Lebenserfahrene unter meinen Leser:innen werden sich vielleicht noch an Amanda Lear erinnern, die in den Siebzigerjahren eine Karriere als Discokönigin (‘Follow me’) machte und aufgrund ihrer extrem herben Stimme von der Skandalpresse eine Zeitlang fälschlicherweise als Transsexuelle gehandelt wurde, was damals absurderweise noch zum ungeheuerlich-pikanten Skandal taugte. Heutzutage braucht es dazu andere Ingredienzien: so wie zum Beispiel das Tragen eines Pelzmantels oder das (aus Jugendschutzgründe digital zensierte) Rauchen einer Zigarette in einem Musikvideo, wie es die im letzten Viertelfinale der Eesti Laul angetretene Namens- und Tiefsingvetterin der Lear, Amanda Hermiine Künnapas, tat. Die gab sich allerdings den absolut genialen Künstlerinnennamen Dramanda, und dramatisch düster klang auch ihr bedrohlich wabernder Beitrag ‘Tule minnu sisse’, was sich pikanterweise mit ‘Komm in mir’ übersetzt. Eigentlich eine Steilvorlage für einen pubertären Sexwitz, allerdings machte es hier eher den Eindruck, dass ein Exorzismus vonnöten sei. Erwartungsgemäß schaffte es Amanda, die sich während der Stimmenauszählung im ETV-Sendestudio ostentativ die Fingernägel feilte, nicht weiter ins Semifinale. Buh!
https://youtu.be/FYIyLOv5E2M
Stößchen? Dramanda genießt ihren Sekt gerne mal auf freiem Feld.
Stattdessen gibt es in den Semis im Februar 2022 ein Wiedersehen mit Ott Lepland, der erst vorige Woche das dritte Viertelfinale moderierte, diesmal aber als Kombattant antrat. Erwartungsgemäß mit einer weiteren eindringlich intonierten Landessprachenballade, ‘Aovalguses’ (‘Im Licht’), die jedoch leider nicht an die samtene Schmachtigkeit von ‘Kuula’ anknüpfen kann. Ein wenig irritierte zudem die originalgetreue Hitlerfrisur, die der anscheinend in Hundejahren gealterte Ott im Schwarzweißvideo zur Schau stellte. Daneben wählten die Zuschauer:innen eine trashig-egale Tanznummer aus schwedischer Serienproduktion sowie die “estnischen Fyr & Flamme” (Benjamin Hertlein von ESCkompakt), nämlich das Alte-Herren-Trio Black Velvet unter Mitwirkung des Eesti-Laul-Urgesteins Sven Lõhmus. Die präsentierten mit ‘Sandra’ tatsächlich einen herrlich altmodischen, uptemporären Schunkelschlager, der beim Eurovision Song Contest fraglos von den Jurys geschlachtet würde. A propos Jury: die bestand diesmal unter anderem aus Sissi Benton und rettete mit den elektro-sphärischen ‘Golden Shores’ von Púr Múdd und Shira den dritten guten Song dieses Abends, dessen einziges Manko in der ziemlich breiigen Vocoderisierung der Stimmen und der damit einhergehenden Unverständlichkeit des Textes bestand.
Einer der ganz, ganz seltenen Fälle, wo ein Bart tatsächlich mal Scheiße aussieht: Púr Múdd (plus alle zehn estnischen Viertelfinalsongs als Playlist).
Bin tatsächlich zufrieden mit dem, was per Televote da heute zusammengewählt wurde. Nur die Jury hat es verbockt. Dramanda und Ariadne hätten ins Halbfinale gehört!
Tja, ich weiß auch nicht so recht, was ich von Otti‘s Song halten soll. Fängt wunderschön an und seine Stimme klingt wie immer nach Seelenbalsam. Doch dann kommt ein bisschen zu viel Geschrei von fast albanischem Ausmaß. Schwierig.
Geht mir bei Ott genauso. Allerdings gehört “Aovalguses” dennoch zu den besseren Songs im Semifinale, das Niveau ist insgesamt ziemlich schwach. Ganz übel war “El diablo Part 2” (und ich mochte das schon überhaupt nicht..) Immer noch erstaunlich, diese Schwedengrütze immer wieder zieht. Es geht nun wirklich origineller.
Für mich klar die besten Semifinalisten
- Jyrise
– Maian
– Pur Mudd & Shira
Tja, nicht nur Jurys sind Wichser, sondern immer wieder gerne auch – und genauso oft – das Publikum:
Dramanda war ja die einzige, die mir wirklich gefallen hat. Auch schon ohne die Rauchereizensur und das Fingernagelgefeile. War ebenso klar, dass das nicht weiterkommt genauso wie dass Fire (die 100000ste) weiterkommt.
Nun ja, mit keinem der 40 Lieder würde ein ESC gewonnen und auch nur seeehr unwarscheinlich ein Finale erreicht. Das wäre mir egal, aber ich wurde jetzt vier mal eine Stunde gelangweilt (na gut, nach der ersten Sendung war ich vorgewarnt und hätte mir den Rest ja nicht antun müssen, selber schuld).
Ott Lepland…schaut jetzt aus wie Morrissey, der sich in das “Angels” Video von Robbie Williams verirrt hat.
Ich fürchte, die Esten wählen ihn.
Aber egal, nachdem mit Meisterjaan der einzig spannende Beitrag raus ist.
Seinen Schaufel und Besen Tanz hätt ich gern in Turin gesehen