“Größer als wir” sei die Liebe, die uns verbinde, so röhrt es ein feister Junge mit Hochwasserhosen und unvorteilhafter Schamhaarfrisur heraus, und man kann es, wenn man denn möchte, als metaphorische Beschwörung der Insulaner verstehen, trotz des unmittelbar bevorstehenden Brexits den Blick auf das Gemeinsame nicht zu verlieren, das Verbindende. Eben das, was Europa zu etwas Größerem macht als nur die Summe seiner Einzelstaaten. “Nimm meine Hand und ich führe dich nach Hause,” singt der optische Zwillingsbruder der serbischen Eurovisionssiegerin Marija Šerifović namens Michael Rice voller Hingabe und mit wild rudernden Armbewegungen, “verstehst Du, Du wirst niemals alleine sein”. Es klingt wie der verzweifelte Versuch einer Selbstsuggestion, eines letzten Appells im Angesicht der nahenden politischen, wirtschaftlichen und menschlichen Finsternis für die Bewohner des Vereinigten Königreichs. Kein Wunder, dass er den gestrigen britischen Vorentscheid Eurovision: you decide mit der immens kitschigen wie drögen Ballade gewann und als Sieger aus einer Veranstaltung hervorging, die in großen Teilen signalisierte, dass das ehemalige Mutterland des Pop den kulturellen Anschluss an Europa längst verlor und auch zu keinerlei Anstrengungen mehr bereit ist, ihn wiederzufinden.
Sancho Pansa, die singende Windmühle.
Sechs komplett unbekannte Nachwuchskünstler/innen, die sich drei völlig nichtssagende, bestenfalls mittelmäßige Albumfülltitel aus der Resteschublade internationaler Autorenteams teilen mussten: was schon vom Versuchsaufbau her stark an die spektakulär missratene deutsche Eurovisionsvorentscheidung von 2017 erinnert, lieferte zumindest musikalisch eine ähnliche Malaise. Über die Konkurrenztitel braucht man daher an dieser Stelle erst gar kein Wort mehr zu verlieren, erwiesen diese sich doch unisono als ebenso ungeeignet wie der nun ausgewählte, laut Eurovoix ursprünglich für das schwedische Melodifestivalen komponierte Siegersong, in Tel Aviv mehr als den üblichen 24. Platz zu erreichen. Dass die andertstündige Show dennoch gut unterhielt, verdankte sie dem bewährten Moderationsteam mit der bissigen Mel Giedroyc und dem grandiosen Måns Zelmerlöw, der vor allem mit einem barfüßig vorgetanzten Medley vergangener britischer Eurovisionserfolge und kurzen, pointierten Seitenhieben auf das Geschehen seit 2000 glänzte. Was im Vergleich zum präsentierten Feld für Tel Aviv das nagende Gefühl nur noch verstärkte, dass wir hier eventuell der Abschiedsvorstellung der Briten beigewohnt haben könnten.
Für diesen Moment alleine lohnte sich der britische Vorentscheid: Måns Zelmerlöw in Unterhosen!
Wozu auch eine von Eurofire gefundene Meldung des Magazins The New European passt, wonach die BBC den zur Show in die Tiefen der nordbritischen Provinz angereisten Fans vor dem Eingang zum Sendestudio “aus Sicherheitsgründen” (so ein Senderprecher) sämtliche Flaggen abnahm, in der Halle selbst dann allerdings Fähnchen mit dem Union Jack austeilte. Was umgehend den völlig berechtigten Vorwurf der Zensur auslöste, denn eine Gruppe von Brexit-Gegner hatte vor dem Studio EU-Flaggen verteilt, die unter den potentiellen Zuschauer/innen auch reißenden Absatz fanden, gehören die Hardcore-Grand-Prix-Fans doch in der Regel zu den Freunden des europäischen Gedankens. “Die Brexit Broadcasting Corporation hat wieder zugeschlagen,” kommentierte eine Betroffene die Wegnahme des im Lande derzeit heiß umstrittenen und für Konservative augenscheinlich anstößigen Symbols, das nach den aktuellen Regeln der EBU beim Contest selbst ausdrücklich zugelassen ist (ebenso wie die Regenbogenflagge). Ich bin wirklich gespannt, ob das UK auch in den Zwanzigzwanzigern noch beim Eurovision Song Contest vertreten sein wird.
‘Sweet Lies’ von Kerrie-Ann, unter den sechs schwachen Performances noch die gefälligste.
Vorentscheid UK 2019
Eurovision: you decide. Freitag, 8. Februar 2019, aus der MediaCityUk in Salford, Großbritannien. 6 Teilnehmer:innen. Moderation: Mel Giedroyc + Måns Zelmerlöw.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Televoting |
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01 | Kerrie-Anne | Sweet Lies | 3 | – |
02 | Anisa | Sweet Lies | 0 | – |
03 | Jordan Clarke | Freaks | 2 | – |
04 | Maid | Freaks | 1 | – |
05 | Holly Tandy | Bigger than us | 0 | – |
06 | Michael Rice | Bigger than us | 3 | x |
Mag sein, das UK 2019 nicht gerade der Oberknaller ist, aber gegen das, was gerade Australien zum ESC geschickt hat, kommt es einem vor, wie eine Ouvertüre von Mozart. So ein grauenhafter Katzengesang beim ESC habe ich schon lange nicht mehr gehört. Australien wird nicht im Finale sein und UK wird höchstens Platz 15 bis 26 erreichen. Mal wieder nicht mehr.
Sancho Pansa, die singende Windmühle, man sollte dich für solche Bonmots teeren und federn. Die Schmerzen in der Zwerchfellregion grenzen an Folter.……jaul.…..
Andersrum wird ein Schuh draus: Kate wird dermaßen stark polarisieren und ’nen Rasmussen pullen, dass Michael Rice im Vergleich zu konsensfähig-nett sein wird, um aufzufallen.
Kann man machen, muss man aber nicht.
.…um ehrlich zu sein: Man sollte es auch nicht. Aber die ESC-Verantwortlichen der BBC leben anscheinend in ihrer eigenen Blase, die nichts mit der immer noch erfolgreichen britischen Musikszene gemein hat. Ein paar Pünktchen gibt’s dafür bestimmt – unter den Juroren und Zuschauern gibt’s sicherlich ein paar Langweiler, die das wirklich gut finden.
Sancho Pansa ? Mich erinnert Michael eher an den Jungen auf der Zwiebackpackung.…
Zum Song: Ganz eindeutig zu viel Pathos und zu sehr X‑Factor etc. Erinnert von der Melodie her ein wenig an AT 2018, Cesar hatte aber wenigstens eine tolle Bühnenpräsenz. Wird wohl dieses Jahr wieder nix für UK, aber daran haben sich die Verantwortlichen von der BBC anscheinend gewöhnt – die Veranstaltung gestern war erschreckend provinziell (etwa vergleichbar mit der Valiumshow des NDR von 2017).
Bewertungen bisher
Albanien 8/10
Spanien 7/10
GB 3/10
Tschechien 2/10
Frankreich 1/10
Leider kam die nächste Enttäuschung schon ein paar Stunden später.…
@ disneyfan
Diesmal teile ich sogar Deine Einschätzung. Die Chance auf ein Finale ohne Australien ist diesmal groß und damit würde diese krasse Fehlentscheidung gerächt werden.
Besser, als alles, was UK die letzten Jahre ins Rennen geschickt hat, ist es schon mal. Aber der Oberkracher ist es jetzt auch nicht. Klingt doch irgendwie austauschbar.
Mich würde am Ende ein Ergebnis wie bei Lucia Jones oder Molly für das UK nicht wundern.