Per­len der Vor­ent­schei­dun­gen: Ohne Brüs­te kei­ne Menschheit

Wäh­rend in Deutsch­land trotz der gefühlt vier­hun­derts­ten Neu­aus­rich­tung des natio­na­len Vor­ent­scheids in den letz­ten zehn Jah­ren das “ESC-Feu­er” noch nicht rich­tig lodern will, ent­zün­de­te der spa­ni­sche Sen­der RTVE die­se Woche mit dem tra­di­ti­ons­rei­chen, am Vor­bild von San Remo geschul­ten Fes­ti­val Inter­na­cio­nal de la Can­ción de Beni­dorm, wel­ches RTVE 16 Jah­re nach des­sen Ein­stel­lung wie­der aus der Mot­ten­kis­te kram­te, ent­staub­te und unter dem etwas kna­cki­ge­ren Namen Beni­dorm Fest neu auf­leg­te, tat­säch­lich ein hell leuch­ten­des Grand-Prix-Feu­er­werk. An zwei Aben­den tra­ten zu ange­mes­sen spä­ter Stun­de jeweils sie­ben her­aus­ra­gen­de Acts mit tol­len Songs und fan­tas­ti­scher Prä­sen­ta­ti­on gegen­ein­an­der an und kämpf­ten um einen der vier Plät­ze für das Fina­le am heu­ti­gen Sams­tag. So jeden­falls der Plan: bekannt­lich zog die für das ers­te Semi ein­ge­plan­te Luna Ki ihren Bei­trag kurz­fris­tig zurück, weil die ansons­ten stets mit voll­flä­chi­ger Auto­tu­ne-Stimm­ver­zer­rung arbei­ten­de Künst­le­rin kom­plett live sin­gen soll­te, nackt gewis­ser­ma­ßen. Und so begann die Show am Mitt­woch eben mit Start­platz 2. Nur zwei Titel konn­ten also hän­gen­blei­ben, und tat­säch­lich war es um bei­de mehr oder min­der scha­de, obschon es die Rich­ti­gen traf.

Uni­que”, also ein­zig­ar­tig, war die­se Boy­band-Karaōke nun wirk­lich nicht.

Das gilt ins­be­son­de­re für die Boy­band Uni­que, die einen beson­ders scha­len Pop-Auf­guss ein­schenk­te, an dem zwar sie­ben Autoren her­um­ge­dok­tert hat­ten, der aber den­noch – oder des­we­gen – klang wie aus einem Sta­pel abge­lehn­ter Vor­schlä­ge für das Melo­di­fes­ti­valen 2002 her­aus­ge­kramt. Und das schon in der Stu­dio­ver­si­on! Live bewies das Quar­tett dann erneut, dass gleich­zei­ti­ges Sin­gen und Tan­zen die meis­ten über­for­dert. Da konn­te noch nicht mal der kurz vor Schluss extra für Ziel­grup­pe ein­ge­bau­te (und den bei­den Prot­ago­nis­ten sicht­lich unan­ge­neh­me) schwu­le Kuss etwas her­aus­rei­ßen. Bit­te­re Trä­nen wei­ne ich hin­ge­gen über den Ver­lust des anda­lu­si­schen Schwes­tern­du­os Azú­car Moreno (Sie erin­nern sich, die mit dem klem­men­den Ton­band in Zagreb 1990). Die bei­den über sech­zig­jäh­ri­gen Büh­nen­göt­tin­nen ori­en­tier­ten sich beim Out­fit an Bac­ca­ra, inklu­si­ve der schwin­del­erre­gend hohen Stö­ckel, auf denen sie sich den­noch mit einer natür­li­chen Gran­dez­za beweg­ten, als sei­en sie dar­in gebo­ren. Lei­der hat­ten auch sie stimm­lich ein biss­chen zu kämp­fen, bewie­sen aber den­noch, dass in Sachen domi­na­haft-fabu­lö­ser Aus­strah­lung nie­mand in Euro­pa die Spa­nie­rin­nen top­pen kann!

Abso­lut anbe­tungs­wür­dig: die Salazar-Schwestern.

Was übri­gens glei­cher­ma­ßen für die Como­de­ra­to­rin María Olvi­do Gara Jova ali­as Alas­ka gilt, die sich hin­sicht­lich Haa­ren und Schmin­ke kei­ner­lei Zurück­hal­tung auf­er­leg­te und wegen der allei­ne ich mir wünsch­te, dass die Ibe­rer den Bums die­ses Jahr gewin­nen, weil ich die­se Natur­ge­walt auf der gro­ßen Euro­vi­si­ons­büh­ne sehen will! Wie Wiki­pe­dia ver­rät, for­mier­te Alas­ka im Jahr 1977 übri­gens eine der ers­ten spa­ni­schen Punk­bands mit dem fabel­haf­ten Namen Kaka de Luxe und spiel­te 1980 in Pedro Almo­dó­vars ers­tem (und abso­lut gran­dio­sen) Film Pepi, Luci, Bom und der Rest der Ban­de mit, und spä­tes­tens jetzt steigt mei­ne Lie­be für die Frau ins Uner­mess­li­che. Im zwei­ten Semi am Don­ners­tag schräg­te es dann drei Titel, denn dies­mal tra­ten tat­säch­lich alle sie­ben Kombattant:innen an. Wobei Gon­za­lo Her­mi­da auf­grund eines posi­ti­ven Covid-Tests aus der Qua­ran­tä­ne zuschau­en muss­te, wäh­rend RTVE den Video­clip sei­nes Bei­trags ein­spiel­te. Er schaff­te es den­noch wei­ter, wäh­rend Sara Deop sich mit der schwe­di­schen Fließ­band­pro­duk­ti­on ‘Make you say’ mit dem letz­ten Platz begnü­gen muss­te. Ein wenig for­der­te sie es mit der Wahl der Büh­nen­de­ko­ra­ti­on her­aus: ein neon­be­leuch­te­tes, begeh­ba­res Sex­ta­gon, genau so wie bei der tap­fe­ren Bri­tin SuRie und ihrem Flit­zer in Lis­sa­bon. Zwar stürm­te heu­er nie­mand den Auf­tritt, doch die Erin­ne­run­gen unter­stri­chen nur, dass auch Saras Song im Ansatz zu grö­ße­rem taug­te, jedoch viel zu lahm herüberkam.

Scha­de um die vier wirk­lich hin­rei­ßend schö­nen Tän­zer: Sara Deop muss zu Hau­se bleiben.

Doch auch zwei wirk­lich sen­sa­tio­nel­le Club­stamp­fer blie­ben lei­der auf der Stre­cke: Javie­ra Mena brach­te sich für ihr kraft­vol­les ‘Cul­pa’ zur voka­len Ver­stär­kung eine im Halb­dun­kel des Büh­nen­hin­ter­grunds ver­steck­te Zweit­sän­ge­rin mit und konn­te so in ihrem Domi­na­trix-meets-Phan­ta­sy-Out­fit per­for­ma­to­risch alles geben. Ein kol­lek­ti­ves “Ewww” ging jedoch durch die Zuschauer:innenschaft und die fünf­köp­fi­ge Jury, als sie sich von einer ihre vier Tän­ze­rin­nen die Schul­ter anle­cken ließ, was viel­leicht sexy gemeint war, zu Zei­ten der Seu­che aber eher abschre­ckend wirk­te. Ohne Schat­ten­sän­ge­rin ver­such­te es Mar­ta San­go, und lei­der hör­te man es stel­len­wei­se. Mit einem anbe­tungs­wür­di­gen Sech­zi­ger­jah­re-Beehi­ve, bon­bon­far­be­nen Out­fits und in Beglei­tung von fünf hin­rei­ßend andro­gy­nen “Musi­kern” und Tän­zern wirk­te ihre Per­for­mance, als sei Tama­ra Jagel­l­ovsk von der Raum­pa­trouil­le durch einen Feh­ler im Raum-Zeit-Kon­ti­nu­um auf einen Gala­xien ent­fern­ten Dis­co-Pla­ne­ten in den Acht­zi­gern gebeamt wor­den und mische nun dort gemein­sam mit ihrer Gang den ört­li­chen Gay­club auf. Es war camp bis zum Abwin­ken und selbst­ver­ständ­lich fantastisch!

Kuck mal, Andy Bell von Era­su­re (im Bild rechts) war frü­her mal ein ganz schö­nes Mop­pel­chen (und selbst­ver­ständ­lich zum Ver­lie­ben süß)!

Dass wir einer spa­ni­schen Vor­auswahl bei­wohn­ten, merk­te man bei der Punk­te­ver­ga­be. Hier ent­schied neben einer angeb­lich reprä­sen­ta­tiv bestimm­ten demo­sko­pi­schen Jury (25%) und dem zuletzt ver­le­se­nen Tele­vo­ting (25%) eine zu zwei Fünf­tel inter­na­tio­nal besetz­te Sen­der­ju­ry. Als die­se im ers­ten Semi die dor­ti­gen Publi­kums­lieb­lin­ge Tan­xu­guei­ras mit einem hin­te­ren Platz her­aus zu mani­pu­lie­ren such­te, muss­te die­se – übri­gens völ­lig zu Recht – gel­len­de Pro­test­ru­fe vom (vor­bild­haft mas­ken­tra­gen­den) Saal­pu­bli­kum über sich erge­hen las­sen, und für einen kur­zen, glor­rei­chen Moment lag eine laten­te Lynch­mob­stim­mung in der Luft. Doch der Sen­der hat­te in wei­ser Vor­aus­sicht die Tickets für das Beni­dorm Fest an die hei­mi­schen Fan­clubs ver­ge­ben, und schwu­le ESC-Fans mögen kei­fen, grei­fen aber nicht zu kör­per­li­cher Gewalt. Außer es gibt kos­ten­lo­se Givea­ways! Mal schau­en, ob es im heu­ti­gen Fina­le zu Aus­schrei­tun­gen kom­men wird, soll­ten die Fünf wie befürch­tet den Sieg von Rigo­ber­ta Ban­di­ni und ihrer unglaub­lich unter­halt­sa­men Ode an die Mut­ter bezie­hungs­wei­se die weib­li­che Brust ver­hin­dern. Was tat­säch­lich das Dümms­te wäre, das die Iberer:innen tun könn­ten, auch wenn nun wirk­lich alle acht Finalist:innen eine Euro­vi­si­ons­teil­nah­me verdienten.

Ich will Rigo­ber­ta und ihren Busen­glo­bus auf der ESC-Büh­ne in Turin sehen. Haben wir uns verstanden?

5 Comments

  • Mode­ra­to­rin Alas­ka hat übri­gens auch, damals mit ihrer Band Dinara­ma, DIE spa­ni­sche Schwu­len­hym­ne schlecht­hin “A qui­en le impor­ta” (Wen kümmert’s) auf­ge­nom­men, der auch heu­te noch qua­si täg­lich in fast jeder spa­ni­schen Schwuen­knei­pe gespielt wird.

    Ich wei­ne noch immer um Toni und Encar­na (die Azu­car Morenos) und gebe hier mal den Oli­ver bezüg­lich der Wetung für die Tanxigueras:

    Jurys sind Wich­ser!” (der Mei­nung bin ich ja nicht immer).

    Ich sähe also ent­schie­den am liebs­ten die Gali­zie­rin­nen in Turin, aber es ent­schei­det sich heu­te Abend dann ja wegen der de fak­to über 50% der Jury­macht wohl zwi­schen der Busen­streich­le­rin Rigo­ber­ta und der Mumu­schütt­le­rin Chanel…

  • Die­ses Mal bin ich nicht ganz bei Dir.
    Den spa­ni­schen Vor­ent­scheid emp­fin­de ich als ein Sam­mel­su­ri­um Mit­tel­stür­mer bis furcht­ba­rer Bei­trä­ge, deren höchs­ter Gip­fel, die von Die so gelob­te Rigo­ber­ta ist. Klar, Du bist Trash- und Camp­li­eb­ha­ber. Für mich aller­dings ist die­ses in allen Belan­gen trau­ma­ti­sie­ren­de Mach­werk die größ­te Her­aus­for­de­rung seit Kras­si­mir Abra­mov. Ich hof­fe heu­te Abend auf einen Sieg von Cha­nel oder Ray­den. Tanx oder Palo­ma wären auch OK, alle anderen…bitte NEIN. Ich fürch­te aber, dass es Rigo­ber­ta wird, denn wenn ich mich recht ent­sin­ne, wur­de sie vor­ges­tern vor allem auch von der von Dir ach so geschol­te­nen Jury mit Rie­sen­ab­stand auf Platz 1 gewählt. Gut, habe ich am 14. Mai was für die P‑Pause.

  • Also die 8 Fina­lis­ten sol­len das Bes­te sein, was Spa­ni­en musi­ka­lisch zu bie­ten hat? Echt jetzt? Neben viel 08/15 Mucke, gibts mir zu viel Gejau­le, da blu­ten einem wirk­lich die Ohren. Die­se Rigo­ber­ta, die nach ihre Mami gröhlt, kann Spa­ni­en ger­ne zum ESC schi­cken, wenn sie wie­der ganz weit hin­ten lan­den wol­len. Wirk­lich bes­se­res gibt es im Fina­le ja nicht.

  • Ray­en, Tan­xu und Blan­ca Palo­ma wären eine exzel­len­te Wahl gewe­sen, auch mit dem Tit­ten­song (ich ver­ste­he ja den Text) hät­te ich mitt­ler­wei­le leben kön­nen. Aber dank der “Fach­ju­ry” (dies­mal bin ich auf Sei­ten des Haus­herrn) gibt es jetzt die­sen fau­len Kom­pro­mis. “Slo­mo” gefällt mir lei­der gar nicht, lau­er Lati­no­auf­guss und wie sich man­che aus­län­di­sche Pro­du­zen­ten die­ses Gen­re vor­stel­len.… Platz 15 könn­te aber durch­aus drin sein. Ich wer­te jedoch mit 2 von 10 Punkten.

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