Per­len der Vor­ent­schei­dun­gen: Komm in mir

Lebens­er­fah­re­ne unter mei­nen Leser:innen wer­den sich viel­leicht noch an Aman­da Lear erin­nern, die in den Sieb­zi­ger­jah­ren eine Kar­rie­re als Dis­co­kö­ni­gin (‘Fol­low me’) mach­te und auf­grund ihrer extrem her­ben Stim­me von der Skan­dal­pres­se eine Zeit­lang fälsch­li­cher­wei­se als Trans­se­xu­el­le gehan­delt wur­de, was damals absur­der­wei­se noch zum unge­heu­er­lich-pikan­ten Skan­dal taug­te. Heut­zu­ta­ge braucht es dazu ande­re Ingre­di­en­zi­en: so wie zum Bei­spiel das Tra­gen eines Pelz­man­tels oder das (aus Jugend­schutz­grün­de digi­tal zen­sier­te) Rau­chen einer Ziga­ret­te in einem Musik­vi­deo, wie es die im letz­ten Vier­tel­fi­na­le der Eesti Laul ange­tre­te­ne Namens- und Tief­s­ing­vet­te­rin der Lear, Aman­da Her­mii­ne Kün­na­pas, tat. Die gab sich aller­dings den abso­lut genia­len Künst­le­rin­nen­na­men Dra­man­da, und dra­ma­tisch düs­ter klang auch ihr bedroh­lich wabern­der Bei­trag ‘Tule min­nu sis­se’, was sich pikan­ter­wei­se mit ‘Komm in mir’ über­setzt. Eigent­lich eine Steil­vor­la­ge für einen puber­tä­ren Sex­witz, aller­dings mach­te es hier eher den Ein­druck, dass ein Exor­zis­mus von­nö­ten sei. Erwar­tungs­ge­mäß schaff­te es Aman­da, die sich wäh­rend der Stim­men­aus­zäh­lung im ETV-Sen­de­stu­dio osten­ta­tiv die Fin­ger­nä­gel feil­te, nicht wei­ter ins Semi­fi­na­le. Buh!

Stöß­chen? Dra­man­da genießt ihren Sekt ger­ne mal auf frei­em Feld.

Statt­des­sen gibt es in den Semis im Febru­ar 2022 ein Wie­der­se­hen mit Ott Lep­land, der erst vori­ge Woche das drit­te Vier­tel­fi­na­le mode­rier­te, dies­mal aber als Kom­bat­tant antrat. Erwar­tungs­ge­mäß mit einer wei­te­ren ein­dring­lich into­nier­ten Lan­des­spra­chen­bal­la­de, ‘Aoval­gu­s­es’ (‘Im Licht’), die jedoch lei­der nicht an die sam­te­ne Schmach­tig­keit von ‘Kuu­la’ anknüp­fen kann. Ein wenig irri­tier­te zudem die ori­gi­nal­ge­treue Hit­ler­fri­sur, die der anschei­nend in Hun­de­jah­ren geal­ter­te Ott im Schwarz­weiß­vi­deo zur Schau stell­te. Dane­ben wähl­ten die Zuschauer:innen eine tra­shig-ega­le Tanz­num­mer aus schwe­di­scher Seri­en­pro­duk­ti­on sowie die “est­ni­schen Fyr & Flam­me (Ben­ja­min Hertlein von ESCk­om­pakt), näm­lich das Alte-Her­ren-Trio Black Vel­vet unter Mit­wir­kung des Eesti-Laul-Urge­steins Sven Lõh­mus. Die prä­sen­tier­ten mit ‘San­dra’ tat­säch­lich einen herr­lich alt­mo­di­schen, upt­em­po­rä­ren Schun­kel­schla­ger, der beim Euro­vi­si­on Song Con­test frag­los von den Jurys geschlach­tet wür­de. A pro­pos Jury: die bestand dies­mal unter ande­rem aus Sis­si Ben­ton und ret­te­te mit den elek­tro-sphä­ri­schen ‘Gol­den Shores’ von Púr Múdd und Shira den drit­ten guten Song die­ses Abends, des­sen ein­zi­ges Man­ko in der ziem­lich brei­igen Vocode­ri­sie­rung der Stim­men und der damit ein­her­ge­hen­den Unver­ständ­lich­keit des Tex­tes bestand.

Einer der ganz, ganz sel­te­nen Fäl­le, wo ein Bart tat­säch­lich mal Schei­ße aus­sieht: Púr Múdd (plus alle zehn est­ni­schen Vier­tel­fi­nal­songs als Playlist).

6 Comments

  • Bin tat­säch­lich zufrie­den mit dem, was per Tele­vo­te da heu­te zusam­men­ge­wählt wur­de. Nur die Jury hat es ver­bockt. Dra­man­da und Ari­ad­ne hät­ten ins Halb­fi­na­le gehört!

  • Tja, ich weiß auch nicht so recht, was ich von Otti‘s Song hal­ten soll. Fängt wun­der­schön an und sei­ne Stim­me klingt wie immer nach See­len­bal­sam. Doch dann kommt ein biss­chen zu viel Geschrei von fast alba­ni­schem Aus­maß. Schwierig.

  • Geht mir bei Ott genau­so. Aller­dings gehört “Aoval­gu­s­es” den­noch zu den bes­se­ren Songs im Semi­fi­na­le, das Niveau ist ins­ge­samt ziem­lich schwach. Ganz übel war “El dia­blo Part 2” (und ich moch­te das schon über­haupt nicht..) Immer noch erstaun­lich, die­se Schwe­den­grüt­ze immer wie­der zieht. Es geht nun wirk­lich origineller.

  • Tja, nicht nur Jurys sind Wich­ser, son­dern immer wie­der ger­ne auch – und genau­so oft – das Publikum:
    Dra­man­da war ja die ein­zi­ge, die mir wirk­lich gefal­len hat. Auch schon ohne die Rau­che­rei­zen­sur und das Fin­ger­na­gel­ge­fei­le. War eben­so klar, dass das nicht wei­ter­kommt genau­so wie dass Fire (die 100000ste) weiterkommt.

    Nun ja, mit kei­nem der 40 Lie­der wür­de ein ESC gewon­nen und auch nur see­ehr unwar­schein­lich ein Fina­le erreicht. Das wäre mir egal, aber ich wur­de jetzt vier mal eine Stun­de gelang­weilt (na gut, nach der ers­ten Sen­dung war ich vor­ge­warnt und hät­te mir den Rest ja nicht antun müs­sen, sel­ber schuld).

  • Ott Lepland…schaut jetzt aus wie Mor­ris­sey, der sich in das “Angels” Video von Rob­bie Wil­liams ver­irrt hat.
    Ich fürch­te, die Esten wäh­len ihn.
    Aber egal, nach­dem mit Meis­ter­ja­an der ein­zig span­nen­de Bei­trag raus ist.
    Sei­nen Schau­fel und Besen Tanz hätt ich gern in Turin gesehen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert