Söng­va­kepp­nin 2020: Who’s my Daddy?

Wie bereits im Vor­jahr, als sich beim islän­di­schen Euro­vi­si­ons­vor­ent­scheid Söng­va­kepp­nin alles um einen ein­zi­gen Namen dreh­te, näm­lich um Hat­a­ri, stand auch 2020 alles im Schat­ten der Fra­ge: schafft es Daði Freyr Péturs­son dies­mal oder muss er sich, wie schon 2017 mit dem groß­ar­ti­gen ‘Is it Love?’, erneut geschla­gen geben? Die gute (und bereits seit Sams­tag­nacht bekann­te) Nach­richt: er schaff­te es! Gemein­sam mit sei­ner fünf­köp­fi­gen Begleit­band Gag­na­ma­gnið (in etwa: Daten­vo­lu­men) konn­te er die fan­tas­tisch coo­le Retro-Syn­thie-Num­mer ‘Think about Things’ zum Sieg füh­ren, um die schon vor gut zwei Wochen ein Inter­net-Hype los­brach, nach­dem Daði den dazu­ge­hö­ri­gen, extrem selbst­iro­ni­schen Video­clip ver­öf­fent­lich­te und Pro­mi­nen­te wie Rus­sell Cro­we oder Jan Böh­mer­mann sel­bi­gen via Twit­ter ver­brei­te­ten. Es blie­ben die ban­gen Fra­gen: funk­tio­niert der Song auch live? Und wird das stets für eine Über­ra­schung gute islän­di­sche Publi­kum nicht doch lie­ber die blin­de Íva Marín Adri­chem mit ihrem eben­falls selbst­iro­nisch beti­tel­ten New-Age-Gejau­le ‘Ocu­lis vide­re’ (‘Augen kön­nen sehen’) nach Rot­ter­dam ent­sen­den, wo die klas­sisch aus­ge­bil­de­te Sän­ge­rin ohne­hin studiert?

Ein rele­van­ter Song, vier­mal Staf­fa­ge: alle Bei­trä­ge des Söng­va­kepp­nin-2020-Fina­les als Playlist.

Doch die Isländer:innen sind nicht sol­che Mit­leids­su­seln wie die Deut­schen: Íva schaff­te es ver­gan­ge­nen Sams­tag noch nicht mal ins Super­fi­na­le, die Inselbewohner:innen zogen die hei­mi­sche Metal-Kapel­le Dim­ma mit ihrem melo­diö­sen Sof­t­rock­song über die ‘Almyrk­vi’ (‘Dun­kel­heit’) vor. In der End­ab­stim­mung jedoch obsieg­te Dad­dy Fire mit sei­ner extrem läs­si­gen, nerdi­gen Cho­reo­gra­fie, bei wel­cher er zwi­schen zwei Mikro­fon­stän­dern hin- und her­tän­zelt. Dabei hat­te Daði beim Super­fi­nal­auf­tritt noch mit der Tech­nik zu kämp­fen: in einem uner­war­te­ten Azú­car-Moreno-Moment spiel­te der Sen­der RÚV das Play­back mit einer zu hohen Geschwin­dig­keit ab, Freyr kam ins Strau­cheln und brach mit­ten im Song ab. Nach einer län­ge­ren Dampf­plau­der-Über­brü­ckungs­run­de, die auf­grund des bär­ti­gen Mode­ra­tors Fan­nar Sveins­son auch für nicht des Islän­di­schen mäch­ti­gen Zuschauer:innen zum kurz­wei­li­gen opti­schen Genuss geriet, klapp­te es dann. ‘Think about Things’ rich­tet sich lyrisch übri­gens an den zwei­jäh­ri­gen Nach­wuchs des ellen­lan­gen Daði und sei­ner Freun­din Árný­ja Fjó­la, lus­ti­ger­wei­se die Kleins­te in der Begleit­band: “‘Cau­se I don’t under­stand you / Oh you are yet to learn how to speak” singt Dad­dy Fire und ver­si­chert sei­ner Toch­ter, dass er ihr immer zuhö­ren wer­de. Wer da nicht vor Rüh­rung dahin schmilzt, hat kein Herz!

Zu Recht gelobt: ich kann mir den Clip hun­dert­mal anschau­en und wer­fe mich immer wie­der weg.

https://youtu.be/r‑dMhpgj0PA

Dafür allei­ne schon lie­be ich die Isländer:innen: dass sie kol­lek­tiv auf­juch­zen, als die Wind­ma­schi­ne ein­setzt. Ihr seid so geil!

Die Vor­jah­res­ver­tre­ter Hat­a­ri, die mit einem Med­ley des gemein­sam mit dem paläs­ti­nen­si­schen Sän­ger und quee­ren Akti­vis­ten Basahr Murad per­form­ten Songs ‘Kle­fi / Samed’ und ihres am Ende von einem Kin­der­chor über­nom­me­nen Euro­vi­si­ons­bei­tra­ges ‘Hatrið mun sig­ra’ das Pau­sen­pro­gramm bestrit­ten, fie­len bei der Über­ga­be der Sie­ger­tro­phäe an Freyr als Zei­chen der beson­de­ren Wert­schät­zung gar auf die Knie. Bei­de Acts ver­bin­det ein umstrit­te­nes Enga­ge­ment in der Paläs­ti­na­fra­ge: Hat­a­ri zeig­ten beim ESC 2019 in Tel Aviv wäh­rend der Punk­te­ver­ga­be die Flag­ge des von Isra­el nicht als eigen­stän­di­ger Staat aner­kann­ten Ter­ri­to­ri­ums, Daði hat­te im Vor­feld gar zum Teil­nah­me­boy­kott auf­ge­ru­fen. Bei den Wett­quo­ten für 2020 führt Island nun aktu­ell: ein Novum und ver­mut­lich auch dem Hype geschil­dert. Ein­zi­ger Wer­muts­trop­fen: ‘Think about Things’ fischt in Sachen Retro-Fee­ling und iro­ni­sche Cho­reo­gra­fie im sel­ben Punk­te­teich wie mein bis­he­ri­ger Lieb­lings­bei­trag ‘On Fire’ von The Roop und könn­te in Rot­ter­dam die Tele­vo­ting­stim­men zwi­schen Island und Litau­en split­ten, so dass am Ende doch wie­der irgend­ei­ne blö­de Bal­la­den­sül­ze gewinnt. Aber viel­leicht mache ich mir da auch ein­fach zu vie­le Gedan­ken. Wer weiß schon, was bis Mai 2020 noch geschieht?

Auch dafür lie­be ich die Isländer:innen: dass sie völ­lig unge­rührt durch die Mehr­zweck­hal­le eilen, wäh­rend Hat­a­ri-Front­mann Mat­thí­as Haralds­son mit­ten im Publi­kum steht und grim­mig drein­schau­end ins Mikro röhrt.

Vor­ent­scheid IS 2020

Söng­va­kepp­nin. Sams­tag, 29. Febru­ar 2020, aus der Lau­gard­als­höl­lin Are­na in Reykja­vik, Island. Fünf Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Björg Magnús­dót­tir, Fan­nar Sveins­son und Bene­dikt Valsson.
#Inter­pre­tenSong­ti­telAnru­feJurySuper­fi­na­lePlatz
01Ísold & HelgaMeet me halfway05.56817.17004
02Daði Freyr + GagnamagniðThink about Things36.03524.289118.64301
03NinaEcho06.51515.28605
04Íva Marín AdrichemOcu­lis videre19.07218.42603
05Dim­maAlmyrk­vi22.84814.867080.18302

5 Comments

  • War ja klar, das dem autoren das gefällt))
    Für mich ist immer noch “on fire“klar an der spit­ze. Die­ser dad­dy ist mir dann doch etwas zu infantil.

  • Ganz gro­ße Unterhaltung…freu mich schon drauf…und eigent­lich schon kom­plett fer­tig der Auftritt…nicht wie in ande­ren Län­dern (D) 🙂

  • Macht Spaß den Auf­tritt anzu­schau­en und anzu­hö­ren. Damit ist der Zweck des Bei­trags wohl auch erfüllt; Sieg­chan­cen sehe ich ehr­lich gesagt nicht, wenn­gleich eine gute Plat­zie­rung natür­lich drinliegt.
    Aber es ist ohne Zwei­fel ein edler Zweck.

  • Gran­di­os.
    Schön, dass der Jahr­gang doch lang­sam Fahrt auf­nimmt, und ein paar Schman­kerl schei­nen ja noch auf der Ziel­ge­ra­den zu kommen.

  • Ich mag ihn ja auch … aber die­sen Effekt mit dem süßen Kind als Song-Adres­sat hat doch die Brot­her­hood of Man schon vor über 40 Jah­ren weiss­gott nicht min­der ele­gant genutzt und auch die geist­rei­che Cho­reo­gra­phie ist drei Jah­re nach Freyrs letz­tem, sehr ähn­li­chen Ver­such nicht der ganz heis­se Scheiß.
    Übrig bleibt (für mich) nicht mehr – aber auch nicht weni­ger – als ein durch­aus pas­sa­bler Pop-Song, der jedoch nicht bes­ser ist als “Hvað með það” (ich bin ja ohne­hin unver­bes­ser­lich pro Landessprache). 

    Ich gebe aber zu, dass ich das 2017 viel­leicht auch deut­lich weni­ger gefei­ert hät­te, wenn damals schon so ein über­zo­ge­ner Hype ver­an­stal­tet wor­den wäre. Der ist nun wirk­lich der­ma­ßen aus dem Ruder, dass ich schon das Gab­ba­ni-Syn­drom befürch­te. Aber selbst wenn die sich ihren sym­pa­thi­schen Schwung bis Rot­ter­dam bewah­ren kön­nen, glau­be ich nicht, dass die Jurys den que­ru­lan­ten Islän­dern als Dank eine ESC-Aus­rich­tung in den Schoß wer­fen wer­den (obwohl … viel­leicht auch GERA­DE darum;).

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