Noch nachzuliefern gilt es das Ergebnis des dänischen Grand-Prix-Vorentscheids DMGP vom vergangenen Supersamstag. Dort kam es im Vorfeld zu unschönen öffentlichen Auseinandersetzungen um die erneute Teilnahme der Vorjahressieger:innen Ben & Tan. Die verzichteten nach der Entscheidung des Senders Dansk Radio, die Beiden nicht direkt zu nominieren, sondern in diesem Jahr wieder einen offenen Melodi Grand Prix abzuhalten, zunächst von sich aus auf eine erneute Teilnahme, revidierten diese Entscheidung jedoch später, als sie mit ihrer Nachfolgesingle beim schwedischen Melodifestivalen abgeblitzt waren. Nun wollte sie jedoch auch ihr Heimatsender nicht mehr, und führt man sich das Ergebnis des Eesti Laul 2021 vor Augen, wo der erneut zugelassene Vorjahressieger Uku Suviste mit einem schleimigen Schlichtschlager im Publikumsentscheid offensichtlich aus Mitleid haushoch gewann, dann traf man in Kopenhagen die richtige Entscheidung.
Für Hartgesottene: die Playlist mit allen acht Beiträgen des Dansk Melodi Grand Prix 2021.
Von den üblichen zehn auf diesmal nur acht Startplätze hatte man das Teilnehmerfeld eigens verkleinert. Was zum einen den Vorteil bot, dass die Präsentation aller Wettbewerbstitel am vergangenen Supersamstag perfekt in die knappe Stunde zwischen dem Ende des ersten Teils der Eesti Laul und dem Start des italienischen San-Remo-Festivals passte, und zum anderen die Gesamtgenießbarkeit des traditionell zum unerträglich Seichten neigenden musikalischen Feldes moderat erhöhte. Zu denen, die das DMGP gelinde auffrischten, gehörten die Fan-Favoriten Chris und Alec Andreev alias The Cosmic Twins, gewissermaßen die dänische Variante von Jedward. Ihren sicherlich nicht weltbewegenden und mit einer schlimmen Saxofoneinlage verunreinigten, aber zumindest über einen Puls verfügenden Bubblegum-Pop-Song ‘Silver Bullet’ setzten die beiden in futtige Glitzerjäckchen gewandeten eineiigen Zwillinge dank stimmlicher Unpässlichkeit live jedoch komplett in den Sand und schieden damit überraschend bereits in der ersten Runde aus.
Frisiert und kostümiert wie zwei Vorstadt-Sekretärinnen beim samstäglichen Ausgang: die kosmischen Zwillinge.
Nicht weiter ging es (Gott sei Dank) auch für Nanna Olivia, die zum Trost zumindest den Preis für die originalgetreueste Barbara-Dex-Imitation in den Kategorien Frisur und Gesichtsausdruck mit nach Hause nehmen konnte, oder für Michael Tramp (bürgerlich: Michael Trampenau), der eine interessante musikalische Vita vorweisen kann: er war 1978 Teil der Band Mabel (‘Boom Boom’), mit welcher Dänemark seinerzeit nach elf Jahren Grand-Prix-Pause mit einem peinlichen Paukenschlag wieder zum ESC zurückkehrte. In den Achtzigern ging er in die USA und gründete dort die 1991 wieder aufgelöste Hardrockband White Lion. Wie Achtzigerjahre-Softrock auf Valium klang denn auch sein Beitrag ‘Everything is alright’. In die gegensätzliche Richtung wirkende chemische Substanzen hatte sich offensichtlich der Musikproduzent Lars Pedersen alias Chief 1 eingeklinkt. Jedenfalls legte sein extrem überperformativer Auftritt mit dem selbstgeschriebenen Schlagerwellen-Formatradiosong ‘Højt over Skyerne’ (‘Hoch über den Wolken’) diesen Verdacht nahe. Es schadete ihm jedoch nicht: gemeinsam mit seinem Kompagnon Thomas Buttenschøn zog er ins Superfinale ein.
Es fehlte eigentlich nur noch das Regencape in Hornhautumbra: Nanna Dex.
Dort musste er jedoch dem erst im Vorjahr gegründeten dänischen Modern-Talking-Gedächtnisduo Fyr & Flamme den Vortritt lassen. Wobei der Vergleich ein bisschen hinkt: eher wie schwule Parodie auf das deutsche Achtzigerjahre-Trashpop-Duo wirkte es, was Laurits Emanuel und insbesondere Jesper Groth, der dem altbekannten Klischee des gebrochenen Handgelenks mit seinen Tanzkünsten nun das des gebrochenen Fußgelenks hinzufügte, hier ablieferten. Süß auch die irgendwo zwischen Miami Vice und “Langzeitarbeitsloser im Ballonseide-Trainingsanzug beim Gang zur Trinkhalle” oszillierende, pastellfarblich aufeinander abgestimmte Bühnengarderobe. Ihr auf Dänisch vorgetragener, nostalgischer Popschlager ‘Øve os på hinanden’ (sinngemäß: ‘Aneinander üben’ – ein Lied über mutuelle Masturbation?) eignet sich jedenfalls für die Skandinavienrunde im Euroclub genau so gut wie für die Sitztanzgruppe im schwulen Pflegeheim und ist – mit Ausnahme des Musical-Kriegers Rasmussen im Jahre 2018 – der erste dänische Eurovisionsbeitrag seit 2008, der in mir keine blanke Aversion auslöst. Und das ist doch schon mal was!
Das mit dem klassischen Hartz-IV-Feinripp-Unterhemd würde ich jetzt an Thomas Anders Stelle noch mal überdenken: Fyr & Flamme.
Vorentscheid DK 2021
Dansk Melodi Grand Prix. Samstag, 6. März 2020, aus dem DR-Studio, Kopenhagen. 8 Teilnehmer:innen. Moderation: Tina Müller und Martin Brygmann.# | Interpreten | Songtitel | Televoting | Platz |
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01 | Chief 1 + Thomas Buttenschøn | Højt over skyerne | 29% | 03 |
02 | Nanna Olivia | Hvileløse hjerter | n.b. | n.b. |
03 | The Cosmic Twins | Silver Bullet | n.b. | n.b. |
04 | Claudia Campagnol | Abracadabra | n.b. | n.b. |
05 | Mike Tramp | Everything is alright | n.b. | n.b. |
06 | Fyr & Flamme | Øve os på hinanden | 37% | 01 |
07 | Emma Nicoline | Står lige her | n.b. | n.b. |
08 | Jean Michel | Beautiful | 34% | 02 |
Ach, das haben die Dänen aber schön gemacht! Nicht nur, dass der Beitrag mir sehr gefällt, nein, er polarisiert auch! Und das ist ein gutes Zeichen! So chancenlos wie das manche Hörer sehen sehe ich zumindest nicht. Schade, dass wir in Rotterdam wahrscheinlich keine bis wenige Zuschauer haben werden. Ich bin mir sehr sicher, dass die Leute in der Halle dazu wunderbar abgehen würden!
Als ich im Januar die Liste der Beiträge gesehen habe dachte ich noch „Yeah, sogar vier von acht Beiträgen in Landessprache“. Dann habe ich sie hören müssen. Ich fand keinen Beitrag gut und die in Landessprache besonders unbrauchbar. Vom Song her fand ich lediglich die kosmischen Zwillinge einigermaßen OK. Nun freue ich mich über den ersten rein dänischsprachigen Beitrag seit 1997 (Kølig Kaij war allerdings auch gar nicht mein Fall, im Gegensatz zum vom Seiteninhaber so gescholtenen 1978er Rückkehrerbeitrag von Mabel..den fand ich putzig..) und mag ihn eigentlich doch nicht, weil er dann doch zu sehr nach Mellofest-Resterampe klingt.
Lieber Oliver, das ist kein Feinripp-Unterhemd. Das ist ein 80er Jahre Netz-T-shirt. Wie ich bedaure, dass das aus der Mode gekommen ist! Unzählige verbotene Blicke meines Teenager-selbst auf darunter verborgene, aber leider unerreichbare Männlichkeit hat das damals auf sich gezogen. Hach – allein schon aufgrund dieses Nostalgie-flashs liebe ich diesen Beitrag.
Ha, endlich Olivers Bericht über Dänemark 😉 Ich habe die Show leider verpasst und kenne daher nur die Youtube-Mitschnitte. Aber ich finde drei Dinge erwähnenswert: Trotz Pandemie und ohne Publikum (woher kam eigentlich der Applaus?) hat DR meiner Meinung nach eine tolle Show hingelegt. Die Dänen sind eben ESC-begeistert. Etwas, was hierzulande der NDR ja nicht mal mehr versucht, hinzubekommen. Wir bekommen nur so eine Hinterzimmer-Entscheidung vorgesetzt (ohne das Lied an sich bewerten zu wollen…).
Und zwei weitere Dinge haben mich begeistert: Die Liveband! Die Beiträge klingen damit viel viel runder, und ja, es geht technisch doch! Schade: der Titel, der mir gut gefiel*, ist als Studioversion nicht so gut. Und: vier Beiträge auf Dänisch, und der Siegertitel auch. Als Fan landessprachlicher Beiträge drücke ich denen natürlich die Daumen, auch wenn die Nummer doch eine Spur zu tuckig ist. Ja, mir ist klar, dass das Absicht ist.
* damit meine ich Nanna Olivia. Ja, Oliver hat recht, outfittechnisch Luft nach oben *hüstel*, aber der Song gefällt mir sehr gut!
80er-Gedächtnis-Song mit Double-Clap! Damit kriegt man mich immer.
Hach, als Lieder wie der Siegertitel den Grand Prix inflationär überschwemmten, war ich noch besser in Form als heute. Ich war knackiger, nichts am Körper zwickte oder zwackte. Ich freu mich.…
.…über die Gedanken an eine ganz persönliche Zeit, nicht über den Mist, den die Dänen heuer zum Wettbewerb schicken. Der war auch schon vor +/- 35 Jahren unterste Schublade, eine Beleidigung für diesen Musikstil, einfach nur mies gemacht.
So schlecht, dass es schon wieder gut ist…
Und ist der Gitarrist Jendrik Sigwart mit zurückgebürsteten Haaren?