Wie kann es angehen, dass der türkische Staatssender TRT nach dem Ausstieg des Landes beim Grand Prix seinen eigenen Liederwettbewerb für Turkvölker organisiert, die Türkvizyon nämlich, und Deutschland, das aktuell größte Siedlungsgebiet außerhalb des Mutterlandes, nicht dabei ist? Das dachte sich auch Hatice Balaban, Chefin des in Köln beheimateten Privatsenders Türkshow, die im Dezember 2013 bei der Première des osmanischen Eurovisions-Gegenentwurfs im anatolischen Eskişehir weilte und an Ort und Stelle eine deutsche Türkvizyons‑Teilnahme für die zweite Ausgabe eintütete. Diese ging Ende November 2014 in Kasan über die Bühne, der Metropole der russischen Republik Tatarstans und aktuellen “Kulturhauptstadt der türkischen Welt”. Balaban wählte hierfür mit Hilfe einer neunköpfigen Jury den zu diesem Zeitpunkt 48jährigen Sänger Fahrettin Güneş aus, uns mit einer arg traditionellen Ballade zu vertreten. Nicht unbedingt der goldene Griff: trotz der eigens vom Sender beigesteuerten Tanzgruppe, die das Ganze visuell etwas aufpeppen sollte, blieb die Nummer im Semi kleben. Anders als bei der Eurovision gibt es bei der Türkvizyon explizit keinen Big-Five-Bonus, der uns einen Platz im Finale sichert.
Tradition ohne Moderne: der deutsche Vertreter Fahrettin Güneş scheiterte im Semifinale. Nicht unverdient übrigens.
Türkvizyon 2014: die Teilnehmerliste
2. Song Contest des türkischen Kulturraumes. 19. und 21.11.2014 in Kasan, Tatarstan (Autonome russische Republik).Land / Republik | Teil von | Interpret | Song | Übersetzung |
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Albanien | AL | Xhoana Bejko | Zjarr dhe Ajër | Feuer und Luft |
Aserbaidschan | AZ | Elvin Ordubadli | Divlərin yalqızlığı | Einsamkeit der Riesen |
Balkarien | RU | Eldar Zhanikaev | Barama | Geh |
Baschkortostan | RU | Zaman | Kubair | Epos |
Bosnien | BA | Mensur Salkić | Šutim | Ich bin still |
Bulgarien | BG | İsmail Matev | Yollara, Taşlara | Straßen, Steine |
Chakassien | RU | Dmitriy Saf’yanov + Sayana Sobirova | Oshikba | Fehler |
Deutschland | DE | Fahrettin Güneş | Sevdiğim | Meine Geliebte |
Gagausien | MD | Mariya Topal | Aaladım | Ich weinte |
Georgien | GE | Aysel Məmmədova + Ayla Şiriyeva | Tenhayam | Ich bin allein |
Irak | IQ | Ahmet Duzlu | Cal Kalbimi | Mein Herz gestohlen |
Iran | IR | Barış | Heydar Baba | Vater Heydar |
Kasachstan | KZ | Zhanar Dugalova | Іzіn kөrem | Ich sehe seine Spur |
Kirgisien | KG | Non-Stop | Seze Bil | Rhythmus der Jahreszeiten |
Krim | UA | Darina Siniçkina | Suya gider | Wenn sie gehen |
Mazedonien | MK | Kaan Mazhar | Yolumu Bulurum | Ich finde meinen Weg |
Rumänien | RO | Cengiz Erhan + Gafar Alev Sibel | Genclik basa bir gelir | Man ist nur einmal jung |
Russland | RU | Kazan World | Son kөtəm | Auf dich zu warten |
Sacha (Jakutien) | RU | Vladlena Ivanova | Kyn | Tag |
Tatarstan | RU | Aydar Suleymanov | Atlar Chaba | Rennende Pferde |
Türkei | TR | Funda Kılıç | Hoppa | Leichtfertig |
Turkmenistan | TM | Züleyha Kakayeva | Shikga-Shikga bilerzik | Schüttle das Armband |
Tuwa | RU | Ayas Kullar | Subedei | Subutei |
Ukraine | UA | Natali Deniz | Sän Benim | Du bist mein |
Usbekistan | UZ | Aziza Nizamova | Dunyo bolsin Omon | Welt sei unser |
https://youtu.be/NfgAEJHWF9o
Der Papa rockt: der Iran beging seinen Einstand bei der Türkvizyon mit der Adult-Rock-Gruppe Barış.
Neben Almanya feierten in Kasan auch Albanien, Bulgarien, die bizarre Öldiktatur Turkmenistan, der Iran und merkwürdigerweise die russische Metropolregion (!) Moskau ihre Türkvizyons‑Première, letztere groteskerweise vertreten durch die Gruppe Kazan World, die Zweitplatzierten aus der nationalen Vorentscheidung des Gastgeberlandes, die dort von einem erst in letzter Sekunde hinzugestoßenen Jüngling namens Aydar Suleymanov mit einem selbst geschriebenen Song über “galoppierende Pferde” überholt wurden. Weswegen man sich kaum des Eindrucks erwehren kann, der für beide Sendungen zuständige tatarische Sender Meidan TV habe einfach eine Fantasienation erfunden, um auch noch diesen Beitrag im Hauptwettbewerb unterbringen zu können. Als wolle man den naheliegenden Verdacht auf Mauscheleien unbedingt erhärten, gewann Gaydar dann sogar das Türkvizyons-Semifinale. Verantwortlich dafür zeichneten die aus allen Teilnehmerländern angereisten Juror/innen: wie schon 2013 hieß es vorab, dass die Zuschauer diesmal mitstimmen dürften, und wie schon 2013 kam in letzter Minute die dürre Mitteilung, dass wiederum alleine eine Jury entscheide, weil (Überraschung!) nicht alle Regionen über eigene Telefonvorwahlen verfügten. Dabei blieb es im Übrigen bis heute.
http://youtu.be/oeCpbgw4_Rg
Vertrat das ausrichtende Land und gewann das Semi: Aydar Suleymanov (Tatarstan).
Auch sonst blieben die gut gemeinten Versuche, das organisatorische und kommunikative Chaos der Türkvizyons‑Erstausgabe zu vermeiden, von wenig Erfolg gekrönt. So verfügte der tatarische Sender vorab, dass alle Nationen ihren Song bis spätestens 30. September 2014 bestimmt haben müssten, damit sich die Szenerie aus dem Vorjahr nicht wiederhole, als praktisch bis zum Vorabend der Show noch an der Teilnehmerliste gezimmert wurde. Ein clever gedachtes Ultimatum, das freilich genau so viel Wirkung entfaltete, als wenn man einem Ochsen ins Horn petzt. Noch zwei Tage vor dem Semifinale herrschte in Kazan heilloses Durcheinander. Nicht nur, dass von neun der insgesamt 25 Teilnehmer/innen zu diesem Zeitpunkt noch immer der Songtitel fehlte. Nein, es verschwanden auch in letzter Sekunde wieder Länder von der Liste, darunter – sicherlich zur besonderen Freude der Türkei – der von ihr besetzte Nordteil Zyperns. Den erkennt nämlich außer den Besatzern kein einziger Staat der Welt als eigene Nation an, weswegen die die bereits ein einer quälend langen Vorentscheidung ausgewählte nordzyprische Vertreterin Ipek Amber mangels in Russland gültigen Passes nicht nach Kasan einreisen durfte. Verzwickt! Frau Amber entschied sich dann für das Motto “aufgeschoben ist nicht aufgehoben” und kehrte 2015 zur dann in Istanbul stattfindenden Türkvizyon zurück – mit dem für 2014 bestimmten Lied!
Das hält sich schon noch ein bisschen: die Zypresse Ipek Amber hob sich ihr Lied für nächstes Jahr auf.
Aber es kam noch besser: die südsibirische Republik Tuwa glänzte bei der Startplatzvergabe am Montag vor der Qualifikationsrunde mit Abwesenheit, weswegen die zu Russland zählende Region zunächst von der Teilnehmerliste gestrichen wurde. Dann tauchte die tuwarische Delegation in der Nacht zu Mittwoch, dem Tag des Semifinales, überraschend doch noch in der tatarischen Hauptstadt auf – das Reisen scheint in diesen Breitengraden noch ein echtes Abenteuer mit ungewissem Ausgang zu sein – und durfte daraufhin selbstredend teilnehmen! Als Belohnung für die Verspätung erhielt Tuwa gar den letzten Startplatz zugewiesen, wo es mit den Anderen um einen der Slots für das Finale am Freitag streiten konnte. Erfolglos übrigens. Verwirrung umwaberte ebenfalls den Neustarter Albanien: deren Repräsentantin Xhoi, die sich Gerüchten zufolge ohne Sender im Rücken auf eigene Faust beworben haben soll, verschwand zwischenzeitlich heimlich, still und leise von der offiziellen türkischen Contest-Seite turkvizyon.tv. Was die Sängerin in Erstaunen versetzte: sie sei “fest entschlossen”, an der Türkvizyon teilzunehmen, ließ sie das Nachrichtenportal Eurovoix auf Nachfrage wissen. Und auch, wenn ihr Konterfei auf turkvizyon.tv weiterhin fehlte, so stand sie schließlich doch auf der Liste der Semifinalist/innen und durfte mitsingen.
Die Choreografie verdient jetzt nicht zwingend einen Innovationspreis, und der Song auch nicht. Aber wen stört das schon bei diesen zwei sehr ansehnlichen Tanzschnitten? Dödelpunkte verdient die türkische Funda-Mentalistin auf jeden Fall!
Eine Verbindung zwischen dem echten Song Contest und der Türkvizyon knüpfte unterdessen ausgerechnet die Türkei selbst: deren diesjähriger Beitrag ‘Hoppa’ von Funda Kılıç, ein klassischer mediterraner Tanzflächenfüller, klang nicht nur wie Hadises ‘Düm Tek Tek’ (→ TR 2009), sondern stammte aus der Feder desselben Komponisten, Sinan Akçıl, der als Teil der türkischen Jury ebenfalls nach Kasan reiste. Und dort Erfahrungen mit den Tücken dieses Bewertungssystems sammelte: wie die Kolleg/innen aus den anderen 24 Ländern hatte auch er die Aufgabe, an jeden Song außer dem eigenen je nach Gefallen mindestens einen bis maximal zehn Punkte zu verteilen. Da sein Urteil über die Konkurrenz verhältnismäßig hart ausfiel, rächten sich etliche der düpierten Kolleg/innen im Finale mit entsprechend niedrigen Wertungen bei ihm, so dass Fundas wunderbar billiger Strandbarschlager von Rang 2 im Semi auf den letzten Platz im Finale abschmierte. Der Juror aus Turkmenistan schusterte gar der eigenen Vertreterin Züleyha Kakayeva fünf Punkte zu, und Bosniens Mensur Salkić erhielt auf wundersame Weise im Endergebnis drei Punkte mehr, als die Addition der Einzelstimmen eigentlich hergab. So musste das Ergebnis des Semis nachträglich korrigiert werden, mit dem Ergebnis, dass nun 15 anstelle der vorgesehen 12 Länder ins Finale zogen.
Züleyha Kakayeva aus Türkmenistan schüttelte das Armband und verwirrte die Jurys damit so sehr, dass ihre eigene Delegation ihr fünf Punkte gab. Verdientermaßen, wie ich finde.
Semifinale Türkvizyon 2014
Song Contest des türkischen Kulturraumes. 19.11.2014 in Kasan, Tatarstan (Autonome russische Republik).# | Land / Republik | Teil von | Interpret | Song | Pkt. | Pl. |
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01 | Kasachstan | KZ | Zhanar Dugalova | Іzіn kөrem | 198 | 03 |
02 | Deutschland | DE | Fahrettin Güneş | Sevdiğim | 149 | 21 |
03 | Turkmenistan | TM | Züleyha Kakayeva | Shikga-Shikga bilerzik | 164 | 15 |
04 | Georgien | GE | Aysel Məmmədova + Ayla Şiriyeva | Tenhayam | 141 | 25 |
05 | Usbekistan | UZ | Aziza Nizamova | Dunyo bolsin Omon | 172 | 10 |
06 | Albanien | AL | Xhoana Bejko | Zjarr dhe Ajër | 154 | 19 |
07 | Gagausien | MD | Mariya Topal | Aaladım | 162 | 16 |
08 | Ukraine | UA | Natali Deniz | Sän Benim | 148 | 23 |
09 | Iran | IR | Barış | Heydar Baba | 178 | 09 |
10 | Balkarien | RU | Eldar Zhanikaev | Barama | 148 | 24 |
11 | Tatarstan | RU | Aydar Suleymanov | Atlar chaba | 223 | 01 |
12 | Moskau | RU | Kazan World | Son kөtəm | 190 | 05 |
13 | Kirgisien | KG | Non-Stop | Seze Bil | 190 | 06 |
14 | Sacha (Jakutien) | RU | Vladlena Ivanova | Kyn | 168 | 12 |
15 | Türkei | TR | Funda Kılıç | Hoppa | 199 | 02 |
16 | Bosnien | BA | Mensur Salkić | Šutim | 168 | 13 |
17 | Baschkortostan | RU | Zaman | Kubair | 193 | 04 |
18 | Bulgarien | BG | İsmail Matev | Yollara, Taşlara | 168 | 11 |
19 | Türkmeneli | IQ | Ahmet Tuzlu | Cal Kalbimi | 155 | 18 |
20 | Krim | UA | Darina Siniçkina | Suya gider | 178 | 08 |
21 | Aserbaidschan | AZ | Elvin Ordubadli | Divlərin yalqızlığı | 166 | 14 |
22 | Rumänien | RO | Cengiz Erhan + Gafar Alev Sibel | Genclik basa bir gelir | 158 | 17 |
23 | Mazedonien | MK | Kaan Mazhar | Yolumu Bulurum | 181 | 07 |
24 | Chakassien | RU | Dmitriy Saf’yanov + Sayana Sobirova | Oshikba | 148 | 22 |
25 | Tuwa | RU | Ayas Kuular | Subedei | 154 | 20 |
Schnittig: der bosnische Bäckerbube (Vorschauvideo).
Dass diese Ungereimtheiten überhaupt auffielen, war der Transparenz des tatarischen Senders Meidan TV zu verdanken, der – anders als die Türken im Jahr zuvor und danach – die Ergebnisse des Juryvotings auch im Semi in vorbildlicher Weise einblendetet, so dass aufmerksame Fanoraks nachrechnen und Meldung machen konnten. Im erweiterten Finale gewann überraschend (es stimmten die selben Juroren ab wie schon in der Qualifikation) die im Semi noch Drittplatzierte Zhanar Dugalova aus Kasachstan. Sie bot ebenfalls ein packendes Lied und eine sensationelle Show mit Windmaschinen und Tänzern. Überhaupt ließ sich gegenüber der Erstausgabe eine erhebliche weitere Professionalisierung der Show und der Beiträge festzustellen. Und so nahm es wenig Wunder, dass im Anschluss die Fortführung der Sendereihe bekannt gegeben wurde: die dritte Ausgabe der Türkvizyon sollte Ende 2015 in Turkmenistan stattfinden. Klappte dann nicht ganz so wie gedacht, aber das ist eine andere Geschichte.
Die Siegerin von 2014, Zhanar Dugalova (KZ, Präsentationsvideo).
Finale Türkvizyon 2014
Song Contest des türkischen Kulturraumes. 21.11.2014 in Kasan, Tatarstan (Autonome russische Republik).# | Land / Republik | Teil von | Interpret | Song | Pkt. | Pl. |
---|---|---|---|---|---|---|
01 | Türkei | TR | Funda Kılıç | Hoppa | 128 | 15 |
02 | Krim | UA | Darina Siniçkina | Suya gider | 186 | 06 |
03 | Kasachstan | KZ | Zhanar Dugalova | Іzіn kөrem | 225 | 01 |
04 | Usbekistan | UZ | Aziza Nizamova | Dunyo bolsin Omon | 183 | 07 |
05 | Iran | IR | Barış | Heydar Baba | 167 | 13 |
06 | Baschkortostan | RU | Zaman | Kubair | 199 | 03 |
07 | Kirgisien | KG | Non-Stop | Seze Bil | 196 | 04 |
08 | Turkmenistan | TM | Züleyha Kakayeva | Shikga-Shikga bilerzik | 192 | 05 |
09 | Sacha (Jakutien) | RU | Vladlena Ivanova | Kyn | 182 | 08 |
10 | Bulgarien | BG | İsmail Matev | Yollara, Taşlara | 172 | 11 |
11 | Aserbaidschan | AZ | Elvin Ordubadli | Divlərin yalqızlığı | 177 | 09 |
12 | Bosnien | BA | Mensur Salkić | Šutim | 176 | 10 |
13 | Mazedonien | MK | Kaan Mazhar | Yolumu Bulurum | 166 | 14 |
14 | Moskau | RU | Kazan World | Son kөtəm | 170 | 13 |
15 | Tatarstan | RU | Aydar Suleymanov | Atlar chaba | 201 | 02 |
Das Finale der zweiten Türkvizyon aus Kasan.
Stand: 07.08.2018
Der Song von Aydar ist echt gut 🙂 schade, dass er nicht teilnimmt – beim Song Contest sollte man überlegen, dass auch mehr Menschen auf die Bühne dürfen
Ich bin schon mal wieder ganz gespannt auf den Song aus Tuwa…den vom letzten Jahr von Saylik Ommun höre ich immer noch rauf und runter! Schade, dass Kemerowo/Schorien dieses Jahr fehlt! Ich liebe Vögel! 🙂