Man kann die Strategie für befremdlich halten: mit gleich zwei musikalisch sehr ähnlichen Titeln trat die litauische Sängerin Monika Marija Paulauskaitė in diesem Jahr beim Vorentscheid ihres Landes an, der Nacionalinė Eurovizijos Atranka. Nämlich mit der Midtempo-Powerballade ‘Lights on’ und der… Midtempo-Powerballade ‘Criminal’. Beide überstanden unbeschadet die gefühlt siebzig Vorrunden und Semifinale der litauischen Marathon-Show. Und das, obwohl Frau Paulauskaitė im Vorfeld des Semis am vergangenen Samstag die Jury und die Zuschauer/innen beschworen hatte, bitte bloß nicht für ‘Criminal’ zu stimmen bzw. anzurufen. Den Gefallen taten ihre Landsleute ihr aber nicht und auch diesen Song ins Finale am Samstag durch. ‘Lights on’ hatte sich bereits in der Woche davor qualifiziert. Wohl, um der Gefahr zu entgehen, dass sich kommenden Samstag nun die Stimmen gleichmäßig auf beide Beiträge verteilen und jemand anders ihr den Sieg wegschnappt, zog Monika Marija ‘Criminal’ nun vom Wettbewerb zurück, wofür sie eine Vertragsstrafe von 2.000 € an den Sender LRT entrichten muss. Der lässt sie dafür nun mit ihrem deutlich zäheren und langweiligeren Wunschbeitrag mitmachen.
Eine Kriminelle will sie nicht mehr sein, die Monika Marija. Also kauft sie sich von dem Vorwurf Song frei.
Es bleibt abzuwarten, ob die Strategie aufgeht und die Litauer/innen nun ‘Light on’ mit vereinten Stimmen zum Sieg verhelfen oder ob die Jurys und Anrufer/innen der Taktiererin im Atranka-Final den Stinkefinger zeigen und sie verhungern lassen. Worüber ich mich ehrlich gesagt diebisch freuen würde, weil ich es gelinde gesagt unverschämt finde, einen nationalen Vorentscheid mit einem Titel zu verstopfen, den man eigentlich gar nicht singen mag. Der Vorwurf geht jedoch auch den Sender LRT, der im Bemühen, Sendezeit billig zu füllen, offensichtlich jeden nimmt, der möchte, mit beliebig vielen Liedern, und an deren Rücknahme auch noch Geld verdient. Als Nutznießer von Paulauskaitės Teilrückzug kann sich nun der offen schwule Künstler Tom Alenichik alias Alen Chicco freuen, der am vergangenen Samstag knapp den Finaleinzug verpasste, jetzt aber nachrückt. Ein Damoklesschwert schwebt zurzeit über dem bisherigen Juryliebling Jurijus Veklenko und dessen Beitrag ‘Run with the Lions’. Der soll, wie einige Fans mit zu viel Tagesfreizeit herausgefunden haben wollen, bereits vor der EBU-Veröffentlichungsdeadline am 01.09.2018 auf der Soundcloud-Seite des Produzenten zugänglich gewesen sein, was dieser abstreitet. Sollte Jurijus am Samstag gewinnen, will die EBU den Fall prüfen und entscheiden, ob er zum Eurovision Song Contest zugelassen wird.
The Lion sleeps tonight: über Jury-Juice schwebt das Damoklesschwert der Disqualifikation.
Derweil gießt eine neuerliche Plagiatsdiskussion Öl ins Feuer der rumänischen Vorentscheidung. Bei der hatte sich vergangenen Sonntag dank der tatkräftigen Mithilfe der beiden als Juroren verpflichteten Wiwibloggs-Macher überraschend die im Publikumsvoting nur Achtplatzierte Easter Pony Ester Peony gegen die evangelikale Homo-Ehe-Gegnerin Laura Bretan durchgesetzt, was im Land zu einem öffentlichen Sturm der Entrüstung führte. Prompt gruben Laura-Fans den 2014 veröffentlichten Song ‘Nu esti invins’ (‘Du bist nicht besiegt’), ironischerweise ein Lied über den Glauben, von Denisa Dronca aus, das im Refrain gewisse Ähnlichkeiten mit Peonys ‘On a Sunday’ aufweist. Der rumänische Sender TVR bestellte die SN-Siegerin bereits ein, um über die Plagiatsvorwürfe zu sprechen. Spannend ist nun, wie TVR sich verhält: während man anhand entsprechender Entscheidungen der Vergangenheit sicher davon ausgehen kann, dass die EBU ‘On a Sunday’ durchwinken würde, könnte der rumänische Sender die Gelegenheit dennoch nutzen, Ester zu disqualifizieren, um dem öffentlichen Backlash entgegenzutreten. Sowohl Laura Bretan als auch die Drittplatzierte Bella Santiago, die an einem Null-Punkte-Voting der Jurorin Emmelie de Forest scheiterte, kritisierten in den letzten Tagen das Votingverfahren und die Macht der Jury öffentlich harsch.
Erkennen Sie die Melodie? ‘On a Sunday’ soll sich stark bei ‘Nu esti invins’ bedient haben.
Mir kam Diva Marija schon letztes Jahr, als sie aus der zweiten Reihe plötzlich Erica Jennings als Sängerin von deren eigener Komposition ersetzte, etwas dubios vor (Jennings Rückzugsargument, dass sie sich von einem beliebigen Jury-Panel keine Beurteilen bieten lassen mag, scheint sich auch in Luft aufgelöst zu haben).
Wäre schon ein Traum, wenn ausgerechnet Alen Chicco noch an den beiden mediocren Favoriten vorbeizöge, aber das wird wohl ein (gar nicht so) frommer Wunsch bleiben.
Tja, die Moneten hätte sie sich sparen können – es sei denn, die EBU hat doch noch Einwände gegen den Siegerbeitrag:
https://eurovoix.com/2019/02/22/lithuania-jurijus-will-remain-in-the-eurovizijos-atranka-2019-final/
Freier als jetzt hätte sie wirklich nicht sein können.