Mit einem Dissens zwischen Jury und Zuschauer:innen endete gestern Nacht mal wieder das traditionsreiche portugiesische Festival da Canção. Während die Televoter:innen mit Neevs ‘Dancing in the Stars’ eine so augenfällige wie musikalisch schwächliche Eins-zu-Eins-Kopie von Duncan Laurences Klavierballade ‘Arcade’ nach Rotterdam entsenden wollten, wohl in der stillen Hoffnung, Europa glauben machen zu können, 2021 sei noch 2019 und es werde schon niemandem auffallen, optierten die regionalen Jurys für die Castingshowteilnehmerin Carolina Deslandes und ihre so todtraurige wie triste Ballade einer vor dem (imaginären) Altar stehengelassenen Frau, ‘Por um Triz’ (‘Beinahe’). Die in schwarzweiß gefilmte und passend zum Thema ihres Liedes in einer frappierenden Kombination aus Hochzeitskleid und darüber gezogenem Schlabberpulli aufgemachte Sängerin greinte sich darin der Depression entgegen, sowie in der Kombination beider Abstimmungsergebnisse einem geteilten Spitzenplatz.
Gleich zweimal zurückgewiesen: Carolina.
Das nutzte ihr aber nichts, denn punktgleich mit ihr schloss das Trio The Black Mamba ab. Das konnte jedoch die im Fall eines Gleichstandes entscheidende höhere Zuschauer:innenwertung vorweisen, denn die nach einer Schlange benannte und seit zehn Jahren bestehende Band schloss als Zweite sowohl bei den Jurys als auch im Televoting ab, während es dort für die verlassene Braut nur für den dritten Rang reichte. Im Ergebnis entsendet das Land der Lusitaner nun also einen Act, der weder als Favorit des Volkes noch der organisierten Geschmacksbevormunder:innen anreist. Noch schockierender: erstmalig in der Geschichte der portugiesischen Grand-Prix-Teilnahme schickt es einen auf englisch gesungenen Titel! Was natürlich nicht bedeutet, dass ‘Love is on my Side’ in irgendeiner Weise zeitgemäß klänge: musikalisch mutet die E‑Gitarren-lastige Softrocknummer wie ein Albumfülltitel irgendeiner Achtzigerjahre-Haarrockband an, optisch wirkt der ziegentimbrige Leadsänger des Trios wie gerade eben aus einem Gangsterstreifen über die amerikanische Prohibitionszeit entstiegen.
Gamaschen-Joe und die Band: The Black Mamba.
In Sachen inhaltlicher Schwermut stehen sich beide Lieder im Übrigen in nichts nach: die Schwarze Mamba offeriert die vernichtend hoffnungslose Lebensbilanz einer vor der Familie weggelaufenen und in der Prostitution gelandeten Frau, was es ein wenig paternalistisch, wenn nicht gar patriarchalisch erscheinen lässt, dass ein Mann diesen Text singt. Nun gehört die Schwermut ja zu Portugal wie das Eigelb in die Pastéis de Nata. Ob aber in einem Katastrophenjahr wie diesem, wo ohnehin schon ein:e Jede:r an der Realität leidet, solche Suizidalmusik das richtige Rezept für den Erfolg in einem internationalen Wettbewerb darstellt, mag ich mal dahingestellt lassen. Davon mal ganz abgesehen: die wenigen nicht komplett deprimierenden Titel hatten die Portugies:innen in diesem Jahr ohnehin schon in dem beiden Semis aussortiert, von daher spielte es letztlich keine Rolle, für welche Schattierung von tiefschwarz sie sich gestern entschieden.
Die Playlist mit allen Finaltiteln und dem Rahmenprogramm. Vorher den Stimmungsaufheller nicht vergessen.
Vorentscheid PT 2021
Festival da Canção. Samstag, 6. März 2021, aus den RTP-Studios in Lissabon, Portugal. Zehn Teilnehmer:innen. Moderation: Filomena Cautela und Vasco Pamleirim.# | Interpreten | Songtitel | Televote | Jury | Platz |
---|---|---|---|---|---|
01 | Karetus + Romeu Bairos | Saudade | 06 | 29 | 06 |
02 | Joana Alegre | Jonana do Mar | 03 | 44 | 07 |
03 | Fábia Maia | Dia Lindo | 01 | 19 | 10 |
04 | Valéria | Na mais profunda Saudade | 07 | 28 | 05 |
05 | Carolina Deslandes | Por um Triz | 08 | 67 | 02 |
06 | Neev | Dancing in the Stars | 12 | 38 | 03 |
07 | Pedro Gonçalves | Não vou Ficar | 04 | 16 | 09 |
08 | Sara Afonso | Contramão | 05 | 55 | 04 |
09 | Eu.Clides | Volte-face | 02 | 47 | 08 |
10 | The Black Mamba | Love is on my Side | 10 | 63 | 01 |
Beim ersten Hören dachte ich noch: Einer der besseren So lala-Beiträge, wobei es natürlich trotzdem ein solcher bleibt.
Nach dem zweiten Hören bin ich froh, dies nicht kommuniziert zu haben, um mich jetzt nicht korrigieren zu müssen.…