Ers­tes Semi­fi­na­le 2021: Wir sind gekom­men, uns zu beschweren

Was hat mir das gefehlt!” war ges­tern Abend einer der meist­ge­le­se­nen Sät­ze auf Twit­ter unter dem Hash­tag #Euro­vi­si­on, neben “Toll, dass man Peter Urban wie­der auf­ge­taut hat”. Nach einem Jahr Zwangs­pau­se leg­te das aus­rich­ten­de nie­der­län­di­sche Fern­se­hen am Diens­tag mit dem ers­ten Semi­fi­na­le eine abso­lut glän­zen­de Show hin, die alles auf­bot, was wir am Euro­vi­si­on Song Con­test so lie­ben: eine fan­tas­ti­sche Büh­ne, tol­le Bild­ef­fek­te, super gestal­te­te Post­kar­ten, ein klei­nes biss­chen herz­er­wär­men­de Grand-Prix-Nost­al­gie mit ehe­ma­li­gen Gewinner:innen im Rah­men­pro­gramm, ein knall­bun­tes Star­ter­feld und sogar – wenn auch seu­chen­be­dingt deut­lich redu­ziert – ech­tes, live jubeln­des Publi­kum in der Rot­ter­da­mer Ahoy-Are­na. Wer sich noch an die schreck­li­chen Crin­ge-Momen­te beim deut­schen ESC-Ersatz-Fina­le in der Ham­bur­ger Elb­phil­har­mo­nie vor einem Jahr erin­nert, bei dem das hys­te­ri­sche Behelfs­ge­krei­sche von Bar­ba­ra Schö­ne­ber­ger das Ein­zi­ge war, das die auf­tre­ten­den Künstler:innen am Ende ihrer drei Minu­ten erwar­te­te, weiß die­se freu­den­ge­schwän­ger­te Atmo­sphä­re, wie sie nur eksta­ti­sche Euro­vi­si­ons­fans erzeu­gen kön­nen, beson­ders zu schät­zen. Und gleich­zei­tig fühl­te es sich auch ein wenig sur­re­al an, die­ses Busi­ness as usu­al, wäh­rend drau­ßen noch immer Coro­na wütet und beim vor­an­ge­gan­ge­nen Schau­lau­fen auf dem (dies­mal tür­ki­sen) Tep­pich am Sonn­tag eini­ge Natio­nen fehl­ten, weil es eben doch posi­ti­ve Test­ergeb­nis­se gab unter den Delegationen.

Zwei Stun­den per­len­g­lit­zer­fun­keln­de Pop-Unter­hal­tung vom Feins­ten: das ers­te ESC-Semi 2021 am Stück.

Glänz­ten die Nie­der­lan­de als Grand-Prix-Gast­ge­ber­na­ti­on in der Ver­gan­gen­heit meist mit einer aus­ge­spro­chen spar­sa­men Mode­ra­ti­on, so schlos­sen sie sich dies­mal den aktu­el­len Gepflo­gen­hei­ten an und fuh­ren gleich vier Hosts auf, dar­un­ter den auch auf deut­schen Schla­ger­büh­nen ger­ne und oft gese­he­nen Jan Smit (Klubb3). Gebraucht hät­te es das frei­lich nicht, wirk­lich im Gedächt­nis blie­ben allen­falls die zwei­fa­che hol­län­di­sche Grand-Prix-Teil­neh­me­rin Edsilia Rom­bley und die baum­lan­ge und bau­ar­bei­ter­brei­te You­tube-Schmink­tipp-Influen­ce­rin Nik­kie Tuto­ri­als (qua­si deren Bibi), die ein paar ganz wit­zi­ge Clips fürs Pau­sen­pro­gramm bei­steu­er­te und als offen trans­se­xu­el­le Pro­mi­nen­te mit zur erheb­li­chen LGBTQI*-Sichtbarkeit bei die­sem TV-Event bei­trug, neben dem letz­ten Sie­ger Dun­can Lau­rence und gleich einem gan­zen Block quee­rer Teilnehmer:innen auf den Start­plät­zen drei bis sie­ben. Von denen übri­gens gleich drei hän­gen blie­ben in die­sem Semi, was aber nichts mit Homo­pho­bie beim abstim­men­den Publi­kum oder den Juror:innen zu tun haben dürf­te, son­dern im Gro­ßen und Gan­zen schon in Ord­nung ging. Auch wenn es einem für die betrof­fe­nen Interpret:innen natür­lich stel­len­wei­se das Herz brach.

Every­thing is frus­t­ra­ting”: ahn­te Mon­tai­gne beim Schrei­ben des Lie­des schon, dass es nichts wird mit dem ESC-Fina­le? (AT)

So zum Bei­spiel für die Aus­tra­lie­rin Jes­si­ca Alys­sa Cer­ro ali­as Mon­tai­gne, eine der zahl­rei­chen Teilnehmer:innen die­ses Jahr­gangs, die bereits für 2020 gesetzt waren und nun einen zwei­ten Ver­such beka­men. Ihr mach­te Covid jedoch einen wei­te­ren Strich durch die Rech­nung: wegen der hohen Risi­ken (oder doch: der hohen Kos­ten?) eines Lang­stre­cken­flugs von Down Under nach Euro­pa ent­schied ihr Hei­mat­sen­der, sie nicht anrei­sen zu las­sen und statt­des­sen ein – auf­grund der Umstän­de dies­mal als Opti­on zuge­las­se­nes – Live­tape ein­zu­rei­chen. Das ver­sau­te ihre ohne­hin schon nicht beson­ders guten Chan­cen auf einen Final­ein­zug gänz­lich, der wer nur vir­tu­ell dabei ist, kann vor Ort kei­nen Buzz erzeu­gen. Da half es auch nichts, dass sie auf das furcht­erre­gen­de Clown-Out­fit vom Vor­ent­scheid 2020 ver­zich­te­te und als regen­bo­gen­bun­te Power­les­be per­form­te: ‘Tech­ni­co­lour’ wirk­te als Lied eher metal­lisch-laut als ohren­schmei­chelnd; vom Klang her, als sei es die mit einem über­steu­er­ten Casio auf­ge­nom­me­ne Demo­ver­si­on; und ihre Stim­me ein biss­chen schrill. Und so muss­te die zur Ergeb­nis­ver­kün­di­gung aus einem Stu­dio vom ande­ren Ende der Welt zuge­schal­te­te bise­xu­el­le Sän­ge­rin erkenn­bar frus­triert zuschau­en, wie man ohne sie eine Par­ty fei­er­te und ihr fie­ser­wei­se auch noch einen Zonk überreichte.

Benutz­te anschei­nend noch einen Falk-Plan: Les­ley Roy (IE).

Die mit einer US-Ame­ri­ka­ne­rin ver­hei­ra­te­te und lan­ge Zeit in den Staa­ten leben­de iri­sche Sin­ger-Song­wri­te­rin Les­ley Roy zog ver­gan­ge­nes Jahr zum Schrei­ben ihres aktu­el­len Euro­vi­si­ons­bei­trags ‘Maps’ sogar eigens in die Hei­mat zurück, wo sie es mit der Sin­gle immer­hin in die unte­ren Rän­ge der Charts schaff­te. Von dem wie schon ihr Vor­jah­res­song ‘Sto­ry of my Life’ arg an Katy Per­ry erin­nern­den Stück ver­such­te die Dele­ga­ti­on von der Grü­nen Insel mit Hil­fe einer sehr hübsch gemach­ten, papier­nen Büh­nen­de­ko­ra­ti­on mit Dau­men­ki­no und Sche­ren­schnitt-Kalei­do­sko­pen abzu­len­ken. Deren Auf­bau gestal­te­te sich aller­dings augen­schein­lich der­ar­tig kom­pli­ziert, dass das Büh­nen­team trotz eigens vor­her geschal­te­ter Wer­be­pau­se nicht recht­zei­tig fer­tig wur­de und die im Ven­lo­er Stadt­teil Tege­len gebo­re­ne, tele­ge­ne Mode­ra­to­rin Chan­tal Jan­zen in einem bizar­ren Heinz-Schenk-Moment eine gefühl­te Ewig­keit lang wir­res Zeug redend die Sen­de­zeit über­brü­cken muss­te, was die ein­zi­ge Pan­ne des Abends blei­ben soll­te. Ob die­se Ver­zö­ge­rung bei der sym­pa­thi­schen Sän­ge­rin die Ner­ven flat­tern lie­ßen? Jeden­falls klang die bar­fuß durch den Papier-Irr­gar­ten jog­gen­de Les­ley ziem­lich atem­los und stel­len­wei­se etwas harsch. Fai­rer­wei­se muss man sagen, dass die ins­ge­samt okaye Num­mer, die beim Hören per Play­list zwar kei­nen Skip-Impuls aus­löst, aber auch nicht zum Repeat ver­führt, ange­sichts der star­ken Kon­kur­renz in die­ser Run­de auch bei makel­lo­ser stimm­li­cher Leis­tung wohl den Final­ein­zug ver­passt hätte.

Die Euro­vi­si­on ist kein Dis­ney-Musi­cal: hier gewin­nen am Ende nicht die Guten (MK).

Zu den von Anfang an chan­cen­lo­sen Kom­bat­tan­ten zähl­te auch der Nord­ma­ze­do­ni­er Vasil Gar­v­an­liev. Mit sei­nem nach eige­ner Aus­sa­ge im Lich­te sei­ner tief­grei­fen­den emo­tio­na­len Ent­täu­schung über die Absa­ge des Con­tests im Vor­jahr selbst ver­fass­ten, extrem musi­cal­haf­ten Torch­song ‘Here I stand’ bewarb er sich erfolg­reich um die Kobi-Mari­mi-Gedächt­nis­me­dail­le für das in sei­ner geküns­tel­ten Affek­tiert­heit unfrei­wil­lig lus­tigs­te Bal­la­den­dra­ma der Sai­son. Immer­hin muss man ihm anrech­nen, dass er sich nicht, wie sein israe­li­sches Vor­bild, auch noch künst­li­che Trän­chen raus­quetsch­te. Den­noch spra­chen sei­ne über­le­bens­gro­ßen Posen und der von Dot­ter beim schwe­di­schen Vor­ent­scheid 2020 abge­schau­te insze­na­to­ri­sche Trick, einer Dis­co­ku­gel bei leben­di­gem Lei­be die Haut abzu­zie­hen und sich die­se auf die Brust zu kle­ben, um das Publi­kum zu blen­den, eher die zynischs­ten Instink­te beim Betrach­ter an. Was natür­lich beson­ders fies ist, weil Vasil es im Vor­feld schon schwer genug hat­te: das in der nord­ma­ze­do­ni­schen Staats­ga­le­rie gefilm­te Musik­vi­deo zu sei­nem Song sorg­te für einen absur­den Shit­s­torm, weil eines der im Hin­ter­grund (ver­kehrt her­um) auf­ge­häng­ten Kunst­wer­ke angeb­lich die Far­ben der bul­ga­ri­schen Lan­des­flag­ge zeig­te. Das nah­men ihm natio­na­lis­ti­sche Maze­do­ni­er übel und bezich­tig­ten ihn des Vater­lands­ver­ra­tes. Zusätz­lich kübel­te man homo­pho­be Hass­kom­men­ta­re über dem frisch geoute­ten Künst­ler aus. In jedem anstän­di­gen Dis­ney-Strei­fen, zu dem ‘Here I stand’ den per­fek­ten Sound­track ablie­fer­te, wäre Vasil nach die­ser Vor­ge­schich­te nun zum Aus­gleich als strah­len­der ESC-Sie­ger hoch erho­be­nen Haup­tes in den Abspann gerit­ten. Im wah­ren Leben aber gibt es nun mal lei­der kei­ne Gerechtigkeit.

Ach, wären mei­ne inne­ren Dämo­nen nur mal so sexy wie Roxens Haupt­an­grei­fer! (RO)

Erstaun­li­cher­wei­se schräg­te es in die­ser Run­de sämt­li­che Bal­kan-Natio­nen. So auch Rumä­ni­en. Für das Kar­pa­ten­land trat die als Lari­sa Rox­a­na Giur­giu gebo­re­ne Roxen an. Die woll­te bekannt­lich bereits im Vor­jahr mit einem Lied über die ver­hee­ren­den Fol­gen des Alko­hol­miss­brauchs star­ten, zu denen ja auch die heu­er von ihr beti­tel­te ‘Amne­sia’ zählt. Und man konn­te sich ange­hörs ihrer ziem­lich ver­wa­sche­nen Aus­spra­che und des öfters mal deut­lich der Musik hin­ter­her­het­zen­den Gesangs nicht ganz des Ein­drucks erweh­ren, die erst 21jährige habe auch im ech­ten Leben bereits eine harald­juhn­kes­ke Trin­ke­rin­nen­kar­rie­re vor­zu­wei­sen. Was zumin­dest ihre men­ta­le Ver­fasst­heit erklä­ren wür­de. Ihre etwas sprö­de Mid­tem­po­bal­la­de über jugend­li­che Depres­si­on und die unbe­ding­te Not­wen­dig­keit von Selbst­lie­be als Quel­le der Resi­li­enz konn­te an sich sowohl the­ma­tisch als auch insze­na­to­risch über­zeu­gen: der dar­ge­bo­te­ne moder­ne Aus­drucks­tanz, bei dem sie gleich meh­re­re wahl­wei­se als inne­re Dämo­nen oder äußer­li­che Mobber:innen zu lesen­de Per­so­nen fort­wäh­rend angrif­fen, die sich aber am Schluss ihrem wie­der­ge­fun­de­nen auf­rech­ten Gang unter­war­fen, unter­strich ihr Anlie­gen mit gro­ßer Aus­drucks­stär­ke und über­brück­te damit bei­na­he mei­ne enor­me emo­tio­na­le Distanz zu ihrem wei­ner­li­chen Geplodder.

I just feel hate, I don’t feel sor­ry: Ana Sokličs Erwe­ckungs­song fiel auf die Fres­se. Ha ha! (SI)

Mit tiefs­ter inne­rer Befrie­di­gung hin­ter­ließ mich hin­ge­gen das Aus­schei­den der auf­dring­li­chen reli­giö­sen Heils­bot­schaft ‘Amen’ der Slo­we­nin Ana Soklič. Allei­ne schon des­we­gen, weil die Tur­bo­chris­tin uns im Vor­feld frech ins Gesicht gelo­gen und uns einen “Ban­ger” ver­spro­chen hat­te, statt­des­sen aber die­se mora­lin­saure Bom­bast­bal­la­de ablie­fer­te. Und natür­lich auch, weil ich weder sonn­tags­mor­gens an der Haus­tü­re noch in der Fuß­gän­ger­zo­ne und erst recht nicht beim Euro­vi­si­on Song Con­test mis­sio­niert wer­den möch­te. Schon gar nicht von einer der­ma­ßen offen­sicht­li­chen Karen, deren ein­zi­ger ver­füg­ba­rer Gesichts­aus­druck per­ma­nent “Rufen Sie Ihren Vor­ge­setz­ten, ich möch­te mich beschwe­ren!” zu sagen scheint. Als schlech­te Idee ent­pupp­te sich für die Slo­we­nin, dass sie ihren Auf­tritt anste­ckungs­ver­mei­dend / res­sour­cen­spa­rend voll­kom­men allein absol­vier­te, wie­wohl ihr Song akus­tisch von einem viel­stim­mi­gen Gos­pel­chor leb­te, was für eine frap­pan­te Text-Bild-Sche­re sorg­te. Als fina­ler Sarg­na­gel erwies sich jedoch ihr aller­letz­tes, als uner­war­te­ter Nach­klapp an die öde Kla­vier­bal­la­de dran­ge­papp­tes “Hey Child”, das beim bereits höf­lich-erleich­tert applau­die­ren­den Hal­len­pu­bli­kum für Ver­wir­rung und eine Klatsch­pau­se sorg­te. Was wie­der­um Karen, sor­ry, Ana, ein gequält-schnau­fen­des, hoch­not­pein­li­ches Ver­le­gen­heits­la­chen ent­fah­ren ließ. Auch wenn mich das zu einem schlech­ten Men­schen macht: was habe ich vol­ler Scha­den­freu­de in die­sem Crin­ge-Moment gebadet!

OH NOOOO” war viel­leicht nicht die klügs­te Text­ein­blen­dung: Albi­na (HR).

Mit äußers­tem Miss­fal­len und Unver­ständ­nis muss­te ich hin­ge­gen das Aus­schei­den der kroa­ti­schen Ver­tre­te­rin Albi­na Grčić zur Kennt­nis neh­men, die mit dem upt­em­po­rä­ren Euro­dis­co-Klop­fer ‘Tick Tock’ ihr Scherf­lein zur wirk­lich vor­bild­haft hohen Dich­te an tra­shi­gen Tanz­mäu­sen mit erfri­schend bil­li­gen Nut­ten­pop-Ban­gern in die­sem Semi­fi­na­le bei­trug. Und die zudem mit einer zwar wenig ori­gi­nel­len, dafür aber um so effek­ti­ve­ren Cho­reo­gra­fie wie aus dem Lehr­buch zur Insze­nie­rung von Euro­vi­si­ons­auf­trit­ten zu gefal­len wuss­te, die sie zudem deut­lich enga­gier­ter vor­tanz­te als bei­spiels­wei­se ihre etwas gelang­weilt wir­ken­de Kol­le­gin aus Aser­bai­dschan. Lag es mög­li­cher­wei­se an ihrem haut­engen, etwas unglück­lich gemus­ter­ten Body­su­it, des­sen auf­ge­druck­te Schen­kel­schlie­ren den Ein­druck erweck­ten, ihr sei da direkt vor dem Auf­tritt etwas aus­ge­lau­fen? Oder an den Gays-in-Space-Out­fits ihrer hun­ku­lö­sen Tän­zer? Alles kei­ne aus­rei­chen­den Grün­de! Mei­ne Fin­ger zei­gen auf die Sprach­wahl: wie falsch es war, sich für rudi­men­tär-rade­bre­chen­des Eng­lisch zu ent­schei­den, stell­te Albi­na sogar selbst unter Beweis, in dem sie einen Refrain ihrer fabel­haf­ten Num­mer auf Kroa­tisch sang, wo es gleich eine Mil­li­on Mal natür­li­cher und anspre­chen­der klang.

Drin­king my poi­so­no­us Water”: nun wis­sen wir auch, wer neben Donald Trump noch auf den berüch­tig­ten Pee-pee-Tapes aus dem Mos­kau­er Hotel zu sehen ist! (AZ)

Und damit sind wir mit den Ausscheider:innen durch. Zum Schluss noch ein schnel­ler Blick auf ein paar der Finalist:innen, zunächst auf die bereits erwähn­ten Dis­co­trash-Mam­sel­len. Hier ver­lor die eben­falls bereits erwähn­te Sami­ra Efen­di live für mei­nen Geschmack deut­lich gegen­über der Stu­dio­fas­sung ihrer Recy­ling­num­mer ‘Mata Hari’, einer bes­ten­falls not­dürf­tig getarn­ten Zweit­ver­wer­tung ihres mit viel Geld aus den Klau­en der san­ma­ri­ne­si­schen Kon­kur­ren­tin Sen­hit ent­ris­se­nen Vor­jah­res­bei­trags ‘Cleo­pa­tra’. Für einen sehr lus­ti­gen Moment beim sonn­täg­li­chen Tür­ki­ser-Tep­pich-Schau­lau­fen sorg­te die fie­se Fra­ge an Sami­ra, ob sie denn über­haupt wis­se, wer die von ihr besun­ge­ne nie­der­län­di­sche Spio­nin sei. Zumal sie sich im Inter­view jedes ein­zel­ne Wort über­set­zen las­sen muss­te und auch ihr ges­tern harsch gebel­fer­tes Pseu­do-Eng­lisch deut­lich offen­bar­te, dass sie des bri­ti­schen Idi­oms unkennt­lich ist und nicht den Hauch einer Ahnung hat, was sie da… nun, “sang” wäre das fal­sche Wort…: von sich gab. Doch anschei­nend reich­te das Vor­zei­gen von Reiz­wä­sche und halb­her­zi­ges Hintern­wa­ckeln, um beim hete­ro­se­xu­ell-männ­li­chen Teil des Publi­kums für genü­gend Anruf­im­pul­se zu sorgen.

We burn in a Pot­ty”, “A Taco, Toma­to”: die zypri­sche Teu­fels­an­be­tung erwies sich als Fest für Agathe-Bauer-Momente.

Über­ra­schend gut schlu­gen sich hin­ge­gen Eden Ale­ne aus Isra­el, die nicht nur mit der höchs­ten bis­lang beim ESC gesun­ge­nen Note für auf­jau­len­de Hun­de in ganz Euro­pa sorg­te, son­dern ihren eigent­lich ent­täu­schen­den Song erstaun­lich über­zeu­gend ver­kauf­te, sowie die Zypres­se Ele­na Tsa­g­ri­nou, deren gefühlt ein­hun­derts­ter ‘Fue­go’-Auf­guss ‘El Dia­blo’ trotz der aus­ge­lutsch­ten The­ma­tik und des in erbar­mungs­wür­dig schlech­tem Eng­lisch vor­ge­tra­ge­nen Tex­tes ein­fach nur Spaß mach­te. Dau­men hoch übri­gens für die nie­der­län­di­sche Sen­de­re­gie, die auf die­ses Lied über den ver­füh­re­ri­schen Teu­fel den ‘Fal­len Angel’ Andre­as Hau­ke­lund ali­as Tix aus Nor­we­gen fol­gen ließ. Der stirn­band­tra­gen­de Lang­haar­z­ot­tel gewähr­te uns mit dem kur­zen Abneh­men sei­nes Mar­ken­zei­chens, der ver­spie­gel­ten Son­nen­bril­le, einen Blick in sei­ne See­le und mach­te sich auf muti­ge Wei­se ver­letz­lich. Denn zu mei­ner Schan­de (sie­he dazu auch die Kom­men­ta­re unten) sorg­te sein tick­be­ding­tes Dau­er­blin­zeln bei mir auf­grund des Unge­wohnt­seins eines sol­chen Anblicks für noch nach­hal­ti­ge­re Irri­ta­tio­nen als das blin­zel­lo­se Dau­er­star­ren von Katery­na Pav­len­ko, der in ein gift­grü­nes Flo­ka­ti-Out­fit geklei­de­ten Front­frau der ukrai­ni­schen Band Go_A, deren rund­weg fan­tas­ti­scher Tech­no­folk-Bur­ner ‘Shum’ mich dazu ver­an­lass­te, die im letz­ten Jahr müh­sam ange­spar­ten Urlaubs­gro­schen kom­plett für SMSe raus­zu­hau­en, so geil war der.

Da bleibt kein Blatt am Baum, beim ukrai­ni­schen Frühlings-Waldrave.

Scha­de inso­fern, dass der Fokus der Kame­ra stän­dig auf ihr ruh­te anstatt auf ihren hin­rei­ßend schö­nen männ­li­chen Kol­le­gen in ihren futu­ris­ti­schen Strah­len­schutz­an­zü­gen oder den zwei mit zu Hei­li­gen­schei­nen umfunk­tio­nier­ten Ring­lich­tern han­tie­ren­den Tän­zern. Kei­nes­falls in ‘The wrong Place’ befin­den sich auch die (wie ich ver­mu­te, mit star­ker Unter­stüt­zung der Jury) ins Fina­le ein­ge­zo­ge­nen Bel­gi­er, obschon ich Hoo­ver­pho­nic zunächst über­haupt nicht auf dem Zet­tel hat­te und sich das Trio als ein­zi­ge Teilnehmer:innen des gest­ri­gen Semis für ein klas­si­sches Rock­band-Set­ting ent­schied, bei dem Alex Cal­li­er und Ray­mond Geerts so taten, als spiel­ten sie Instru­men­te, wäh­rend die nach lan­ger Pau­se wie­der zurück­ge­hol­te Sän­ge­rin Gei­ke Arnaert tat­säch­lich live sang. Es funk­tio­nier­te aber: wirk­te die Der-Mor­gen-danach-Bal­la­de in der Stu­dio­fas­sung noch etwas unter­kühlt und unspek­ta­ku­lär, gewann das Lied live deut­lich hin­zu, wohl auch auf­grund der Deka­den umfas­sen­den Büh­nen­er­fah­rung der Betei­lig­ten. Viel­leicht auch, weil man der an Lebens­jah­ren rei­chen Gei­ke die leicht ange­ekel­te Zer­knirscht­heit über ihren Bei­schlaf-Fehl­griff so viel eher abkauf­te als den selbst­zer­stö­re­ri­schen Wel­ten­schmerz der blut­jun­gen Rumä­nin oder der im glei­chen Gen­re wil­dern­den, am Don­ners­tag noch auf uns zukom­men­den Bul­ga­rin.

Hier war ich für die opti­sche Fokus­sie­rung auf die Sän­ge­rin hin­ge­gen dank­bar (BE).

Und der pos­sier­li­che Tus­se? Die nach wie vor gran­dio­sen The Roop? Die her­aus­ra­gen­de Maniz­ha mit ihrem sen­sa­tio­nel­len, fahr­ba­ren Social-Distance-Trick­kleid? Ein biss­chen was muss ich mir ja noch für die Final­be­spre­chung auf­he­ben! Was mich dar­an erin­nert, dass man im Rah­men­pro­gramm des gest­ri­gen Semis lei­der wie­der Aus­schnit­te aus den Wett­be­werbs­ti­teln eini­ger Big-Five-Natio­nen zeig­te, dar­un­ter die Live-Per­for­mance des deut­schen Bei­trags ‘I don’t feel Hate’ von Jen­drik. Den ich als Per­son ja nach wie vor super sym­pa­thisch fin­de und des­sen Bot­schaft ich wei­ter­hin mag, wes­we­gen ich mich vor der unan­ge­neh­men Auf­ga­be, den dar­über lei­der erfor­der­li­chen Ver­riss zu for­mu­lie­ren, drü­cken möch­te, indem ich statt­des­sen ein­fach den Kom­men­tar des bri­ti­schen Pro­mi­klatsch-News­let­ters Pop­bitch in vol­ler Län­ge zitie­re. Der schrieb in sei­nem aktu­el­len Euro­vi­si­ons­gui­de Fol­gen­des: “Wie schlecht das Ver­ei­nig­te König­reich zuletzt auch immer bei der Euro­vi­si­on abge­schnit­ten hat, so ist es doch beru­hi­gend zu wis­sen, dass Deutsch­land stets ver­sucht, sein abso­lut Bes­tes zu geben, um uns den letz­ten Platz weg­zu­schnap­pen. Mit Hil­fe von Uku­le­len, Gepfei­fe und nied­lich-quir­li­gen Lyrics tun sie uns die­ses Jahr einen ech­ten Gefal­len. Dan­ke schön”! Gern geschehen!

Atem­los durch die Nacht: gleich­zei­ti­ges Step­pen und Rap­pen kann halt live doch nur in die Hose gehen (DE).

ESC 2021, 1. Semi

1. Semi­fi­na­le des Euro­vi­si­on Song Con­test 2021. Diens­tag, der 18. Mai 2021, 21 Uhr, aus der Ahoi-Are­na in Rot­ter­dam, Nie­der­lan­de. 16 Teil­neh­mer­län­der. Mode­ra­ti­on: Chan­tal Jan­zen, Edsilia Rom­bley, Jan Smit und Nik­kie de Jager.
#LandInter­pre­tenSong­ti­telTele­vo­tingJurySum­mePlatz
01LTThe RoopDis­cote­que13706620304
02SIAna SokličAmen00803604413
03RUManiz­haRus­si­an Woman10811722503
04SETus­seVoices05109114207
05AUMon­tai­gneTech­ni­co­lour00202602814
06MKVasil Gar­v­an­lievHere I stand01101202315
07IELes­ley RoyMaps00401602016
08CYEle­na TsagrinouEl Dia­blo07809217006
09NOTixFal­len Angel07703811510
10HRAlbi­naTick Tock05305711011
11BEHoo­ver­pho­nicThe wrong Place04707011709
12ILEden Ale­neSet me free09309919205
13RORoxenAmne­sia02705808512
14AZSami­ra EfendiMata Hari09104713808
15UAGo_AShum16410326702
16MTDesti­ny ChukunyereJe me casse15117432501

Open up” nach einem Jahr Zwangs­pau­se. Mit Live-Publi­kum. Wie ging es Dir ges­tern Abend damit?

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  • Ich feie­re Dei­ne sprach­lich und meta­pho­risch wirk­lich wahn­sin­nig aus­ge­feil­ten Tex­te seit Jah­ren, aber mit Dei­nem Kom­men­tar zu Tix’ Bril­len­mo­ment tust Du Dir und auch sonst nie­man­dem einen Gefal­len: Als jemand, der als Jugend­li­cher (und heu­te Gott sei Dank nicht mehr) eben­falls sehr unter Tics gelit­ten hat (was im puber­tä­ren Umfeld unge­fähr den glei­chen sozia­len Effekt hat, als wür­de man täg­lich in der Schu­le ein Hun­de­wel­pen köp­fen), hat mich die­ser Moment des nor­we­gi­schen Auf­tritts wirk­lich sehr bewegt. Weil ich weiß, wie er sich füh­len muss. Das war ein kur­zer Blick in sei­ne See­le und hat die­ser süf­fi­gen, aber kom­po­si­to­risch etwas aus­tausch­ba­ren Pop-Num­mern plötz­lich eine neue Ebe­ne hin­zu­ge­fügt. Sein Blin­zeln als “irri­tie­rend für den Zuschau­er” zu bezeich­nen, wür­de – sofern es zutrifft – mehr über die Zuschau­er als über ihn aus­sa­gen. Der ESC ist eigent­lich ein Umfeld, wo sich nie­mand schä­men und ver­ste­cken muss und wo auf “Defi­zi­te” mit Tole­ranz und Lie­be geant­wor­tet wird. Ich fin­de, das hat auch Tix ver­dient, der für alles das wirk­lich nichts kann.

  • Da hast du natür­lich voll­kom­men Recht, lie­ber Bas­ti­an. Dass er uns mit die­ser Ges­te einen Blick in sei­ne See­le offen­ba­ren woll­te, der Gedan­ke kam mir in dem Moment auch und das fand ich auch mutig und gut. Hät­te ich im Text viel­leicht erwäh­nen sol­len, sor­ry. Den­noch, bit­te sieh es mir nach, war ich erleich­tert, dass er sie danach wie­der auf­setz­te. Denn noch mehr als die Schu­le ist der Euro­vi­si­on Song Con­test eine Show, und dem­entspre­chend kom­men­tie­re ich hier seit Anbe­ginn mei­nes Blogs äußer­li­che, ober­fläch­li­che Ein­drü­cke. Und dies ganz sicher öfters auf igno­ran­te Art und Wei­se. Dass mich sein Tic irri­tiert, sagt tat­säch­lich mehr über mich als über ihn, das stimmt völ­lig. Aber genau so ist es lei­der, und macht für mich schon einen Unter­schied, ob ich einen sol­chen Kom­men­tar über eine pri­va­te Per­son mache oder über eine des öffent­li­chen Lebens. Ich kann mir nicht mal im Ansatz vor­stel­len, was du oder auch Tix durch­ma­chen muss­ten und wenn ich dir oder ande­ren damit zu nahe getre­ten bin, tut es mir wirk­lich leid. War nicht mei­ne Absicht.

  • Ich bin etwas zwie­ge­spal­ten. Auch wenn ich es super fin­de, dass der ESC zurück ist und die Show wirk­lich super unter­halt­sam war, bin ich wirk­lich erschro­cken, als ich die 3.500 Besu­cher der Ahoy-Are­na an die­sem Abend gesich­tet habe. Ohne Mas­ke und so eng anein­an­der. So sehr der ESC auch von sei­nen Fans lebt und die Zuschau­er wie vor­ge­schrie­ben nega­tiv getes­tet und even­tu­ell schon geimpft waren, so hät­te ich es bes­ser gefun­den, wenn man die Zuschau­er­zahl auf 1.500 oder 1.000 redu­ziert hät­te. Denn an sich habe ich nichts gegen die­ses Field-Lab-Pro­jekt wel­ches sicher nicht das Ein­zi­ge sei­en wird die nächs­ten Mona­te, aber weni­ger ist manch­mal mehr.

    Aber nun zu den Bei­trä­gen. 9/10 rich­tig (Aus­tra­li­en statt Isra­el) gera­ten und 7/10 habe ich mir per­sön­lich im Fina­le gewünscht. Bin daher sehr zufrie­den. Litau­en und die Ukrai­ne hat­ten die mit Abstand bes­ten Auf­trit­te des Abends, aber auch von Bel­gi­en war ich posi­tiv überrascht. 

    Am Don­ners­tag den­ke ich, dass San Mari­no, Grie­chen­land, Island, Ser­bi­en, Alba­ni­en, Por­tu­gal, Bul­ga­ri­en, Finn­land, die Schweiz und Däne­mark wei­ter­kom­men. Auch wenn ich San Mari­no, Grie­chen­land und Por­tu­gal lie­ber durch Tsche­chi­en, Geor­gi­en und Lett­land erset­zen möch­te, aber bei allen drei­en sehe ich schwarz.

    Auf zwei wei­te­re span­nen­de Abende!

  • die im Ven­lo­er Stadt­teil Tege­len gebo­re­ne, tele­ge­ne Mode­ra­to­rin” – Dan­ke für die­sen (Halb)satz 🙂 Die tele­ge­ne aus Tege­len. Wundervoll 😀

  • Vie­len Dank Oli­ver für die betref­fen­de Beschrei­bung. Da kann ich nichts mehr hin­zu­fü­gen, außer, dass ich Bas­ti­an bei sei­nem Ein­wand nur bei­pflich­ten kann. Mich hat­te Tix damit fast wie­der auf sei­ner Sei­te und fand, dass dies bei sei­ner Hin­ter­grund­ge­schich­te ein sehr muti­ger und inti­mer Schritt war. Fin­de aber auch Dei­ne Ant­wort an Bas­ti­an sehr gut, denn jemand, der den Hin­ter­grund nicht kennt, ist es mög­li­cher­wei­se genau­so gegangen.
    Ich hat­te tat­säch­lich auch neun Rich­ti­ge, bei mir war es Kroa­ti­en gegen Bel­gi­en, wobei ich mich für Bel­gi­en freue. Auch ich hät­te aber lie­ber Kroa­ti­en anstatt der zyprio­ti­schen Schlauch­boot­lip­pe und der Polo­nä­se tan­zen­den Mata-Cleo­pa­tra-Lang­wei­le­rin aus Aser­bai­dschan dabei gehabt.
    Don­ners­tag wird es deut­lich span­nen­der und ich freue mich am Frei­tag schon auf Oli­vers Kommentar. ?

  • Oh Mann, es ist so, so schön, hier wie­der Nach­le­sen über unse­re Lieb­lings­ver­an­stal­tung zu lesen! Es hat echt gefehlt.

    So ganz konn­te ich ges­tern mei­nen Mulm wegen der Sitz­an­ord­nung in der Hal­le nicht abstel­len, und heu­te hat sich ja lei­der auch gezeigt, wie schnell es gehen kann, dass auf ein­mal jemand posi­tiv ist, wo man das nicht dach­te. Des­halb wer­de ich mor­gen den islän­di­schen Bei­trag noch ein biss­chen mehr unter­stüt­zen und am Sams­tag sowie­so. Mir blu­tet da echt das Herz.

    Ansons­ten war es aber ein höggschd plä­sier­li­cher Abend, und ich hat­te neun von zehn rich­tig – eigent­lich eher neun­ein­halb, denn Eden Ale­ne hab ich erst in letz­ter Minu­te und unter größ­ten Vor­be­hal­ten vom Zet­tel gestri­chen. Dafür stand Albi­na drauf. Okay, doch neun, aber neun sind auch gut.

    Unser Favo­rit ges­tern: Ein­deu­tig die Ukrai­ne! Außer­dem waren Bel­gi­en und (jawohl!) Nor­we­gen super­toll, hät­te nie gedacht, dass ich das über TIX mal schrei­be. Litau­en natür­lich bestechend gut, der Rest so in etwa wie erwar­tet. Les­ley hat ihr tol­les Lied lei­der völ­lig ver­siebt. Und was erlau­ben Roxen?!

    Any­way, mor­gen ist ein neu­es Spiel, und ich freu mich trotz der Umstän­de auch dar­auf wie Bol­le! Drückt ins­be­son­de­re den Islän­dern bit­te alle Daumen!

  • Ach ja, ein Wort noch zu Jen­drik: Es ist echt schwie­rig. Der ist so sym­pa­thisch und so sweet und so ein tol­ler Kerl, ich wün­sche ihm echt nur das Aller­bes­te. Ich hof­fe, dass er die genann­ten Pro­ble­me bis Sams­tag noch in den Griff bekommt, ansons­ten wird das lei­der wie­der einer von der Sor­te Platz, die wir nicht haben wollen…

  • Lie­ber auf­recht­gehn, vie­len dank für Dei­ne Ant­wort! Du bist mir mit Dei­nen Äuße­run­gen nicht zu nahe getre­ten, ich neh­me das nicht per­sön­lich, son­dern schät­ze den offe­nen Aus­tausch über die­se The­ma­tik. Viel­leicht ist es auch gera­de ein span­nen­des The­ma, weil wir zwar schon Roh­lstuhl­fah­re­rin­nen, Herz­kran­ke und Mon­go­lo­ide im Con­test hat­ten, aber noch kei­ne Tic-Geplag­ten (wobei es sich ja um eine mehr oder weni­ger leich­te Aus­prä­gung des Tour­et­te-Syn­droms han­delt). Viel­leicht hat TIX ja auch schon Ziel dadurch erreicht, dass wir uns nach sei­nem Auf­tritt offen und ger­ne auch kon­tro­vers über das The­ma aus­tau­schen und unse­re eige­ne Hal­tung dazu reflek­tie­ren. Weil eben genau die­ses Krank­heits­sym­ptom im öffent­li­chen Leben und Show-Geschäft bis­lang so gut wie gar nicht vor­kommt, weil es ja gera­de und ins­be­son­de­re eine Stö­rung des visu­el­len Emp­fin­dens der Nicht-Betrof­fe­nen ist.

    Ich bin für jede iro­ni­sche und ober­fläch­li­che Kom­men­tie­rung des ESCs zu haben: Jedes schreck­li­che Out­fit soll­te als sol­ches benannt wer­den. Jede auf­ge­spritz­te Lip­pe und jeder künst­li­che Atom­bu­sen ist ein selbst­ge­wähl­tes Schick­sal und dem­entspre­chend zur öffent­li­chen Belus­ti­gung frei­ge­ge­ben. Aber hier haben wir es wirk­lich mit einer Krank­heit zu tun. Der Betrof­fe­ne wür­de so ziem­lich alles dafür tun, um end­lich den Schal­ter zu fin­den, um die Tics abzu­stel­len. Ich glau­be, ein Betrof­fe­ner hat kei­nen grö­ße­ren Wunsch im Leben. Aber das geht nun ein­mal nichtg so einfach.

    Inso­fern kann man die Kon­fron­ta­ti­on mit den Tics als Nicht-Betrof­fe­ner als irri­tie­rend oder ver­stö­rend emp­fin­den, als etwas, das “unnor­mal” ist und des­halb das eige­ne ästhe­ti­sche Emp­fin­den angreift. Nur soll­te man in der anschlie­ßen­den Refle­xi­on zu dem Ergeb­nis kom­men, dass die­ses eige­ne Unwohl­sein in die­sem Fall viel­leicht nicht legi­tim ist, weil der eigent­lich Lei­den­de nicht der­je­ni­ge ist, der die Tics sehen muss, son­dern der, der sie erlebt und nicht kon­trol­lie­ren kann. Und das Argu­ment: “Das ist Show­ge­schäft und er ist eine Per­son des öffent­li­chen Lebens” über­zeugt mich dann nicht, weil was wäre die Kon­se­quenz: Dass Tic-Geplag­te das Show-Geschäft mei­den soll­ten (so wie sie in ihrem Leben ohne­hin schon den Weg vor die Tür in die Öffent­lich­keit mei­den, weil das immer ein Spieß­rou­ten­lauf ist)? Dass sie ihr Gesicht hin­ter Son­nen­bril­len, Mas­ken etc. ver­ste­cken sol­len? Durch die­se Aus­gren­zung ver­stärkt sich das Lei­den der Betrof­fe­nen ja nur noch mehr. Nein, die Lösung muss doch Sicht­bar­keit und Inklu­si­on sein. Wenn jemand zwei küs­sen­de Homo­se­xu­el­le als “eklig” emp­fin­det, weil sein indi­vi­du­el­les ästhe­ti­sches Emp­fin­den dadurch gestört wird, sagst du doch auch nicht, dass die Schwu­len das bit­te nur zu Hau­se machen sollen.

    Ich moch­te den nor­we­gi­schen Song bis­her nicht so wirk­lich. Auch weil es in der nor­we­gi­schen Vor­ent­schei­dung so viel Bes­se­res gab. Und mein eige­nes Tic-Lei­den liegt jetzt auch fast 20 Jah­re zurück und spielt in mei­nem heu­ti­gen Leben wirk­lich kei­ne sehr prä­sen­te Rol­le mehr. Aber als TIX am Diens­tag die Bril­le abge­setzt hat, hat es mich ganz kalt erwischt und es fällt mir auch zwei Tage danach noch schwer, den Auf­tritt anzu­schau­en, ohne feuch­te Augen zu bekom­men. Man möch­te ihn ein­fach nur in den Arm neh­men und sagen, dass alles gut wird. Ich wün­sche ihm für Sams­tag ein sehr gutes Ergebnis.

  • Ich woll­te es schon bei esc-kom­pakt schrei­ben, habe mich dann aber nicht getraut: Es ist doch eine ehren­vol­le Auf­ga­be, das UK, aber auch Spa­ni­en und den jewei­li­gen Gast­ge­ber vor dem letz­ten Platz zu bewah­ren. Ich wün­sche Jen­drik aber natür­lich trotz­dem viel Glück am Samstag.

  • Lie­ge mit Grip­pe Sym­pto­men nach der Imp­fung ges­tern flach und wer­de das zwei­te Halb­fi­na­le mit den vie­len Zuschau­ern jetzt noch mehr mit gemisch­ten Gefüh­len verfolgen.
    Jetzt hat es ja auch Dun­can erwischt, hof­fent­lich kom­men bis Sams­tag nicht noch mehr dazu.

    Ich wün­sche allen Lesern und dem Blog­ger trotz­dem einen unter­halt­sa­men Abend!

    Go Dadi!!!

  • Lie­ber Bastian,

    ich muss­te dei­ne letz­te Ant­wort jetzt ein paar Tage auf mich wir­ken las­sen, daher erst jetzt die Reak­ti­on (zumal ja zwi­schen­drin noch ein paar Shows anzu­schau­en und zu kom­men­tie­ren waren). 

    Und du hast Recht, mein Argu­ment, dass Tix ja in der Öffent­lich­keit steht und sich daher unre­flek­tier­te Kom­men­ta­re gefal­len las­sen muss, ist natür­lich in die­sem Zusam­men­hang Quatsch. Hier bin tat­säch­lich ich der­je­ni­ge mit dem Pro­blem, nicht Tix. Das war mir bis­lang nicht so bewusst, daher vie­len Dank für das dar­auf Hinweisen. 

    Ich habe die For­mu­lie­rung im Text jetzt ein biss­chen über­ar­bei­tet, habe aber bewusst das Stich­wort “Irri­ta­ti­on” ste­hen las­sen, zumal es ja auch der Aus­lö­ser für unse­ren, wie ich fin­de, sehr gewinn­brin­gen­den Aus­tausch war. Ich hof­fe, es ist so etwas besser.

    Vie­len Dank noch­mal an Dich!

  • Mit der kroa­ti­schen Spra­chen­wahl magst du wahr­schein­lich sogar Recht haben. Vor allem, wenn man bedenkt, dass z. B. Ser­bi­en und Alba­ni­en in Lan­des­spra­che wei­ter­ge­kom­men sind und vier der Final-Top‑5 eben­falls lan­des­sprach­lich unter­wegs waren. Trend ver­pennt, lie­be Kroaten.

    Das Zitat von Pop­bitch ist ja auch nice. Auch wenn es (für das UK lei­der) nicht ganz geklappt hat mit der Über­nah­me der roten Later­ne. Wobei es die Bri­ten es uns dies­be­züg­lich in die­sem Jahr auch wirk­lich schwer gemacht haben.

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