Verschiedene Eurovisionsseiten vermeldeten es schon vor Tagen, heute kam die offizielle Bestätigung: die 27jährige Polina Gagarina (meines Wissens nicht verwandt mit dem Weltraumhelden) vertritt Russland in Wien. Selbstredend stammt sie aus einer Castingshow, ihr Beitrag sei von einem internationalen Team (laut esckaz: Gabriel Alares, Joakim Björnberg, Leonid Gutkin, Vladimir Matetskiy sowie Katrina Noorbergen, die auch am deutschen Wildcard-Siegersong ‘Jump the Gun’ beteiligt war) zusammengestoppelt, Verzeihung, ‑geschrieben und heißt ‘A Million Voices’. Der Songtitel lässt schon nicht Gutes erahnen, genau so wenig wie die kurzen Ausschnitte, die in einem ersten Präsentationsvideo zu erhaschen sind. Wie bei einer solch siegelesken Liedüberschrift zu erwarten, ist unter anderem von “Freedom” die Rede (Ups: beim nochmaligen Anhören stellt sich heraus, dass es “in Dreams” heißen soll. Diese Aussprache aber auch immer!), und ich wette einen Moskovskaya darauf, dass uns im weiteren Songverlauf noch die Worte “Love”, “Peace” oder “Hand in Hand” begegnen werden. Als eine der drei “beeindruckendsten Fakten” über die Sänger verbreitet eurovision.tv, dass die Sängerin nach einer Schwangerschaft 30 Kilo abgenommen habe und vor Live-Auftritten immer ein spezielles Parfüm auflege. Wenn’s Glück bringt…
Würg, kotz, spei! Mir gehen die Erikative aus ob soviel Schmalz, Geftriefe und Verlogenheit. Merke: Wo eine fröhliche adrette Kinderschar sich tummelt, ist ein Diktator nie weit!
Freue mich schon auf das Buh-Konzert in Wien für Russia.
Again: die Sängerin kann nichts für die politische Führung des Landes, das sie vertritt. Sie hat zwar ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel als die Tomalchevy-Schwestern und dürfte weniger naiv sein. Dennoch: sie auszubuhen, finde ich beschämend. Natürlich finde ich die Nummer auch zum Erbrechen, aber Frau Gagarina als Überbringerin der ungeliebten Botschaft zu schlachten – sorry, das geht echt gar nicht. Und es sendet eben keine Signale von “Brücken bauen” und allgemeiner Akzeptanz, auch nicht an die Russinnen und Russen, die das zu Hause schauen. Putin auszubuhen: ja, jederzeit. Russische Botschafter, meinetwegen. Die Frau Gagarina: nein.
Das krönende Beispiel für einen Kinderchor beim ESC kam nicht aus einer Diktatur, auch wenn Spanien 1979 diese Phase noch nicht lange hinter sich hatte. Ansonsten volle Zustimmung zu Oliver: die Künstler sind die Letzten, die was dafür können; allerhöchstens kann man ihnen vorwerfen, sich für Diktatoren zum Werkzeug zu machen, aber welche Alternative haben sie denn? Ich kann es nachvollziehen, wenn man westliche Superstars dafür kritisiert, wenn die bei Geburtstagsfeiern irgendwelcher Diktatoren in irgendeinem mittelasiatischen ‑stan auftreten – die müssen das schließlich nicht machen – aber einheimische Künstler?
Auch Russland setzt auf eine russische “Celine Dion” ! Natürlich ein starker Song ! Aber es ist unerträglich, wenn man immer diese politischen Parolen auch beim ESC verbreitet ! Erst meckerte man, wenn es politisch war, und jetzt ist es auf einmal legitim, wenn einen ein Land nicht passt ? Jeder dreht u. wendet es immer so, wie er es gerade braucht !
Ja, ich glaube an einen Traum, der Putin nicht egaler sein könnte…
Wenn der Song wenigstens inspiriert und ehrlich wäre… Es ist wieder die typisch kalkulierte Ballade aus dem Baukasten. Und die verbale Botschaft des Titels konterkariert ja wohl sehr deutlich die aktuelle Putin-Doktrin. Keiner kann mir erzählen, dass bei der Auswahl der Sängerin und des Liedes keine politischen Entscheidungen mit im Spiel waren.
What if… reloaded. In dem Snippet find ich die Stimme von Frau Gagarina auch ziemlich knödelig. Und ich muss auch zugeben, so recht Oliver auch damit hat, das man hier Politik und Musik nicht über einen Haufen schmeissen sollte und einen Künster dafür verantwortlich zu machen, was in seinem Land passiert – so schwer fällt es mir objektiv mit einem russischen Beitrag umzugehen. Die Hürde, das mir da was gefällt ist heutzutage bei mir individuell sehr hoch…