Per­len der Vor­ent­schei­dun­gen: I love my Bear

Neben dem Vor­ent­scheid in Frank­reich fan­den am gest­ri­gen Super­sams­tag wei­te­re Vor­run­den in Nor­we­gen und Litau­en statt, die aller­dings von wenig Belang für das euro­vi­sio­nä­re Gesche­hen sein dürf­ten, geht es in bei­den Län­dern doch letzt­lich nur noch dar­um, wer im jewei­li­gen Vor­ent­schei­dungs­fi­na­le gegen die bereits fix gesetz­ten Top-Favo­ri­ten Kei­i­no bzw. The Roop ver­lie­ren darf. Unge­ach­tet des offen­sicht­li­chen Aus­gangs tra­ten in der drit­ten Vor­run­de des Melo­di Grand Prix (MGP) auch ges­tern wie­der vier Acts gegen­ein­an­der an, von denen ledig­lich einer pro for­ma wei­ter­kam. Auf der Stre­cke blie­ben dabei zwei aus unter­schied­li­chen Grün­den span­nen­de Bei­trä­ge, die zwar bei­de nicht unbe­dingt musi­ka­li­sche Feu­er­wer­ke ent­zün­de­ten, aber den­noch unbe­dingt Erwäh­nung fin­den müs­sen. Bei dem ers­ten han­delt es sich um den mar­tia­lisch-fie­del­rei­chen See­fah­rer-Shan­ty ‘Vi er Nor­ge’ (‘Wir sind Nor­we­gen’) von Ole Hartz, einem der in die­sem Jahr immer zahl­rei­cher auf­tau­chen­den poli­tisch frag­wür­di­gen Titel. Die­ser zele­briert im Text das Hohe­lied auf alte Wikin­ger­tra­di­tio­nen wie dem Brand­schat­zen (“Der Schnaps, den er hat, ist eine Tro­phäe für das Ver­bren­nen”) und auf das Land­le­ben und lässt zunächst Raum für Inter­pre­ta­ti­on, ob es sich hier um einen augen­zwin­kernd-harm­lo­sen Schla­ger­spaß à la ‘Wol­ves of the Sea’ han­delt oder nicht doch eher um die neue Hym­ne der nor­we­gi­schen Rechtsradikalen.

Ruft Ole hier heim­lich die skan­di­na­vi­schen Proud Boys zum bewaff­ne­ten Sturm aufs Oslo­er Storting?

Doch dann ver­neh­me ich sol­che Text­zei­len wie “Wir haben Öl, blu­ten für Flag­ge und Vater­land”, “Wir tun es für unser Land, heu­te ist Göt­ter­däm­me­rung”, lese im esc­bubble-Inter­view vom Stolz des Sän­gers dar­auf, dass man in der Pro­vinz, wo er her­kommt, im Gegen­satz zur Stadt noch immer die Tra­di­tio­nen ach­te, sehe sei­nen Auf­tritt in einem Out­fit, das mit sei­nen gol­de­nen Hosen­trä­gern zwar einer­seits eine vage Reve­renz an die nor­we­gi­sche Nul­points-Legen­de Jahn Tei­gen dar­stel­len könn­te, in sei­ner Gesamt­heit aber doch eher an Bur­schen­schafts-Schick erin­nert, und kom­me immer mehr zu der Kon­klu­si­on, dass das so unschul­dig drein­bli­cken­de Büb­chen hier sein Scherf­lein bei­tra­gen möch­te zur rechts­extre­men Kon­ter­re­vo­lu­ti­on. Inso­fern bin ich ganz froh, dass der ver­gif­te­te Kelch an uns vor­über­ging. Aus­ge­spro­chen scha­de ist es hin­ge­gen um Big Dad­dy Kars­ten und ‘Smi­le’. Nicht nur wegen des fan­tas­ti­schen Künst­ler­na­mens des als Kars­ten Mar­cus­sen gebo­re­nen, offen schwu­len, bäri­gen Rap­pers (!). Son­dern auch wegen allem, wofür er und sein Song ste­hen. Näm­lich unter ande­rem für ein posi­ti­ves Ver­hält­nis zum eige­nen Kör­per und für sexu­el­le Offen­heit. Matt Bak­er von ESC insight führ­te mit Big Dad­dy ein aus­ge­spro­chen lesens­wer­tes und nahe­ge­hen­des Inter­view über des­sen Lebens­lauf als gehän­sel­tes dickes Kind in der Schu­le (oh, wie bekannt mir das vor­kommt!), sei­nen lan­gen und schwie­ri­gen Coming-Out-Pro­zess, die zwie­späl­ti­ge Feti­schi­sie­rung sei­nes Bauch­specks und sei­ne schon von frü­hes­ter Jugend bestehen­de Vor­lie­be für Hip-Hop.

Ein täto­wier­ter, rap­pen­der schwu­ler Bär im pink­far­be­nen Onsie? Ich bin Fan!

Doch bereits ges­tern Abend, als ich noch nichts von Kars­tens Geschich­te wuss­te und noch kei­nen ein­zi­gen Ton sei­nes pop­pi­gen Sprech­ge­sangs-Schla­gers gehört hat­te, ver­lieb­te ich mich wäh­rend bereits wäh­rend des Ein­spie­lers Hals über Kopf in Big Dad­dy. Selbst wenn man auf sei­nen Text nicht ach­te­te, ließ der Auf­tritt im Ein­horn-Ein­tei­ler, mit vir­tu­el­lem Regen­bo­gen und vier pumpstra­gen­den Tän­zern nicht den Jota eines Zwei­fels an der sexu­el­len Ori­en­tie­rung des Inter­pre­ten auf­kom­men. Kars­tens Lyrics noch viel weni­ger: denn auch wenn sich sei­ne Auf­for­de­rung zum Lächeln an den Einen rich­tet, mit dem er sein Leben zusam­men auf­bau­en möch­te und für den er “eine Kugel fan­gen” wür­de, so fei­ert er zugleich die unter schwu­len Män­nern deut­lich wei­ter als unter Hete­ros ver­brei­te­te offe­ne Bezie­hung, im Gegen­satz zur kirch­lich auf­ok­troy­ier­ten Mono­ga­mie das deut­lich rea­li­täts­taug­li­che­re Kon­zept. Bei genaue­rer Text­ex­ege­se mag Kars­ten gar bise­xu­ell sein, denn er rappt: “Don’t worry what I do when I’m with her / How I feel when I’m with you always means more / I pro­mi­se to only fall for a cou­ple / Who knows, we might end up as a throu­ple”. Was letz­te­re Opti­on angeht, möch­te ich zwar mit Danie­la Sim­mons ant­wor­ten: ‘Pas pour moi’, doch weni­ger attrak­tiv macht ihn das nicht. Und wie toll ist es bit­te, dass sol­che The­ma bei einem Grand-Prix-Vor­ent­scheid zur Spra­che kom­men? Allei­ne schon als Gegen­gift zum Blu­ti­ge-Fah­nen-Schwin­ger Ole Hartz!

Chop-Chop: Emmy hackt im Hexenwald.

Kars­ten unter­lag auf­grund der merk­wür­di­gen noto­ri­schen Rap-Aver­si­on der Grand-Prix-Fans im Ren­nen ums Final­ti­cket am Ende erwar­tungs­ge­mäß der Schü­le­rin Emmy Kris­ti­an­sen, die offen­sicht­lich zu vie­le Fan­ta­sy-Seri­en sah und sich nun hier als Jungs kil­len­de Hexe auf­spiel­te, wobei sie in etwa so bedroh­lich und düs­ter wirk­te wie Dorie, der unter Gedächt­nis­schwund lei­den­de Dok­tor­fisch aus dem Pix­ar-Film. Oder war hier gar eine gewis­se Bären­feind­lich­keit am Werk? Denn neben Big Dad­dy Kars­ten schräg­te es in die­ser Sai­son ja auch schon den dop­pel­deu­ti­gen Bei­trag ‘I love my Bear’ der litaui­schen Come­dy-Pop­per Two­so­me. Was uns ele­gant zum Halb­fi­na­le des dor­ti­gen Vor­ent­scheids Paban­dom iš nau­jom (PIN) über­lei­tet, wo sich die Anzahl der The-Roop-Konkurrent:innen ges­tern Abend von zehn auf fünf hal­bier­te. Auf dem letz­ten Platz lan­de­te dort Ais­tė Bro­ken­leg, die sich bereits letz­tes Jahr mit dem durch­ge­knall­ten Elek­tro­punkti­tel ‘Elec­tric Boy’ und einem QR-Code-Kleid in die Anna­len der Vor­ent­schei­dungs-Song­per­len ein­schrieb. Mit dem eher mini­ma­lis­ti­schen Elek­tro­jazz­stück ‘Home’, das mit bizar­ren Ton­col­la­gen, extrem spar­sa­men Syn­thie-Solos und stoi­schem Gesang auf­war­te­te, trat sie heu­er erneut den Beweis an, dass es sich bei dem bal­ti­schen Staat um eine ein­zi­ge, nicht über­dach­te Psych­ia­trie han­deln muss.

Ja, Ais­té trägt ihren BH über dem Man­tel. Macht man in Litau­en jetzt so.

Bleibt der mitt­ler­wei­le fünf­fa­che litaui­sche Vor­ent­schei­dungs­teil­neh­mer Gabrie­li­us Vage­lis, der schon in der Ver­gan­gen­heit haupt­säch­lich durch gewag­te modi­sche Expe­ri­men­te auf sich auf­merk­sam mach­te. So auch dies­mal: in sei­ner Vor­run­de ver­steck­te er sein Ant­litz unter einem tief ins Gesicht gezo­ge­nen, eher an einen Kaf­fee­kan­nen­wär­mer erin­nern­den Schlapp­hut mit einer gefak­ten Bur­ber­ry-Krem­pe. Den hat­te er ges­tern nicht auf, und prompt schien ihm auch jeg­li­che Ener­gie abhan­den gekom­men zu sein. Denn nicht nur, dass er die meis­te Zeit stock­steif hin­term Mikro­fon stand, anstatt anmu­tig die Hüf­ten zu schwin­gen wie beim letz­ten Mal. Zudem bekam er dies­mal die Zäh­ne kaum aus­ein­an­der und ver­nu­schel­te sei­nen Text noch stär­ker als sonst, so dass man vor den Bild­schir­men rät­sel­te, ob er nun doch vom Eng­li­schen in sein Hei­ma­t­idi­om zurück­ges­witcht ist. Nicht, dass es wirk­lich eine Rol­le gespielt hät­te: sein Bei­trag ‘My Guy’ zog so oder so die But­ter nicht vom Brot und flog nun im Semi zu Recht raus. Am kom­men­den Sams­tag geht jetzt der ein­deu­ti­ge Halb­fi­nal-Sie­ger Gebra­sy als ein­zi­ger mar­gi­nal ernst zu neh­men­der Kon­kur­rent ins Ren­nen gegen The Roop. Aller­dings müss­ten die Litauer:innen wirk­lich mit dem Klam­mer­beu­tel gepu­dert sein, sich ihre Chan­cen auf eine Top-Fünf-Plat­zie­rung in Rot­ter­dam mit der Wahl des win­seln­den Her­aus­for­de­rers zu ver­sau­en. Ande­rer­seits: zuzu­trau­en wäre es ihnen…

Hören Sie auf, mir ins Gesicht zu fil­men! Das ist eine Straf­tat!” Hut-Gabrie­li­us in der Vorrunde.

1 Comment

  • Der Haus­herr schrieb vor kur­zem zum Auf­tritt von The Roop: “Nicht Klei­der machen Leu­te, son­dern Leu­te machen Kleider”.
    Oder eben nicht, sie­he Gabrie­li­us und sein zu gro­ßes sand­far­be­nes Jackett. Das hat damals bei Gabrie­li­us Byr­ne funk­tio­niert, aber der hat­te auch kein Lam­pen­schirm­hüt­chen dazu auf (naja, auch musi­ka­lisch und cha­ris­ma­tisch lie­gen die bei­den doch Wel­ten auseinander).

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