Es ist eine eigenartige Beziehung, die unsere wunderbaren Nachbarn aus dem Süden zum Eurovision Song Contest haben. Sie sind eifrige Sammler der Roten Laterne: bereits neun Mal bildeten sie das Schlusslicht, darunter vier Null-Punkte-Ergebnisse. Seit 1957 dabei, brachten es die Österreicher/innen in 60 Jahren auf gerade mal 48 Teilnahmen, immer wieder unterbrochen von kürzeren oder längeren Schmollphasen, wenn sich das Punktefüllhorn mal wieder nicht im gewünschten Maße über die Alpenrepublik ergoß. Dabei schenkte uns Austria eine beeindruckende Latte an unglaublichen Kultknallern: meistens ernst gemeinte, in ihrem spektakulären Scheitern am eigenen überzogenen Anspruch jedoch um so amüsantere Perlen der unfreiwilligen Komik. Und dafür liebe ich dieses Land! In Würdigung der herausragenden Verdienste Österreichs um den Trash-Faktor beim Eurovision Song Contest präsentiert aufrechtgehn.de daher nachfolgend eine völlig subjektive Auswahl der zehn besten K&K‑Kultknaller. Viel Vergnügen!
Platz 10: Christina Simon, ‘Heute in Jerusalem’, 1979
Das von einer, nennen wir es mal: ausgesprochen ambitioniert wirkenden Dame mit einer raumgreifend schrecklichen Zickenfrisur vorgetragene Musterbeispiel für den “überambitionierten österreichischen Jazz- und Chansonversuch” (Thomas Hermanns) ist strenggenommen gar kein Lied im klassischen Sinne mehr, sondern reiht einfach völlig unstrukturierte Saxofonklänge und wirre, keinerlei Sinn ergebende Textfetzen aneinander. Auch der Versuch, sich durch fremdschämpeinliche Einschleimerei im Songtitel an die Gastgeber dieses Jahrgangs anzuwanzen, schlug fehl: die Israelis gaben ihre Punkte lieber an die steppenden Räuberhorden von Dschinghis Khan. Darauf ein dreifach donnerndes: “Huh! Ha”!
Platz 9: Wilfried Scheutz, ‘Lisa Mona Lisa’, 1988
Eines der vermutlich schlechtesten Lieder aller Zeiten und ein hoch verdienter Nilpointer. Der hünenhafte, in einem Oversize-Jackett schwimmende “große alte Mann der österreichischen Populärmusik” (Moderator Pat Kenny) raspelt sich in völliger Atonalität wie eine Dampfwalze durch sein selbst geschriebenes Musikverbrechen. Es ist wie bei einem Verkehrsunfall: es gruselt einen beim Zuschauen, dennoch kann man den Blick nicht abwenden, weil man nicht glaubt, was man da sieht. Und hört.
Platz 8: Global.Kryner, ‘Y así’, 2005
Eine Sängerin im Dirndl, welche die Geschichte einer kubanischen Einwanderin und der durch sie ausgelösten Verschmelzung von Salsa und Oberkrainermusik erzählt; begleitet von fünf mehr oder minder gut aussehenden jungen Herren in Trainingsanzügen, die dazu ins Horn blasen oder jodeln. Schräger geht es nicht mehr? Oh, und ob! Dieses Meisterwerk scheiterte leider im Halbfinale: Schande über Euch, Europäer!
Platz 7: Georg Nußbaumer, ‘Weils dr guat got’, 1996
Ein mitreißender Gospelsong über die überbordende Freude am Leben, vorgetragen im vorarlbergischen Dialekt von einem blinden Mann am Klavier und fünf hinter ihm in völliger Entfesselung ekstatisch zuckenden Menschen. So etwas Fantastisches sieht man nur beim Grand Prix!
Platz 6: Schmetterlinge, ‘Boom Boom Boomerang’, 1977
Kapitalismuskritik mit den Mitteln der Parodie: 1977 versuchten die linksradikalen österreichischen Schmetterlinge, der verderbten Musikindustrie (“Der Dollar rockt und rollt”) die Maske vom Gesicht zu reißen, in dem sie selbst welche aufzogen. Und sich über typische Grand-Prix-Choreografien und ‘La la la’-Lyrik lustig zu machen, in dem sie diese überzeichneten. Das noble Unterfangen scheiterte an den fehlenden Ironiedetektoren der Juroren. Leider.
Platz 5: Mess, ‘Sonntag’, 1982
Der ESC 1982 fand im britischen Harrogate statt. In der dortigen Landessprache heißt “Mess” so viel wie “Chaos, Durcheinander”. Und mehr braucht man über dieses enthusiastisch vorgetwistete Machwerk über den Tag der Erholung und inneren Einkehr gar nicht sagen. Außer vielleicht, dass der männliche Part des Duos später für den Esoterik-Knaller ‘Jede Zelle meines Körpers ist glücklich’ verantwortlich zeichnete. Doch, ehrlich!
Platz 4: Bob Martin, ‘Wohin, kleines Pony’, 1957
Schon bei der allerersten Eurovisionsteilnahme zog Österreich alle Register seiner herausragenden Comedy-Kunst. Kinderliedartige Klänge, ein an (ernsthaft gemeinter) Albernheit nicht zu überbietender Text und ein überkandidelter Interpret, der den Zuschauern gar die Zunge rausstreckt. I like a lot!
Und damit kommen wir zu den Medaillenrängen!
Platz 3 (Bronze): Alf Poier, ‘Weil der Mensch zählt’, 2003
https://youtu.be/OXkvrl_D5Hc
Was soll ich zu Alf Poier, dem im Laufe seiner Karriere leider ein wenig ins Rechtskonservative abgedrifteten österreichischen Genie der komischen Poesie, noch groß sagen? Jeder Versuch einer Beschreibung seines künstlerischen Machwerks muss fehlgehen. Ich weiß nur, dass ich jede Sekunde dieses unsterblichen Auftritts mit jeder Faser meines Herzens liebe. Ganz, ganz große Kunst!
Platz 2 (Silber): Westend, ‘Hurricane’, 1983
Trotz der vergeblich noch zur Ablenkung mit eingebauten Tänzerin: dies ist einer der schwulsten Auftritte in der gesamten Eurovisionsgeschichte! Vier absolut synchron tanzende, lobotomiert wirkende junge Herren in handgehäkelten Pullis in schreienden Konträrfarben, die sich beklagten: “Nur auf mich, da wartet Keine”. Ja, warum wohl nur? Vielleicht, weil gegen Euch selbst die Village People macho wirken?
Platz 1 (Gold): Ferry Graf, ‘Der k. und k. Kalypso aus Wien’, 1959
“Aus Wien muss er sein”, der Kalypso. Selbstverständlich, woher auch sonst? Wie Ferry Graf es schafft, trotz des unfasslichen Textes seines kulturellen Schmelztiegel-Kleinods samt überzeugender Jodeleinlagen nicht mitten im Vortrag laut loszulachen, das verdient wirklich allerhöchsten Respekt. Tu felix Austria!
Stand: 30.05.2019