Die zweimalige maltesische Eurovisionsvertreterin Ira Losco verkauft jetzt schicke Küchen. Und das Eiland Gozo ist das Seitenbacher Müsli unter den Urlaubsdestinationen: mir nun alleine schon aufgrund der nervtötend penetranten Reklame verhasst. Diese beiden Erkenntnisse bleiben von den zwei Abenden des Malta Eurovision Song Contest (MESC) 2022 zurück, dem heuer wieder zurückgekehrten klassischen Vorentscheidungsformat des Senders PBS, das aus schätzungsweise 60% Werbeunterbrechungen bestand. Zwischen diesen ausgedehnten Refinanzierungsflächen durften insgesamt 22 Künstler:innen um das Ticket nach Turin kämpfen, von denen eine Jury im Halbfinale am vergangenen Donnerstag bereits ganze sechs (!) Acts aussortierte. Und weil dieses Eindampfen des Konkurrenzfeldes den Verantwortlichen als zu massiv erschien (beziehungsweise weil PBS zusätzliche Einnahmen durch das Televoting generieren wollte), durfte das Publikum im Anschluss eine Wildcard vergeben. Die ging an Jessika Muscat, die sich 2018 die Eurovisionsteilnahme über die fischige san-marinesische Vorentscheidung 1in360 erkauft hatte. Die Rache der Jury für ihr damaliges Fremdgehen folgte auf dem Fuße: im MESC-Finale erhielt sie nicht ein einziges Pünktchen von den sechs Abstimmungsberechtigten.
https://youtu.be/NAWQ930DGXI
Ein klassischer Vella-und-Borg-Baukastenschlager, von einer ehrgeizigen Sängerin kompetent präsentiert: so kennen wir Malta.
Die hatten sich ohnehin zu einem klar konzertierten Voting verabredet und vergaben ihre jeweiligen Dix und Douze Points komplett einheitlich. Womit das ohnehin nur zu einem Siebtel zählende Televoting noch mehr zur einzig und alleine dem Geldscheffeln dienenden Farce verkam, denn selbst bei einem abweichenden Abstimmungsverhalten der Zuschauer:innen hätten diese gegen die sechs Juror:innen keine Chance gehabt. Allerdings verhielt sich das heimische Publikum konform und votierte ebenfalls mehrheitlich für Emma Muscat und ihre schnarchlangweilige Midtempo-Klavierballade ‘Out of Sight’. In dieser spricht die 22jährige mit ihrem Kindheits-Ich. So lässt es sich jedenfalls aus den sehr wenigen einigermaßen verständlichen Textzeilen ableiten, welche Emma nicht vollständig vernuschelte oder durch Überbetonung unhörbar machte. Beziehungsweise durch die permanente Einblendung eines kleinen Mädchens auf den LED-Screens, das den gleichen Samra-Goldlamée-Gedächtnisbody trug wie unsere Interpretin. Und das am Schluss sogar auf die Bühne spazierte und mit seinem Erwachsenen-Ich Händchen hielt, zur Rührung der Zuschauer:innen und zum Punkteabgreifen bei den Jurys.
https://youtu.be/Z2AFJLV3bFQ
Beim echten ESC aus Fairnessgründe verboten: der Einsatz von Kindern als Punktewaffen auf der Bühne. Nicht so in Malta.
Den Kürzeren zog bei dieser offensichtlichen Schiebung der in internationalen Fan-Umfragen überall führende Aidan Cassar und sein in maltesischer Muttersprache dargebotener, infektiöser Latino-Pop-Schlager ‘Ritmo’. Ihm geriet womöglich seine Bühnengarderobe und Inszenierung zum Verhängnis, weckten die Cowboyfransen an seiner Jeansjacke doch kollektiv verdrängte Erinnerungen an den ebenfalls vermutlich tragisch veranlagten Kollegen Renato Micallef (1975) und seinen legendären Fransenpulli. Auch insgesamt verströmte die Choreografie und das Bühnensetting trotz des vorsichtshalber erfolgten Einsatzes von zwei Tänzerinnen ein unübersehbares Brokeback-Mountain-Feeling: eindeutig zu viel für das katholisch geprägte und dementsprechend unterschwellig homophobe Malta, das sich lieber seine Chance auf einen Finaleinzug in Turin durch die Lappen gehen ließ. Klar, Werbekunden wie die maltesische Medirect Bank dürfen in den Reklamepause gerne zielgruppengerecht ein schwules Pärchen zeigen, das man aufgrund der optischen Ähnlichkeit aber auch für Brüder halten konnte, um die eigene Komfortzone nicht verlassen zu müssen. Aber ein sexy Cowboy als Repräsentant? Eher nicht.
https://youtu.be/T6_VrF0eG_E
Nachher, wenn die beiden Sandprinzessinnen im Kuhfell-BH wieder weg sind, geht’s zu dritt in Zelt: Aidan und die Village-People-Tänzer.
Ansonsten gab es die aus Malta gewohnte Mischung aus viel zu wenig lustigem Trash und viel zu viel hochglanzpoliertem Mittelmaß zu sehen. Für ersteres zeichnete beispielsweise das einschlägig vorbestrafte Dance-Projekt Baklava verantwortlich, das mit ‘Electric Indigo’ einen beatbetonten Ethno-Disco-Stampfer aus der Feder des notorischen Songschreiberduos Vella & Borg zu Gehör brachte, von dem vor allem die gläserne Geige und das auf dem LED-Screen eingeblendete Coronavirus in Erinnerung blieben. Oder der einstmals auf den Namen Matthew Anthony hörende Matt Blxck, ein erstaunlicherweise irgendwie gleichzeitig butcher wie sehr camper Rapper in einem schwarzen Latex-Onsie, der sein neues Pseudonym in seinem Beitrag ‘Come around’ eigens buchstabierte und in großen Lettern auf den Hintergrund schreiben ließ, damit wir es uns auch ja merken. Ist gelungen! Einen schon tausend Mal gehörten Stangenwaren-Schwedenschlager hatte sich Nicole Azzopardi mit ‘Into the Fire’ beim Team Boström eingekauft. Memorabel blieb an ihrem Auftritt vor allem die Kostümierung als güldene Meerjungfrau/Seeungeheuer, inklusive der bis zum Kinn durchgezogenen Bemalung mit reptilen Schuppen. Und die beiden breitschultrigen Tänzer.
https://youtu.be/zcbJroWX6w8
“I’m down on my Knees […] a Helluva Licker”: Matt vertonte hier sein Gayromeo-Profil.
Für einen kurzen Schreckmoment sorgte die Sängerin Raquel Galdes Briffa, die den Auftakt ihrer von Aidan Cassar komponierten, todlangweiligen Trennungsschmerzballade ‘Over you’ auf dem Bühnenboden sitzend intonierte. Wobei sie in ihrem rosafarbenen Tüllkleid aussah wie eine langsam wegschmelzende Hochzeitstorten-Marzipanfigur auf einer heißen Herdplatte. Die ein wenig magersüchtig wirkende Balladesse Sarah Bonnici hatte offensichtlich alle vom San-Remo-Festival übriggebliebenen Blumensträuße günstig aufgekauft und mit den noch ansehnlichen Resten ihr Bühnenpiano beschmückt. Das machte ihre Midtempoballade ‘Heaven’ aber auch nicht ansehnlicher. A propos: der entgegen aller früheren Beteuerungen bereits zum neunten Mal am MESC teilnehmende Richard Edwards sah auch schon mal lebendiger aus. Sein Beitrag ‘Hey Little’ klang mumfordesk wie immer. Die Muttermilch einschießen ließ mir schließlich der ehemalige X‑Factor-Contestant Mark Anthony Bartolo. Dessen selbstgeschriebene Covid-Ballade ‘Serenity’ vermochte in ihrer Harmlosigkeit zwar nicht zu überzeugen. Dafür strahlte der etwas mumpsbackige Sänger soviel tapsige Welpenhaftigkeit und grundgütige Seelenhaftigkeit aus, dass man ihn umgehend adoptieren wollte. Oder wenigstens aufmunternd in die Wangen kneifen.
https://youtu.be/eEfEARkdjJ0
Da stehst du wieder mal / mit Deinem Hundeblick: Mark Anthony Bartolo.
Vorentscheid MT 2022
Malta Eurovision Song Contest. Samstag, 19. Februar 2022, aus dem Ta’ Qali Fairs and Conventions Centre in Valletta. 17 Teilnehmer:innen. Moderation: Stephanie Spiteri, Quiton Scerri, Ron Briffa. Sechsköpfige Jury (85,7%), Televoting (14,3%).# | Interpreten | Songtitel | Jury | Televote | Platz |
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01 | Baklava + Nicole | Electric Indigo | 06 | 01 | 15 |
02 | Norbert Bondin | How special you are | 30 | 04 | 04 |
03 | Matt Blxck | Come around | 15 | 03 | 07 |
04 | Giada | Revelación | 07 | 01 | 14 |
05 | Jessika Muscat | Kaleidoskope | 00 | 01 | 17 |
06 | Raquel Galdes | Over you | 08 | 00 | 13 |
07 | Nicole Hammet | A Lover’s Heart | 15 | 01 | 08 |
08 | Miriana Conte | Look what you’ve done now | 27 | 01 | 06 |
09 | Nicole Azzopardi | Into the Fire | 31 | 05 | 03 |
10 | Sarah Bonnici | Heaven | 09 | 01 | 12 |
11 | Enya Magri | Shame | 12 | 03 | 09 |
12 | Denise Mercieca | Boy | 28 | 03 | 05 |
13 | Emma Muscat | Out of Sight | 72 | 20 | 01 |
14 | Janice Mangion | Army | 06 | 01 | 16 |
15 | Mark Anthony Bartolo | Serenity | 10 | 01 | 11 |
16 | Aidan Cassar | Ritmu | 60 | 12 | 02 |
17 | Richard Edwards | Hey Little | 12 | 01 | 10 |
Was denkst Du? Schafft Malta mit Emma Muscat den Finaleinzug in Turin?
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- Mir doch egal. Ich bestelle gerade eine neue Küche. (31%, 15 Votes)
- Ja. Das ist eine schöne Ballade, sie ist eine tolle Sängerin, das Thema berührt. (10%, 5 Votes)
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Ganz klar eine Fehlentscheidung, “Ritmu” wäre schon ganz gut gewesen für den ESC. Dieses süßliche Schnarchteil ist nicht der Rede wert und wurde nur wegen der Optik und dem Bekanntheitsgrad von Frau Muscat gewählt. Bislang mein letzter Platz und 2 von 12 Punkten,
Merkwürdiges Ergebnis, zumal ich das Lied von Frau 0 Punkte Muscat genauso gut bzw. schlecht finde, wie das der Frau 72 Punkte Muscat. Ritmo Aiden hat mich allerdings leider auch nicht überzeugt.
Naja, der Siegersong hat für ne Ballade zumindest einen gewissen Zug nach vorne.
Beim deutschen VE hätte es sicher Siegchancen, aber in Turin ist es höchstens ein Borderliner im Semi.