Man hätte es ja ahnen können. Nicht umsonst heißt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Und von Recep bis Recap, dem englischen Wort für den Schnelldurchlauf, ist es nur ein Buchstabe. Dennoch erwies sich die gestern am frühen Abend nach über fünfjähriger Zwangspause und fünfstündiger Sendedauer zu Ende gegangene vierte Ausgabe der Türkvizyon selbst für den geduldigsten Eurovisionsfan, der schon durch die Stahlbäder des Festivali i Kënges, der Melodi pentru Europa und von San Remo gegangen ist, als extreme Geduldsprobe. Da das Einsammeln, Auszählen und wohl vor allem die grafische Darstellung der Jurystimmen beim Songcontest der Turkvölker sich um einige Stunden länger hinzog als geplant und man kein adäquates Überbrückungsprogramm vorbereitet hatte, quälten die Verantwortlichen des austragenden Musiksenders TMB die Zuschauer:innen mit einer ewigen Endlosschleife des Zusammenschnitts der 26 Beiträge. Ilire Ismajli, die für Albanien angetretene, bedauernswerte Erste im Line-up, kann sich nun nirgends in Europa mehr blicken lassen, muss sie doch befürchten, dass tief traumatisierte Türkvizyonszuschauer:innen, für welche der erneute Anblick ihres apart angemalten Antlitzes die Erinnerung daran triggert, in einem Und täglich grüßt das Murmeltier-haften, niemals endenden Nachtmahr gefangen zu sein, schreiend die Flucht ergreifen, sobald sie ihrer gewahr werden.
Als Übersicht praktisch, zehn Mal hintereinander aber schon hart an die chinesische Wasserfolter grenzend: der Türkvizyons-Schnelldurchlauf.
Mindestens acht Mal am Stück (es können auch neun oder zehn Wiederholungen gewesen sein, irgendwann habe ich aufgehört, zu zählen) lief das bei jeder erneuten Ausstrahlung scheinbar immer brüchiger werdende Endlosband. Als nach dem fünften oder sechsten Mal, als bereits die ersten Befürchtungen die Runde machten, das Sendezentrum könne von Terroristen oder die Zoom-Konferenz der Juror:innen von Hackern gekapert worden sein, plötzlich das Moderatorentrio auftauchte, frohlockten die Fans in ganz Europa erleichtert, nur um nach wenigen Minuten beschwichtigenden Gelabers ihre Hoffnungen bitter enttäuscht zu sehen und auf eine weitere Reise ins Loop-Loop-Land geschickt zu werden. Besonders perfide: die Jury-Ergebnisse präsentierte man anschließend über einem weiteren Schnelldurchlauf! Das, liebes TMB, war Trollen auf höchstem Niveau! Tröstlich, dass man wenigstens die korrekte Siegerin kürte: Natalya Papazoğlu aus der Ukraine, die 2016 im heimischen Eurovisionsvorentscheid noch einer gewissen Jamala unterlag und die als Vertreterin der rund 30.000 Köpfe umfassenden, hauptsächlich in der Gegend um Odessa siedelnden Volksgruppe der dortigen Gagausen im Vorfeld gar Spendengelder zur Finanzierung ihrer von keinem Sender unterstützten Türkvizyons-Teilnahme einsammeln musste, überzeugte erfreulicherweise nicht nur die zuschauenden Fans, sondern auch die alleine abstimmungsberechtigte Jury.
Lag es am busenbetonenden Brustpanzer? Natalya riss alle mit (UA).
Und das völlig zu Recht: ihr selbst geschriebener, großartiger Ethno-Disco-Stampfer ‘Tikenli yol’ (‘Dorniger Weg’), vor allem aber ihr vor Energie strotzender Auftritt und ihre ans Manische grenzende Ausstrahlung (dieses geradezu glühende Starren!) hoben sie deutlich aus der Masse der Türkvizyons-Darbietungen hervor und unterstrichen einmal mehr die unanfechtbare Pole-Position der Ukraine als osteuropäisches Perfomance-Powerhouse. Erkennbar litten viele ihrer Konkurrent:innen an den coronabedingten Umständen dieses Wettbewerbs: alle Teilnehmer:innen mussten ihre Songs solo im Greenbox-Verfahren als Vollplayback aufnehmen, zusätzliche Backgroundsänger:innen, Tänzer:innen oder sonstige Showelemente waren nicht zugelassen. Alle 26 Beiträge erhielten schließlich von TMB den gleichen computergenierten Hintergrund. Da musste man sich schon Mühe geben, um herauszustechen. Dem deutschen Vertreter Seyran gelang dies ebenfalls sehr, sehr gut: im Gegensatz zu allen anderen Männern, die steckensteif hinter dem Mikro standen, voguete der Wahlkölner zu seiner eigenkomponierten Modern-Talking-meets-Tarkan-Pastiche ‘Odun’ (‘Holz’), als ob es kein Morgen gäbe, und wiegte seine geschmeidigen Hüften sinnlich im Takt. Dazu hatte er sich ganz dezent an Dana International gemahnende Pfauenfedern an seine Nussknackeruniformjacke getackert, um den Haldor-Lægreid-Faktor seines Auftrittes auf Zwölf zu schrauben. Ein respektabler achter Rang war der Lohn: ein Ergebnis, das wir uns beim Eurovision Song Contest auch mal wieder wünschten! NDR, bitte zugreifen!
Ein würdiger deutscher Vertreter: danke, Seyran!
Dabei entwarfen die Türken die erstmals im Jahre 2013 veranstaltete Türkvizyon seinerzeit auch als Gegenentwurf zum dekadent-schwulen Eurovision Song Contest. Woran uns heuer bereits an Startposition 2 die dort antretende Volksgruppe der Nogaier erinnerte – auf englisch: Nogay. Für die einen jahreszeitlich passenden Weihnachtsfrau-Umhang tragende Janna Musaeva reichte es jedoch nur zum drittletzten Platz: ein angemessenes Ergebnis für ihre zähe Depressionsballade. Rundheraus ungerecht hingegen die schmale Punkteausbeute für Ziliya Bahtieva aus der erdölreichen russischen Teilrepublik Baschkortostan: ihr Song ‘Halkyma’ verschmolz synthetische Vogelstimmen, tiefgetunten Herren-Kehlgesang und Maultrommeln mit schleppenden Elektrobeats und gehörte musikalisch zum absolut Besten des gesamten Nachmittags. Lediglich das fleischfarbene, enganliegende Kleid mit Pelzbesatz minderte etwas das audiovisuelle Gesamtvergnügen.
Ob sie das Tier auf ihren Schultern selbst erlegte? Zuzutrauen wäre es Ziliya (Baschkortostan).
Welch eine klaffende, schmerzende Lücke das dort absente Bosnien-Herzegowina beim Eurovision Song Contest hinterlässt, stellte der im slawischen Heimatidiom dargebotene Türkviziyonsbeitrag ‘Džehva’ (‘Kaffeetasse’) von Armin Muzaferiya unter Beweis. Bei dem bereits seit drei Jahren veröffentlichten Lied, das eine Liebesgeschichte aus den Zeiten des ottomanischen Reiches im 17. Jahrhundert erzählt, handelte es sich nämlich um eine geradezu klassische, sterbensschöne Balkanballade, die lediglich unter der etwas hölzernen Performance und dem leichten Charismadefizit Armins litt. Es reichte dennoch für einen hochverdienten Bronzeplatz. Es folgten zwei Länder mit “Nord-” im Vornamen: für den türkisch besetzten Teil Zyperns lieferte Çağıl İşgüzar eine so schwelgerische wie schwachbrüstige Ballade, für die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien ging mit Cengiz Sipahi ein mittelattraktiver Daddy mittleren Alters ins Rennen, der in schlichten Jeans und Blazer jedoch höchstens mittelprofessionell wirkte. Bei seinem Song ‘Kal yanımda’ bildeten Gesang und Elektrobeat indes keine ansprechende Einheit.
Jetzt stellen Sie sich das mal mit einer ansprechenden Choreografie vor, mit nach und nach einzeln hinzutretenden Fake-Instrumentalisten und Chorsängern, die sich zum Songfinale am vorderen Bühnenrand zu einer Phalanx zusammenfinden: 12 Points, anyone? (BA)
Die für ihre Kulturtechnik des Tuvan Throath Singing weltberühmte sibirische Republik Tuwa sagte nach einigem Hin und Her im Vorfeld des Wettbewerbs erst relativ spät zu, wieder bei der Türkvizyon mitzumachen, was die Hoffnungen auf etwas herrlich Bizzares ins Unermessliche steigerte. Und auf seine ganz persönliche Weise lieferte ihr Repräsentant Oorzhak Omak Çopanoviç: mit tiefstem Kehlengesang; einem Songbastard, der sich völlig unerwartet von einer dröge-gehemmten Ballade zu einem irgendwie patriotisch klingenden, futtig-stampfenden Discoschlager verwandelte wie eine Raupe zum Schmetterling; völlig inadäquat vorgetragen von einem fast schon zur Salzsäule erstarrten Interpreten in einer Raumschiff-Enterprise-Uniform der unteren Mannschaftsränge, entbot OOÇ den verwirrendsten Auftritt des Abends. Die Aserbaidschanerin Aydan Ilxaszade gab uns dann eine Art von wohlgenährter orientalischer Eisprinzessin. Ihr Song ‘Can Can Qardaş Can’ konnte außer stumpf-flotten Rhythmen nichts Ansprechendes vorweisen – und ruinierte das Wenige am Ende gar mit einer Sprechgesangseinlage.
So schlecht, dass es schon wieder gut ist: wer Oorzhak heißt und aus Tuwa stammt, muss Bizarres bieten. Und das tat er.
Für Polen trat die Sängerin Mishelle an. Wer Liebe lebt? Nein, ‘Doğma Yerlər’ (‘Heimatorte’) hieß ihre fade Midtempoballade. Für welche die blonde Interpretin, die auch schon auf chinesisch sang, eigens aserbaidschanisch lernte. Außer ihrem blauen Eyeshadow bleibt dennoch nichts von ihr in Erinnerung. Anders als bei Diliya Ahmetşına aus Tatarstan. Sie verkleidete sich als Squaw und präsentierte mit ‘Ğafu it, awılım’ (‘Es tut mir leid, mein Dorf’) eine filigrane Ethnoballade über das Thema Landflucht. Zudem wusste sie, sich zu bewegen und geradezu schamlos mit der Kamera zu flirten. Ganz im Gegenteil zum Vertreter der irakischen Türkmenen, Sarmad Mahmood, der vor allem während des ausgedehnten Instrumentalparts seines eigentlich ganz hübschen Klagelieds ‘Kelebek’ (‘Schmetterling’) so überhaupt gar nichts mit sich anzufangen wusste und vor lauter beklemmender Verlegenheit gar halbherzig das Luftbanjo spielte. Der so erzeugte harte Cringefaktor schlug sich im unverdienten letzten Platz für den Vollbartträger nieder.
Wer sich beim Outfit von Jahn Teigen inspirieren lässt, muss mit der Roten Laterne rechnen: der irakische Mahmood, nicht ganz so charismatisch wie sein italienischer Eurovisionsnamensvetter, aber mindestens genau so maskulin.
Für die moldawischen Gagausen sang Yulia Arnaut eine etwas wirre, aber passend ‘Kemençä’ (‘Geigen’) betitelte, streichersatte Ballade. Sie trug dazu ein Caroline-Reiber-Gedächtnisoutfit. Die aparte Darya Taçeeva aus der der russischen Republik Chakassien enttäuschte alle Hoffnungen auf trippigen Ethno-Dance: ‘Ot-çalında’ (‘In den Flammen’) entpuppte sich als tonnenschwere, dramatische Ballade. ‘Doživotno osuđen’ (‘Lebenslang verurteilt’) lautete das Strafmaß für den Repräsentanten des Sandžak (Serbien), Haris Skarep. Sein Verbrechen: die wie bei praktisch allen Herren etwas unterenthusiastische Performance seines eigentlich sehr schönen elektrobeatgetriebenen Ethnopoptitels. Und die modische Todeskombination eines Rollkragenpullis mit einer umgehängten Siegermedaille von den Bundesjugendspielen. Um so überzeugender die drei folgenden Banger aus Frauenhand: für die aufstrebende Türkvizyons-Nation Kirgisistan servierte Ayganysh Abdieva mit dem Titel ‘Jüpiter’ allerfeinsten, leichtbekömmlichen Eurodance-Trash. Und sah dabei aus, als käme sie direkt vom Dreh zu Evel Knievel. Camptastisch!
Wenn Du um 16 Uhr deinen Türkvizyons-Auftritt hast, aber um 17 Uhr an einem Motorradrennen teilnimmst: Ayganish aus Kirgisistan.
Die Belarussin Svetlana Agarval ist selbsterklärter Bollywood-Fan. Das merkte man deutlich: sowohl ihr prachtvolles, perlenbesticktes Gewand als auch ihr Beitrag ‘Məni anla’ hätten indischer nicht sein können. Da sie den Contestregeln folgend in einer der Turksprachen singen musste und aserbaidschanisch wählte, irritierte die Diskrepanz von Musik und Lyrics die Juror:innen, zumal man im Refrain hauptsächlich “Allah, Allah” verstand: ihr Rang 23 ist als absolut skandalöses Fehlurteil zu brandmarken. Zumal ihre Landsfrau Olga Shimanskaya (auch bekannt vom Eurofest unter dem Namen Napoli) bewies, dass Nationenmischmasch nicht hinderlich sein muss: die auf Nordzypern lebende Weißrussin trat mit dem auf türkisch gesungenen, aus der selben Feder wie Napolis ‘Məni anla’ stammenden, fantastisch bouncenden Discoschlager ‘Hadi gel’ offiziell für Russland an. Beziehungsweise für den Stadtkreis Moskau, TMB war da bei der Länderzuordnung nicht ganz stringent. Steht bei der Türkvizyon aber letztlich beides als Synonym für “staatenlos” und störte niemanden: Rang 9.
Ob das Wunderhaar auch aus Indien stammte? Svetlana Argaval (BY)
Nach soviel Frauenpower enttäuschten die Männer erneut auf ganzer Linie: zwar hatte der Repräsentant Rumäniens, der follikal herausgeforderte Bewegungslegastheniker und älteste Teilnehmer des Jahrgangs Sunai Giolakai, für die Aufzeichnung sein bestes Festtagshemd herausgesucht und sein Dreieckskinnbärtchen frisch angespitzt. Das machte seinen sehr zähen Klagegesang ‘Niye?’ aber auch nicht besser. Gleich zweifach vertreten war Kasachstan. Der Newcomer Almaz Kopzhasar klang, als habe er seine Midtempoballade ‘Kim ol’ (‘Wer ist sie?’) mit einem Klapphandy im Kohlenkeller aufgenommen. Dass er nur auf dem vorletzten Platz landete, verdankt er dem Nachbarschaftsvoting: zehn Punkte – die Höchstzahl – gab es für ihn nämlich von der ebenfalls in dem eurasischen Land lebenden und bei der Türkvizyon debütierenden Volksgruppe der Uiguren, für welche sich das Sada Ensemble im Synchrontanz, ‑gesang und ‑kleidtragen übte. Die uigurischen Kessler-Zwillinge tönten zwar etwas schrill in den Ohren, erhielten aber dennoch eine Höchstwertung aus dem Mutterland zurück. Ein weiteres Debüt ging auf das Konto der russischen Oblast Tjumen, deren Vertreterin Adilya Tuşakova, mit 18 Jahren die jüngste Teilnehmerin, mit ihrer sehr angestrengten Ballade ‘Havalarda’ immerhin die Juror:innen überzeugen konnte: Rang 4, ungefähr 20 Plätze überbewertet.
https://youtu.be/nycDj4tfh1g
Auch das im negativen Sinne billige Outfit und die rausgewachsene Färbung konnten Napolis Erfolg nicht bremsen (RU).
Beim Eurovision Song Contest erfährt Moldawien berechtigte Fan-Verehrung als stets verlässlicher Lieferant von herausragendem, tanzbarem Ethnopop-Trash, und auch bei der Türkvizyon kann man auf den kleinen Bruder Rumäniens bauen: mit dem rundheraus discotastischen ‘Ateş gibi’ (‘Wie Feuer’) aus der Feder von Gunesh lieferte Pelageya Stefoglu, auch sie ausgesprochen kess beim Flirt mit der Kamera, ein geradezu mustergültiges Exemplar dieser gar nicht hoch genug zu lobenden Musikgattung ab. Und das in einem fantastischen roten Kleid! Eine verdiente Silbermedaille ersang sich die flächengrößte russische Teilrepublik Jakutien (offizieller Name: Sasha). Deren Beitrag ‘Mokhsoğollor’ (‘Falken’) soll dem Vernehmen nach ursprünglich mal als reiner Discostampfer das Licht der Welt erblickt haben. Bei der Türkvizyon präsentierte ihn seine Interpretin Umsuura allerdings in einer hart rockenden Variante, zu welcher sie sich sehr apart einen abzappelte. Und alleine für ihren Energielevel verdiente sie schon Hochachtung.
https://youtu.be/SzsEKPhdaQ4
Eines der ärmsten Länder Europas und doch musikalisch so reich: Moldawiens ESC- und Türkvizyons-Beiträge erwecken in mir immer wieder den Wunsch, dort hinzuziehen.
Überhaupt zeigte der ganze Nachmittag mal wieder, welche für europäische Ohren ungehobene Musikschätze in den ‑stans lagern, den ganzen ehemaligen Sowjetrepubliken. Und wie sehr uns (und sich selbst) die Moskauer Föderation beim Eurovision Song Contest jedes Jahr um ihre hochgradig spannende kulturelle Vielfalt betrügt. Und so erweist sich dieser ursprünglich zur Unterstreichung der osmanischen Großmachtsträume des türkischen Quasidiktators Recap Erdoğan aus der Taufe gehobene Wettbewerb mittlerweile ironischerweise vor allem als europäisches Schaufenster des russischen Vielvölkerreichs. Dazu passt, dass TMB seinem gemischtgeschlechtlichen Moderationspärchen bei dieser Ausgabe erstmalig eine russischsprachige Kollegin zur Seite stellte. Und dazu passt auch, wie geradezu armselig im Vergleich zu den meist hervorragenden ‑stan-Songs der Heimbeitrag herüberkam.
https://youtu.be/E‑ozpVK1g5Q
Slay, Queen: Umsuura zeigt, dass man auch im gedeckten Hosenrock abrocken kann wie Sau (Jakutien). Russland, wenn ihr schlau seid, schickt ihr das zum ESC!
Ertan & İsrafil, vom Alter und vom musikalischen Level her so grob die männliche Entsprechung zum berüchtigten deutschen Eurovisions-Mutter-und-Tochter-Duo Maxi & Chris Garden, begannen ihre Karriere nach eigener Darstellung einst als Straßenmusikanten auf Touristenfähren in Istanbul. Und auch, wenn sie sich für ihren Türkvizyons-Auftritt in schicke schwarze Anzüge schmissen und Israfil die Glatze auf Hochglanz polierte: ihre gefällige Tavernenmusik und ihr halbherzig-hilfloses Stehschunkeln wiesen sie als bestenfalls Semiprofessionelle aus. Das ausgerechnet das ausrichtende Land nichts Besseres finden konnte oder wollte, erstaunte doch ein wenig. Wie bei jedem Wettbewerb mit Jurybeteiligung nachgerade unvermeidlich, gab es natürlich auch bei der Türkvizyon eine Wertungspanne. Nach den Contestregeln sollte pro Teilnehmerland jeweils ein:e Juror:in – oftmals ein:e ehemalige Türkvizyons-Teilnehmer:in – an jede andere Nation nach persönlichem Belieben jeweils mindestens einen bis maximal zehn Punkte verteilen. Was zur Folge hatte, dass Einige die Höchstwertungen nur so mit der Gießkanne verteilten, während Andere – immerhin noch im Einklang mit den Statuten – mit den Punkten knauserten und kaum über die 4 hinaus gingen.
https://youtu.be/3fRpU09pIvU
In den kuschligen Bart möchte ich gerne einziehen und darin überwintern: Ertan & Israfil (TR).
Der serbische Juror allerdings wertete fälschlich nach den Eurovisionsregeln und vergab zehn Punkte an – na, raten Sie mal? Richtig: – Bosnien-Herzegowina, neun an Nordmazedonien, acht an die Türkei, sieben an Albanien, sechs an Aserbaidschan, immerhin fünf an Deutschland, und so weiter bis zu einem Punkt an Belarus. Die restlichen fünfzehn Nationen gingen bei ihm vorschriftswidrig komplett leer aus. Was am berechtigen Sieg der Ukraine (die von ihm vier Punkte erhielt) nichts ändert, bei den unteren Rängen jedoch durchaus einen Unterschied hätte machen können, denn aufgrund des Wertungsverfahren lagen hier die Teilnehmer:innen oft dicht an dicht oder belegten punktgleich unterschiedliche Ränge. Ob dieser Faux-pas für die stundenlange Verzögerung bei der Ergebnispräsentation sorgte und warum man ihn dennoch nicht korrigierte, ist nicht bekannt.
Auf zuschauer*innenfreundliche dreieinhalb Stunden gekürzt: die komplette Türkvizyon 2020.
Türkvizyon 2020
4. Song Contest des türkischen Kulturraumes. Sonntag, 20.12.2020, ab 14:00 Uhr MEZ aus Istanbul, Türkei. 26 Teilnehmer:innen. Moderation: Esra Balamir und Refik Sarıöz.# | Land / Republik | Teil von | Interpret:in | Songtitel | Jury | Platz |
---|---|---|---|---|---|---|
01 | Albanien | AL | Ilire Ismajli | Përsëri | 171 | 19 |
02 | Stawropol (Nogaier) | RU | Janna Musaeva | Munayma | 159 | 24 |
03 | Baschkortostan | RU | Ziliya Bahtieva | Halkyma | 174 | 17 |
04 | Bosnien | BA | Armin Muzaferiya | Džehva | 194 | 03 |
05 | Nordzypern | CY | Çağıl İşgüzar | Acitir hep Hayallerim | 171 | 21 |
06 | Nordmazedonien | MK | Cengiz Sipahi | Kal Yanimda | 171 | 20 |
07 | Tuwa | RS | Oorzhak Omak Çopanoviç | Bayla la Talgam | 176 | 15 |
08 | Aserbaidschan | AZ | Aydan Ilxaszade | Can Can Qardaş Can | 193 | 05 |
09 | Polen | PL | Mishelle | Doğma Yerlər | 172 | 18 |
10 | Tatarstan | RU | Diliya Ahmetşına | Ğafu it, awılım | 191 | 06 |
11 | Deutschland | DE | Seyran Ismayilkhanov | Odun | 190 | 08 |
12 | Irak | IQ | Sarmad Mahmood | Kelebek | 150 | 26 |
13 | Gagausien | MD | Yulia Arnaut | Kemençä | 185 | 10 |
14 | Chakassien | RU | Darya Taçeeva | Ot-çalında | 181 | 11 |
15 | Ukraine | UA | Natalya Papazoğlu | Tikenli yol | 226 | 01 |
16 | Sandžak | RS | Haris Skarep | Doživotno osuđen | 178 | 13 |
17 | Kirgisistan | KG | Ayganysh Abdieva | Jüpiter | 176 | 16 |
18 | Belarus | BY | Svetlana Agarval | Məni anla | 166 | 23 |
19 | Russland | RU | Olga Shimanskaya | Hadi gel | 186 | 09 |
20 | Rumänien | RO | Sunai Giolakai | Niye? | 167 | 22 |
21 | Kasachstan | KZ | Almaz Kopzhasar | Kim ol | 159 | 25 |
22 | Moldawien | MD | Pelageya Stefoglu | Ateş gibi | 191 | 07 |
23 | Sascha (Jakutien) | RU | Umsuura | Mokhsoğollor | 204 | 02 |
24 | Tjumen | RU | Adilya Tuşakova | Havalarda | 193 | 04 |
25 | Türkei | TR | Ertan & İsrafil | Ne Yaptıysam Olmadı | 179 | 12 |
26 | Uiguren | KZ | Sada Ensembel | Sevgiyi besle | 178 | 14 |
Habe zwar nur die zehn Schnelldurchläufe und die etwas chaotische Stimmvergabe geschaut, wurde aber während diesen knapp zwei Stunden sehr gut unterhalten. Vielen Dank für Ihre Berichterstattung zur Türkvizyon in diesem Jahr. Ohne die Appetizer in Form Ihrer Blogeinträge im Voraus des Wettbewerbs hätte ich mir das wahrscheinlich gar nicht angeschaut.
Mich hat es ja fast vor Lachen aus dem Hocker geschmissen, als nach dem (ich meine) sechsten Schnelldurchlauf kurz zu den Moderatoren geschaltet wurde, nur, um dann nochmal vier Schnelldurchläufe zu bringen. Im Nachhinein hat mich aber der Tuwiner am meisten zum Lachen gebracht. Was für eine seltsam unterhaltsame Mischung an Lied. Und dann noch das Outfit! Fantastisch! Über die vorderen Plätze lässt sich recht wenig einwenden. Wenn Jakutien gestern gewonnen hätte, wäre ich sogar sehr zufrieden gewesen. Hat mich vom Stil her am meisten angesprochen! Um mit dem Abschneiden von Deutschland abzuschließen: Das hat der Seyran gut gemacht! Verdienter 8ter Platz an der Stelle!