Hurricane | Hasta la Vista | 19.781 | 12 | 01 |
03 | Neda Ukraden | Bomba | 02.965 | 07 | 07 |
04 | Andrija Jo | Oči Meduze | 13.582 | 01 | 04 |
05 | Igor Simić | Ples za Rastanak | 03.932 | 10 | 03 |
06 | Thea Devy | Sudnji Dan | 02.153 | 04 | 10 |
07 | Ejo | Trag | 02.070 | 00 | 12 |
08 | Lift | Samo mi kaži | 03.454 | 00 | 11 |
09 | Ana Milenković | Tajna | 05.170 | 03 | 05 |
10 | Naiva | Baš, baš | 04.825 | 08 | 02 |
11 | Marko Marković | Kolači | 04.506 | 06 | 06 |
12 | Bane Mojićević | Cvet sa Prokletija | 04.650 | 02 | 08 |
Ich befürchte, mit der Regierungsübernahme in Rotterdam wird’s nichts. Aber fürs Vertikutieren der Rasen in den dortigen Parks eignen sich die Ostzonen-Barbies ganz hervorragend. Der Mai gilt dafür übrigens als ideale Zeit!
Man muss dankbar für solche Beiträge sein. Heutzutage haben die Teilnehmer beim ESC/Grand Prix einfach nicht mehr so das Gespür für Trash. Da kommen doch mal wieder alte Zeiten auf.
Mei, mei, mei … soviel lobende Worte von Oliver? Na wenn das nicht erfolgversprechend ist ;). Deine Berichte sind immer wieder geil. Wie Du nur auf diese Sprüche, Vergleiche, etc. kommst ;).
Ich muss zugeben, dass Hurricane der einzige Titel, neben Nedas “Bomba”, war, den ich mir beim ESC hätte vorstellen können. Hurricane hatte zwar schon hochwertigere Titel, aber ich denke, dass das Publikum “Hasta la vista” gefallen wird. Die Kommentare im Internet sind erstaunlich positiv … die Wettquoten allerdings noch mau (zur Zeit auf 25). Aber bis Mai ist ja noch Zeit und die Quoten werden erst nach den Proben richtig relevant ;).
Schade, dass Indira in Kroatien nicht gewann ;). Insgesamt gibt es durchaus ein paar gute Titel im Rennen, beim ESC … glücklicherweise gehört endlich auch Deutschland mal wieder dazu, neben Litauen, was mich richtig begeistert.
Sehr lecker, der Kuchen von Marco.
Balkan Trompeten sind eigentlich immer geil, dazu noch der Ska-Einschlag wie damals bei alcohol is free.…love it.
Die an diversen Stellen aufgespritzten Mädels hätte ich jetzt nicht unbedingt gebraucht.
Doch das Schicksal war dagegen,
Nun steh’ ich da im Regen…
So billig, das es schon fast wieder gut ist.
Den unvergessenen auftritt von baby doll hast du leider nicht kommentiert.
Also diese Damen besitzen alle genau 2 Talente. Nein, damit ist aber nicht ihr Gesang und ihr Tanz gemeint. Hast la vista Serbien. Und ich dachte schon Armenien wäre nuttig und billig, dagegen ist die Dame aus Armenien gerade zu wie ne Nonne gekleidet. Aber immerhin die serbischen Damen haben die .….….….….….….….. Haare schön.