Per­len der Vor­ent­schei­dun­gen: Nor­we­gens Hass auf das Meer

Seit Jahr­zehn­ten steht das König­reich Nor­we­gen, neben Island und Japan eine von welt­weit nur noch drei Natio­nen, die trotz eines inter­na­tio­na­len Mora­to­ri­ums wei­ter­hin kom­mer­zi­el­len Wal­fang betreibt, für eben die­ses Tun unter schar­fer Kri­tik von Tier­schutz­ver­bän­den. Das hier­mit ver­bun­de­ne nega­ti­ve Image scheint dem Wikin­ger­völk­chen nicht nur egal zu sein, son­dern sie zu Trotz­re­ak­tio­nen auf­zu­sta­cheln. Nur so erklärt sich das Blut­bad im gest­ri­gen ers­ten Vier­tel­fi­na­le des dies­jäh­ri­gen Melo­di Grand Prix (MGP), bei dem das abstim­mungs­be­rech­tig­te Publi­kum vor den Augen der ent­setz­ten Zuschauer:innen aus ganz Euro­pa vor lau­fen­den Kame­ras rosa Fla­min­gos abschlach­te­te. Nach den für ihre Intel­li­genz bekann­ten Mee­res­säu­gern nun also auch die Küs­ten­vö­gel: was hat die ehe­ma­li­ge See­fah­rer­na­ti­on nur gegen die Seebewohner:innen? Jeden­falls bewies das lei­der erneut im Duell­mo­dus auf­ge­zo­ge­ne, sechs­tei­li­ge MGP nach der unver­zeih­li­chen Kei­i­no-Kata­stro­phe des Vor­jah­res heu­er gleich in der Auf­takt­run­de, dass die EBU gut dar­an täte, für die natio­na­len Vor­ent­schei­dun­gen ein Ver­bot der Betei­li­gung des hei­mi­schen Publi­kums zu erwä­gen. Denn das erkennt einen erfolg­ver­spre­chen­den Grand-Prix-Bei­trag nicht mal, wenn er ihnen nackt ins Gesicht springt.

Von den Lands­leu­ten har­pu­niert: die ent­zü­cken­den Trol­le vom Trollfest.

Wobei: soweit gin­gen die sie­ben (!) gestan­de­nen Manns­bil­der von Troll­fest nicht. Statt­des­sen hat­te sich die seit 2003 bestehen­de und für ihre unge­wöhn­li­che Instru­men­tie­rung bekann­te Folk-Metal-Band, die im Vor­stel­lungs­clip optisch noch eher den Ein­druck erweck­te, in ihren Zau­sel­bär­ten Flö­he zu züch­ten, für ihren MGP-Auf­tritt in pin­ke Fla­min­go­kos­tü­me gewor­fen, mehr Make-up auf­ge­legt als jede Drag­queen und selbst die Bär­te beglit­zert. Die über­ra­schend intel­li­gen­ten Lyrics Ihres pum­pen­den Smas­hers ‘Dance like a Pink Fla­min­go’, indem sie auf fata­lis­tisch-sati­ri­sche Wei­se unse­re kol­lek­ti­ve Untä­tig­keit im Ange­sicht des lau­fen­den Mas­sen­aus­ster­bens the­ma­ti­sier­ten, prä­sen­tier­ten sie der bes­se­ren Ver­ständ­lich­keit wegen auf Eng­lisch, obschon die Band sonst über­wie­gend in einer selbst­er­fun­de­nen Troll­språk singt, einem Misch­masch aus Nor­we­gisch und Deutsch. Lei­der ver­stand man den­noch aus­ge­rech­net die bei­ßends­ten Text­zei­len (“Wie Para­si­ten haben wir uns ein­ge­nis­tet / Las­sen alle Res­sour­cen aus­blu­ten”) nicht, da Front­mann Trol­leman­nen sie über brett­har­te Metal­riffs brüll­te. Im Gegen­satz zu dem (iro­nisch) auf Par­ty getrimm­ten, tanz­bar-süf­fi­gen Refrain, was wohl gemein­sam mit der wie ein kar­ne­val­eskes Män­ner­bal­lett auf LSD wir­ken­den Insze­nie­rung bei den Meis­ten für die reflex­ar­ti­ge Ein­ord­nung in die Straf­ka­te­go­rie “Spaß­bei­trag” sorg­te (*tie­fer Seufzer*).

Ver­kam neben den bei­den in Alu­fo­lie gewi­ckel­ten Tän­zern zur Staf­fa­ge: Gabrea.

Und damit nach Litau­en, wo am Sams­tag die zwei­te Vor­run­de des Vor­ent­schei­dungs­for­mats Paban­dom iš nau­jo (PIN) zur Aus­strah­lung gelang­te. Hier stah­len die haus­ei­ge­nen Tän­zer bei eini­gen Auf­trit­ten kom­plett die Show und über­zeug­ten mit fan­tas­ti­schen Moves, sexy Mimik und sty­lisher Gar­de­ro­be, wäh­rend die von ihnen auf­ge­wer­te­ten Wett­be­werbs­bei­trä­ge bei der opti­schen Degus­ta­ti­on akus­tisch meist weder posi­tiv noch nega­tiv stör­ten. So zum Bei­spiel das mode­rat fun­ki­ge ‘Make it real’ von Gab­rea, das jedoch weder bei der Jury noch den (erneut gera­de mal 4.400) Televoter:innen zu reüs­sie­ren ver­moch­te. Eben­so­we­nig wie der eklek­ti­sche Stil­mix der Cos­mic Bri­de (bür­ger­lich: Nata­lia Kha­rets­ka­ya), eine Art Elek­tro-Folk-Fla­men­co, der kom­plett leer aus­ging. Hat­te man Angst, mit ‘The Devil lives in Spain’ für einen diplo­ma­ti­schen Miss­klang zu sor­gen? Ein Stück weit selbst die Ver­ant­wor­tung für ihr Aus­schei­den trägt hin­ge­gen die For­ma­ti­on Jus­tin 3 + Nanaart, die mit ‘Some­thing that is natu­ral’ ein extrem ent­spann­tes Stück Saxo­fon-Sun­dow­ner-Film­mu­sik bei­steu­er­te, sich für den Auf­tritt aber auf iro­ni­sche Wei­se als Coun­try­ka­pel­le zurecht­mach­te. Was bei einem der Juro­ren prompt Erin­ne­run­gen an Texas Light­ning und die Com­mon Lin­nets weck­te. Das hei­mi­sche Publi­kum jedoch zeig­te sich amerikafeindlich.

The Devil send you to Lore­do’ wuss­ten Bac­ca­ra schon Ende der Sieb­zi­ger. Nata­lia traf ihn eben­dort wie­der und schützt sich nun mit einem trag­ba­ren fara­day­schen Kopfkäfig.

Mit Hän­gen und Wür­gen schaff­te es die Stimm­trai­ne­rin Emi­li­ja Kat­aus­kai­tė gera­de noch so eben eine Run­de wei­ter ins Halb­fi­na­le, und das, obwohl sie im Tele­vo­ting mit knapp 750 Anru­fen deut­lich führ­te. Die Jury setz­te ihren ziem­lich ega­len Bei­trag ‘Illu­mi­na­te’, der eben­falls von den LRT-Tän­zern mäch­tig pro­fi­tier­te, hin­ge­gen auf den vor­letz­ten Rang. Skur­ril. Bei ihr führ­te die noch vom ESC 2018 in Lis­sa­bon bekann­te Ieva Zasi­maus­kai­tė, die sich übri­gens trau­ri­ger­wei­se von dem schö­nen Mann, der sie dort auf der Büh­ne beglei­te­te und mit dem sie ihrem dama­li­gen Lied zufol­ge gemein­sam “alt wer­den” woll­te, wie­der getrennt. Ihr neu­er Song ‘I’ll be the­re’ klang im Grun­de wie der alte. Auf Rang 2 bei den Juror:innen, aber nur auf Platz 8 beim Publi­kum lan­de­ten die bei­den Milch­büb­chen Titas & Benas und ihre unter­en­thusia­tisch dahin­ge­schlu­der­te Sitz­dis­co­num­mer ‘Get­ting through this’, einer Art Melo­di­fes­ti­valen-Bei­trag mit Long-Covid-beding­tem Erschöp­fungs­zu­stand. Immer­hin mit einem (sehr) klei­nen Trost­pflas­ter für die Troll­fest-Schmach ende­te der Abend: mit dem lus­ti­gen ‘Washing Machi­ne’, einem unter ande­rem vom Iren Micha­el James Down geschrie­be­nen Pop­song über die ver­wa­sche­ne Aus­spra­che sei­ner stets sturz­be­trun­ke­nen One-Night-Stands, schaff­te es das noch von frü­he­ren litaui­schen Vor­ent­schei­den bekann­te, fabel­haf­te Damen­trio Queens of Roses weiter.

Wenigs­tens auf dem Bal­ti­kum hat man noch Sinn für etwas Euro­vi­si­ons­spass: die Rosenköniginnen.

5 Comments

  • Schö­nen Nach­mit­tag aus Offenbach !

    Erneut eine schwa­che Aus­wahl im Land des Bern­steins… Ieva noch am Bes­ten, aber der Haus­herr hat bereits alles dar­über geschrie­ben. Weit und breit kein Bei­trag der Klas­se von The Roop.…

    Nicht viel bes­ser bei den Fjor­den. Da hof­fe ich in der Tat auf den Bananensong.

  • Ich hab mich ges­tern bei bei­den (zeit­ver­setzt geschau­ten) Sen­dun­gen zu Tode gelang­weilt. Das ein­zig amü­san­te dar­an ist der Arti­kel von Oli­ver hier.
    Aber auch die Fla­min­gos und die Wasch­ma­schi­nen­girls fand ich nur einen Hauch weni­ger unin­ter­es­sant als alles andere.

  • Erfolg­ver­spre­chen­der Grand-Prix-Bei­trag? Die Fla­min­gos? Ernst­haft jetzt? Das war zwar lus­tig kos­tü­miert, hat­te eine sicher­lich heh­re Bot­schaft (von der ich lei­der kein Wort ver­stan­den habe, und wil­der­te in Musik­ge­fil­den, die mir übli­cher­wei­se gefal­len. ABER: Kei­ne Struk­tur im Song, ver­stan­den hat man, wie gesagt, nichts, und denkt euch mal die Fla­min­go­din­ger auf dem Kopf weg, was bleibt denn dann bit­te noch übrig?

  • Also mir blieb beim Erst­run­den-Aus der Fla­min­gos echt der Mund offen stehen…
    Mal sehen ob die Nor­we­ger eben­so uner­bitt­lich Wöl­fe jagen

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