In seiner vierten Vorrunde lief das hier so oft und viel gescholtene Melodifestivalen am gestrigen Abend dann doch noch mal stellenweise zu altem Glanz auf. Gleich zwei Direkt Til Finalen-Acts präsentierte es uns, die einmal mehr demonstrierten, wie man musikalische Mittelmäßigkeit so überzeugend verpackt, dass uns nichts weiter übrigbleibt, als es zu lieben. Das gilt natürlich zum einen für das Pop-Gospel-Trio The Mamas, das bereits 2019 als Backgroundchor den ESC-Auftritt von John Lundvik in Tel Aviv mit ‘Too late for Love’ zu etwas Besonderem veredelte und 2020 mit ‘Move’ den schwedischen Vorentscheid gewann, dann aber aufgrund der Covid-bedingten Absage des Wettbewerbs nicht nach Rotterdam fahren durfte. Ihr diesjähriger Beitrag ‘In the Middle’ annoncierte seine totale musikalische Mediokrität zwar nun bereits im Titel. Gleichzeitig strahlten die zunächst in schwarzen Negligées angetretenen Damen, die sich beim Einsetzen des Refrains wie von Zauberhand in goldbehüllte Ferrero-Rocher-Kugeln verwandelten, eine dermaßen umwerfende Fabelhaftigkeit und Liebenswürdigkeit aus, dass die gesamte zuschauende Fan-Gemeinde sie kollektiv ins Herz schloss und als unsere gemeinschaftlichen, spirituellen Grand-Prix-Mamas adoptierte.
Sie könnten sogar das schreckliche ‘Lemon Tree’ singen und da wäre dennoch nichts als pure, aufrichtige Liebe für meine, unsere ESC-Mamas.
Empfindungen ganz anderer Art löste hingegen ein weiterer alter Bekannter aus, nämlich Eric Saade. Der Düsseldorfer Glasbruchbeauftragte und Bromance-Partner / Schwanzvergleichs-Sieger des ebenfalls in diesem Jahr wieder (aussichtslos) gegen ihn konkurrierenden Danny Saucedo servierte uns mit ‘Every Minute’ einen songgewordenen Samenstau. Nicht nur, dass er immer und immer wieder auffällig betonte, “es” sowohl am Morgen als auch am Abend oder gar am Wochenende zu “lieben”: mithilfe verführerischer Blicke in die Kamera und gelegentlichen Selbstbegrabbelns im Zuge seiner wirklich innovativen und herausragenden Tanzchoreografie ließ er zudem nicht den geringsten Zweifel daran, was er mit “es” genau meinte und gleichzeitig wohl kaum jemanden im Publikum zurück, der “es” in diesem Moment nicht gerne bereitwillig mit ihm getan hätte, unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung. Ganz nebenbei stellte er noch unter Beweis, dass selbst ein Rippenstrick-Pullunder ein sexy Kleidungsstück sein kann, wenn es von dem richtigen Typen mit dem richtigen Swag getragen wird.
Erwachsen, erfahren und so was von bereit: unser Dream-Daddy Eric Saade.
In die Andra Chansen verschlug es einen jungen Sänger namens Efraim Leo, dessen ‘Best of me’ zweifellos sein juvenil-zarter Oberlippenflaum war, und eine extrem unsympathisch wirkende, singende Bergziege namens Clara Klingenström mit einer furchtbar nöligen Ballade. Das Gute: sie muss dort gegen die beiden fabelhaften, steinalten Schlagerschlachtrösser Eva Rydberg und Ewa Roos antreten und hat somit nicht den Hauch einer Chance. Unendlich schade hingegen ist es um die skandalöserweise ausgeschiedene ehemalige Alcazarette Tess Merkel, die mit ‘Good Life’ eine nostalgisch verklärte Erinnerung an die gute alte Zeit der frühen Nuller Jahre ablieferte, als eben dieses Neo-Disco-Quartett beim Melodifestivalen nostalgisch verklärte Erinnerungen an die gute alte Zeit der campen Pop-Revolution ablieferte (und damit ebenso skandalöserweise auch nie gewann). Zudem ihr Vorstellungsvideo – neben einer wirklich grandiosen Slapstick-Einlage als Interval-Act – für den zweitlustigsten Moment des Abends sorgte: ich sehe den Namen Tess Merkel, denke unwillkürlich “ach guck, wie unsere Kanzlerin” und höre just in diesem Moment die Interviewerin fragen “verwandt mit Angela Merkel”?
Vom Gesicht bis zum Knöchel in hauteng anliegendes Latex eingegossen, mit schweißableitenden Lüftungsschlitzen am Oberarm: Tess und die Merkelettes.
Auch in Portugal gedachte man beim fanfreundlich zwar am gleichen Abend, doch zu kreuzungsfrei späterer Stunde stattfindenden Festival da Canção der unsterblichen Ära der Discokugeln und Discogeigen. Dort allerdings schaffte es Da Chick mit ‘I got Music’ selbst dieser eigentlich als unkaputtbar upliftend geltenden Spielart des Pop mit der landestypisch mehltauhaften Grundtristesse komplett das Leben auszusaugen. Muss man auch erst mal hinbekommen! Sie schied im zweiten Semifinale ebenso aus wie die optisch als eine Art Wiedergeburt der italienischen Pop-Diva Alice daherkommende Graciela. Die servierte mit ‘A Vida sem acontecer’ (‘Leben, ohne zu geschehen’) eine erfrischend elektrobeatlastige New-Wave-Pastiche und sah in ihrem Punk-Chic-Outfit hinreißend aus. Insgesamt präsentierte sich der gesamte Abend als ziemlich hochklassige Chill-Out-Zone mit lauter Songs, die nicht unbedingt geeignet sind, bei einem internationalen Pop-Wettbewerb herauszustechen, die man aber gerne auflegt, um nach einer heftig durchfeierten Nacht (erinnert Ihr Euch noch an das Gefühl?) wieder sanft herunterzukommen. Schön!
Die Playlist mit allen zehn Titeln des FdC-Semis. Anspieltipps: Eu.Clides (Nr. 4), der modische Maßstäbe setzende Pedro Gonçalves (Nr. 6) und Graciela (Nr. 9).
Ich bleib dabei – auch wenns nie passieren wird: Eva & Ewa sollen das melodifestivalen dieses Jahr gewinnen.
Ich finde es schade um Clara Klingenström. Das Lied würde auch etwas frischen Wind ins Mello-Finale bringen, aber gegen die beiden Damen hat sie so gut wie keine Chance.
Beim Mello wird es aber eh letztlich auf fünf Namen hinauslaufen. Danny Saucedo, Dotter, Tusse, The Mamas oder Eric Saade. Könnte mit allen fünfen gut leben, mit Danny oder Dotter so gar sehr gut! Eric Saade hat nen guten Beitrag, aber unter seinen vier Mello-Beiträgen ist es der schlechteste.
singende bergziege??? frechheit. Ich find die melodie wunderschön, beim rest hat die noch aufholbedarf
Die Portugiesen schaffen es nach Salvador schon wieder, mich zum heulen zu bringen:
Diesmal mit dem Interval Act, gesungen von Agir und dem Lied “E Depois do Adeus” von Paulo de Carvalho.
Man sieht in den Einblendungen auch, wie bewegend es auch für den zuhörenden Paulo ist.
Ich weiss nicht, ob es für Paulo an der Geschichte, den dieser ESC Song beim Start der Nelkenrevolution gespielt hat lag, oder mehr persönliche Gründe hatte. Es war jedenfalls zum zusehen ganz großes Kino.
Ich persönlich fand Clara Klingenström sehr gut, für mich bester Song des Abends. Allerdings lieferte tatsächlich Eric Saade den besten Auftritt ab. Ich mag seine Stimme zwar mal so gar nicht, aber meinetwegen kann er gewinnen. Der Song von Frau Merkel war der beste englischsprachige Song des Abends, der aber höchstselbst von ihr zerstört wurde. Die Mamas haben endlich mal gut gesungen, das Lied ist aber langweilig.
Portugal: DaChick war ja katastrophal schlecht. Was finden die alle nur an diesen Lngweilschlager von NEEV und Pedro. Immerhin ist mit Carolina Deslandes eine meiner Favoritinnen weiter gekommen. Tolles Lied, zart und zerbrechlich, verträumt und traurig.
“Das Gute: sie muss dort gegen die beiden fabelhaften, steinalten Schlagerschlachtrösser Eva Rydberg und Ewa Roos antreten und hat somit nicht den Hauch einer Chance.”
Ich würde sagen: Ganz knapp daneben gelegen! Auch wenn ich es ja nicht besser wusste. Immerhin habe ich mir das Gegenteil gewünscht!
Auch wenn es fast niemand hören will: Vielen Dank, liebe Schweden, dass ihr euch mal nicht für den Troll-Beitrag entschieden habt, sondern für ein wundervolles, melodisches Stück Musik! Zusammen mit der Entscheidung in Dänemark zumindest eine fantastische Wahl in der AC! Egal, ob Frau Klingenström jetzt Letzte im Finale wird. Ich bin einfach überglücklich!