Richtig ernst nimmt man den Eurovision Song Contest in Aserbaidschan, der freundlichen Diktatur am Kaspischen Meer, in der dank des Sieges von Ell & Nikki der Contest 2012 stattfinden wird. Der Staatspräsident persönlich bestimmte diese Woche das Organisationskomitee für den nächsten Wettbewerb. In der dreizehnköpfigen Arbeitsgruppe finden sich die wichtigsten Minister des Erdöllandes sowie die Chefs der staatlichen Fluglinie und der Energiekonzerne – unter dem Vorsitz von Aliyevs Ehefrau, Mehriban Aliyeva. Die dreifache Mutter und Großmutter habe nach den von Wikileaks veröffentlichten Berichten der US-Botschaften bereits so viel plastische Chirurgie über sich ergehen lassen, dass sie “nicht mehr über alle Gesichtsausdrücke” verfüge. Dennoch bezeichnet die Washington Times die Tochter einer der reichsten Familien des von Korruption regierten Landes als “inspirierendes Vorbild für Frauen”: schließlich trage sie (wie allerdings die meisten ihrer Gechlechtsgenossinnen in dem islamisch geprägten, aber säkularen Staat) kein Kopftuch! Unterdessen ist der Schwiegersohn des Staatspräsidenten als Moderator im Gespräch.
Per Dekret verfügte der aserbaidschanische Machthaber “zur Sicherstellung des angemessenen Levels” bei der Durchführung des Wettbewerbs in Baku 2012 die Bildung des hochkarätig besetzten Vorbereitungskomitees unter Vorsitz seiner Ehefrau Mehriban Aliyeva. Dem Gremium gehören unter anderem der Außenminister, der Innenminister, der Kultusminister, der Minister für Telekommunikation, der Bürgermeister von Baku sowie die Vorsitzenden von Azerbaijan Airways und Azerenergy an. Frau Aliyeva wird in den US-Depeschen als “politisch uninformiert”, dafür aber “modisch wagemutig” beschrieben (das Satireblatt Huffington Post würdigte sie als First Lady der Moja Štikla bereits mit einer Fußfetisch-Fotostrecke). Bei einem Staatsempfang mit Lynn Cheney, der damaligen Frau des US-Vizepräsidenten Dick Cheney, hätten die Botschaftsmitarbeiter Schwierigkeiten gehabt, sie optisch von ihren beiden Töchtern zu unterscheiden.
Aliyeva entstamme einer einflussreichen aserbaidschanischen Oligarchenfamilie, zu deren Besitztümern mehrere Banken, Versicherungen, Baufirmen, Reiseveranstalter und “Aserbaidschans bislang einziges Bentley-Autohaus” gehörten. Der, wie die US-Depesche weiter beschreibt, “von einer Handvoll gut vernetzter Familienclans kontrollierte” Kaukasusstaat rangiert derzeit auf Platz 135 (von 167) im internationalen Demokratieindex und liegt damit sogar noch fünf Plätze unterhalb des von der ehemaligen US-Außenministerin Condoleeza Rice als “letzte Diktatur Europas” gebrandtmarkten Eurovisionskonkurrenten Weißrussland (‘I love Belarus’), mit dessen Regenten Lukaschenko Ilham Aliyev die Vorliebe für Schnäuzer und manipulierte Wahlen teilt. Zum Vergleich: Deutschland rangiert im Demokratieindex auf #14, drei Plätze oberhalb der USA. Angeführt wird die Liste von Norwegen. Ilham Aliyev übernahm die Macht 2003 von seinem verstorbenen Vater Heydar, der Aserbaidschan seit einem Militärputsch im Jahre 1993 regierte (sowie in den Achtzigern als Statthalter Breschnews, als der Erdölstaat noch zur UdSSR zählte).
Irgendwie involviert: Schwiegersohn Emin
Unterdessen berichtet die staatlich gelenkte Nachrichtenseite News.az über “Spekulationen in der aserbaidschanischen Presse”, nach denen der in Moskau lebende Sänger Emin Agalarow “in irgendeiner Form am ESC 2012 in Baku” involviert sein könne. Agalarov ist mit der Präsidententochter Leyla Aliyev verheiratet. Internetgerüchten zufolge habe er eine Teilnahme als Sänger in der Vergangenheit bereits mehrfach abgelehnt, so dass eine Rolle als Moderator vorstellbar sei. Falls das nicht Mehriban Aliyeva selbst übernehmen will, auf deren Initiative hin das Land überhaupt erst beim Eurovision Song Contest mitmache, wie ihr Ehemann in einer Pressemitteilung behauptet. Hinsichtlich des Veranstaltungsortes prüfe man derzeit drei mögliche Optionen: den vor Kurzem renovierten Heydar-Aliyev-Sport-und-Kultur-Komplex mit rund 8.000 Sitzplätzen, das Tofig-Bahramov-Stadion oder, und das sei die wahrscheinlichste Variante, einen Neubau auf dem Flaggenplatz oder dem Seaside-Zentrum. In seiner Techniknachrichtensparte berichtet News.az übrigens derzeit, völlig unabhängig vom Grand Prix Eurovision, auch über die Gründung der ersten aserbaidschanischen Internetseite für Homosexuelle, gay.az (auf der allerdings momentan noch gähnende Leere herrscht).
Lässt man die Politik beiseite, scheint Baku ein lohnenswertes Reiseziel zu sein, jedenfalls für Ruhe-und-Ordnung-Spießer. Der Ölreichtum des Landes schlägt sich in einer prachtvollen Hauptstadt nieder, wie Knut Teske in der Springer-Zeitung Hamburger Abendblatt schwärmerisch berichtet: “Die Hauptstadt Aserbaidschans überwältigt mit ihrer Illuminierung. Der 25 Kilometer lange Heydar-Aliyev-Prospekt führt in eine lichtdurchflutete, schattenfreie Märchenwelt, wie von Walt Disney verzaubert.” Neben der Anwesenheit von Nobelboutiquen mit sämtlichen teuren Edelmarken der Welt und der vollständigen Abwesenheit verschleierter Frauen und laut rufender Muezzine berauscht sich Teske vor allem an einem klassischen Kennzeichen eines mit eiserner Faust regierenden Regimes: der klinischen Sauberkeit der Zwei-Millionen-Metropole: “Nicht zuletzt fehlen weitgehend die öden Zutaten aller Slums dieser Welt: die himmelhohen Müllhalden und die Masse streunender Köter. Hunde ohne Leine gibt es hier nicht; ebenso wenig krakeelende Kinder. Sie werden auf den sauberen Plätzen von Bediensteten höflich zur Ruhe angehalten. Nachhaltig, wenn es sein muss.” Ja, da lacht das Herz des deutschen Ordnungsfetischisten! Und noch aus einem anderen Grunde scheint Aserbaidschan das Paradies auf Erden zu sein: 45 Cent für den Liter Benzin! Porsche-Cayenne-Fahrer: auf nach Baku!
Hach, herrlich! Was auch immer passieren mag, für ausreichend Lästerpotential ist jedenfalls gesorgt!
herrlich! Das ist mit Abstand der beste Artikel, den ich in diesem Blog lesen durfte. Ich freue mich schon auf ein lauschiges Familienfest/europäisches Kulturevent mit den Aliyevs! Gibt es in Azerbajian eigentlich die notwendigen Strukturen für so ein Event? (gut ausgebautes Straßennetz, Hochspannungsleitungen? Hotels? Energieversorgung? geeignete Veranstaltungsorte?) Wenn man mal bedenkt, wie dürftig schon Polen mit Autobahnen ausgestattet ist, ist dies eine berechtigte Frage. Ich habe die Angst, dass der ESC von einer Holztriübune aus gesendet wird- 24 Stunden versetzt, da man die Bilder von der analogen Heimkamara erst noch auf Videokasette spielen und schneiden musste… Baku wird ein Abenteuer.
Hihihi, es wird auf jeden Fall sehr lustig werden. Und wenn die Azeris, was den Aufwand angeht, in die Fußstapfen der Russen treten, dann freu ich mich jetzt schon auf die Moderation. Apropos: Ich finde, dass sich eine gewisse Safura Alizade bei ihrer diesjährigen Punktedurchsage sehr sehr nachdrücklich für die Moderation empfohlen hat… bitte bitte habt ein Einsehen und enthaltet uns das nicht vor! Baku soll aber in der Tat eine sehr schöne Stadt sein, hab ich mir sagen lassen.
Ich glaub, da brauchst Du Dir keine Gedanken machen – das ist eins der reichsten Länder der Erde. Die werden nicht 2/3 der weltweit verfügbaren LEDs aufkaufen, sondern ALLE!
[…] vertrieben wurden, mitverdiente; dass die Ehefrau des Präsidenten das Vorbereitungskomitee leitete und sein (allerdings verdammt gutaussehender) Schwiegersohn Emin als Pausenact im Finale auftreten […]