Den Silvesterabend 2019 wählte das georgische Fernsehen als prominenten Sendeplatz für das Finale der aktuellen Staffel der Castingshow Sakartvelos Varskvlavi, hierzulande bekannt als DSDS. Spannungsarm ging diese zu Ende: wie bereits in ausnahmslos allen vorangegangenen Runden setzte sich der 32jährige Tornike Kipiani auch im Finale spielend gegen drei verbliebene Konkurrent/innen durch und vertritt damit das Kaukasusland beim Eurovision Song Contest 2020. Sein Beitrag für Rotterdam steht allerdings noch nicht fest: die Show diente heuer nur zur Ermittlung des Interpreten. Man lehnt sich aber nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man spekuliert, dass es laut und düster werden dürfte, denn heiser Gegröhltes ist die Spezialität von Kipiani. 2014 gewann er bereits die georgische Ausgabe der Konkurrenzcastingshow X‑Factor, unter anderem mit einer bizarren, marilynmansonesken Neubearbeitung von Kylie Minogues fabelhaftem Pop-Banger ‘Can’t get you out of my Head’. 2017 versuchte er es beim heimischen Vorentscheid und schaffte damit zumindest eine “besonders lobende Erwähnung” in diesem Blog” für seinen “auf angenehme Art und Weise verstörenden Auftritt” mit einem ironisch betitelten, aggressiv monotonen Technotrack.
Das perfekte Soundbett für ein drogenumnebeltes Abenteuer in einem versifften Berliner Fetischclub. Und der perfekte Partner dafür gleich dazu: Tornike mit seinem VE-Beitrag von 2017.
Und wo wir schon dabei sind, gilt es aus dem alten Jahr noch zwei weitere, bereits intern ausgewählte Kandidaten nachzureichen, beide ebenfalls noch ohne Lied. Der ORF optierte für den Wiener Vincent Bueno, der laut des österreichischen Senders mit einer “Uptempo-Nummer” antreten soll, die allerdings erst im März präsentiert wird. Der 34jährige, der dank seines noch immer jugendlich-frischen Aussehens von Fans den naheliegenden Spitznamen “Kinder-Bueno” verpasst bekam, geriet unmittelbar nach seiner Nominierung in einen völlig absurden Shitstorm um ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat aus einem Interview im Sommer 2019. Darin war er dem heimischen Boxer Fadi Merzah beigesprungen und hatte sich – wie dieser – öffentlich heterosexuelle Kinder gewünscht, weil er eines Tages Opa werden wolle. Allerdings betonte Bueno im selben (mittlerweile nicht mehr verfügbaren) heute.at-Interview, er werde seine (fiktiven) Sprösslinge unabhängig von deren sexuellen Orientierung lieben und akzeptieren. Die dennoch unausweichlichen, rituellen Homophobie-Vorwürfe parierte er in einem emotionalen Instagram-Posting mit dem größten dazu denkbaren Klischee: einem Hinweis auf seinen “schwulen Cousin”, den er “so sehr liebe”. Und überhaupt sei “die Welt ohne Schwule langweilig”. Ach, Bub…
https://www.youtube.com/watch?v=qVwJ9GEJ0Hs
Alles, was wir brauchen, ist diese Liebe: Bueno beim österreichischen Vorentscheid 2016.
Andere Fans stöhnten in den sozialen Netzwerken unmittelbar nach der Bekanntgabe auf, weil der Sänger 2016 am “Marsch für Jesus” teilgenommen hatte, der am selben Tag wie der Wiener CSD, die Regenbogenparade, stattfand und von vielen als Gegenveranstaltung wahrgenommen wurde. Allerdings trafen sich die echten Homo-Hasser am gleichen Tag auf dem explizit als solche konzipierten “Marsch für die Familie”, der für eine erzkonservative Werteordnung warb. Die Christen hingegen koordinierten sich extra mit den CSD-Machern, um nicht mit der LGBTIQ*-Parade zu kollidieren. Ein bisschen erinnert das ganze ermüdende Drama an die schweizerische Heilsarmee – Verzeihung, Takasa: für einen ernst zu nehmenden Homo-Gegner erscheint der christlich geprägte Interpret viel zu harmlos, und man möchte ihm unbesehen glauben, dass von ihm kein Arg ausgeht. Aber so richtig vorbehaltlos ins Herz schließen kann ich ihn auch nicht. Mal abwarten, vielleicht vermag er ja noch mit einem campen Dance-Klopper und einer fluffigen Choreo überzeugen. Von Alessandro Rütten alias Sandro Nicolas, schon länger nominierter deutscher The-Voice-Teilnehmer von 2018 in den Diensten Zyperns, dürfen wir das schon mal nicht erwarten. Auch Sandros Song ist noch offen, seine bisherigen Äußerungen lassen allerdings eher etwas Schmachtlappiges befürchten. Und tanzen kann er auch nicht, sagt er selbst. Wie langweilig.
Vater Amerikaner, Mutter Griechin, lebt in Düsseldorf und singt 2020 für Zypern: Sandro ist international.
Und damit ein herzliches Willkommen in den Wilden Zwanzigern und alles Gute für meine Leser*innen. Das obige Interpretenposting ist zugleich das letzte seiner Art: da ich in der letzten Zeit doch recht nahe an ein eurovisionäres Burn-Out geraten bin, habe ich beschlossen, die Schlagzahl an Veröffentlichungen auf diesem Blog ab sofort weiter herunterzufahren. Meldungen über reine Kandidatennominierungen wie diese fallen daher künftig weg, meinen Senf gibt es nur noch, wenn das Lied feststeht. Man möge es mir bitte nachsehen. Und nun viel Spaß mit der neuen Saison!
Auch von mir alles Liebe und Gute für 2020. Ich mag diesen Blog sehr gerne, ist neben ESCkompakt die einzige ESC-Seite, die ich regelmäßig besuche. Aber ich habe auch vollstes Verständnis dafür, wenn Du (oder Sie, wie darf ich schreiben) eurovisionstechnisch ein bisschen kürzer treten möchtest. Ist doch immerhin mit nicht wenig Aufwand verbunden. Und trotzdem freue ich mich über weitere Berichte auf diesen Blog und mag mich auf diesem Wege auch herzlich für diesen tollen Blog ganz herzlich bedanken.
Bitte, bitte aber nicht viel kürzertreten! Your ESC community needs you! Danke für all die tollen Texte, den immer frischen Spirit und das brennende Herz für die Sache!
Erst mal von mir ein frohes neues Jahr an dich Oliver!!
Lass dir ruhig Zeit, mir sind etwas weniger, dafür gut geschriebene Artikel lieber als welche die unter Zeitdruck entstanden sind.
Dann Hello 2020 aufrechtgehn.de
Burn-Out muss ja nun wirklich nicht sein! Die Kombination Interpret UND Beitrag ist – für mich persönlich – eh die einzig berichtenswerte. Ausnahme vielleicht Berichte über Bekanntgabe von Acts bei kommenden nationalen Vorentscheiden.
Frohes Neues Jahr!
Eine hüpfende Technodohle ohne Song
Ein Musicaldarsteller ohne Song
Ein Castingsternchen ohne Song,
was soll man sich da schon aus den Fingern saugen? 😉
Habe mir mal die anderen Lieder von Tornike angehört und fand eigentlich alle überzeugend. Er hat das Gen zu Gröhlen (Schreien sagt man in der Bubble scheinbar nur bei Frauen) kann aber auch ganz romantisch singen. Daher gute Wahl, wobei es ja immer ein Risiko ist, nur den Sänger ohne Lied zu wählen.
Kann mich den Kommentaren hier nur anschliessen (über mein Vergnügen an diesem Blog schrub ich ja schon vor ein paar Tagen). So’n One-Man-Blog ganz ohne Durchhänger durchzuziehen dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein – man denke nur an die Prinzen, deren lobenswerte Wiedergeburt im Laufe ihres ersten Jahres mit starken personellen Veränderungen einigermaßen zu sich gefunden hat.
Schön auch, dass sich hier bei “Kinder Bueno” (formidabel mehrdeutiger Kosename) nicht auf eine Hexerjagd eingelassen wird (wobei ich mir die Frage nicht verkneifen kann, ob der Unterschied zu Laura Bretan wirklich so wesentlich ist … abgesehen vom Geschlecht natürlich;).