Die EBU sieht anscheinend keine Notwendigkeit, das mehr als fischige Ergebnis des moldawischen Eurovisionsbeitrags ‘Sugar’ im zweiten Semifinale zu untersuchen, wie Eurovoix heute meldete. Für die bettelarme Balkannation ging in diesem Jahr bekanntlich die vom Sender TRM intern nominierte Sängerin Natalia Gordienco an den Start, nach dem diese bereits 2020 den hochklassig besetzten nationalen Vorentscheid O Melodie pentru Europa mit einer sterbensöden Ballade aus der Produktionswerkstatt des bulgarisch-russischen Grand-Prix-Komponisten Phillip Kirkorov gewinnen konnte. Auch dies geschah bereits unter merkwürdigen Umständen, konnte das gräusliche ‘Prison’ damals im heimischen Televoting mit etwas über 3.000 Anrufen knapp doppelt so viele Calls erzielen wie der zweitplatzierte Pasha Parfeni. Und damit ungefähr das Zehnfache der in dem einkommensschwachen Land üblichen Zuschauer:innenbeteiligung. Auch beim uptemporären ‘Sugar’ handelte es sich erneut um ein Produkt des sogenannten Dreamteams um Kirkorov und seinen griechischen Kollegen Dimitris Kontopoulos. Der bizarre Russe ließ denn auch im Rahmen des ESC 2021 keine Gelegenheit aus, sich auf Kosten der stets mit einem gruseligen Gefrierlächeln operierenden Natalia in den Vordergrund zu drängen, sei es bei Gast-Gig im russischen Vorentscheid, auf dem türkisen Teppich in Rotterdam oder selbst noch im Green Room.
Natalia Gordienco (MD): künstlerische Kollaborateurin oder Gefangene des russischen Irren?
Und obschon Gordienco im zweiten Semifinale am vergangenen Donnerstag keine allzu überzeugende stimmliche Leistung präsentieren konnte (sieht man mal vom schätzungsweise 95prozentigen Anteil der “Hintergrundstimmen” auf dem Backing Tape ab), qualifizierte sie sich mit einem vierten Platz im Televoting und einem siebten Rang im Gesamtergebnis spielend für das Finale. Dabei überraschte insbesondere, dass sie aus gleich acht der insgesamt 19 dort zur Abstimmung berechtigten Nationen die Maximalpunktzahl erhielt. Und zwar größtenteils aus verhältnismäßig kleinen Ländern. Douze Points gab es aber auch aus Frankreich, wo im Semifinale erfahrungsgemäß sehr wenige Menschen abstimmen. Die Jurys hatten weniger als halb so viele Punkte für ‘Sugar’ übrig, wobei auch hier die beiden Höchstwertungen aus Bulgarien, dem Geburtsland Kirkorovs, und Griechenland ins Auge stechen. Ganz ähnlich lief es beim ebenfalls im zweiten Semi angetretenen und ebenso von Kontopoulos geschriebenen hellenischen Beitrag ‘Last Dance’, dessen Finalqualifikation angesichts des verkrampften Auftrittes von Stefania Liberakakis nicht nur beim deutschen Kommentatoren Peter Urban und in der Nachbesprechung von Stefan Spiegel und Alina Stiegler für erhebliche Verwunderung sorgte.
Wirkte auch nicht sehr glücklich: Stefania (GR) mit ihren tanzenden Hosen.
Stefania erhielt zwar deutlich weniger Punkte im Televoting und auch “nur” aus einem Land die Douze Points (nämlich, ach schau einmal an: aus Moldawien). Dafür erfuhr sie viel Liebe von der Jury, unter anderem ebenfalls wieder aus Moldawien und Bulgarien. Im Finale am Samstag, wo sich deutlich mehr Nationen an der Abstimmung beteiligten und bekanntlich pro Nation meist viel mehr Menschen anrufen als im Semi, reichte es für die beiden Dream-Team-Beiträge dann nur noch fürs Mittelfeld. Auch hier stammten die drei Top-Jurybewertungen für Natalia allerdings aus Russland und Bulgarien (je 12 Punkte) sowie Griechenland (10 Punkte). Stefania kassierte jeweils acht Punkte aus Bulgarien und Moldawien sowie sieben aus Russland. Auf die Anfrage eines Journalisten des schwedischen Aftonbladet, ob die EBU zu diesen Auffälligkeiten eine Untersuchung plane, gab es die Antwort: “Die Stimmen aller Jurys und des Publikums beim Eurovision Song Contest wurden von unserem Votingpartner Digame und unserem Auditoren EY geprüft und verifiziert und wir sind zufrieden, ein valides Ergebnis vorweisen zu können”. Hat Kirkorov also auch in Genf einen diskreten Geldkoffer hinterlassen?
Weder Feuer noch Flamme waren die Juror:innen für die dänischen Modern Talking.
Als Opfer der fischigen Abstimmung im zweiten Semi ist das putzige dänische Duo Fyr & Flamme und ihre fabelhafte Achtzigerjahre-Pastiche ‘Øve os på hinanden’ zu vermelden. Jesper Groth und Laurits Emanuel konnten im Televoting zwar mit 80 Punkten genau so viele Stimmen kassieren wie Stefania Liberakakis und damit beim Publikum den achten Platz belegen. Allerdings wurden sie, wie schon vermutet, von den vertrockneten, hirnbefreiten Spaßbremsen der Jury mit jämmerlichen neun Punkten für ihr unverzeihliches Verbrechen, ein nostalgisches Lächeln auf die Lippen des Kontinents gezaubert zu haben, brutalstmöglich abgestraft. Sie schieden in der Gesamtwertung auf Rang 11 denkbar knapp aus. Und weiter möchte ich das gar nicht kommentieren, denn alles, was mir nun zum Thema Jury in der Seele brennt, erfüllt diverse juristische Tatbestände, von denen Beleidigung noch der mildeste ist. Auch, wenn unser engelsgleicher Jendrik das Gegenteil predigt: I just feel Hate. Dabei möchte ich das gar nicht. Doch das Abstimmungsverhalten dieses Willkür-Gremiums radikalisiert mich ebenso sehr wie es das Gendersternchen mit weißen alten Männern tut.
Was hängt an der Wand und macht ‘Tick-Tock’ und wenn es runterfällt, ist die Uhr kaputt? (HR)
Auch im ersten Semifinale haben die Jurys natürlich den einzigen Song auf dem Gewissen, dessen Ausscheiden mich mit Trauer erfüllte. Und das bizarrerweise, obwohl die Korrupten von der Wertungsfront der fabelhaften Albina aus Kroatien sogar vier Punkte mehr gönnten als die Televoter:innen. Deutlich mehr schanzten sie allerdings dem belgischen Trio Hooverphonic zu, für das nach dem Willen den Zuschauer:innen bereits am Dienstag Feierabend gewesen wäre. Doch so schmuggelte die Jury die drei Alterspräsident:innen unter den diesjährigen Teilnehmer:innen hinterrücks an Albina vorbei, die ebenfalls auf dem elften Rang im Gesamtranking verendete. In diesem Fall verhielten sich die Jurys konsistent: auch im Finale konnten Hooverphonic bei ihnen mehr als das 23fachige an Stimmen absaugen als beim Publikum. Wenigstens jedoch standen hier Geschmacksfragen im Vordergrund und nicht der unbändige Ehrgeiz eines Komponisten, seine Beiträge auf Biegen und Brechen ins Finale durchzudrücken. Für die von der EBU durch gezieltes Wegsehen zumindest gebilligten Manipulationen wurde Kirkorov mittlerweile dadurch entlohnt, dass ihn das russische Fernsehen dem Vernehmen nach als Komponisten des nächsten Eurovisionsbeitrags anheuerte. Womit die nur einjährige Fortschrittsphase der Föderation mit einem Song über die Stärke von ‘Russian Woman’ ein schnelles und unrühmliches Ende findet.
Eine spaßmachende queerfeministische Empowerment-Hymne: das war zuviel für Russland konservative Kräfte.
Statt das Vertrauen in die Fairness des Wettbewerbs unterminierende Voting-Unregelmäßigkeiten untersuchte die EBU unterdessen lieber die absurden Vorwürfe gegen die siegreiche italienische Rockband Måneskin, die mal wieder ein Licht auf die Hysterie unserer Medien und die Doppelmoral unserer Gesellschaft werfen. Ausgangspunkt bildete eine Szene aus dem Green Room von Samstagnacht, in der es für das unbedarfte Auge so aussehen mag, als ob der Leadsänger des römischen Quartetts gerade Koks schnupfen will. Das umgehend in den sozialen Netzwerken gepostete Video hielt ich zunächst für einen harmlos-albernen Scherz, denn für jede:n einigermaßen Fachkundige:n war sofort klar, dass Damiano David sicherlich nicht freihändig und ohne Zuhilfenahme eines Röhrchens eine Line direkt von der Tischkante gezogen haben konnte, sondern die am selben Abend noch abgegebene Erklärung, er habe gerade ein heruntergefallenes Weinglas aufheben wollen, schlüssig war. Dann jedoch griffen selbst angebliche Qualitätsmedien den angeblichen Skandal auf, und flugs forderte der französische Europaminister eine offizielle Untersuchung. Wie übrigens auch die Band selbst, die umgehend betonte, “niemals” Drogen zu konsumieren und einen freiwilligen Test auf verbotene Substanzen anbot, dem sie sich nach der Landung in Rom unterzog. Der förderte nun das Erwartbare zutage: kein Koks im Blut des charismatischen Sängers.
Doch, natürlich sind da Drogen auf dem Tisch: ich sehe mindestens eine geöffnete Weinflasche.
Und damit könnte man das unrühmliche Kapitel zuklappen, bliebe nicht die unbefriedigende Gewissheit, dass beim breiten Publikum nunmehr der Name Måneskin für immer untrennbar mit Kokain verbunden bleibt, denn so funktioniert unser Gehirn nun mal. Als noch schwieriger wiegt für mich aber die Verlogenheit im Umgang der Öffentlichkeit mit dem Thema “Rausch”. Denn natürlich konsumierten Damiano und seine Kolleg:innen an diesem Abend Drogen, wie im Übrigen die meisten seiner Konkurrent:innen. Nur halt offiziell erlaubte in Form von Wein oder anderen Alkoholika. Den deutschen Vertreter Jendrik Sigwart beispielsweise erlebte man während der Green-Room-Schalte anlässlich der denkwürdigen Bekanntgabe seiner Nul Points mit der Sektflasche in der Hand, und bei der späteren Schalte zur wie immer gruseligen ARD-Afterparty mit Barbara Schöneberger blubberte er zunächst live seine Absicht über den Äther, anschließend im Delegationshotel mit den Römer:innen eine illegale Coronaparty feiern zu wollen, was er umgehend mit seiner akuten Besoffenheit entschuldigte. Was ihm ja nun niemand wirklich übel nimmt. Babsis nonchalantes Hinweggehen über diesen Faux-Pas erweist sich im Direktvergleich mit der hysterischen Medien-Aufregung über das angebliche Koksen des Italieners aber als symptomatisch. Zumal unter allen berauschenden Substanzen Alkohol die weitaus meisten gesundheitlichen und gesellschaftlichen Schäden anrichtet, weit vor dem kolumbianischen Nasenpulver, dessen regelmäßiger Konsum natürlich dennoch nicht anzuraten ist.
https://youtu.be/_2P99vf36z8
Die Wissenschaft weiß seit gut zehn Jahren, dass die legalen Drogen die schädlichsten sind. In der Politik hat sich diese Erkenntnis leider noch nicht durchgesetzt (arte-Doku von 2011).
Uff. So sehr ich mit der Sichtweise auf den Leibhaftigen und seine Leibsklavin sympathisiere und es für einen Fehler halte, dass die EBU da nicht genauer hinsehen will: Dänemark verteidigen? Echt jetzt? Ist das einer dieser chronischen Fälle von Nostalgie, die ich durch die Gnade der späten Geburt nicht nachvollziehen kann, so wie wenn Leute, die 1980 schon am Leben und bewusst waren, Blondies “Atomic” mit seinen insgesamt vier Zeilen Text zu einer tiefgründigen Betrachtung des angehenden nuklearen Weltuntergangs erklären? Wenn man mit einem Song, der exakt so auch 1985 hätte veröffentlicht werden können (und der all die Dinge tut, die wir aus sehr guten Gründen mit dem Ende der 80er aus der Musik verbannt haben), zum Wettbewerb fährt, darf man damit rechnen, dass nicht nur die Juroren das kalte Grausen kriegen (was ich in diesem Fall absolut nachvollziehbar finde), sondern auch die meisten Televoter – insbesondere die aus mittel- bis osteuropäischen Ländern, denen der komplette kulturelle Hintergrund für diese Nostalgie fehlt, weil Popkultur damals noch längst nicht so grenzübergreifend funktionierte wie heute – was man auch sehr schön an Polens Versuch sehen konnte, das 80er-Nostalgie-Erfolgsrezept von The Weeknd’s “After Hours” zu kopieren, ohne auch nur ansatzweise zu verstehen, warum es bei The Weeknd funktionierte. Wer Nischen anspricht, bekommt ein entsprechend gedämpftes Echo.
Ach Mensch! So eine schöne Woche und dann so ein Nachhall. Ja, mir war von vornerein klar, dass mit der verhältnismäßig guten Platzierung von Moldawien und Griechenland was nicht stimmt.
Und zu Italien ist ja wohl schon genug gesagt. Sex & Rock’n’roll, aber beim besten Willen keine (nicht von der EBU im Green Room zugelassenen) Drugs.
@Ospero: also, ich war 1980 schon am Leben und halte ‘Atomic’ für ein fantastisches Lied, wobei ich mir über die Lyrics noch nie Gedanken gemacht habe. Aber tatsächlich bin ich halt in den Achtzigern popkulturell aufgewachsen, habe damals, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, sämtliche Modern-Talking-Singles gekauft und mag solchen augenzwinkernden Schlagerpop wie den von Feuer & Flamme halt wirklich. Zumal ich die dänischen Beiträge ja sonst abgrundtief hasse und um so erleichterter bin, wenn die mal was schicken, das in mir nicht einen sofortigen Fluchtreiz auslöst. Und da beim ESC wohl noch mehr Menschen diesseits der 50 zuschauen, war ich ja beileibe nicht der Einzige. 🙂
@Ospero
“Kopieren” ist bei Polen noch sehr nett ausgedrückt. Für mich war es einfach nur eine ganz miese Parodie des aktuellen 80er-Jahre-Revivals in der Pop-Musik durch Leute wie The Weeknd oder Dua Lipa.
Meine Wut richtet sich derzeit (noch) nicht gegen den unsäglichen Herrn K, sondern von mir aus gesehen ziemlich genau siebenhundert Kilometer Richtung Norden.
Mir wird in Deinem Artikel leider ein bisschen zu leichtfertig über das Jendrik-Interview drübergewischt. Es gab ja noch ein zweites, nämlich dieses hier etwa eine halbe Stunde später: https://www.youtube.com/watch?v=MGsMTJA8xUs (Man beachte das rote Mikrofon im Vordergrund!)
Auch hier redet er sich unter Alkohol‑, Schock- und Adrenalineinfluss um Kopf und Kragen, was ihm ein großer Teil der deutschen Eurovisionsbubble sehr übel genommen hat (wer auf ESC kompakt unterwegs ist, weiß, wovon ich rede) und worauf auch seine Entschuldigungen in den letzten Tagen gemünzt waren. Ich habs ihm nicht übel genommen, ich kann absolut verstehen, dass jemand, der das unbedingt will und dem sich diese Chance bietet, die Chance nutzt.
Aber wisst Ihr, wer die Dame links neben Jendrik ist? Das ist die deutsche Delegationsleiterin Alexandra Wolfslast, und wie Ihr seht, tut sie: Nichts. Wozu verdammt nochmal ist die eigentlich da, wenn sie einen medial so unerfahrenen jungen Menschen in einem solchen Moment nicht vor sich selbst schützt? Nach dem ersten Interview gehört er für den Abend von der Öffentlichkeit abgeschirmt, und sie muss sich vor ihn stellen! Aber nein, sogar hier wird er wie schon die ganze Saison über ins offene Messer laufen gelassen. Der NDR hat in den letzten Jahren weiß Gott genug Mist gebaut, aber das Verhalten Jendrik (und damit zum Teil auch uns Fans) gegenüber ist für mich wirklich ein absoluter Tiefpunkt der deutschen Eurovisionsgeschichte, dreimal schlimmer als Atlantis 2000 und Stoned&Stoned zusammen. Der NDR hat NICHTS gemacht. Die haben einen engagierten Amateur einfach machen gelassen, waren froh, dass sie den Arsch nicht hochkriegen mussten, und haben ihn 190 000 000 Zuschauern gnadenlos zum Fraß vorgeworfen. Und dann kriegen sie es noch nicht mal hin, ihn so weit auf das vorzubereiten, was auf ihn zukommt, und lassen zu, dass nicht nur ein, sondern ZWEI solcher Interviews hintendrangehängt werden. Warum hat ihn keiner vom Trinken abgehalten? Warum hat ihm keiner gesagt, dass hinterher noch Interviews kommen könnten?
Für mich die absolute Bankrotterklärung des NDR. Er sollte die Chose abgeben, so schnell wie möglich. Und sich bei Jendrik und den deutschen Fans schleunigst entschuldigen.
@Tamara: oh weh. Das Interview hatte ich bislang noch gar nicht gesehen. Puh. Was soll man sagen: im Wein liegt die Wahrheit. Ich feiere Jendrik ja dafür, dass er hier zugibt, dass sein Song auf den vermuteten deutschen Jurygeschmack gemünzt war und damit ein Schlaglicht auf die Untauglichkeit des aktuellen deutschen Auswahlverfahrens wirft. Ansonsten gebe ich dir zu 100% Recht. Auch wenn man berücksichtigt, dass Frau Wolfslast neu in dem Job als Delegationsleiterin ist, hätte sie natürlich spätestens nach der Babsi-Schalte eingreifen müssen. Ihn so ins Messer laufen zu lassen, und dann noch gerade vor diesem ekelhaften Drecksblatt, war unprofessionell. Liegt aber komplett auf der Linie des NDR im Umgang mit unseren ESC-Vertreter:innen der letzten Jahre. Da merkt man die Schreiber-Schule.
@Tamara
Nur, welche Sendeanstalt will den ESC für Deutschland übernehmen? Ich sage dir, egal welche Anstalt übernehmen würde, sie würde einen Trümmerhaufen vor sich finden und nicht wissen, was man daraus machen soll, was auch nur als “ok” abgestempelt wird.
Ich meine, ich habe selbst keine Antwort auf die Frage und wenn ich ehrlich bin, glaube ich kaum, dass mir auch nur irgendeine Person eine zufrieden stellende Antwort darauf abgibt.
Soweit ich weiß, hat der NDR nächstes Jahr auf jeden Fall noch die Verantwortung inne. Ne interne Vorentscheidung wie aus den letzten zwei Jahren wurde ja schon bereits angekündigt (meines Wissens nach). Aber ich bin mir zu 100% sicher, dass man in Hamburg auch gerade am verzweifeln ist, was das Ganze angeht.
Hey hey, nichts gegen alte Leute 😉 Ich bin zwar nicht (noch nicht) jenseits der 50, sondern genau 50, und mit vieler der angeblich ach so modernen Musik kann ich nichts anfangen. Aber das Ergebnis des Finales zeigt doch, dass offenbar mehrere Leute so denken: die Hälfte der Top 10 war nicht auf Englisch gesungen! Welch eine Wohltat! Das finde ich beachtlich und mir gefällt sehr gut, dass man auch in anderen Sprachen noch gewinnen kann – bin jetzt zu faul, nachzulesen, aber ich glaube das ist seit dem Fall der Sprachvorschrift erst drei Mal passiert (Jamala zähle ich mal nicht mit).
Olivers Entsetzen über das dänische Ausscheiden kann ich gut nachvollziehen. Ja, anfangs wurde ich mit der Nummer gar nicht warm, aber sie gehört für mich mittlerweile zu der Kategorie “So schlecht, dass es schon wieder gut ist”, und das dürfte eben volle dänische Absicht gewesen sein. Mir hat die Nummer jedenfalls großen Spaß gemacht, und darum sollte es doch gehen. Spaß an der Sache, mal wieder die dänische Sprache – ich hätte es gern in Finale gesehen. Natürlich wäre es dort bestenfalls Mittelfeld geworden.
Naja, Mittelfeld, ich habe für Jendrik ja wenigstens auf eine “1” vor der Platzierung gehofft, z.B. Platz 19. Die vier Nullpunkter sind wirklich ein Hammer. Aber selbst wenn man das Wertungssystem ändert und quasi nach Rangfolge alle Titel bepunktet: egal, letzter und vorletzter wären trotzdem die gleichen geworden. Nur fällt ja schon nicht erst dieses Jahr auf, wie krass die Unterschiede zwischen Jury und Publikumsstimmen sind. Anders als Oliver glaube ich schon, dass man die Jurys als Korrektiv braucht (man denke an den verlässlichen Diaspora-12er aus Deutschland an die Türkei zu reinen Televoting-Zeiten), aber fünf Leute wiederum sind doch arg wenig. Wie viele waren das vor 1996, jeweils 11 Mitglieder glaube ich?
Tja, der NDR, der NDR. Lokalpatriotismus als Norddeutschem hilft da nicht weiter. Ich denke, es ist auch egal, welchem ARD-Sender man die Aufgabe gibt, die ARD als Ganzes muss aber Druck ausüben, dass man da auch Leute mit Herzblut ransetzt. So wie derzeit geht es wirklich nicht weiter. Und, so leid es mir tut, die Aufgabe einer Frau Wolfslast ist mir dann wirklich nicht klar, wenn sie in einem Interview nur gelangweilt zur Seite schaut. Schlimm. Peinlich. Naja, war für sie wohl eine nette Dienstreise, so mitten in Covid-19-Zeiten…
Ja, das muss man der Fairness halber natürlich auch sagen. Der NDR steht da ja auch innerhalb der ARD auf verlorenem Posten mit dem ESC, von den anderen Sendeanstalten will sich da wohl auch keiner engagieren, zumal angesichts der Kosten und des Risikos. Da ist es wieder, das deutsche Dilemma: unsere föderale Struktur und unsere Wer-sich-zuerst-bewegt-hat-verloren-Mentalität führen halt zu einer kollektiven Verantwortungslosigkeit, wo es immer nur darum geht, den Schwarzen Peter schnell genug weiterzureichen. Das konnte man ja gerade auch beim desaströsen Versagen der Regierung in der Corona-Krise beobachten.
Was den Vorentscheid angeht, wäre ich ja mittlerweile für eine öffentliche Nachwuchs-Veranstaltung wie seinerzeit die Wildcard-Runde im Edelfettwerk. Aber als alleinige Veranstaltung, ohne etablierte Namen. Nur junge, hungrige Acts. Auswahl alleine durch internationale Jury ohne eine:n einzige:n Deutsche:n, und das bereits in der Vorauswahl der Teilnehmer.innen für die Endrunde! Plus anschließendes professionelles Styling og Consulting mit richtigem Budget für d. Sieger:innen.
Jetzt mal ganz ehrlich. Was wäre denn der ESC ohne sein korrumpierbares und blindnationales Punktegeschachere. Ich sorge bei meinen ESC-Feiern immer für Lacher und großes Erstaunen, wenn ich die 12 Punkte Wertung bestimmter Länder richtig vorhersage. Das ist mir sogar beim ESC 2018 in Bezug auf Deutschland gelungen (nur Norwegen hatte ich nicht kommen sehen). Das die Macht von Oligarchen und von einigen Blind agierenden Nationen beim Televote dann doch begrenzt ist zeigt ja auch das diesjährigen Ergebnis.
@ Oliver: Vor allem dürfte es Dich sehr mit Genugtuung erfüllt haben, dass letztendlich das Publikum entschieden hat und so das Downvoting der Jury dem italienischen Beitrag nicht geschadet hat. Was den dänischen Beitrag angeht, muss ich ganz ehrlich sagen, dass beim ersten Anhören und ‑sehen mir der Song auch nicht gefallen hat, da waren die 80 Punkte aus dem Televote ja schon sensationell gut und das Ergebnis der Jurys wäre auch ohne eine Kirkorov-Beteiligung nicht anders verlaufen, wenn selbst die isländische und finnische Jury dem Beitrag nicht zugeneigt waren. Das ich mich später auch von Hype um den Beitrag habe anstecken lassen resultierte zum Teil daraus, dass er mich zum einen wohlig-nostalgisch an die ESCs der 80er Jahre erinnert hat und weil ich weiß, dass die Dänen nun wahrscheinlich nie mehr einen Song in Landessprache nominieren werden und den Schweden und Norwegern Recht gegeben wird, dies nu ja auch niemals mehr zu versuchen.
@alle: Vielleicht könnte man sich da einfach ein paar Leute einkaufen, die sich um den ESC kümmern. Das erscheint mir sinnvoller, als diese Riesenkohle für Simon-Kucher rauszublasen. Es kann mir doch niemand erzählen, dass es in Deutschland keine Profis gibt, die für den ESC brennen!
Und, damit wir nicht endgültig vom Thema abkommen: Sugar sucks, Kirkorov auch. Die Gordienko war im Finale besser als im Semi, aber sie hätte das Finale niemals von innen sehen dürfen. Wo insbesondere die acht 12-Punkte-Wertungen beim Televoting herkommen, würde ich wirklich gern wissen! Wenn man das mit dem Finale vergleicht, muss eigentlich JEDER stutzig werden.
Dänemark hatte ich nie auf dem Zettel, aber der Auftritt hat uns hier total mitgerissen. War mir schon klar, dass das Ergebnis genau so gewesen sein muss.
So viele kluge und ausführliche Kommentare (und natürlich der Artikel)! Vielen Dank, ich bin begeistert! 🙂
Leider kein ESC ohne bedenkliche Misstöne. Kirkorovs Punktemaschinerie dank Powervotings in ausgewählten Staaten sowie korrupter (oder eben auch nur befreundeter) Jurymitglieder ist ausgesprochen schade. Persönlich fand ich jetzt aber das dänische Lied (trotz auf einer meiner Lieblingssprachen) definitiv nicht finalwürdiger als die moldawische MILF mit Gefrierlächeln und dem fetten Backround.
Das Verhalten der HoD Germany während der Interviews des deutschen Vertreters unter Alkoholeinfluss ist definitiv indiskutabel. Danke @Tamara für deinen Kommentar.
Mich haben dieses Jahr nur wenige Beiträge wirklich gefesselt. Froh bin ich, dass dank deutlichem Televotingsieg mit Italien einer davon gewonnen hat und somit Beiträge, die doch sehr auf Jurypunkte getrimmt waren (Schweiz, Frankreich, Malta, …) zumindest am Ende nicht ganz oben stehen konnten.
Allen eine angenehme, depressionsfreie Post-ESC-Zeit!
Dänemark ist sogar 7. (nicht 8.) im Televoting geworden, das ist schon wirklich bitter. Vor allem, wenn man nun befürchten muss, dass wie zuvor aus Dänemark nichts “Kantiges” mehr zu erwarten ist. Sehr, sehr schade.
Als Freund der Russendisko muss ich aber etwas einwerfen: Das Dream Team kann vielleicht das Televote in Moldau manipulieren, da langen wahrscheinlich 2000 Extra-SMS für 12-Punkte im Televote. Aber nicht in Frankreich, Portugal oder Tschechien.
Beim ersten mal fand auch fast jeder die Nummer in der Bubble geil, plötzlich dann nicht mehr. Den Sinneswandel hab ich nie verstanden, von den Hupfdohlen neben Serbien das Beste in dieser Kategorie des Jahrgangs.
Ich war am Samstag einfach nur froh, wieder einen ESC erleben zu dürfen. Mir hat zwar Jendrik und seinen Song wirklich gut gefallen. Auch seinen Auftritt am Samstag fand ich gut. Allerdings hat mich sein schlechtes Ergebnis nicht wirklich überrascht. Schuld an der Misere hat nicht er, sondern der NDR. Sie tun nix, um den ESC in Deutschland populärer zu machen. Wer zum ESC fährt, wird hinter verschlossenen Türen entschieden. Null Transparenz. Angeblich weil die Zuschauer keine guten Songs auswählen können. Jetzt hat die Jury auch ins Klo gegriffen, und nun? Ich bin dafür das der NDR die Verantwortung abgibt. So kann es nicht weitergehen.
@aufrechtgehn: Der “Atomic”-Kommentar bezog sich auf diesen Text: http://freakytrigger.co.uk/ft/2008/10/blondie-atomic/ . Eigentlich eine wunderbare Seite, die sich chronologisch durch die englischen Nummer-1-Hits arbeitet, aber bei diesem speziellen Artikel stellte sich mir mit fortschreitendem Lesen immer stärker die Frage, ob wir das gleiche Lied meinen, und das gleiche Gefühl hatte ich halt auch beim dänischen Beitrag dieses Jahr.
@Ospero: ein spannender Text, danke! Wobei ich zugeben muss, die Interpretation, dass es sich bei ‘Atomic’ um eine nihilistische Reflektion auf den Atomkrieg handelt, sogar nachvollziehen kann. Ich bin ja nun zu Zeiten des Kalten Krieges großgeworden, die Auslöschung der kompletten Menschheit durch die Atombombe war damals allgegenwärtiges Thema, siehe dazu auch meine Gedanken zum deutschen Beitrag 1982. Natürlich kann das auch kompletter Bullshit sein: je knapper und kryptischer die Lyrics, um so mehr Raum ist halt auch für völlig freidrehende Interpretation. Das ist ja auch das Schöne an Poptexten, dass man da hineinlesen kann, was man will. 🙂
@Thomas: Ich fand (und finde) ‘Sugar’ in der Studiofassung ja auch leider geil – es ist mein Guilty Pleasure dieses Jahrgangs. Den Live-Auftritt von Natalia im Semi fand ich aber sehr uninspiriert und wenig überzeugend, zumal es so offensichtlich 95% Vollplayback war. Daher hatte mich das Weiterkommen halt auch gewundert. Und ich vermute schon, dass in Frankreich, genau wie bei uns, im Semi hauptsächlich Migrant:innen (und Hardcore-Fans) zuschauen. Jedenfalls sind die Unterschiede im Televoting schon extrem auffällig.
Und um die beiden Themen zu verbinden finde ich diesen Moment im zweiten Halbfinale immer noch schön:
https://youtu.be/dVICcSLIHCM?t=5732
Vielleicht hat er sich aber vorher auch nur zu tief mit dem Brillenbügel in der Nase gekratzt.
Ich wollte eigentlich auf einen passenden Artikel warten, aber jetzt muss es dann doch raus:
Wie großartig ist denn der heurige ESC-Sieger?
Ich kann es leider nicht in so gute Worte fassen wie der Hausherr, aber ein solches Märchen hat der ESC seit dem Sieg von Abba vor 47 Jahren nicht mehr erlebt!
Sie stürmen mit diversen Songs die Charts auf der ganzen Welt, jeder Ihrer Auftritte im letzten Monat war ein Ereignis…alle 4 haben absolutes Star-appeal. Und was ist Damiano noch für ein begnadeter Sänger und Texter! Beide eigenen Alben bestehen fast nur aus Hits, ich höre sie jeden Tag rauf und runter.
Nebenbei sind sie noch fantastische Botschafter der LGBTQ+ community (z.B. der Auftritt in Polen mit starkem Statement am Ende), siehe Video unten.
Sorry für mein off-topic Gefasel, aber hier wird gerade Geschichte geschrieben.…