Die Disqualifikation des umstrittenen weißrussischen Eurovisionsbeitrags 2021 deutete bereits in die Richtung, und die Ausstrahlung eines mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Folter zustande gekommenen Propaganda-Interviews mit dem durch Lukaschenkos Schergen aus einem zwangsgelandeten Ryanair-Flug entführten oppositionellen Blogger Roman Protasevitch auf einem Nachrichtenkanal des Staatssenders BTRC Anfang Juni 2021 brachte dann das Fass zum Überlaufen: mit Wirkung zum 1. Juli 2021 hat die EBU den belarussischen Sender von der Mitgliedschaft in der europäischen Rundfunkunion ausgeschlossen. Damit kann das Land auch nicht mehr am Eurovision Song Contest teilnehmen. Als Grund gaben die Genfer an, dass spätestens seit den massiv gefälschten letzten Präsidentschaftswahlen in dem Land keinerlei Pressefreiheit mehr herrsche und sich BTRC an der Unterdrückung der Demokratiebewegung aktiv beteilige. Die Beletelradiocompany reagierte mit einem länglichen Rant, der sich liest wie eine um drei Uhr nachts betrunken verfasste SMS des geschassten Ex-Liebhabers, und in dem die Minsker ihrer “Befriedigung” über den “lange erwarteten” Schritt Ausdruck verleihen. Nunmehr spare man “Millionen von Euro” und erfülle “den Traum der Mehrheit der Belarussen: nie mehr Eurovision”!
Den belarussischen Diktator kann man wirklich nur verachten, um die legendär korrupten Vorentscheidungen des russischen Satellitenstaates und um seine campen ESC-Perlen ist es hingegen unsagbar schade.
[Nachtrag 08.07.2021]: Wie Wiwibloggs unter Bezugnahme auf einen BBC-Bericht rapportiert, hat die belarussische Führung einen Auslieferungsantrag für die in Moskau lebende frühere Eurovisionsvertreterin Angelica Agurbash gestellt, die auf ihren sozialen Kanälen die prodemokratische Protestbewegung in ihrem Heimatland unterstützt und auch an einer Demonstration in der russischen Hauptstadt teilgenommen hat. Wegen “Präsidentenbeleidigung” und Anstiftung zur öffentlichen Aufruhr drohe ihr in Minsk nun eine Haftstrafe von bis zu 12 Jahren, sollte die Lukaschenko-freundliche Regierung Putin dem Begehr des Diktators stattgeben. Da die mit einem reichen Russen verheiratete Sängerin beide Pässe besitzt, ist das jedoch eher unwahrscheinlich. Agurbash gab in einem Interview ihrer Hoffnung Ausdruck, Putin möge “die Belarussen vor dem Terror, der Unfairness, Gesetzlosigkeit und Aggression schützen,” die dort gerade herrsche. In der Vergangenheit gab es bereits Androhungen und öffentliche Schmähkritik gegenüber ihr, der ebenfalls prodemokratischen Naviband und dem Eurovisionskommentator Denis Dudinskiy, der nach einer unter dem Denkmantel der Steuerfahndung vorgenommenen Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung seines Laptops in die Ukraine floh.
Von der Grand-Prix-Disneyprinzessin zur politischen Aktivistin: die Agurbash überrascht.
Zuletzt aktualisiert: 08.07.2021
Good riddance. Wobei – das ist also das erste Mal, dass die EBU einen Sender suspendiert? Dann frage ich mich schon, wie pressefrei Gaddhafis Libyen war, dass denen das nie passiert ist.
Man kann der EBU sicherlich nicht vorwerfen, in ihrer siebzigjährigen Geschichte stets nach den selben Maßstäben gehandelt zu haben. 😉
Ich weiß nicht so ganz. Die EBU handelt hier ziemlich opportunistisch in meinen Augen.
Gab es denn jemals Pressefreiheit in Belarus? Und wenn das wirklich der Maßstab ist, warum wurden Länder wie Polen und Ungarn noch nicht sanktioniert? Muss es da wirklich so weit wie in Belarus gehen, damit die EBU da mal Maßnahmen ansetzt? Eine sehr unglückliche Entscheidung, wenn ihr mich fragt.
Völlig richtige Entscheidung – das Kapern des Ryanair-Jets und die Entführung des Oppositionellen und seiner Freundin zeigen, dass Belarus sich völlig aus irgendeiner Wertegemeinschaft verabschiedet hat. Russland bitte gleich mit raus. Bevor das Gejammere losgeht, dass Teilnahme an ESC, EM, WM, etc. die Demokratie in Gangsterstaaten irgendwo vorantreibenn, nur 6 Worte: Berlin 1936, Beijing 2008, Qatar 2022.
Ich kann mich 4porcellis Meinung nur anschließen. Zudem war Belarus in der Regel musikalisch verzichtbar.
@Mariposa – tragischerweise ist der meiner Ansicht nach beste Belarus-Beitrag überhaupt, VALs Da vidna, nie zum Einsatz gekommen :-(. 2021 waren sie dann ja aus bekannten Gründen zugunsten des Propaganda-Machwerks von Lukashenko gesperrt.
@ESClucas98
Also für mich gibt es bei allem Unverständnis für das Vorgehen der polnischen und ungarischen Regierungen noch einen Riesenunterschied zu einem klaren Diktator wie es Lukaschenko nun mal ist. In Polen und Ungarn habe ich immer noch die berechtigte Hoffnung, dass mit der nächsten Wahl der Spuk ein Ende haben könnte. In diesen Topf kann man im übrigen auch rechtsnationalen Regierungen aus Tschechien, Slowenien und Serbien werfen. Und bevor eines dieser Länder aus der EBU ausgeschlossen würde, muss man definitiv erst mal über Russland diskutieren. Dort sind demokratische Wahlen im Gegensatz zu den zuvor genannten Staaten nicht mehr möglich.
Kurzum: richtige Reaktion der EBU in Bezug auf Belarus
Ein schwarzer Tag für den ESC, kann Dmitry Kaldun den blöden Diktator nicht wegzaubern?
Make Belarus great again!
https://www.dailymotion.com/video/x1gabx
Also wenn schon nicht für ihre Gesangsstimme, aber dafür hat Frau Agurbash jetzt meinen vollen Respekt!