Uuden Musii­kin Kil­pai­lu 2022: Nimm mich, ich wer­de mich ergeben

Mit dem erwart­ba­ren Ergeb­nis ende­te ges­tern Abend der erneut extrem hoch­wer­tig bestück­te fin­ni­sche Euro­vi­si­ons­vor­ent­scheid Uuden Musik­iin Kil­pai­lu (UMK) 2022. Sowohl die inter­na­tio­na­len Jurys als auch die hei­mi­schen Zuschauer:innen votier­ten mit gro­ßer Mehr­heit für die sichers­te Opti­on, näm­lich die euro­pa­weit bekann­te und erfolg­rei­che Rock­band The Ras­mus. Das bereits 1994 gegrün­de­te Quar­tett um den cha­ris­ma­ti­schen Front­mann Lau­ri Johan­nes Ylö­nen hat­te 2003 mit ‘In the Shadows’ auch in Deutsch­land einen Num­mer-Eins-Hit und hält sich seit­her ste­tig in den Charts. Für ihren UMK-Song ‘Jeze­bel’ hol­ten sie sich Unter­stüt­zung bei der US-ame­ri­ka­ni­schen Kom­po­nis­ten­le­gen­de Des­mond Child, der schon 1979 ‘I was made for loving you’ für Kiss schrieb sowie 2013 Bon­nie Tylers Euro­vi­si­ons­bei­trag ‘Belie­ve in me’, und der an sämt­li­chen maß­geb­li­chen Hits von Bon Jovi (‘Livin’ on a Pray­er’) betei­ligt war. In genau die­sem Spek­trum bewegt sich auch ‘Jeze­bel’: ein melo­diestar­ker, extrem ein­gän­gi­ger Pop­rock­song, der über genü­gend Dri­ve ver­fügt, aber auch abso­lut nie­man­den ver­schreckt und der pro­blem­los selbst im deut­schen For­mat­ra­dio lau­fen könn­te. Ein­zi­ges min­de­res Man­ko: auf drei Minu­ten län­ge bleibt der Song etwas flach. Zwar ver­fügt er nach der Brü­cke bei Minu­te 2:20 sogar über eine Rückung. Auf die muss­te mich aber erst der Exper­te @Halbtonschritt auf­merk­sam machen, denn mir selbst war sie beim Durch­hö­ren nicht auf­ge­fal­len. Sie ver­pufft an die­ser Stel­le und wäre im fina­len Refrain bes­ser aufgehoben.

Kaum zu glau­ben, dass der leicht ver­wit­tert wir­ken­de Ras­mus-Sän­ger Lau­ri genau so alt ist wie der unfass­bar sexy und 20 Jah­re jün­ger aus­se­hen­de Drum­mer Aki Mar­kus Hakala.

Per­fekt gelöst und abso­lut ESC-rea­dy hin­ge­gen die Insze­nie­rung: Lau­ris Mar­ken­zei­chen, die schwar­zen Vogel­fe­dern im zer­zaus­ten Haupt­haar, hoben ihn optisch her­vor, ein auf dem Büh­nen­hin­ter­grund lau­fen­der Comic­strip, des­sen knal­li­ges Gelb sich in den Out­fits, Mikro­fo­nen und Instru­men­ten der Band wie­der­fand, band alles stim­mig zusam­men. Musi­ka­lisch indes hät­te es ein deut­lich fri­sche­res und krea­ti­ve­res Ange­bot aus dem sel­ben Gen­re gege­ben, doch das groß­ar­ti­ge Metal-Elek­tro-Mas­hup ‘Hur­ri­ca­ne’ der 2016 gegrün­de­ten For­ma­ti­on Cyan Kicks zog gegen­über dem kusche­li­gen Nost­al­gie­fak­tor für die Gene­ra­ti­on 50plus den Kür­ze­ren und lan­de­te mit deut­li­chem Abstand zur gesetz­te­ren Kon­kur­renz auf dem zwei­ten Rang. Scha­de, liegt doch gera­de im Cross­over mit moder­ne­ren Musik­sti­len, wie Cyan Kicks ihn leben, die Zukunft des Hard­rock, der sich in der die­ser Form ger­ne dau­er­haft beim bis­lang mit här­te­ren Klän­gen chro­nisch unter­ver­sorg­ten Euro­vi­si­on Song Con­test eta­blie­ren darf. Doch nicht nur mit die­sen bei­den Acts demons­trier­te der fin­ni­sche Sen­der YLE dem NDR, wie man auch bei einem schma­len Teilnehmer:innenfeld eine abwechs­lungs­rei­che, sti­lis­tisch breit gefä­cher­te Vor­ent­schei­dung hinbekommt.

Ver­ur­sacht bei mir lei­der Ver­ti­go: der psy­che­de­lisch krei­seln­de Büh­nen­hin­ter­grund von Cyan Kicks.

In dem man näm­lich so vie­le Gen­res wie mög­lich bedient und sich jeweils das Bes­te dar­aus her­aus­pickt. Und so durf­te bei der UMK die hei­mi­sche Künst­le­rin Essi Lau­ni­mo ali­as Bess den abso­lut fan­tas­ti­schen Club­ban­ger ‘Ram pam pam’ vor­stel­len und uns von der ers­ten bis zur letz­ten Sekun­de vol­les Rohr auf die Zwölf geben. Die aggres­si­ve Wucht ihres laut­ma­le­ri­schen Refrains und ihrer hart bol­lern­den Beats unter­strich die kur­ven­rei­che Bess insze­na­to­risch, in dem sie ihre Begleittän­ze­rin­nen mit pyro­spu­cken­den Base­ball­schlä­gern aus­stat­te­te. Was ein­fach pass­te, denn auch für uns Zuhörer:innen gab es drei Minu­ten lang immer mit­ten in die Fres­se rein, und ich kann nie­mals genug davon bekom­men! ‘Ram pam pam’, mit dem Essi zu Hau­se einen Num­mer-Eins-Hit lan­de­te, läuft seit sei­ner Ver­öf­fent­li­chung bei mir in End­los­schlei­fe und ist bereits jetzt mein per­sön­li­cher Euro­vi­si­ons­sie­ger 2022, auch wenn es der bei der UMK skan­da­lö­ser­wei­se nur dritt­plat­zier­te Titel nun lei­der nicht nach Turin geschafft hat. Obwohl wir genau so einen gera­de­zu bru­ta­len Upt­em­po-Knal­ler, die­se meta­pho­ri­sche musi­ka­li­sche Koks-Line, beim Wett­be­werb drin­gen­der denn jemals zuvor bräuchten!

Im Kampf für die Scho­nung der Res­sour­cen recy­cel­te Bess die übrig­ge­blie­be­nen sti­li­sier­ten Weih­nachts­tan­nen aus dem Wei­ßen Haus der Trump-Ära.

Einen pro­fun­den, gedan­ken­tie­fen Song­text prä­sen­tier­te die Sän­ge­rin Kat­riina Ullak­ko ali­as Oli­ve­ra, die sich in ihrer cle­ver beti­tel­ten Bal­la­de ‘Thank God I’m an Athe­ist’ mit exis­ten­zi­el­len Fra­gen von Leben und Tod beschäf­tig­te. Ihrer Kon­klu­si­on, dass der in den Welt­re­li­gio­nen ver­spro­che­ne Him­mel ein Gedan­ken­kon­strukt sei und dass sie auf kei­nen Fall ein ewi­ges Leben möch­te, “son­dern ein­fach ster­ben, wenn es an der Zeit dafür ist,” stim­me ich aus vol­lem Her­zen zu. Mit ‘Sun Nume­ro’ steu­er­te das etwas crin­ge benams­te Trio Young­he­ar­ted ein mid­tem­po­rä­res, inhalt­lich und insze­na­to­risch sehr inti­mes Tren­nungs­schmerz­lied bei, das bei den inter­na­tio­na­len Fans vie­le Her­zen beweg­te, obschon es mich per­sön­lich gar nicht erreich­te und mei­nen letz­ten Platz beleg­te. Die­ses Schick­sal wider­fuhr im rich­ti­gen Leben statt­des­sen dem 61jährigen fin­ni­schen Musik-Urge­stein Tom­mi Län­ti­nen, der in sei­ner über vier­zig­jäh­ri­gen Kar­rie­re von Rock über Schla­ger schon etli­che Sti­le bedien­te. Er wähl­te für sein Come­back nach elf­jäh­ri­ger Ver­öf­fent­li­chungs­pau­se für sei­nen eben­falls mid­tem­po­rä­ren Durch­hal­te­song den pas­sen­den Titel ‘Elä­mä kan­taa mua’ (‘Das Leben trägt mich’) und kos­tü­mier­te sich in schwar­zer Leder­kluft und mit Croy­don-Face­lift-Fri­sur als rüs­ti­ger Rent­ner-Rocker. Von den sie­ben inter­na­tio­na­len Jurys igno­rier­ten ihn sechs voll­stän­dig (rüde!), und auch das hei­mi­sche Publi­kum zeig­te sich von sei­ner alters­feind­li­chen Seite.

Bit­te zie­hen Sie eine Num­mer: Young­he­ar­ted (plus Play­list mit allen UMK-Beiträgen).

Die Jury­wer­tung brach­te uns ein Wie­der­se­hen mit zahl­rei­chen Eurovisionsteilnehmer:innen, wel­che die Punk­te ver­le­sen durf­ten. Dar­un­ter den nur Stun­den zuvor beim aus­tra­li­schen Vor­ent­scheid star­gas­tie­ren­den Kei­i­nos, der zucker­sü­ßen Ser­bin Boja­na Sta­menov, der sprach­lich etwas über­for­der­ten Spa­nie­rin Rosa und unse­rem Jen­drik (guck mal, NDR, ande­re Län­der laden den ein!). Skan­da­lös wenig Punk­te gab es von ihnen jedoch für den wohl inter­es­san­tes­ten Act des Abend, näm­lich den hin­rei­ßend schö­nen und cha­ris­ma­ti­schen Isaac Sene. Der erzähl­te in ‘Kuuma Jäbä’ (‘Hei­ßer Kerl’) die span­nen­de Sto­ry eines bis dato hete­ro­se­xu­el­len Casa­no­vas (“Jede Nacht hat­te ich eine ande­re Frau”), der unter Dro­gen­ein­fluss einen Dark­room besucht, erst­ma­lig der Anzie­hungs­kraft eines Geschlechts­ge­nos­sen ver­fällt und vom Span­king über Ani­lin­gus bis zum “nimm mich” alle mög­li­chen Prak­ti­ken aus­pro­biert. Wes­we­gen Isaac beim Sin­gen womög­lich auch stel­len­wei­se so nach Luft japs­te. Für die nicht des Fin­ni­schen mäch­ti­gen Tei­le des Publi­kums visua­li­sier­te er die­sen Inhalt zwar noch inner­halb der Gren­zen des in einem Fami­li­en­pro­gramm Zeig­ba­ren, doch eben auch der­art sexy, dass selbst der ein oder ande­re zuschau­en­de Hete­ro spitz gewor­den sein dürf­te. Was für ein fan­tas­ti­scher, Gren­zen ver­schie­ben­der TV-Moment!

Heiß: Isaac nimmt uns mit in die Kata­kom­ben des Berghain.

Vor­ent­scheid FI 2022

Uuden Musii­kin Kil­pai­lu (UMK). Sams­tag, 26. Febru­ar 2022, aus dem Logo­mo in Tur­ku, Finn­land. Sie­ben Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Pau­la Vesa­la und Miisa Roto­la Pukki­la. Inter­na­tio­na­le Jury (25%) und Tele­vo­ting (75%).
#Inter­pre­tenSong­ti­telJuryTele­vo­tePlatz
01The Ras­musJeze­bel6824201
02Isaac SeneKuuma Jäbä2809905
03Oli­ve­raThank God I’m an Atheist4612104
04BessRam pam pam5614803
05Young­he­ar­tedSun Nume­ro4005106
06Cyan KicksHur­ri­ca­ne5216902
07Tom­my LäntinenElä­mä kan­taa mua0405207

Zuletzt aktua­li­siert: 27.02.22

Schafft Finn­land mit The Ras­mus den Finaleinzug?

  • Den Final­ein­zug schaf­fen sie natür­lich, aber eine Top-Plat­zie­rung wird für die­sen doch etwas zu gefäl­li­gen Song nicht her­aus­sprin­gen. (52%, 29 Votes)
  • So sicher wie das Amen in der Kir­che. Die Band ist euro­pa­weit eta­bliert, der Song ist gut. Da kann nichts schief gehen. (30%, 17 Votes)
  • Wenn kümmert’s? Es gab so viel Bes­se­res beim UMK, es ist ein Ver­bre­chen, dass The Ras­mus gewan­nen. (16%, 9 Votes)
  • Nein. Das klingt ja wie direkt aus den Acht­zi­gern. Damit lockt man kei­nen Hund mehr hin­ter dem Ofen her­vor. (2%, 1 Votes)

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3 Comments

  • Ja, der sexy Isaac war auch mein Favo­rit – eine super hei­ße Num­mer. Aller­dings fand ich den Auf­tritt ins­ge­samt zu sehr im Dun­keln insze­niert… ein biss­chen mehr Licht hät­te viel­leicht ein paar mehr Pünkt­chen gebracht..

  • Eigent­lich klingt die fin­ni­sche Spra­che ähn­lich sexy wie ein Kau­ris­mä­ki Film aber Iss­ac Sene hat mich eines bes­se­ren belehrt 😛 Der muss unbe­dingt in den nächs­ten Jah­ren wiederkommen!
    Cyan Kicks hat sich mit Out­fit und LED Back­ground lei­der selbst ins Knie geschos­sen, das war eigent­lich die bes­se­re Rocknummer.
    Ram­pam­pam war auch geil und ich hät­te gern fin­nisch in Turin gehört.

    Ins­ge­samt ein wun­der­ba­res Euro­vi­si­ons-Kon­zen­trat, das uns da die Fin­nen ser­viert haben! (inklu­si­ve dem tol­len Inter­val Act VESALA)

  • Finn­land hat dem NDR wohl am deut­lichs­ten gezeigt, wie ESC geht. Bis­lang der bes­te Vor­ent­scheid, ich hät­te mir aller­dings auch einen ande­ren Sie­ger als The Ras­mus gewünscht (vor zwan­zig Jah­ren hat­te ich Band noch auf mei­ner Lis­te). Jeze­bel ist in der Tat gefäl­lig, lebt aber von Lau­ris star­ker Büh­nen­prä­senz. Ich wer­te mal mit 7,5 von 12 Punkten.

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