Wie in Nordmazedonien fand gestern Abend auch in Irland die Vorauswahl zum Eurovision Song Contest 2022 statt. Und tatsächlich gab es neben dem Datum zahlreiche weitere Gemeinsamkeiten: wie das kleine Balkanland organisierte auch die einstmalige Dauersiegernation zum ersten Mal seit 2015 wieder einen öffentlichen Vorentscheid, den Eurosong. Wie dort standen sechs Beiträge zur Wahl, deren musikalische Güte der von den NDR-Songchecks bekannte Marcel Stober auf Twitter pointiert zusammenfasste: “Irischer Vorentscheid ist, wenn 5 Songs egal sind und einer nervt wie Sau”. Und wie in Mazedonien gab es heftige Diskrepanzen zwischen dem Urteil der Jury und dem Televoting, nur dass sich auf der grünen Insel erfreulicherweise das Publikum durchsetzte. Wie bereits bei früheren Okkasionen integrierte der Sender RTÉ den Eurosong erneut in die am längsten laufende Late-Night-Show des Kontinents, die erst gegen halb elf beginnende Late Late Show. Dies hatte zur Folge, dass die Sendung parallel mit dem vierten Abend des San-Remo-Festivals lief, und das Hin- und Herschalten zwischen beiden Shows verursachte ob der massiven Qualitätsunterschiede körperliche Schmerzen.
Irischer geht es nicht mehr: ein rothaariges Bürschchen namens Patrick eröffnete den Songreigen (Playlist mit den Beiträgen).
So wurden wir Zeuge, wie ein extrem überagierendes Castingshowbübchen mit dem schönen landestypischen Namen Patrick O’Sullivan einen vom ehemaligen Eurovisionsrepräsentanten Nicky Byrne mitverfassten Midtemposeichsong zerjodelte, während (warum auch immer) ein Heteropärchen hinter ihm auf dem Bett tanzte. Mit Brendan Murray falsettierte sich ein weiterer ehemaliger Grand-Prix-Vertreter durch eine selbstgeschriebene, durch die Bank belanglose Schnarchballade. Die im klassischen Operngesang ausgebildete Rachel Goode deklarierte in ihrem klassischen Schwedenschlager ‘I’m loving me’: good for you, Girl, wenn es sonst schon keiner tut. Etwas Optimismus verbreiten in den Zeiten der Seuche, das versuchte der hauptsächlich im Dance-Bereich beheimatete Singer-Songwriter Miles Graham Miley mit seiner bereits während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 verfassten Durchhalteparole ‘Yeah, we’re gonna get out of it’. Warum er das zur Melodie des britischen ESC-Rohrkrepierers ‘Teenage Life’ von Daz Sampson (2006) tun und auch dessen hochgradig nervenden Schulmädchenchor in abgewandelter Form zurückbringen musste, bleibt wohl sein Geheimnis. Dann doch lieber stille Quarantäne.
Unterstrich das “Casual” in “Casual Friday”: Daz Graham aka Miles Sampson.
Gut kam diese Nummer hingegen bei der vermutlich pandemiemüden vierköpfigen Studiojury an, die mit solchen sich auf der Höhe der Zeit befindlichen Trend-Experten wie dem irischen Eurovisionssieger von 1994, Paul Harrington, besetzt und offenbar vertraglich verpflichtet war, jeden der sechs Songs massiv über den grünen Klee zu loben. Wie, um alle meine Vorurteile über Jurys zu bestätigen, bestimmten sie die rettungslos altmodische Ballade ‘Ashes of Yesterday’ der X‑Factor-Teilnehmerin Janet Grogan zu ihrem Siegerlied, die im Televoting völlig zu Recht ganz hinten landete. Das Publikum favorisierte wiederum mit der quietschigen Girl-Pop-Nummer ‘That’s rich’ der im Pyjama durch das TV-Studio hüpfenden The-Voice-UK-Teilnehmerin Brooke Scullion den einzigen Song des Abends, der über so etwas wie einen Puls verfügte. Es zeigte sich darin einig mit der ebenfalls zu einem Drittel in die Wertung einfließenden internationalen Jury, in der sich Daði Freyrs bezaubernde Ehefrau Árný Fjóla Ásmundsdóttir ebenso fand wie der unvermeidliche William Lee Adams von Wiwibloggs. Das reichte, um die Geschmackgeront:innen der heimischen Jury zu überstimmen, so dass die auf sympathische Weise etwas prollig wirkende Brooke nun nach Turin fahren darf.
Ich, wenn ich um zehn Uhr im Büro sein muss und um 9:45 Uhr erst aufwache: Brooke.
Besonders cringe übrigens der Moment, als der Late-Late-Show-Moderator Ryan Tubridy im Nachgang zu Scullions Akklamation die vier Studiogäste, die sie zuvor in ihrer Wertung auf den vorletzten Platz gesetzt hatten, zu einer abschließenden Runde an Lobhudeleien auf die Siegerin aufforderte, welche diese sich auch tapfer die Zähne bleckend aus dem Hals pressten. Weswegen er nicht einfach die Vier mit dem Kopf zuerst in ein Fass voller Pech und Schwefel tunkte, will sich mir nicht erschließen: es wäre für alle Beteiligten sicherlich weniger entwürdigend gewesen. Doch der planlose Umgang des irischen Fernsehens mit seinem glorreichen Grand-Prix-Erbe äußerte sich nicht nur in der durchschaubaren Zwangsbejubelung schlechter Vorentscheidungsacts. Schon der Einspieler mit vergangenen Eurovisionsmomenten zum Auftakt der Show schwelgte besonders ausführlich in den ruhmreichen Neunzigern und skippte im Schnellverfahren über die mehr oder minder unterbrechungsfreie Reihe von Nichtqualifikationen in diesem Jahrtausend. Und als Pausenact wärmte man den größten Erfolg der Insulaner wieder auf: den ‘Riverdance’. Der kam den Twitterkommentaren zufolge auch bei den internationalen Fans am besten an. Vielleicht sollte RTÉ die Tap-Dance-Gruppe einfach noch acht Worte singen lassen und nach Turin entsenden?
Respekt vor der sportlichen Leistung: die Riverdance-Enkelgeneration begeisterte beim Vorentscheid.
Vorentscheid IE 2022
The Late Late Show. Freitag, 4. Februar 2022 aus den RTÉ-Studios in Dublin. Sechs Teilnehmer:innen. Moderation: Ryan Tubridy. Vierköpfige Studiojury, vierköpfige internationale Jury und Televoting (je 33%).# | Interpreten | Songtitel | Jury IE | Jury Intl. | Televote | Platz |
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01 | Patrick O’Sullivan | One Night, one Kiss, one Promise | 06 | 10 | 06 | 04 |
02 | Janet Grogan | Ashes of Yesterday | 12 | 08 | 04 | 02 |
03 | Brandon Murray | Real Love | 08 | 02 | 02 | 06 |
04 | Miles Graham | Yeah, we’re going to get out of it | 10 | 06 | 08 | 03 |
05 | Rachel Goode | I’m loving me | 02 | 04 | 10 | 05 |
06 | Brooke Scullion | That’s rich | 04 | 12 | 12 | 01 |
Letzte Aktualisierung: 05.02.22
Was denkst Du? Schafft Irland 2022 mal wieder den Finaleinzug?
- Dieser billige Pop-Trash? Das wird nichts mehr mit den Iren beim ESC. (57%, 26 Votes)
- Ja, denke schon. Die Nummer ist zumindest unterhaltsam und das Outfit einprägsam. (22%, 10 Votes)
- Sie sollten wirklich die Riverdance-Crew schicken. (22%, 10 Votes)
Total Voters: 46
Irland 2023>
Ich schaue die Vorentscheidungen zwar auch erst seit zwei Jahren wieder etwas aktiver, aber ich verstehe einfach den Sinn dahinter nicht, zwischen zwei (oder mehr) parallel laufenden Vorentscheidungen hin- und her zu wechseln. Bei mir würde das immer für Kopfschmerzen sorgen, egal, wie gut die Formate sind. Einiges sollte man sich lieber erst aus der Konserve anschauen, seien aus auch nur die Einzelauftritte, m. M. n.
Und zudem war das abzusehen, dass die Late Late-Show mal wieder grottig wird. Dazu noch diese ewig gestrige Selbstbeweihräucherung der Iren:innen. Egal ob der eine millionste Verweis darauf, dass Irland ja bisher am erfolgreichsten beim ESC war, Paul Harrington in der Jury oder Riverdance als Interval-Act. Es ist einfach nur noch peinlich mit Irland, was einfach schade ist. Einziger Vorteil war, dass das wenigstens mal ne Vorentscheidung war, bei dem ich die Sprache verstanden habe.
Zum Beitrag: Ja, typischer Fall von Einäugige unter den Blinden. Wer dafür stimmen soll? Weiß ned.
Ok, kann man machen, so einen völlig aus der Zeit gefallenen Rohrkrepierer nach Turin zu schicken… Reich wird man damit nicht
Das war wirklicj eine Sendung, die kein Mensch braucht. Alles aus der Zeit gefallen; offensichtlich fliehen alle musikalisch begabten Iren schnellstmöglich nach London. Der Siegertitel schafft es gleichzeitig nervig und langweilig zu sein.