Nach dem Eklat um die Suspendierung der Vidbir-Siegerin Maruv durch den staatlichen ukrainischen Sender UA:PBC tut dieser sich schwer, jemanden zu finden, der einspringen möchte. Nach den Zweitplatzierten des Vorentscheids vom Samstag, dem Neo-Swing-Trio Freedom Jazz, winkte heute auch die drittplatzierte Band Kazka ab, wie ESCkaz berichtete. “Unsere Mission ist es, die Menschen mit unserer Musik zu vereinen und nicht, Zwietracht zu säen,” kommentierten die Musiker in einem Statement. Damit wird es immer wahrscheinlicher, dass die Ukraine 2019 nicht am Eurovision Song Contest teilnimmt. [Nachtrag: Zwischenzeitlich hat die Ukraine offiziell für Tel Aviv abgesagt]. UA:PBC hatte bereits angekündigt, diese Option in Zusammenarbeit mit der EBU prüfen zu wollen, sollte sich niemand finden, der den Job übernehmen möchte. Maruv (bürgerlicher Name: Hanna Korsun) hatte nach zuvor in der Live-Ausstrahlung des Vidbir-Finales durch die Jurorin Jamala geäußerter harscher Kritik wegen stattgefundener und geplanter Konzerte im “Aggressor-Staat” Russland einen Vertrag unterschreiben sollen, der Korsun eben solche Gigs, aber auch jedes nicht vorher abgesprochene Interview untersagt. Sie verweigerte das. Nun scheint sich auch keiner der Mitbewerber/innen die Finger verbrennen zu wollen. Auch der Privatsender STB, der die Vidbir für den chronisch unterfinanzierten Staatssender durchführte, distanzierte sich zwischenzeitlich von UA:PBC und kündigte an, die weitere Zusammenarbeit kritisch prüfen zu wollen.
Für einen “Bang!” sorgte Maruv in der Tat – sowohl musikalisch als auch politisch. Schade um den geilen Song!
Was allerdings ein bisschen pharisäerhaft erscheint, schließlich waren es der von STB gestellte und in den vergangenen Jahren bereits durch subtil homophobe Moderationen aufgefallene Gastgeber der Vidbir, Serhiy Prytula, der im Verbund mit der sich auch gegenüber dem von der Krim stammenden Schwesternduo Anna Maria massiv echauffierenden Jamala das Thema überhaupt erst skandalisierte. Der hauptverantwortlichen Anstalt UA:PBC muss man jedoch vorwerfen, angesichts der angespannten Lage in dem politisch zweigeteilten Land nicht vorausschauender agiert zu haben: dass man angesichts des Kriegs mit Russland um die besetzte Halbinsel und die umkämpfte Ost-Ukraine niemanden als Repräsentant/in des Land zum Eurovision Song Contest entsenden möchte, die mit dem empfundenen Feind kollaboriert, erscheint völlig mir vollkommen nachvollziehbar. Nur hätte man das dann bereits im Vorfeld der Vidbir abklären müssen und solche Künstler/innen erst gar nicht zum Vorentscheid antreten lassen dürfen, anstatt sie dort öffentlich zu schlachten und ihnen anschließend Knebelverträge vorzulegen. Wie es nun weitergeht, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch völlig offen. Wenn UA:PBC Sinn für Humor hat, könnte er natürlich Jamala schicken, die dann – wie schon 2016 – erneut gegen Sergey Lazarev in den Ring stiege.
Ob ihr derzeit noch zum Lächeln zumute ist? Jamala mit ihrem Vorentscheidungsbeitrag von 2011.
[Nachtrag 16:20 Uhr:] Auch die Brunettes shoot Blondes (Platz 5 im Vorentscheid), wiewohl vom Sender noch gar nicht offiziell angefragt, nahmen sich heute Nachmittag per Facebook-Statement vorsorglich aus dem Rennen: “Unsere Band hat die Vidbir nicht gewonnen, dieses Ticket gehört uns nicht,” so die Begründung. Der Sender fährt derweil auf Facebook eine Umfrage, ob die Ukraine angesichts der Ereignisse 2019 überhaupt noch am Contest teilnehmen soll. Bislang votiert die Mehrheit für “nein”: vermutlich genau das gewünschte Ergebnis, ermöglicht es UA:PBC doch einen Rückzug ohne all zu massiven Gesichtsverlust. Zwischendrin soll der Vidbir-Juror Andriy Danylko, Eurovisionsfans eher bekannt unter seinem Drag-Namen Verka Serduchka, seinen Hut in den Ring geworfen haben: “Wenn es keiner machen will, hole ich vielleicht meine alte Rüstung raus, poliere den Stern und eile zur Rettung,” zitierte ESCkaz Meldungen aus russischen Medien, die im Hinblick auf ihre Ernsthaftigkeit bzw. Seriosität aber dementsprechend mit Vorsicht zu genießen sind. Das ist nun aber schlicht nicht mehr erforderlich.
Fehlt eigentlich nur noch Ruslana. Hat die schon mal jemand gefragt?
[Nachtrag 18:00 Uhr]: UA:PBC hat mittlerweile den Rückzug der Ukraine vom Eurovision Song Contest 2019 bekanntgegeben. “In der aktuellen Situation” und im Hinblick auf die “exzessive Politisierung des nationalen Auswahlprozesses” wolle man nicht am internationalen Wettbewerb teilnehmen, teilte der Sender heute Abend mit. Die Aufregung rund um das Format Vidbir wurzele in den Augen der Verantwortlichen in einem “systematischen Problem der ukrainischen Musikindustrie,” nämlich der “Verbindungen von Künstler/innen in die Gebiete des Aggressor-Staates, die auch im fünften Jahr des militärischen Konflikts noch sehr eng sind. Für einen Teil unserer Gesellschaft ist dieser Fakt akzeptabel, beim anderen Teil löst er Empörung und Ablehnung aus”. Die EBU bestätigte die Absage am Abend mit “großer Traurigkeit” und verbunden mit der Hoffnung, das Land 2020 wieder begrüßen zu können. Damit sinkt die Teilnehmerzahl für Tel Aviv auf 41 Nationen.
Tschüss für 2019 – und hoffentlich baldige Wiederkehr!
[Nachtrag 28.02.19:] Heute gab der Sender UA:PBC bekannt, dass die Ukraine beim Eurovision Song Contest 2019 nicht mit abstimmt, obschon die EBU dem Land trotz seines Rückzugs diese Möglichkeit ausdrücklich einräumte. 2020 wolle man wieder am europäischen Wettbewerb teilnehmen – allerdings nur, falls die Show dann nicht in Russland stattfindet, was sich aufgrund der aktuellen Favoritenrolle von Sergey Lazarev, der bekanntlich schon 2016 das Televoting gewann und derzeit selbst ohne ausgewählten Song bei den Buchmachern vorne liegt, nicht ganz auszuschließen lässt. Auf jeden Fall soll es wieder einen öffentlichen nationalen Vorentscheid geben. Ob der Privatsender STB diesen organisiert oder der Staatssender selbst, steht derzeit aber noch nicht fest.
Thunder and Lightning: sollte Sergey erneut siegen und den ESC 2020 nach Moskau bringen, bleibt die Ukraine zu Hause.
Singt Jamala da etwa “you can go to Moscow, you can go to Oslo”? Genau mein Humor…
Hier können – wenn überhaupt – nur zwei Leute überhaupt die Chose noch retten. Ruslana oder Verka. Tja, einen Song müßte man halt in der Schublade liegen haben.
wat’n Scheiß. da war endlich mal ein Beitrag, der Spaß gemacht hat und im besten Wortsinne saugeil rüberkam. Das hätte bei mir glatt Italien von der pole position geschubst. aber dann.….
Trotzdem mein großer Respekt an Maruv dafür, dass sie diesen Politmist nicht mitgemacht hat. Und auch die anderen Kandidaten scheinen Rückgrat zu haben. Bravo!
Soll doch die Kreisssäge (Jamala) wieder fahren mit dem tollen (würg) Smile. Aber das verbietet sie sich sicher selbst, weil.……“you can go to Moscow”…
Die ist mir schon mit dem Gekreische “1944” gehörig auf die Testikel gegangen und ich hoffe, dass sie nicht ernsthaft auf so eine Idee kommt.
Dieser Jahrgang ist irgendwie wurmstichig
Bitte nicht Jamala. Mal davon abgesehen, dass ich “1944” nach wie vor fürchterlich finde, scheint mir die Dame auch ziemlich radikale Ansichten zu haben. Langsam denke ich auch, dass die Ukraine dieses Jahr mal aussetzen sollte. Respekt für die Künstler, die sich nicht instrumentalisieren lassen wollen.
Schade, ohne die Ukraine ist es irgendwie nicht richtig ESC; kein Land hat so konsistent zur Wiederbelebung des ESC beigetragen – aber es ist natürlich keinem Künstler zuzumuten, in die Bresche zu springen, um das Fiasco zu schmälern.
War ja der einzig vernünftige Schritt nach diesem medialen Supergau.
Und nächstes Jahr die Gesinnungsfragen bitte im stillen Kämmerchen vor der Nominierung stellen damit das nicht solche Kreise zieht.
Außerdem waren gesinnungstreue Künstler schon immer die besten und kreativsten.
Unglaublich schade. Ich hab mir das Ding gerade angeschaut – TOP5, ohne den Rest zu kennen. Ich finde Maruvs Haltung aber vollkommen richtig.
Am einfachsten für alle Beteiligten wäre es doch, wenn die Ukraine und Russland ihren Konflikt einfach mal lösen würden. (singt) Troooime sind für alle daaaaaaaa, glaub daran und halt sie fest mit Herz, mit Laib [sic!] und Seeeeeele .…
(is ja gut, ich bin ja schon still!)
Immerhin: Für reichlich Unterhaltung hat die Ukraine in diesem Jahr mal wieder gesorgt.
Für Unterhaltung ganz anderer Art in Tel Aviv hätte Maruv mit Sicherheit ebenfalls gesorgt. Und auch danach, wegen der Kommentare von Hardcore-ESC-Fans, die damit gehadert hätten, dass dieser Beitrag nicht so weit vorne gelandet wäre wie ihrer Meinung nach verdient. Dieser Personenkreis steht eben weit mehr als die Allgemeinheit und wohl auch Juries auf nuttigen Trash. Wobei auch ich zugebe, ich fand das lustig anzusehen und anzuhören.
Das Ding ist ja, dass ich den “Siren Song” für sich betrachtet gar nicht mal so gut finde. Nur im Vergleich mit dem musikalischen Elend, das bislang in fast allen Ländern ausgewählt wurde, bekam es diesen Heiligenschein des Gloriosen, weil es sich auf so erfrischende Weise abhebt von dem staubgrauen Midtempo-Geseier, das bislang das Feld bevölkert. Unter den Feldmäusen ist die Trashnutte Königin, um mal ein wenig zu paraphrasieren. Um so trauriger bin ich um deren Verlust, zumal adäquater (oder gar besserer) Ersatz nicht in Sicht scheint.
Naja, die Hoffnung, dass in Island oder Portugal durchaus besseres ausgewählt wird, mag ich noch nicht aufgeben – glaube die Chancen stehen da nicht mal so schlecht.
Einigermaßen wohlwollend warte ich auch noch auf Polen, die Niederlande und mit leichten Abstrichen RUS, AZE & ARM.
Nur um nicht falsch verstanden zu werden: Der Siren Song hätte selbstverständlich seine Berechtigung beim ESC gehabt. Ich finde, jeder Jahrgang braucht 3, 4 Beiträge, wo man so richtig auf die Kacke haut. Ich teile nur nicht die Euphorie nicht gerade weniger in der ESC-Bubble, das wäre im Endergebnis in den Top 5 oder gar Top 3 gelandet.
Ich kann in keinster Weise nachvollziehen, warum der Sender kritisiert wird. Ich weiß gar nicht, was diese sogenannten ukrainischen Künstler eigentlich im Kopf haben, das sie denken, das niemand in der Ukraine was dagegen hat, wenn sie ausgerechnet in Russland lustig weiter Konzerte geben, während das ukrainische Volk unter dem Einmarsch der Russen leidet. Wenn man so wenig Verstand im Kopp hat um zu erkennen, das dies absolut unangemessen ist, dann sind das halt keine würdigen Vertreter ihres Landes. Das mag für den ESC schade sein, aber wie sehr, soll sich denn die Ukraine noch demütigen lassen? Um so mehr gilt meine Forderung an die EBU, Russland vom ESC auszuschließen. Denn die haben das ganze ja erst durch ihren Einmarsch auf der Krim und in die Ostukraine ausgelöst.