Amnes­ty Inter­na­tio­nal will beim Schwei­zer Vor­ent­scheid protestieren

Die deso­la­te Men­schen­rechts­la­ge im dies­jäh­ri­gen Gast­ge­ber­land Aser­bai­dschan sorgt für Unfrie­den der Schweiz. Die dor­ti­ge Sek­ti­on von Amnes­ty Inter­na­tio­nal (ai) ver­schick­te mit Hin­weis auf inhaf­tier­te Regie­rungs­kri­ti­ker But­tons mit der Auf­schrift “Free me” an die 14 aus­er­ko­re­nen Finalteilnehmer:innen. Ver­bun­den mit der Bit­te, die­se beim Vor­ent­scheid am 10. Dezem­ber, iro­ni­scher­wei­se dem Inter­na­tio­na­len Tag der Men­schen­rech­te, zu tra­gen. Zwei der Finalist:innen sag­ten nach einem Bericht des Tages­an­zei­gers zu. Was umge­hend das Schwei­zer Fern­se­hen SF auf den Plan rief, das eine Mail an alle Vier­zehn schick­te und ihnen nahe leg­te, “zurück­hal­tend zu reagie­ren und sich ein Urteil über das Gast­ge­ber­land erst nach eurem Besuch in Baku im Mai 2012 zu bil­den”. Was ai nun wie­der­um zutref­fend als “zynisch” und als “Maul­korb aus Plüsch” brand­mark­te. Nun will man die Anste­cker in der Reut­lin­ger Boden­see-Are­na an die Zuschauer:innen der Vor­ent­schei­dung ver­tei­len. Viel Glück dabei: klas­si­sche Grand-Prix-Fans wol­len meist nur eine schö­ne Show sehen und sich nicht mit so läs­ti­gen poli­ti­schen The­men her­um­schla­gen. Immer­hin sag­te wenigs­tens das schwei­ze­ri­sche Radio DRS3 Amnes­ty eine kri­ti­sche Bericht­erstat­tung über die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen im Vor­feld des Grand Prix zu.

ai-Video über Jab­bar Savalan, Opfer des Aliyew-Regimes

So, wie das der NDR tat­säch­lich in vor­bild­li­cher Wei­se auf sei­ner offi­zi­el­len Inter­net­sei­te zum Euro­vi­si­on Song Con­test hand­habt, wo sowohl ein tages­schau-Bericht zum Amnes­ty-Län­der­re­port über Aser­bai­dschan ver­linkt ist als auch ein aktu­el­ler Bericht über das Men­schen­rechts­bünd­nis “Sing for Demo­cra­cy”. Das will eine Art Gegen-Grand-Prix mit pro­mi­nen­ten Teil­neh­mern orga­ni­sie­ren, um auf die Lage in Baku hin­zu­wei­sen. Und die ist in der Tat kri­tik­wür­dig: nicht nur ris­kiert man dort bei regie­rungs­feind­li­chen Äuße­run­gen im Inter­net, von der Poli­zei Dro­gen unter­ge­scho­ben zu bekom­men und zu lang­jäh­ri­gen Haft­stra­fen ver­ur­teilt zu wer­den. Auch lässt der bereits in zwei­ter Gene­ra­ti­on auto­kra­tisch regie­ren­de Ali­y­ew-Clan der­zeit in Vor­be­rei­tung auf den Grand Prix die hal­be Bakuer Alt­stadt abrei­ßen. Dem Besu­cher soll eine dis­ney­fi­zier­te Kulis­se vor­ge­führt wer­den, ein “Potem­kin­sches Dorf”, wie der Men­schen­recht­ler Emin Husey­n­ov meint: “Von außen sieht alles gut aus, aber wenn man hin­ter die Fas­sa­den blickt, sind dort nur Schmutz, Armut und Unglück.”

Ley­la Junus, eine der Betrof­fe­nen, möch­te, “dass bei­spiels­wei­se die Teil­neh­mer aus Deutsch­land absa­gen und erklä­ren: ‘Ich habe erfah­ren, dass man in Aser­bai­dschan den Men­schen die Häu­ser über dem Kopf abreißt, und des­halb wer­de ich dort nicht sin­gen’ ”. Sie zeigt sich hin­sicht­lich der ger­ne ins Feld geführ­ten mög­li­chen posi­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf die Demo­kra­tie­be­we­gung durch den Besuch inter­na­tio­na­ler Tourist:innen und Journalist:innen pes­si­mis­tisch und glaubt, wohl nicht zu Unrecht, dass sich die meis­ten Grand-Prix-Besucher:innen nur amü­sie­ren und von Men­schen­rech­ten nichts hören woll­ten. “Der ESC nutzt uns nicht, im Gegen­teil, er scha­det uns. Das Régime wird ihn nur nut­zen, um sein Image auf­zu­po­lie­ren, es wird eine ein­zi­ge PR-Show.” Nun weiß man nicht erst seit ges­tern, dass der Staat am Schwar­zen Meer zutiefst unde­mo­kra­tisch regiert wird. Doch das Land besitzt einen nicht uner­heb­li­chen Teil der Erd­öl- und Erd­gas­vor­rä­te der Erde und ver­fügt durch die hier­durch ein­ge­nom­me­nen Petro­dol­lar über eine nicht unbe­trächt­li­che wirt­schaft­li­che Macht. Und so macht man lie­ber ein­träg­li­che Geschäf­te mit dem Ali­y­ew-Clan, der auch in Aser­bai­dschans Wirt­schaft über­all die Fin­ger drin hat. Wie bei­spiels­wei­se Ste­fan Raabs Fir­ma Brain­pool, die just den Auf­trag zur Kopro­duk­ti­on des Song Con­tests in Baku erhielt.

arte-Bericht: Den Dik­ta­tor bloggen.

Die bekannt­lich bis ins Rücken­mark fei­ge EBU zieht sich bei sol­chen Gele­gen­heit ger­ne auf die beque­me Aus­flucht zurück, der Grand Prix sei “unpo­li­tisch”. Was natür­lich nicht nur im Hin­blick auf das jähr­li­che Geschrei um Nach­bar­schafts- und Dia­spo­ra­vo­ting nicht stimmt, denn selbst­ver­ständ­lich ist eine pan­eu­ro­päi­sche Ver­an­stal­tung die­ser Grö­ßen­ord­nung zwangs­läu­fig poli­tisch, ob man das mag oder nicht. Aber selbst 2009, als bekannt wur­de, dass die aser­bai­dscha­ni­sche Regie­rung das Tele­vo­ting sei­ner Bewoh­ner über­wach­te und 43 Bürger:innen, die für das ver­fein­de­te Arme­ni­en ange­ru­fen hat­ten, zu poli­zei­li­chen Befra­gun­gen vor­lud, ahn­de­te man das nicht mit dem Aus­schluss des Lan­des. Son­dern ver­häng­te ledig­lich eine lächer­li­che Geld­bu­ße in Höhe von 2.700 €. Übri­gens ließ der arme­ni­sche Dele­ga­ti­ons­lei­ter gera­de durch­si­ckern, das über die Kara­bach-Fra­ge mit Aser­bai­dschan zer­strit­te­ne Land habe sich hin­sicht­lich sei­ner Teil­nah­me in Baku mitt­ler­wei­le ent­schie­den, wol­le sich aber erst nach Abschluss des gera­de in Jer­e­van statt­fin­den­den Juni­or Euro­vi­si­on Song Con­test öffent­lich äußern. Klingt für mich nach einem Aus­stieg – ver­ständ­lich, aber schade!

Dass Deutsch­land also die Ver­an­stal­tung in Baku nicht boy­kot­tie­ren wird, gera­de nach­dem die Cas­tings für Unser Star für Baku schon gelau­fen sind und Raab die Show mit­pro­du­ziert, ist klar. Die Idee der Schwei­zer ai, mit Anste­ckern den Pro­test in die Sen­dung zu tra­gen, fin­de ich aber gut und wich­tig. Und da könn­ten alle Betei­lig­ten, trotz der alber­nen EBU-Rege­lun­gen, nach denen poli­ti­sche Tex­te oder Kund­ge­bun­gen auf der Büh­ne unter­sagt sind, aktiv mit­wir­ken. Bei­spiels­wei­se, in dem man Fotos der aktu­ell inhaf­tier­ten Regime­kri­ti­ker auf die Büh­nen­gar­de­ro­be unse­rer Teil­neh­mer druckt: das ist weder ein Text noch eine Kund­ge­bung, aber ein deut­lich sicht­ba­res Zei­chen der Soli­da­ri­tät. Oder indem man, ana­log zur Regen­bo­gen­flag­ge der Schwu­len­be­we­gung, wel­che bei­spiels­wei­se die schwe­di­sche Punk­te­an­sa­ge­rin 2009 als Zei­chen des Pro­tests gegen das Ver­bot des Mos­kau­er CSDs am Abend des Song Con­tests am Revers trug, ein neu­es Pro­test­sym­bol kre­iert – und sich ansteckt.

Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen in Aser­bai­dschan: wie damit beim ESC umgehen?

  • Man soll­te den Grand Prix zu (sub­ti­len) Pro­test­ak­tio­nen nut­zen. (29%, 22 Votes)
  • Dass nun vie­le Men­schen hin­rei­sen und Medi­en berich­ten, hilft schon. (28%, 21 Votes)
  • Die ein­zi­ge wirk­sa­me Maß­nah­me wäre ein Boy­kott. (20%, 15 Votes)
  • Pro­test­ak­ti­on sind nur Fol­ko­re, um das eige­ne Gewis­sen zu beru­hi­gen und hel­fen nicht. (12%, 9 Votes)
  • Ist mir egal, ich will nur eine schö­ne Show sehen. (11%, 8 Votes)

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2 Comments

  • Was haben poli­ti­sche Aktio­nen beim ESC zu suchen? Die sol­len ihre Pro­test­ak­tio­nen woan­ders machen und den Leu­ten den Spass am ESC nicht ver­der­ben. Wo war den Amnes­ty bei Olym­pia in Chi­na? Da gabs kei­ne Pro­tes­te. Der ESC ist und darf kein Forum für poli­ti­sche Pro­tes­te jeg­li­cher Art sein.

  • Sagen die Ver­ant­wort­li­chen nicht immer, dass der Con­test kei­ne poli­ti­schen Aus­sa­gen machen möchte?
    Ich bin immer zwie­ge­spal­ten, einer­seits fän­de ich es wich­tig und gut, doch dann bleibt die Fra­ge, war­um es bei ande­ren Län­dern ( Russ­land z.B. ) nicht gemacht wurde?

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