Politisch gab die einwohnerschwächste Nation Exjugoslawiens zuletzt durch religiös-nationalistisch befeuerte Tumulte im Zusammenhang mit der Amtseinführung des neuen Oberhauptes der Serbisch-orthodoxen Kirche Anlass zur Sorge, gerade auch im Hinblick auf eine zu befürchtenden Abwendung von Europa. Da kommt die heute verkündete Nachricht, dass die Schwarzgebirgler nach zwei Jahren Eurovisionspause 2022 wieder mitstreiten wollen beim europäischen Wettsingen, gerade Recht. Zumal uns das erst seit 2007 unabhängige Montenegro bei seinen bislang elf Eurovisionsteilnahmen sehr viel Schönes bescherte, seien es herrlich schmachtende, klassische Balkanballaden wie ‘Moj Svijet’ (2014), ‘Adio’ (2015) oder ‘Inje’ (2018), campen Disco-Trash wie ‘Just get out of my Life’ (2009) und die unvergessliche Schwule-im-Weltall-Hymne ‘Space’ (2017) sowie rotzfrech abgelieferte musikalische Mittelfinger wie das geniale ‘Euro Neuro’ (2012) oder das rundweg fantastische ‘Igranka’ (2013). Ob der Beitrag wieder per nationalem Vorentscheid Montevizija ermittelt oder intern bestimmt wird, ist noch offen. Bosnien-Herzegowina bleibt dem ESC hingegen erwartungsgemäß weiterhin fern: zu stark drücken noch immer die Schulden, als dass man sich das Spektakel leisten könnte. Eine kleine Chance für eine Rückkehr der Türkei nach neun Jahren Schmollpause besteht hingegen dem NDR zufolge. Das sind doch gute Aussichten für den Mai 2022!
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Montenegros Bester. Da gibt es keine Debatte.
[Nachtrag 20.10.2021:] Heute veröffentlichte die EBU die offizielle Teilnehmerliste für den 66. Eurovision Song Contest in Turin. Danach bleibt die Türkei dem Event zwar weiterhin fern, ebenso wie Ungarn. Und “Europas letzte Diktatur”, Weißrussland, bleibt aufgrund der politischen Lage weiterhin von der Teilnahme ausgeschlossen. Nach zwei Jahren Pause kehrt jedoch Armenien wieder zurück in den Schoß der Grand-Prix-Familie und stellt sich dem friedlichen Wettkampf mit dem Gegner Aserbaidschan. Auch die beiden Konfliktparteien Russland und die Ukraine haben ihre Teilnahme zugesagt, ebenso wie die aus finanziellen Gründen immer ein bisschen als potentielle Wackelkandidaten geltenden Balkanländer Bulgarien, Moldawien und Rumänien. Damit treten in der norditalienischen Metropole insgesamt 41 Nationen gegeneinander an, zwei mehr als noch in Rotterdam.
Also das mit der Türkei ist nicht nur ne Information vom NDR. Das Ganze stand auch im Ende Juni im Summerblog auf eurovision.tv. Dafür wird’s mit Ungarn auch im nächsten Jahr leider nichts, so wie es aussieht.
Ich freue mich, dass Montenegro wieder dabei ist. Zurückblickend hatten sie von allen jugoslawischen Nachfolgestaaten die größte musikalische Diversität. Nicht alle der teils sehr schrägen Beiträge gefielen mir zwar, aber ich hoffe, dass bei der Rückkehr etwas weniger beliebiges ausgewählt wird wie der Langweiler 2019, der auch aus jedem anderen Land hätte kommen können. Mein Favorit bis heute bleibt „Adio“ von Knez im Super-ESC 2015, fand aber auch den Rock-Kracher „Real Thing“ im Jahr darauf im Gegensatz zu den meisten sehr gut.
Neben Montenegro war auch Bosnien-Herzegowina für musikalisch recht unterschiedliche Stilrichtungen zuständig, nur wesentlich erfolgreicher als der kleine Nachbar. Hinter Serbien ist BiH bis heute das erfolgreichste Jugoslawien-Teilstück und ich hoffe auf eine baldige Rückkehr. Mein Lieblings-Beitrag war das durchgeknallte „Pokušaj“ von Laka beim ESC 2008 (im übrigen auch ein toller Jahrgang, trotz der No Angels und dem schlechtesten Gewinner aller Zeiten).
Bleibt jetzt nur noch zu hoffen, dass die Gerüchte über die Türkei Substanz haben und das Land zurückkehrt. Auch wenn ich die Politik der Regierung und die Richtung des Landes verheerend finde, aber dann dürften auch gleich mehrere andere Nationen nicht mit dabei sein.