Es ist amtlich: Dänemark und ich werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Wie immer hatte der Sender Dansk Radio (DR) für seinen gestrigen Vorentscheid Melodi Grand Prix (DMGP) acht Beiträge kommissioniert, und wie immer konnten diese weichgespülter und kantenloser nicht daherkommen. Und zwar in einem derartigen Ausmaß, dass sich dagegen selbst die sechs deutschen Variationen von beige aus unserem Katastrophenflop Germany 12 Points wie musikalische Offenbarungen ausnehmen. Was mal wieder zeigt: schlimmer geht immer! So starke ästhetische Allergien riefen die dänischen Songs bei mir hervor, dass ich mir (mit einer Ausnahme) keinen von ihnen bis zum Ende anhören oder ansehen konnte, weil einfach jede Faser meines Körpers dagegen revoltierte. Geradezu traumatisch beispielsweise das in seiner hyggeligen Heile-Welt-Harmlosigkeit extrem beängstigende Folk-Pop-Geplinker ‘En skønne Dag’ (‘Ein schöner Tag’) des Tochter-und-Vater-Duos Emma Pi und Rasmus Hedeboe alias Der var Engang, dessen Inszenierung mit eigens für den Auftritt brutal abgesägten und auf die Bühne verfrachteten Bäumen und mit zwei nachgerade aggressiv bieder angezogenen Menschen in jeder Sekunde lauthals “Achtung, gehirnwaschende evangelikale Sekte! Lauf, Junge, lauf um dein Leben!” schrie.
Eine einzige rote Flagge: die Hedeboes. Ich bin mir einhundertprozentig sicher, dass die zuhause in der Scheune Kindersklaven halten.
Die beiden Menschenfänger scheiterten jedoch in der ersten von wie immer zwei Abstimmungsrunden und zogen nicht ins Superfinale der ödesten Drei weiter. Genau so wenig wie der einzige erträgliche Beitrag des diesjährigen DMGP-Line-ups, die augenzwinkernd prollige Spaßnummer ‘Rave med de hårde Drenge’ (‘Mit den harten Jungs raven’) des EDM-Rap-Quartetts Fuld Effekt. Die ging schön auf die Zwölf und propagierte das politisch absolut unkorrekte Vergnügen eines illegalen Waldraves mit aufgepumpten, kurzgeschorenen Jungs mit dicken Oberarmen und BMWs mit getönten Fensterscheiben, in denen man auf dem Vordersitz Sex haben muss, weil die Rückbank mit Basslautsprechern belegt ist. Also alles, was auch die deutschen Elektropunk-Kollegen von Deichkind als ‘Leider geil’ bezeichnen würden. Dazu sprangen die vier selbst gar nicht sooo hart wirkenden Jungs in metallic glitzernden Trainingsanzügen über die Bühne, als ob es kein Morgen gäbe. Müsste ich an dem gut zweieinhalbminütigen, energiegeladenen Auftritt überhaupt etwas bemängeln, dann allerhöchstens, dass die Pyro-Show bei weitem nicht so massiv wirkte wie im Vorfeld unter Bezug auf das Band-Vorbild The Prodigy versprochen.
Mit dem mit der Baseballcap teilte ich mir gerne den Vordersitz eines BMW: Fuld Effekt.
Womöglich geriet es den Funtastischen Vier zum Verhängnis, dass sie angekündigt hatten, ihren Song im Falle eines DMGP-Sieges in Turin auf englisch vortragen zu wollen? Egal wie: die Dän:innen sind in ihrer breiten Masse schlichtweg zu bieder und zu langweilig, um ein derartig auffälliges Party-Brett zu entsenden. Obwohl wir natürlich genau dieses in genau diesem Jahr so dringend benötigt hätten wie niemals zuvor! Stattdessen wählten sie drei gleichermaßen egale Lieder ins Superfinale weiter und verteilten dort ihre Anrufe fast gleichmäßig auf die Angebote. Am Ende siegte mit einem leichten Vorsprung das Damenquartett Reddi. Deren Beitrag ‘The Show’ verknüpfte die beiden furchtbarsten musikalischen Grand-Prix-Formate miteinander: er begann als sterbensöde Klavierballade und kippte nach knapp der Hälfte in einen unerträglich seichten Poserinnen-Rock über. Von der gesamten Darbietung bleibt jedoch als einziges im Gedächtnis, dass die am Piano sitzende blonde Sängerin sich eine (an dieser Stelle notwendigerweise mit dem Hals zu Boden zeigende) Gitarre umgeschnallt hatte, so dass die Festzurrschnalle des Gurtes auf ihrer Schulter lagerte. Mitsamt zweier bedrohlich freiliegender Metalldrähte, nur Zentimeter von der Halsschlagader entfernt. Leider jedoch blieb ein Blutbad aus.
Der Platz 40 ist gefunden: Reddi.
Vorentscheid DK 2022
Dansk Melodi Grand Prix. Samstag, 5. März 2022, aus dem Boxen in Herning. 8 Teilnehmer:innen. Moderation: Tina Müller und Martin Brygmann. Televoting mit Superfinale# | Interpreten | Songtitel | Televoting | Platz |
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01 | Patrick Dorgan | Vinden suser ind | n.b. | n.b. |
02 | Confessions | Hallelujah | 32% | 02 |
03 | Der var Engang | En skønne dag | n.b. | n.b. |
04 | Fuld Effekt | Rave med de hårde drenge | n.b. | n.b. |
05 | Josie Elinor + Jack Warren | Let me go | 31% | 03 |
06 | Morten Fillipsen | Happy go lucky | n.b. | n.b. |
07 | Reddi | The Show | 37% | 01 |
08 | Juncker | Kommet for at blive | n.b. | n.b. |
Schaffen die dänischen Rockchicks in Turin den Einzug ins Finale?
- Nicht in einhundert Jahren. Das ist so unterhaltsam wie ein weißes Blatt Papier. (52%, 32 Votes)
- So oder so: ich habe meine Pinkelpause gefunden. (26%, 16 Votes)
- Na klar. Das ist eine leichtbekömmliche Mélange aus Ballade und Powerpop, die Masse mag das. (21%, 13 Votes)
Total Voters: 61
< Dansk Melodi Grand Prix 2021
Dansk Melodi Grand Prix 2023 >
Ich stimme auch hier dem Hausherrn zu, ein belangloses Liedchen aus Dänemark und das gab es bekanntlich schon öfter. Allerdings hat mich die Vorentscheidung dort generell wenig interessiert.
Bei mir bislang auf dem vorletzten Platz mit 1,5/12. Nur die Drama Queen aus Down Under finde ich noch schwächer.
Ich war ja drauf und dran, Oliver zu widersprechen, war doch der dänische Vorentscheid 1000 Mal professioneller als der Deutsche. Aaaaber: professionell bedeutet in dem Fall leider auch glatter und (noch) langweiliger, zumal die 8 Beiträge tatsächlich keinen Deut besser waren als die Deutschen. Und als Intervallacts ein Abba-Medley und Volare – wie originell.
Letztlich war der deutsche Vorentscheid mit seinen Carcrashs am laufenden Band dann doch tatsächlich der Unterhaltsamere…