Vor komplett leeren Rängen fand das dänische Melodi Grand Prix 2020 statt. Nicht etwa, weil die Zuschauer:innen endgültig genug gehabt hätten von dem faden Musikbrei, denen ihnen der verantwortliche Sender DR Jahr für Jahr dort kredenzt, und den Vorentscheid boykottiert hätten. Vielmehr entschied die sozialdemokratische dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen nur einen Tag vor der Show, im Zuge der grassierenden Coronovirus-Hysterie alle öffentlichen Veranstaltungen mit mehr als tausend Zuschauer:innen zu untersagen. Nun hatte der Sender die das rund Zehnfache fassende Royal Arena in Kopenhagen bereits gebucht, die Proben schon durchgeführt. Eine Verlegung der Sendung schied aus terminlichen Gründen aus, und so entschied man sich für eine Geistershow in einer leeren Halle. Was einen besonders ironischen Biss dadurch erhält, dass die zehn ausgewählten Wettbewerbstitel sich – wie für das Land üblich – als musikalisch derartig steril erwiesen, dass kein noch so bösartiges Virus dagegen eine Chance besessen hätte. Traditionell sortierte ein erstes 50/50-Voting alle Beiträge weg, die auch nur in Spurenelementen Leben besaßen. Unter den fürs Goldfinale verbliebenen Drei stimmten die dort alleine entscheidungsberechtigten Dän:innen dann wenig überraschend für das heterosexuelle Pärchen und das Seichteste aller DMGP-Lieder.
Ell & Nikki reloaded: Ben & Tan sagen ‘Yes’ zueinander.
Benjamin Rosenbohm und Tanne Balcells, die Protagonisten des siegreichen Songs ‘Yes’, fanden letztes Jahr bei der Castingshow X‑Factor zueinander. Als Ben & Tan versuchte das rein visuell so gar nicht zueinander passende Duo aus einem bebrillten Abiturienten mit schlimmer Schamhaarfrisur und einer optisch mehrere Ligen weiter oberhalb spielenden, dennoch besonders anlehnungsbedürftigen jungen Frau beim DMGP, ihren kurzzeitigen TV-Ruhm rasch in klingende Münze umzusetzen. Mit Erfolg! Wie immer in der Eurovisionsgeschichte schob das von einem besonders faden Midtemposeich begleitete Konzept der frischen, gemischtgeschlechtlichen Liebe alles andere gnadenlos beiseite und räumte im Superfinale mit 61% Zustimmung ab. Ein an Deutlichkeit kaum zu überbietender ausgestreckter Mittelfinger der Mehrheitsgesellschaft in Richtung aller Minderheiten, wie sie sich beispielsweise im mit mageren 20% Zweitplatzierten Sander Sanchez manifestierte. Der mit einzelnem Ohrgehänge und Schmuckkranz im Haar so homöopathisch wie möglich androgyn wirkende junge Mann mit Migrationshintergrund sang mit überraschend tiefer Stimme eine (seufz!) Midtempoballade über die heutige aufmerksamkeitsgestörte Gesellschaft an Smombies, die nur noch auf ihre ‘Screens’ starrt und immun ist für zwischenmenschlichen Kontakt.
Hovi Star reloaded: Sander Sanchez in der abwaschbaren Virenschutzhülle.
Vollkommen chancenlos blieben jedoch (vermutlich dank der Jury) die schon im ersten Waschgang aussortierten, beiden einzigen leidlich erträglichen Beiträge des Abends. Nämlich zum einen das vorab als Mitfavorit gesetzte, uptemporäre ‘Human’ von Jasmin Rose. Das litt unter dem etwas verstörenden Beatboxer RoxorLoops, seines Zeichens ein Überbleibsel der ehemaligen belgischen Eurovisionsvertreter Witloof Bay (Sie erinnern sich widerwillig: die Acapella-Kapelle), der in einem Silberfolie-Schutzanzug und mit Silberschminke im Gesicht die traurige Version einer Menschmaschine gab und neben hauptsächlich sinnlosem Herumstehen lediglich ein paar knarzende Geräusche zum Lied beisteuerte. Was vermutlich als bedeutungsschwanger Konzeptkunst gedacht war, jedoch eher wie die Aufführung eines Schülertheaters wirkte. Das vermutlich dennoch mehr Zuschauer:innen gehabt hätte als das DMGP. Wobei der Sender bizarrerweise nach jedem einzelnen Auftritt Dosenapplaus einspielte, damit es nicht ganz so traurig herüber käme. Was aber alles nur noch gespenstischer machte. Besonders bizarr wirkte es, wenn einzelne Interpreten, wie auch Herr Loops, meinten, am Ende ihres Auftritts noch ein paar Dankesworte in die menschenleere Halle zu richten.
Rosen sind rot, Roboter silber / Das hier ist schlecht, und ich will mehr: Jasmin Rose.
Zum Zweiten verloren wir das herzallerliebste ‘Den eneste Goth i Vejle’, eine lyrisch gleichermaßen lakonische wie zu Tränen rührende Reminiszenz an ein namenlos bleibendes Nachbarschaftskind aus der Jugendzeit der Sängerin Maja Rudolph, das damals unter der sich abzeichnenden Trennung seiner Eltern litt und seine tiefe Traurigkeit mit der Musik von Achtzigerjahre-Emo-Bands wie The Cure, Joy Division oder vor allem The Smiths auslebte. Eben ‘Der einzige Goth in Vejle’. Die im DMGP lediglich mit einem bärig-knuddeligen Begleitgitarristen auftretende Frontfrau der eigentlich als Sextett fungierenden Band Maja og de sarte Sjæle (Maja & die zarten Seelen – was für ein fantastischer Gruppenname!), packte die nonchalant dahin gesungenen Erinnerungen in ein hübsches musikalisches Begleitbett, das in einzelnen Riffs an die schnelleren Songs von The Cure anknüpfte, insgesamt jedoch dankenswerterweise alles andere als depressiv herüberkam. Unspektakulär wirkte das, aufgrund der Unzugänglichkeit der dänischen Sprache vielleicht auch für die Meisten uninteressant. Kennt man aber die Übersetzung des Liedtextes, geht einem die Nummer tief ins Herz. Jedenfalls als Scheidungskind. Danke dafür!
Alison Moyet und ein zartbeseelter Gitarrist: Maja og de sarten Sjæle.
Vorentscheid DK 2020
Dansk Melodi Grand Prix. Samstag, 7. März 2020, aus der Royal Arena, Kopenhagen. 10 Teilnehmer:innen. Moderation: Hella Joof und Rasmus Bjerg,# | Interpreten | Songtitel | Televoting | Superfinale | Platz |
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01 | Isam B | Bølger | X | – | – |
02 | Ben & Tan | Yes | Q | 61% | 01 |
03 | Maja & de Sarte Sjæle | Den eneste Goth i Vejle | X | – | – |
04 | Benjamin Kissi | Faith | X | – | – |
05 | Emil Vestergaard Klausen | Ville ønske jeg havde kendt dig | Q | 19% | 03 |
06 | Sys Bjerre | Honestly | X | – | – |
07 | Jamie Talbot | Bye Bye Heaven | X | – | – |
08 | Sander Sanchez | Screens | Q | 20% | 02 |
09 | Kenny Duerlund | Forget it all | X | – | – |
10 | Jasmin Rose + RoxorLoops | Human | X | – | – |
Mal wieder schön treffend zusammengefasst.
Maja & de Sarte Sjæle waren (auch) mein Favorit. Der Alison Moyet Seitenhieb ist zwar etwas mies, brachte mich aber darauf, dass die Melodie von “Den eneste Goth i Vejle” tatsächlich eine flüchtige Ähnlichkeit zu Moyets “For You Only” hat.
Maja hätte noch 20 BpM draufpacken sollen, und der Sieger hätte einpacken sollen…
Joooo.….
.…..was zum kurz reinhören und wieder vergessen. Immerhin tut’s nicht weh.
Ich weine noch immer um Human, auch um die schräge Bühnenshow, das wäre mal was anderes aus DK gewesen…