Ein Lied mit Pfiff: Lys Assia gibt nicht auf

Sie gehört ein­fach zum Euro­vi­si­on Song Con­test wie die Wes­pen zum Zwetsch­ge­n­ku­chen: das mitt­ler­wei­le 88jährige Grand-Prix-Urge­stein Lys Assia, die ers­te Sie­ge­rin von 1956. Und sie schien fest ent­schlos­sen, auf Bie­gen und Bre­chen noch ein­mal mit­zu­ma­chen: wie sie dem Bou­le­vard­blatt Blick Mit­te Sep­tem­ber 2012 anver­trau­te, woll­te sie 2013 erneut bei der schwei­ze­ri­schen Vor­ent­schei­dung antre­ten, wie­der­um mit einem Song aus der Feder von Ralph Sie­gel. Nach­dem sie es 2012 mit ihrer Final-Curtain-Bal­la­de ‘C’e­tait ma Vie’ zwar in Die gro­ße Ent­schei­dungs­show schaff­te, dort aber nur 5% der Stim­men ein­sam­meln konn­te, woll­te sie es dies­mal mit einem “moder­nen” Titel ver­su­chen: einem “Pop­song mit Rap-Ein­la­gen”, bei dem sie vier “Ber­ner Buben” von New Jack, einem Hip-Hop-Act, unter­stütz­ten. “Das Lied hat Pfiff und spricht auch die Jun­gen an,” zeig­te sich die Assia über­zeugt. Und auch für ihre jun­gen, schwar­zen Beglei­ter fand sie nur loben­de Wor­te: “Sie sind höf­lich, wohl­erzo­gen und über­aus talen­tiert,” so die Gran­de Dame begeis­tert (ver­mut­lich wur­de sie von den Her­ren gesiezt, wie es sich geziemt).

Nicht ganz so pfif­fig: Lys’ ‘My Way’-Version von 2012.

In einem Inter­view mit dem Schwei­zer Fern­se­hen ver­sprach uns Onkel Ralph sogar, natür­lich nur im Scherz: “…also, wenn das nicht klappt, dann hör ich auf. Arf arf”! Und prä­sen­tier­te ers­te Aus­zü­ge aus ‘All in your Head’, wel­che die Ver­mu­tung nahe­leg­ten, dass damit der Kopf des Song­schrei­bers gemeint ist. In wel­chem die irri­ge Vor­stel­lung umher­spukt, sei­nen (soweit man das hören konn­te) typi­schen Sie­gel­schla­ger durch das Unter­mi­schen eines halb­her­zi­gen Neun­zi­ger­jah­re-Euro­dance­beat­bet­tes und eines Rap­sur­ro­ga­tes zu etwas auch nur annä­hernd Zeit­ge­mä­ßem auf­pep­pen zu kön­nen. Eine erstaun­lich gute Figur mach­te hin­ge­gen Lys, die sich für ihre vier “seriö­sen Boys” extra in einen auf­rei­zen­den roten Body­sto­cking warf. Schließ­lich habe sie, wie sie frei­mü­tig erzähl­te, “schon immer ger­ne jün­ge­re Män­ner” um sich ver­sam­melt. Und wer woll­te ihr das ver­den­ken: schließ­lich mach­te ihr der beson­ders knuf­fi­ge MC‑R, im *hüs­tel* Neben­be­ruf “Coif­feur”, auch noch die Haa­re schön! Da ging noch was!

https://youtu.be/Wq2EdXPzPLo

War schließ­lich die ers­te Hip-Hop­pe­rin der Musik­ge­schich­te: Lys Assia 1958.

Am 7. Okto­ber 2012 erblick­te es dann end­lich das Licht der Welt: das mit atem­lo­ser Span­nung erwar­te­te Lys-Assia-Video! Bereits die ers­ten 20 Sekun­den erwie­sen sich als pures Come­dy-Gold, und ohne jede Fra­ge dürf­te “Hel­lo, how is the Flow?” zur neu­en Begrü­ßungs­flos­kel unter Euro­vi­si­ons­afi­ci­o­na­dos wer­den. Lys Assia hat­te die grau­en­volls­te eng­li­sche Aus­spra­che seit Aly­o­sha (“Every sink’s in your mind”: woll­te sie Bade­zim­mer­ar­ma­tu­ren ver­kau­fen?) und schien selbst in der Stu­dio­fas­sung mit dem Timing zu kämp­fen. Musi­ka­lisch han­del­te es sich natür­lich wie­der um eine der alt­be­kann­ten Backe-backe-Kuchen-Melo­dien des Meis­ters, die sich aller­dings auch sofort in die Gehör­gan­ge fräs­te und mir einen ewi­gen Ohr­wurm bescher­te. Ent­spre­chend ent­täuscht und scho­ckiert” zeig­te sich die Gran­de Dame des Grand Prix dann Mit­te Novem­ber 2012 im Tele­fon­in­ter­view mit dem Schwei­zer Fern­se­hen von ihrer über­ra­schen­den Nicht­zu­las­sung zur Gro­ßen Ent­schei­dungs­show 2013. Gera­de wo sie doch extra ein Lied “für die Jun­gen” auf­ge­nom­men habe: “Ich hät­te für ein ande­res Land antre­ten sol­len”, bilan­zier­te sie ver­bit­tert. Und ich muss ihr da bei­pflich­ten: Shame on you, Schweiz! Geht man so mit einer ver­dien­ten Künst­le­rin des Vol­kes um?

Am schöns­ten ist die Stel­le, wo die vier freund­li­chen Rap­per die Gran­de Dame aufs Skate­board heben, wo sie sich tap­fer eine gan­ze Sekun­de lang hält.

Ihr Kom­po­nist Ralph Sie­gel griff statt­des­sen Lys’ letzt­jäh­ri­ge Aus­re­de von der feh­len­den Inter­net­af­fi­ni­tät ihrer Alters­grup­pe auf und for­der­te eine “Son­der­re­ge­lung” (lies: eine Wild­card) für sei­nen Schütz­ling. Dies habe er “schon vor Mona­ten” dem Sen­der vor­ge­schla­gen, “aber es scheint nie­mand genü­gend Fein­ge­fühl und Ver­ständ­nis für die Situa­ti­on zu haben”, so der Grand-Prix-Grand­sei­gneur. Das Schwei­zer Fern­se­hen dach­te indes gar nicht dar­an, die­sem anma­ßen­den Ansin­nen statt zu geben, son­dern rieb Onkel Ralph lie­ber genüss­lich sei­ne unbe­dach­te Aus­sa­ge “Wenn das nicht klappt, höre ich auf” wäh­rend der Pro­duk­ti­on des Video­clips hin. Was ja nun ein­ge­tre­ten sei, wie man in Bern spitz bemerk­te: “Er lässt die ent­spre­chen­de schrift­li­che Fra­ge von glanz & glo­ria mehr­mals unbe­ant­wor­tet. Es käme einer Sen­sa­ti­on gleich, wenn der Deut­sche sich tat­säch­lich zurück­zie­hen wür­de”. Solch einen sub­ver­siv-bös­ar­ti­gen Humor hät­te ich den Schwei­zern gar nicht zugetraut!

Schon 2004 ver­such­te die ARD, dem Meis­ter dezent zu ste­cken, dass es jetzt lang­sam mal gut sei: ver­geb­lich, wie wir wissen.

10 Comments

  • Der Blick-Arti­kel bringt mich irgend­wie auf fol­gen­de Rech­nung. Lys Assia 88, Ralph Sie­gel 66, wenn sie den Vor­ent­scheid gewin­nen soll­te, dann wird sie beim ESC bestimmt 22ste.

  • Ach, es geht wie­der los! Nein, die­se Freu­de.  Die­se Mel­dung (und des Blog-Schrei­bers und ‑Betrei­bers) hat mei­nen Tag geret­tet.  Das ESC 2013-Fie­ber scheint lang­sam wie­der stei­gen. Jubel!
    Dass es gleich so ein Scoop sein wür­de, der die 2013-Sai­son ein­läu­tet, ver­heißt “hei­ße” Auf­re­ger bis Mit­te Mai. Juppeidi.

  • Mein Gott, vor lau­ter Auf­re­ge­ung schrei­be ich wie ein Analpha­bet, Blog-Betrei­ber “Stil” und beim Fie­ber fehlt ein “zu”. Es juckt mich, ihr merkt’s!

  • Ich hat­te ja heu­te mor­gen kurz­fris­tig Angst um mein Zwerch­fell, als ich da gele­sen habe, und muss­te auf den Kalen­der erst­mal nach­schau­en, ob nicht der ers­te April ist. Machen wir uns nix vor, Kin­ders: Die bei­den wer­den es jetzt jedes Jahr ver­su­chen (wahl­wei­se auch die euro­päi­schen Zwerg­staa­ten abklap­pernd – bewa­re, bewa­re, bewa­re, lie­be Liech­ten­stei­ner, wenn Ihr es dann end­lich auf die Rei­he kriegt.…), so lan­ge, bis sie ent­we­der den Löf­fel abge­ben oder noch­mal gewin­nen. Das kann dau­ern; wenn man sich das klei­ne Foto im Blick-Arti­kel anschaut, sieht man, dass die immer­hin 88jährige Lys wesent­lich fri­scher und weni­ger ver­lebt aus­sieht als der im Ver­gleich ja qua­si noch jugend­li­che 66jährige aus Solln. Und da Unkraut nicht ver­geht, wird Lys min­des­tens 110, wäh­rend Ral­phie sich in den Kopf gesetzt hat, spä­tes­tens zum 100jährigen Sie­ges­ju­bi­lä­um 2082 noch­mal zu gewin­nen. Und unka­putt­bar, wie er nun mal ist, wird er das auch schaf­fen. Und so lan­ge wird uns die­ses Duo Infer­na­le jedes Jahr mit noch absur­de­ren Bei­trä­gen erfreu­en – JUPPHEIDI!

    Lys und Ral­phi für Mal­mö 2013! Und für Zürich 2014 (Titel­ver­tei­di­gung!)

  • Ich bin ja auch der fes­ten Über­zeu­gung, dass es die­ser eiser­ne Alters­starr­sinn ist, die­se zwang­haf­te Fixie­rung auf “ich will noch mal mit­ma­chen und gewin­nen”, die­ses Ver­fol­gen eines gro­ßen Ziels ohne jede Rück­sicht auf Ver­lus­te, das die Bei­den am Leben (und für ihr Alter so ver­gleichs­wei­se jugend­lich frisch) erhält. Die Zwei wer­den älter wer­den als Jop­ie Heesters und die Assia wird uns alle überleben!

  • Dar­aus folgt also: Setz dir unmög­li­che Zie­le und ver­fol­ge sie mit aller dir zur Ver­fü­gung ste­hen­den Ver­bis­sen­heit, dann wirst du hun­dert Jah­re alt! (Oder älter). ESC ist echt Schu­le fürs Leben 😀

  • Ich (ein Jun­ge der 17 Jah­re alt ist und somit zu Lys Assi­as Ziel­grup­pe gehört) bin geschockt von die­ser Meldung.
    Ich fand und fin­de “C´etait Ma Vie” sehr schön, aber die Idee mit dem Hip-Hop-Act ist nicht gut.
    OK, der Song ist zwar noch nicht drau­ßen, aber den­noch ahne ich Böses…

  • Ich ahne auch Böses. Aber weni­ger wegen Lys oder den Hip-Hop­pern, son­dern wegen Ralph Sie­gel, der musi­ka­lisch irgend­wo im letz­ten Jahr­hun­dert ste­hen geblie­ben ist und – für mei­ne Ohren – immer ganz ähn­li­che alt­ba­cke­ne Har­mo­nien verwendet.

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