Per­len der Vor­ent­schei­dun­gen: Vor­wärts in die Vergangenheit

Orga­ni­sier­te Euro­vi­si­ons­fans kön­nen manch­mal der übels­te Men­schen­schlag auf die­sem Pla­ne­ten sein! Die­sen Mon­tag ging das mit 25 Teilnehmer:innen bestück­te Semi­fi­na­le des als alba­ni­sche Vor­ent­schei­dung die­nen­den, tra­di­tio­nel­len Fes­ti­vali i Kën­gës über die Anten­ne. Das fand wegen Coro­na dies­mal nicht im Kon­gress­pa­last zu Tira­na statt, son­dern auf dem mit einer impo­san­ten Frei­licht­büh­ne bestück­ten Platz davor. Rich­tig: im Frei­en, mit­ten im Win­ter, bei, wie sich an den Dampf­schwa­den aus den Mün­dern der Interpret:innen unschwer erken­nen ließ, kna­cki­ger Käl­te! Und auch nicht wie sonst live, son­dern als Auf­zeich­nung schon ein paar Tage vor­ab. Natür­lich trat das Unver­meid­li­che ein und die Ergeb­nis­se sicker­ten bereits am Mon­tag­abend durch, aller Wahr­schein­lich­keit nach, weil ein paar Schnat­te­rin­chen des Fan­clubs OGAE, die bei der Ver­an­stal­tung dabei sein durf­ten, ihre eit­len Plap­per­mäul­chen nicht hal­ten konn­ten. Und natür­lich ver­brei­te­ten etli­che Fan­me­di­en und Twit­te­rer die Namen der Aus­ge­schie­de­nen ohne jeg­li­che Spoi­ler­war­nung noch wäh­rend der lau­fen­den Sen­dung, wofür sie auf ewig in der Höl­le schmo­ren mögen. Boah, ich has­se sol­che Gestal­ten noch um eini­ges mehr als Juror:innen, und das will etwas hei­ßen! Denn tat­säch­lich fäll­te auch die allei­ne ent­schei­dungs­be­rech­tig­te FiK-Jury ein him­mel­schrei­en­des Fehl­ur­teil und sor­tier­te mit dem super­ein­gän­gi­gen Dis­co­schla­ger ‘Një­soj’ von Enxhi Nasu­fi einen der an ledig­lich einer Hand abzähl­ba­ren Spit­zen­ti­tel die­ses Jahr­gangs aus.

Jane Fon­da hat ange­ru­fen und will ihre Aero­bic-Vide­os aus den Acht­zi­gern zurück: Enxi Nasu­fi bringt uns nach dem Lock­down-beding­ten Bewe­gungs­man­gel wie­der auf Vordermann.

Dabei hat­te sich die apar­te Sän­ge­rin, die in einem gewag­ten Body­su­it aus käl­te­ab­wei­sen­der Teich­fo­lie und einem kusch­li­gen Über­wurf im zeit­lo­sen Hah­nen­tritt­mus­ter den fros­ti­gen Außen­tem­pe­ra­tu­ren trotz­te, eigens eine hoch beweg­li­che Tanz­trup­pe unter Mit­wir­kung des Neun­zi­ger­jah­re-Ein­hit­wun­ders Vanil­la Ice mit­ge­bracht, die in neon­far­be­nen Out­fits die guten alte ZDF-Tele-Ski-Gym­nas­tik wie­der auf­er­ste­hen ließ. Ihr Aus­schei­den ist nichts weni­ger als skan­da­lös! Einen Skan­dal gab es auch um die Teil­nah­me des – Gott sei Dank – eben­falls nicht ins Fina­le wei­ter­ge­zo­ge­nen Erik Llo­shi. Bei des­sen enga­giert vor­ge­tra­ge­ner, düs­te­rer Bal­la­de ‘Jo’ han­del­te es sich näm­lich, wie zahl­rei­che Fans twit­ter­ten, um ein Agi­ta­ti­ons­lied gegen Abtrei­bung. Was der Sen­der RTSH auf der Fes­ti­val­sei­te bestä­tig­te. Erik prä­sen­tiert dar­in Text­zei­len wie (sinn­ge­mäß) “Ich bin eine Krea­tur in Dei­nem Kör­per”, “Lass mich von dei­nem Blut leben” und “Mach kei­nen Feh­ler, sag ja zum Leben”. Wann hat das bit­te ange­fan­gen, dass sich die die Ultra­kon­ser­va­ti­ven nun auch beim Euro­vi­si­on Song Con­test breit­ma­chen? Und wann wird es end­lich auf­hö­ren, dass Män­ner glau­ben, sie könn­ten sich in irgend­ei­ner Wei­se zu einem The­ma äußern, das ein­zig und allei­ne die betrof­fe­ne Frau etwas angeht? Bil­de ich mir das ein, oder ent­wi­ckelt sich unse­re Gesell­schaft gera­de mit rie­si­gen Schrit­ten rückwärts?

Wol­kig der Anzug, gar nicht wol­kig in der Aus­sa­ge: Erik kämpft knall­hart für das Patriarchat.

Dazu pass­te auch der pom­pö­se Eröff­nungs­act, bei dem zu bedroh­lich wabern­der Musik eine Kohor­te weiß­ge­klei­de­ter Fah­nen­trä­ger mit FiK-59-Wim­peln durch das ver­wais­te Tira­na stampf­te – die Gesich­ter voll­stän­dig ver­hüllt von sti­li­sier­ten Coro­na-Mas­ken und Spitz­hü­ten, so als wohn­ten wir einem Auf­marsch des Ku Klux Klan bei! Die Pan­de­mie zeig­te sich omni­prä­sent: es gab ein Covid-Bal­lett, für einen aus­führ­li­chen Talk zum The­ma hol­te RTSH zwi­schen den Bei­trä­gen den alba­ni­schen Dr. Dros­ten auf die Büh­ne. Und auch der aus­ge­schie­de­ne Sprech­ge­sangs­in­ter­pret Franc Kor­uni prä­sen­tier­te sich zum Auf­takt sei­nes Auf­tritts vor­bild­lich mit schwar­zem Mund-Nasen-Schutz. Den er jedoch nach weni­gen Sekun­den auf den Büh­nen­bo­den schleu­der­te und acht­los dort lie­gen­ließ. Rüde! Anders der lang­haar­z­ot­te­li­ge Rocker Kas­tro Zizo, der für sei­ne Show die Tra­di­ti­on des Trick­kleids wie­der­be­leb­te: er kam in schwar­zen Leder­stie­feln und Jeans, über wel­che er jedoch einen roten Damen­rock trug. Des­sen er sich im Ver­lauf sei­ner Num­mer ele­gant ent­le­dig­te, ihn am Ende sei­ner drei Minu­ten aber ganz ordent­lich wie­der auf­hob und mit­nahm. So geht das! Unklar ist, ob es sich bei dem Klei­der­weit­wurf um eine Soli­da­ri­täts­ak­ti­on mit dem offen schwu­len Mirud han­del­te, der für sei­ne Bar­ba­ra-Dex-Award-wür­di­gen Out­fits – ein extrem cam­pes Tore­ro­kos­tüm mit dem tiefs­ten Män­ner­brust­de­kol­le­té aller Zei­ten und Län­der am ers­ten Abend und ein extrem tuf­fi­ges Abend­kleid aus der Bian­ca-Shom­burg-Kol­lek­ti­on am zwei­ten – nicht nur gif­ti­ge Kom­men­ta­re, son­dern sogar Mord­dro­hun­gen kassierte.

Dem Gesicht nach zu urtei­len kam Mirud offen­bar direkt von einer Buk­ka­ke-Par­ty im Fort Knox.

Und nun ist mein Herz natür­lich vol­ler Lie­be und Hoch­ach­tung für einen so muti­gen Mann wie Mirud, der es als öffent­lich sicht­ba­rer Homo sicher schwer hat auf dem Bal­kan. Den­noch gehört mit zur Wahr­heit, dass der schö­ne Koso­vo-Alba­ner in dem haut­eng anlie­gen­den Stier­kämp­fe­r­out­fit beim etwas ange­strengt wir­ken­den Hüf­ten­schwin­gen aus­sah wie eine Press­wurst in Geschenk­fo­lie. Und in die Kame­ra schau­te wie ein Reh­kitz, zwei Sekun­den, bevor es auf der Land­stra­ße des Nachts über­fah­ren wird. Immer­hin schaff­te er es mit all dem opti­schen Auf­he­bens, ein wenig von der musi­ka­li­schen Belang­lo­sig­keit sei­nes Songs ‘Nëse vdes’ abzu­len­ken, mit dem er den­noch ins heu­ti­ge Fina­le ein­zog. Im Gegen­satz zum FiK-Kol­le­gen und Mehr­fach­tä­ter Klint Çoll­a­ku, der zwar bei jedem sei­ner zahl­rei­chen FiK-Teil­nah­men etwas hot­ter aus­sieht als im Vor­jahr, nur lei­der trotz aus­ge­spro­chen dra­ma­ti­schen Vor­trags und Zäh­ne­flet­schens musi­ka­lisch nie so recht über­zeu­gen kann mit sei­nem ewig­glei­chen, mit­tels­eich­ten Pop­rock. Schen­ken konn­te man sich dies­mal das zwei­te FiK-Fina­le, das aus den sel­ben 25 Lie­dern bestand wie der ers­te Abend, aber in todes­öden Unplug­ged-Fas­sun­gen. Die jedoch kaum den Reiz des Hand­ge­mach­ten ent­fal­ten konn­ten, da man in die­sem Jahr wegen Covid kom­plett auf das Orches­ter verzichtete.

Beginnt als düs­te­re Dys­to­pie, wird aber spä­tes­tens mit dem Ein­zug der Mode­ra­to­ren hoch zu Ross wie­der gla­mou­rös: das kom­plet­te FiK-Semi 2020.

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