No Name, new Game: Jen­drik Sig­wart ver­tritt Deutsch­land in Rotterdam

Nichts has­se ich per­sön­lich so sehr, als wenn ein Sen­der bei der Bekannt­ga­be sei­nes Bei­trags zum Euro­vi­si­on Song Con­test eine Sala­mi­tak­tik fährt und die Infor­ma­tio­nen nur scheib­chen­wei­se her­aus­gibt. Genau die­ser Her­an­ge­hens­wei­se bedient sich nun der NDR die­ses Jahr: nach­dem seit dem offi­zi­el­len Start der Vor­ent­schei­dungs­sai­son am 1. Sep­tem­ber 2020 aus Ham­burg kein Ster­bens­wört­chen zu hören war, annon­cier­te man heu­te Vor­mit­tag völ­lig über­ra­schend den Namen des deut­schen Grand-Prix-Reprä­sen­tan­ten für Rot­ter­dam, aller­dings noch nicht sei­nen Song, wie­wohl die­ser bereits fest­steht. Noch bis zum 25. Febru­ar 2021 müs­sen wir dar­auf war­ten, dann wird der Video­clip dazu direkt vor der Tages­schau im Ers­ten zu sehen sein. Wer ist nun also unser Ver­tre­ter? Jen­drik Sig­wart ist 26 Jah­re alt, lebt in Ham­burg, ist gelern­ter Musi­cal­dar­stel­ler und spiel­te schon die Haupt­rol­le in ‘Peter Pan’. Das euro­vi­sio­nä­re Trüf­fel­schwein Ben­ja­min Hertlein von ESC kom­pakt sag­te ihn bereits vor acht Wochen kor­rekt als deut­schen Kan­di­da­ten vor­aus, nach­dem Sig­wart in den sozia­len Medi­en fort­ge­setzt kur­ze Clips davon pos­te­te, wie er ein Musik­vi­deo zu sei­nem selbst­ge­schrie­be­nen, poten­zi­el­len Bei­trag dreh­te. Und genau die­ser Song ist es nun auch gewor­den, wie der NDR heu­te bestä­tig­te. Was es um so ärger­li­cher macht, dass man uns die­sen noch län­ger vorenthält.

Bereits 2016 ent­stand die­ser eben­falls selbst­ge­schrie­be­ne Song, bis dato der ein­zi­ge auf Jen­driks You­tube-Kanal. In eine ähn­li­che Rich­tung dürf­te aber auch sein ESC-Bei­trag gehen (Reper­toire­bei­spiel).

Zumal es sich beim Künst­ler mal wie­der um einen bis­lang unbe­schrie­be­nen No-Name han­delt. Der aber immer­hin im zeit­gleich mit der Akkla­ma­ti­on zum deut­schen Reprä­sen­tan­ten 2021 zur Ver­fü­gung gestell­ten Vor­stel­lungs­vi­deo und im Inter­view auf ESC Update sehr sym­pa­thisch, quir­lig und authen­tisch her­über­kommt. Er scheint für den Song Con­test zu bren­nen, was eine sehr gute Vor­aus­set­zung ist. Dass er ganz offen zur Fami­lie gehört, ist da nur die Kir­sche auf dem Sah­ne­häub­chen. Für ihn spricht vor allem, dass er es schaff­te, sich mit sei­nem eigen­kom­po­nier­ten Lied und dem selbst pro­du­zier­ten Musik­vi­deo in dem mehr­stu­fi­gen, inter­nen Aus­wahl­pro­zess des NDR durch­zu­set­zen, der ja eigent­lich auf das genaue Gegen­teil abzielt und auf dem Reiß­brett ent­stan­de­ne, main­stream­kom­pa­ti­ble Songs mit pas­sen­den Inter­pre­ten kom­bi­nie­ren will, um so eine gute Euro­vi­si­ons­plat­zie­rung auf mathe­ma­ti­schem Wege zu erzwin­gen. Wobei man ja zuletzt bei den Sis­ters gese­hen hat, wie gut das funk­tio­niert… Auch Sig­wart nahm pflicht­ge­mäß am Song­wri­ting-Camp des NDR teil, am Ende wähl­ten die bei­den betei­lig­ten Jurys aber sei­nen Ori­gi­nal­bei­trag aus. Bei dem es sich wohl um einen opti­mis­ti­schen, upt­em­po­rä­ren Song han­deln wird – also genau das, wonach man in die­sen düs­te­ren Zei­ten lechzt.

Die Möve ist Jen­driks “Spi­rit Ani­mal”. Sieht man auch an sei­ner Sturmfrisur.

Den kom­po­nier­te Jen­drik, wie alle sei­ne Songs, auf sei­nem Lieb­lings­in­stru­ment, der von ihm selbst in müh­sa­mer Hand­ar­beit mit 4000 Strass­stein­chen bekleb­ten Uku­le­le. Die pos­sier­li­che klei­ne Schwes­ter der Gitar­re ist in Deutsch­land zwar lei­der dadurch vor­be­las­tet, dass auch Ste­fan Raab sie sehr ger­ne ein­setz­te, des­sen ruhm­rei­che Ver­diens­te um den Euro­vi­si­on Song Con­test zwar unbe­strit­ten sind, der jedoch gleich­zei­tig mit sei­ner schier uner­träg­li­chen Ego­ma­nie und sei­nem furcht­ba­ren Hau-drauf-Humor bei mir stets all­er­gi­sche Reak­tio­nen aus­löst. Hof­fen wir also, dass es Jen­drik gelingt, die unschul­di­ge Süd­see-Klamp­fe von die­sen toxi­schen Ver­bin­dun­gen zu ent­kop­peln und sie mit sei­ner posi­ti­ven Ener­gie auf­zu­la­den. Schließ­lich setz­te er sich selbst in sei­ner Bache­lor­ar­beit an der Hoch­schu­le Osna­brück musik­wis­sen­schaft­lich mit dem Plin­ker-Plon­ker-Sai­ten­in­stru­ment aus­ein­an­der und fand dabei Fol­gen­des her­aus: “Es ist tat­säch­lich so, dass die Uku­le­le gute Lau­ne ver­brei­tet. Das ist wis­sen­schaft­lich bestä­tigt, aber sub­jek­tiv auch von mir”. Und das will ich ihm dann mal so glau­ben. Nun heißt es halt abzu­war­ten und zu hof­fen, dass der Song die vor­sich­ti­ge Vor­freu­de auch lohnt.

Aller­liebst: der sexy Ser­hat und der sweete Ste­fan Spie­gel illus­trie­ren beim stim­mungs­vol­len Date am Stand von Tel Aviv die Zau­ber­kraft der Ukulele.

6 Comments

  • Nun gut, ich wäre schon zufrie­den, wenn ein deut­scher Teil­neh­mer zumin­dest mal mehr als mir nur egal ist (und das waren sie seit 2013 fast durch­weg – ich man­chen Fäl­len sogar noch deut­lich dar­un­ter…) Könn­te die­ses Jahr klap­pen, mal sehen.

    Anschei­nend ist der jun­ge Mann auch nicht davon abhän­gig, Mate­ri­al von aus­län­di­schen “Super­kom­po­nis­ten” zu sin­gen, weil er eben sei­ne eige­ne Sachen macht.

    Ich hät­te auch glatt eine Wet­te ver­lo­ren – steif und fest war ich davon über­zeugt, daß es erneut jemand mit VoG-Ver­gan­gen­heit ist.

    Inso­fern bin ich äußerst entspannt.

  • Yess­ss! Mich freut das sehr! Ich hat­te ihn auch seit Wochen auf dem Zet­tel (eben seit­dem das in der ESC-Kom­pakt-Bla­se hoch­ge­kocht ist). Freut mich sehr! Er brennt für den ESC, er hat was eigen­stän­di­ges, er kann was, er sieht nett aus, das ver­heißt Gutes! Hof­fent­lich taugt der Song was!

    Zum The­ma Uku­le­le: Jetzt mal bit­te alle den por­tu­gie­si­schen Bei­trag von 1996 anschau­en. Das war doch gar nicht mal so rich­tig schlecht, oder?

  • Oh, das wird ja eine klei­ne deutsch-öster­rei­chi­sche Musi­cal-Dar­stel­ler Batt­le beim ESC!
    Kann Jen­drik auch einen Salto?
    Wenn nicht, dann stehts in Erman­ge­lung der Songs erst mal 1:0 für Ö 😀

  • Bin erst mal posi­tiv gestimmt. Offen­sicht­lich kann der Jun­ge was, hat Bock auf den ESC, sich mit einem eigen­kom­po­nier­ten Lied durch­ge­setzt – war­um soll man da vor­ab drauf­hau­en, obwohl man den Song noch gar nicht kennt?
    Sehe Chan­cen, dass das tat­säch­lich was Vor­zeig­ba­res, Fri­sches, wird.

  • Naja. Der Typ ist ja ganz wit­zig, aber musi­ka­lisch reißt mich das wirk­lich nicht vom Hocker. Zumin­dest muss man sich nicht schä­men, das ist ja schon mal was.

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