
Eine der erfolgreichsten Grand-Prix-Nationen der reinen Televoting-Ära, die Türkei, nimmt seit 2013 leider nicht mehr am Eurovision Song Contest teil. Offiziell deklarierte Ankara das Fernbleiben bei den europäischen Festspielen als (durchaus verständlichen) Protest gegen das Big-Five-Privileg und die Wiedereinführung der Jury, die von der EBU nach beständigem Gequengel der Westeuropäer:innen über das Blockvoting als Gegenmaßnahme zum Diasporastimmeneffekt re-installiert wurde und seither auswanderungsstarke Nationen wie Albanien, Griechenland oder Polen, aber eben auch die Türkei, vorsätzlich fleißig heruntervotet. Außerdem fühle sich das bevölkerungsreiche Land innerhalb der EBU nicht ausreichend repräsentiert: unter den 300 EBU-Mitarbeiter:innen befinde sich kein einziger Türke, und auch in den dortigen Gremien sei man nicht vertreten, so das Lamento des Staatssenders TRT. Also schuf man sich einen eigenen Spielplatz: Ende Dezember 2013 fand erstmalig ein eigener Song Contest des osmanischen Kulturkreises statt, die Türkvizyon. Bei der grundsätzlich alle Nationen, (Teil-)Republiken oder Landkreise mitmachen dürfen, in denen Turkvölker leben, und sei es als noch so kleine Minderheit. Zwei weitere Ausgaben folgten 2014 und 2015, danach sorgten diverse politische und rechtliche Verwicklungen für eine lange Zwangspause, aus welcher die Show trotz etlicher anderslautender Zwischenankündigungen erst im Dezember 2020 wieder zurückkehrte. Und sogleich erneut bewies, wie sehr sie uns fehlte, denn wie schon bei den drei vorangegangenen Türkvizyonen bestach sie – trotz Corona-Einschränkungen – durch einen ausgesprochen hohen Unterhaltungswert.
→ 1. Türkvizyon, 19. und 21.12.2013, Eskişehir, Türkei
Türkvizyon 2013: die Teilnehmerliste
1. Song Contest des türkischen Kulturraumes. 19. und 21.12.2013 in Eskişehir, Türkei.Land / Republik | Teil von | Interpret | Song | Übersetzung |
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Altai | RU | Artur Marlujokov | Altayım Menin | Mein Altai |
Aserbaidschan | AZ | Fərid Həsənov | Yaşa | Leben |
Balkarien | RU | Eldar Zhanikaev | Adamdı Bizni Atıbız | Sein Name ist Adam |
Baschkortostan | RU | Diana Ishniyazova | Kuray Şarkısı | Das Qurai-Lied |
Bosnien | BA | Emir & the frozen Camels | Ters Bosanka | Zänkische Bosnierin |
Chakassien | RU | Vladimir Dorju | Tus çirinde | Traum |
Gagausien | MD | Ludmila Tukan | Vernis Lubov | Komm, mein Schatz |
Georgien | GE | Eynar Balakişiyev + Afik Novruzov | Kalbini Saf Tut | Halte dein Herz rein |
Irak | IQ | Ahmed Duzlu | Kerkük’ten yola Çıkak | Von Kirkuk aus |
Kasachstan | KZ | Rin’Go | Birlikpen Alğa | Gemeinsam voran |
Kemerowo | RU | Çıldız Tannakeşeva | Şoriya’nın Unu | Der Klang Bergschoriens |
Kirgisien | KG | Çoro | Kaygırba | Sei unbesorgt |
Kosovo | KO (RS) | Ergin Karahasan | Şu Prizren | Nach Prizren |
Krim | UA | Elvira Sarihalil | Dağların Elları | Bergpfade |
Mazedonien | MK | İlkay Yusuf | Düşlerde Yaşamak | Leben in Träumen |
Nordzypern | CY | Gommalar | Havalanıyor | Aufsteigend |
Rumänien | RO | Genghiz Erhan Cutcalai | Ay Ak Shatır | Weiße Linie |
Sacha (Jakutien) | RU | Olga Spiridonova | Sulus Uonna Tuun | Fliegend |
Tatarstan | RU | Alina Şaripjanova | Üpkelemim | Ich bin nicht nachtragend |
Türkei | TR | Manevra | Sen, Ben, Biz | Du, ich, wir |
Tuwa | RU | Sailyk Ommun | Cavidak | Ohne Sattel |
Ukraine | UA | Fazile Ibraimova | Elmalım | Mein Apfel |
Usbekistan | UZ | Nilüfer Usmanova | Unutgin | Vergiss mich |
Weißrussland | BY | Gunesh Abasova | Son hatiralar | Letzte Erinnerungen |
Wenn dir dein Hintermann komplett die Show stiehlt: der milchbübchenhafte Sieger der Türkvizyons-Première von 2013, Fərid Həsənov (AZ), und sein vollbärtiger Begleittänzer, seines Zeichens Sieger in der Kategorie “angsteinflößendster Massenmörder-Blick bei einem Musikwettbewerb”.
Konzipiert war die Türkvizyion ursprünglich als Veranstaltungsreihe der türkischen Kulturhauptstädte. Weswegen die Première, an der 24 Länder und Regionen teilnahmen, aus dem anatolischen Eskişehir kam, Partnergemeinde meiner Heimatstadt Frankfurt am Main. Sie unterhielt mit einem herrlich bizarren Mix aus ellenlangen Funktionärsansprachen, patriotischen Troubadouren, Kehlgesang, asiatischen Boybands und einer völlig undurchschaubaren Jury-Wertung, aus welcher Aserbaidschan als Sieger hervorging. Was angesichts der ausgesprochen brüderlichen Bande der beiden Nationen, des Involviertseins aserbaidschanischer Eurovisionsteilnehmer/innen in die Organisation und Präsentation der Sendung sowie des eher durchschnittlichen Songs und der ziemlich unterdurchschnittlichen vokalen Fähigkeiten des Interpreten Fərid Həsənov ein, um es mal vorsichtig auszudrücken, kleines Geschmäckle hatte. Dennoch ging es 2014 nicht nach Baku: anders als beim ESC verknüpfte sich wegen der Bindung an die Kulturhauptstadtreihe mit dem Sieg keine Gastgeberpflicht im Folgejahr. Als Austragungsort des zweiten Wettbewerbs fungierte daher die tatarische Metropole Kasan. Vier der Erstteilnehmerländer kehrten der Veranstaltung den Rücken, nämlich die russischen Republiken Altai (die angeblich keine neuerliche Einladung erhalten haben will) und Kemerowo, das Kosovo und Weißrussland. Nordzypern scheiterte an der Bürokratie: Russland – und damit auch Tatarstan – erkennt die de-facto-Republik im türkisch besetzten Nordteil der Mittelmeerinsel nicht an, daher durfte die bereits ausgewählte Vertreterin İpek Amber nicht einreisen.
→ 2. Türkvizyon, 19. und 21.11.2014, Kasan, Tatarstan
Türkvizyon 2014: die Teilnehmerliste
2. Song Contest des türkischen Kulturraumes. 19. und 21.11.2014 in Kasan, Tatarstan (Autonome russische Republik).Land / Republik | Teil von | Interpret | Song | Übersetzung |
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Albanien | AL | Xhoana Bejko | Zjarr dhe Ajër | Feuer und Luft |
Aserbaidschan | AZ | Elvin Ordubadli | Divlərin yalqızlığı | Einsamkeit der Riesen |
Balkarien | RU | Eldar Zhanikaev | Barama | Geh |
Baschkortostan | RU | Zaman | Kubair | Epos |
Bosnien | BA | Mensur Salkić | Šutim | Ich bin still |
Bulgarien | BG | İsmail Matev | Yollara, Taşlara | Straßen, Steine |
Chakassien | RU | Dmitriy Saf’yanov + Sayana Sobirova | Oshikba | Fehler |
Deutschland | DE | Fahrettin Güneş | Sevdiğim | Meine Geliebte |
Gagausien | MD | Mariya Topal | Aaladım | Ich weinte |
Georgien | GE | Aysel Məmmədova + Ayla Şiriyeva | Tenhayam | Ich bin allein |
Irak | IQ | Ahmet Duzlu | Cal Kalbimi | Mein Herz gestohlen |
Iran | IR | Barış | Heydar Baba | Vater Heydar |
Kasachstan | KZ | Zhanar Dugalova | Іzіn kөrem | Ich sehe seine Spur |
Kirgisien | KG | Non-Stop | Seze Bil | Rhythmus der Jahreszeiten |
Krim | UA | Darina Siniçkina | Suya gider | Wenn sie gehen |
Mazedonien | MK | Kaan Mazhar | Yolumu Bulurum | Ich finde meinen Weg |
Rumänien | RO | Cengiz Erhan + Gafar Alev Sibel | Genclik basa bir gelir | Man ist nur einmal jung |
Russland | RU | Kazan World | Son kөtəm | Auf dich zu warten |
Sacha (Jakutien) | RU | Vladlena Ivanova | Kyn | Tag |
Tatarstan | RU | Aydar Suleymanov | Atlar Chaba | Rennende Pferde |
Türkei | TR | Funda Kılıç | Hoppa | Leichtfertig |
Turkmenistan | TM | Züleyha Kakayeva | Shikga-Shikga bilerzik | Schüttle das Armband |
Tuwa | RU | Ayas Kullar | Subedei | Subutei |
Ukraine | UA | Natali Deniz | Sän Benim | Du bist mein |
Usbekistan | UZ | Aziza Nizamova | Dunyo bolsin Omon | Welt sei unser |
Feuriges Funkenmariechen: die Siegerin der zweiten Ausgabe von 2014, Zhanar Dugalova (KZ).
Dafür gingen in Kasan gleich sechs neue (Teil-)Nationen an den Start: Albanien, Bulgarien, der Iran, der “Stadtkreis Moskau” (was auch immer das sein soll), Turkmenistan – und, als größtes türkisches Siedlungsgebiet außerhalb des Mutterlandes nur folgerichtig, Deutschland! Während unser Vertreter Fahrettin Güneş, ausgewählt von einem Kölner Satellitensender, mit einem ausgesprochen faden Beitrag im Semifinale zu Recht scheiterte, gewann dort der Interpret des Heimbeitrags, Aydar Suelymanov, mit einer mitreißenden, packend präsentierten Nummer über ‘Rennende Pferde’. Überraschenderweise – in beiden Sendungen stimmten die selben 25 Juroren ab – reichte es für ihn im Finale aber nur für den zweiten Platz, es siegte Zhanar Dugalova aus Kasachstan, die ihren nicht minder fantastischen Titel ‘Izin kөrem’ ebenfalls mit einer spektakulären und hoch professionellen Show unterstützte. Überhaupt ließ sich in der zweiten Ausgabe des Wettbewerbs eine deutliche Verbesserung des musikalischen und technischen Niveaus feststellen. Nur am Abstimmungsverfahren hakte es deutlich: nicht nur, dass man das vollmundig angekündigte Televoting aus technischen Gründen kurzfristig cancelte. Hinzu kamen Additionsfehler und Ungereimtheiten bei der Juryabstimmung im Semi sowie offensichtliche Rachewertungen im Finale, denen beispielsweise der türkische Beitrag ‘Hoppa’ von Funda Kılıç (Zweite im Semi, Letzte im Finale) zum Opfer fiel.
Tradition ohne Moderne: der deutsche Türkvizyons-Beitrag von 2014 unterstrich die konservative Grundhaltung der meisten hierzulande lebenden türkischstämmigen Mitbürger/innen.
Die dritte Ausgabe der Türkvizyon wurde überschattet von einem politischen Konflikt zwischen Russland und der Türkei, der sich am Abschuss eines russischen Kampfjets über türkischem Hoheitsgebiet entzündete. Der erboste Despot Putin verhängte nicht nur Wirtschaftssanktionen, sondern wies sämtliche Teilrepubliken und Oblasten seines Reiches an, der Veranstaltung im verfeindeten Istanbul fernzubleiben. Elf Regionen stornierten daraufhin ihren Auftritt. Die boykottbedingt reduzierte Teilnehmerzahl diente den Veranstaltern als willkommene Ausrede für den Ausfall der Qualifikationsrunde: wie Dr. Irving Wolther, als Teil der deutschen Delegation vor Ort, berichtete, schraubten die Türken an dem Donnerstag, an dem das Semi stattfinden sollte, noch immer hektisch am Bühnenaufbau. Das organisatorische Chaos folgte einer kurzfristigen Verlegung: denn nach der ursprünglichen Logik, dass die jeweilige aktuelle Kulturhauptstadt der türkischen Welt die Türkvizyon beherbergt, wäre diese Ehre eigentlich dem turkmenischen Städtchen Mary zugefallen. Dort ließ sich allerdings angeblich keine geeignete Halle finden, so dass der Wettbewerb zunächst in die Hauptstadt Aşgabat verlegt werden sollte. So jedenfalls der Wunsch der dortigen Machthaber. Turksoy, den Ausrichtern der Veranstaltung, schmeckte das nicht: flugs entschied man im August 2015, das Ganze nun in der türkischen Metropole stattfinden zu lassen, praktischerweise die offizielle Partnerstadt von Mary.
→ 3. Türkvizyon, 19. Dezember 2015, Istanbul, Türkei
Türkvizyon 2015: die Teilnehmerliste
3. Song Contest des türkischen Kulturraumes. Samstag, 19.12.2015, 15:30 Uhr MEZ, in Istanbul, Türkei.Land / Republik | Teil von | Interpret | Song | Übersetzung |
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Albanien | AL | Xhoana Bejko (Xhoi) + Visar Rexhepi | Adi Hasret | Gemeinsamer Wunsch |
Aserbaidschan | AZ | Mehman Tagiyev | Istanbul | Istanbul |
Bosnien | BA | Adis Škaljo | Pa šta | Na und? |
Bulgarien | BG | Big Star Life | Istanbuldayız | Wir sind Istanbul |
Deutschland | DE | Derya Kaptan | Sessiz Çığlık | Stiller Schrei |
Gagausien | MD | Valentin Ormanji | Sev beni sev | Liebe mich, Liebe |
Georgien | GE | Anar Askerov | Tenha yürek | Einsames Herz |
Irak | IQ | Oğuz Sırmalı | Serenat | Ständchen |
Iran | IR | Reza Esbilani | Mənim arzum | Mein Traum |
Kasachstan | KZ | Orda | Olaya Emesa | So nicht |
Kirgisien | KG | Jiidesh İdirisova | Kim bilet | Wer weiß |
Kosovo | KO (RS) | Tolga Kazaz | Sevmek Günah mıdır? | Ist Liebe eine Sünde? |
Mazedonien | MK | Kaan Mazhar | Böyle Olmamalıydı | Es hätte so nicht sein sollen |
Nordzypern | CY | İpek Amber | Sessiz Gidiş | Stiller Abschied |
Rumänien | RO | Edvin Radcif | Seviyorum, Anlasana | Ich liebe Anlasana |
Sandžak | RS | Almedin Varošanin | Trag | Spur |
Syrien | SY | Adil Şan | Geliş | Ankunft |
Türkei | TR | Görkem Durmaz | Hırcın Sular | Zähmung des Wassers |
Ukraine | UA | Anna Mitioglo | Baaşla bana | Verzeihe mir |
Usbekistan | UZ | KaaPlya + Hurdona | Azadlıq | Freiheit |
Weißrussland | BY | Aleksandra Kazimova | Azadlıq | Freiheit |
https://youtu.be/4FSVsQevqGg
Italien ist überall: leckere ‘Pa šta’ gibt es auch in Bosnien, wie uns Adis Škaljo im Auftrag des heimischen Tourismus-Ministeriums informiert.
Die deutsche Vertreterin Derya Kaptan (Schwester der tollen Comedienne Meltem Kaptan) erhielt für ihre außergewöhnliche Ballade mit wenig Text und viel Ausdruckstanz, die sie den Opfern eines Bombenanschlags auf eine Demonstration in Ankara im Oktober 2015 widmete, den Sonderpreis der Jury für den “anspruchsvollsten Beitrag”. Die gleiche Jury wertete sie jedoch nur auf Rang 11 im Wettbewerb und demonstrierte so, welchen Stellenwert der “Anspruch” bei der Türkvizyon einnimmt: keinen allzu großen offenbar. Erneut siegte ein zentralasiatisches Land: nach den Vorjahressiegern Kasachstan, die mit perfekt präsentiertem Boyband-Pop diesmal die Silbermedaille holten, ging die Krone heuer an die Nachbarn aus Kirgisien: Jiidesh İdirisova, eine der wenigen Türkvizyons‑Teilnehmerinnen, die sich über einen Vorentscheid qualifizierte, konnte mit einem Ruslana-Gedächtnis-Act die Trauben ernten. Insgesamt lag durch das Fehlen der russischen Regionen das musikalische Niveau etwas niedriger als 2014, und die Gastgeberschaft der Türkei machte sich erneut durch überlange Ansprachen zahlloser Funktionäre bemerkbar. Der Boykott Putins ermöglichte allerdings auch die Teilnahme völkerrechtlich umstrittener Gebiete wie dem Kosovo oder Nordzypern.
Wild Dances: die Siegerin der dritten Ausgabe von 2015 (KG).
Aus und vorbei?
Im Anschluss verabschiedete man sich auch offiziell von der Verknüpfung der Türkvizyon mit dem jährlich verliehenen Ehrentitel der Kulturhauptstadt der türkischen Welt, der in diesem Jahr an das aserbaidschanische Städtchen Şəki (64.000 Einwohner) ging. Trotz der engen Bindung der beiden Länder gab der nunmehr dauerhaft verantwortliche Musiksender TMB im April 2016 bekannt, dass die vierte Ausgabe der Türkvizyon im Dezember des gleichen Jahres in der Türkei stattfinden solle. Anfang Juli 2016 meldeten sich die russischen Teilrepubliken (von den Fans liebevoll “die ‑stans” genannt) zurück, nach dem sich der von mehreren Anschlägen und dem Zusammenbruch des für das Bosporus-Land wirtschaftlich wichtigen Tourismus gebeutelte Sultan von Istanbul widerwillig bei Putin für den Kampfjet-Abschuss entschuldigte. Im Zeichen der innenpolitischen Dauerkrise rund um den fehlgeschlagenen Putschversuch gegen Erdoğan im Sommer 2016 gingen die Veranstalter allerdings auf Tauchstation und das Jahr verstrich ohne jegliches Lebenszeichen von Türksoy gegenüber der Öffentlichkeit oder den Delegationen, so dass die ersten Länder ihre Teilnahme wieder stornierten. Lange Zeit war vage vom “Frühling 2017” die Rede, im Februar 2017 hieß es dann, dass der Wettbewerb nunmehr nach Kasachstan verlegt werde, wo er als Begleitprogramm der im Sommer in der dortigen Reißbrett-Hauptstadt Astana stattfindenden Weltausstellung Expo 2017 über die Bühne gehen sollte.
Das Bürgerkriegsland Syrien überzeugte bei seinem Türkvizyons-Debüt mit einer fantastischen Kostümierung und einem mitreißenden Song.
Geplant war die vierte Türkvizyon mit einer neuen Rekordzahl an Partizipant:innen, darunter die albanische Eurovisionsvertreterin von 2016, Eneda Tarifa, ein griechisches (!) Quartett und das ehemalige Popstars-Castingsternchen Elvira Michieva, 2007 ein Drittel der extrem kurzlebigen, von Bushido gecasteten Girlgroup Bisou, die es 2010 solo vergeblich beim ESC-Vorentscheid in ihrem Geburtsland Aserbaidschan versuchte und nun für das erstmalig teilnehmende Österreich an den Start gehen wollte. Doch auch daraus wurde nichts: ein bizarrer Namensrechtsstreit zwischen dem türkischen Fernsehen und einem obskuren Sänger, der (juristisch erfolgreich) behauptete, die ideellen Rechte an dem Wettbewerb zu besitzen und der offenbar Geld daraus schlagen wollte, sorgte für einen kompletten Stillstand und die Absage des Wettbewerbs in Astana. Dann kündigte man die Wiederaufnahme der Reihe für den Monat Oktober 2018 an; nachdem dieser verstrich, für Dezember 2018. Schließlich war nur noch äußerst vage von 2019 die Rede. Doch auch dieses Jahr verstrich ohne weiteres Lebenszeichen, so dass man zwischenzeitlich vom Tod des Patienten ausgehen musste. Was echt schade gewesen wäre, denn in der Vergangenheit bot die Show zumindest eine interessante musikalische Horizonterweiterung und eine wunderbare Beschäftigungsmöglichkeit in der ESC-Nebensaison.
https://youtu.be/p‑S1X4jrM9k
Crossover-Chance verpasst: Eneda Tarifa sollte die erste ehemalige ESC-Repräsentantin bei der Türkviyzon werden.
Totgesagte leben länger
So gab es auch zunächst erhebliche Zweifel, als Anfang Oktober 2020 die auf internationale Musikwettbewerbe spezialisierte News-Seite Eurovoix World vermeldete, dass die Türkvizyon noch im Laufe dieses Jahres als Online-Contest wiederauferstehen solle, ohne hierfür jedoch zunächst einen konkreten Termin nennen zu können. Quelle hierfür war wohl die emsige belarussische Sängerin Gunesh Abasova, die schon mehrfach an den berüchtigten Eurovisions-Vorentscheidungen des diktatorisch regierten Landes teilnahm und 2013 bei der Première der Türkvizyon als weißrussische Vertreterin startete. Nun agiere sie als Jury-Vorsitzende, wie sie Eurovoix World mitteilte. Die beiden allerersten der unzähligen Länder, Regionen und Völker, die ursprünglich für die vierte Ausgabe gemeldet waren, die gegenüber Eurovoix vermeldeten, wieder mitmachen zu wollen, waren das im Kaukasus lebende Turkvolk der Nogaier – und Deutschland! Dessen für 2016 vorgesehener Vertreter, der in Baku geborene, seit 2005 jedoch in Köln lebende Seyran, bestätigte gegenüber aufrechtgehn.de tatsächlich, erneut angefragt zu sein und an einem neuen Wettbewerbsbeitrag zu arbeiten.
Seyrans Beitrag zum Publikumswettbewerb (Repertoirebeispiel).
Weitere Künstler:innen folgten, irgendwann sogar der Termin am vierten Adventssonntag, und so ruckelte und zuckelte sich die Teilnehmer:innenliste für die vierte Ausgabe des Wettbewerbs auf ESC-kompatible 26 Partizipant:innen fest. Natürlich nicht ohne das übliche Drama und Verwirrspiel: bereits gemeldete Namen verschwanden wieder und wurden durch andere ersetzt, mehrere Künstler:innen schafften es coronabedingt nicht innerhalb der vorgegebenen Zeit, ein den Vorgaben von TMB entsprechendes Greenbox-Video ihres Beitrags einzureichen und mussten stornieren, etliche der obskuren russischen Teilrepubliken aus der Grenzregion zu Asien vermeldeten zunächst Interesse, sagten dann ab und wenige Tage später wieder zu. Es gab die Meldung, dass eine der Interpretinnen mit dem traditionellen kaukasischen Volkslied ‘Sari Gelin’ (‘Blondes Mädchen’) antreten wolle – wie sich kurze Zeit später herausstellte, allerdings nicht zum jurybewerteten Hauptwettbewerb, sondern zu einer parallel zur Sendung verlaufenden Publikumsabstimmung, bei welcher 13 der 26 Kombattant:innen jeweils ihre Version dieser jahrhundertealten Ballade vorstellten. Und bei der die eingangs erwähnte Gunesh mit einem ausgesprochen fischigen Vorsprung von ungefähr dem zehnfachen an Stimmen der restlichen Teilnehmer:innen “gewann”.
Der Siegertitel der Türkvizyon 2020: fabelhafte Ethno-Disco aus der Ukraine.
→ 4. Türkvizyon, 20. Dezember 2020, Istanbul, Türkei
Die eigentliche Türkvizyon ging dann tatsächlich, wie angekündigt, am Sonntagnachmittag über den Äther, nicht allerdings ohne eine massive Panne: da sich die Auszählung der Jurystimmen aus nicht bekanntem Grund über Stunden hinzog (gut, Bestechung zu organisieren, will gelernt sein), quälte der verantwortliche Sender TMB die internationalen Zuschauer:innen mit endlosen Wiederholungen des Schnelldurchlaufes in Dauerschleife. Erst, als man vor dem Bildschirm jeglichen Lebenswillen endgültig verloren hatte, erschien das zweisprachig auf türkisch und russisch (!) moderierende Gastgebertrio und verkündete schließlich die ukrainische Gagausin Natalya Papazoğlu, 2016 beim heimischen Eurovisionsvorentscheid noch einer gewissen Jamala unterlegen, und ihren lustigen Brustpanzer als völlig berechtigte Siegerin.
Ein possierlicher Nussknacker: Seyran vertrat Deutschland sehr würdig.
Türkvizyon 2020
4. Song Contest des türkischen Kulturraumes. Sonntag, 20.12.2020, ab 14:00 Uhr MEZ aus Istanbul, Türkei. 26 Teilnehmer:innen. Moderation: Esra Balamir und Refik Sarıöz.# | Land / Republik | Teil von | Interpret:in | Songtitel | Jury | Platz |
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01 | Albanien | AL | Ilire Ismajli | Përsëri | 171 | 19 |
02 | Stawropol (Nogaier) | RU | Janna Musaeva | Munayma | 159 | 24 |
03 | Baschkortostan | RU | Ziliya Bahtieva | Halkyma | 174 | 17 |
04 | Bosnien | BA | Armin Muzaferiya | Džehva | 194 | 03 |
05 | Nordzypern | CY | Çağıl İşgüzar | Acitir hep Hayallerim | 171 | 21 |
06 | Nordmazedonien | MK | Cengiz Sipahi | Kal Yanimda | 171 | 20 |
07 | Tuwa | RS | Oorzhak Omak Çopanoviç | Bayla la Talgam | 176 | 15 |
08 | Aserbaidschan | AZ | Aydan Ilxaszade | Can Can Qardaş Can | 193 | 05 |
09 | Polen | PL | Mishelle | Doğma Yerlər | 172 | 18 |
10 | Tatarstan | RU | Diliya Ahmetşına | Ğafu it, awılım | 191 | 06 |
11 | Deutschland | DE | Seyran Ismayilkhanov | Odun | 190 | 08 |
12 | Irak | IQ | Sarmad Mahmood | Kelebek | 150 | 26 |
13 | Gagausien | MD | Yulia Arnaut | Kemençä | 185 | 10 |
14 | Chakassien | RU | Darya Taçeeva | Ot-çalında | 181 | 11 |
15 | Ukraine | UA | Natalya Papazoğlu | Tikenli yol | 226 | 01 |
16 | Sandžak | RS | Haris Skarep | Doživotno osuđen | 178 | 13 |
17 | Kirgisistan | KG | Ayganysh Abdieva | Jüpiter | 176 | 16 |
18 | Belarus | BY | Svetlana Agarval | Məni anla | 166 | 23 |
19 | Russland | RU | Olga Shimanskaya | Hadi gel | 186 | 09 |
20 | Rumänien | RO | Sunai Giolakai | Niye? | 167 | 22 |
21 | Kasachstan | KZ | Almaz Kopzhasar | Kim ol | 159 | 25 |
22 | Moldawien | MD | Pelageya Stefoglu | Ateş gibi | 191 | 07 |
23 | Sascha (Jakutien) | RU | Umsuura | Mokhsoğollor | 204 | 02 |
24 | Tjumen | RU | Adilya Tuşakova | Havalarda | 193 | 04 |
25 | Türkei | TR | Ertan & İsrafil | Ne Yaptıysam Olmadı | 179 | 12 |
26 | Uiguren | KZ | Sada Ensembel | Sevgiyi besle | 178 | 14 |
Stand: 18.01.2021