EBU-Dro­hung an Bela­rus: neu­er Song oder Disqualifikation

Am heu­ti­gen Nach­mit­tag ver­öf­fent­lich­te die EBU eine Stel­lung­nah­me, nach wel­cher der aus­ge­wähl­te bela­rus­si­sche Bei­trag ‘Ya Nau­chu Tebya’ (‘Ich leh­re dich’) der Band Gala­sy ZMes­ta nicht zum Wett­be­werb zuge­las­sen wer­de. Nach gründ­li­cher Über­prü­fung des Lied­tex­tes, der vor dem Hin­ter­grund der aktu­el­len poli­ti­schen Gescheh­nis­se in der ehe­ma­li­gen Sowjet­re­pu­blik nur als Ver­spot­tung der Oppo­si­ti­ons­be­we­gung gegen den dik­ta­to­risch agie­ren­den Macht­ha­ber Lukaschen­ko ver­stan­den wer­den kann, sei man zu dem “Ergeb­nis gekom­men, dass der Song die unpo­li­ti­sche Natur des Con­tests in Fra­ge stellt”. Zudem bür­gen die aktu­el­len öffent­li­chen Reak­tio­nen – es gibt bereits Kam­pa­gnen füh­ren­der Fan­sei­ten gegen den Bei­trag – “das Risi­ko, den Ruf des ESC zu dis­kre­di­tie­ren”. Der Sen­der BTRC sei nun auf­ge­for­dert, ent­we­der ein kom­plett neu­es Lied oder einen ver­än­der­ten Song­text ein­zu­rei­chen. Kom­me er dem nicht nach, wer­de das Land dis­qua­li­fi­ziert, so die EBU. Die Band, die als akti­ve Unter­stüt­zer Lukaschen­kos gel­ten, prä­sen­tie­ren in dem kin­der­lied­haf­ten Bei­trag unter ande­rem den Refrain: “Ich brin­ge dir bei, zum Takt­stock zu tan­zen / Ich brin­ge dir bei, mir alles abzu­kau­fen”.

Künst­le­ri­sche Kol­la­bo­ra­teu­re: Gala­sy ZMesta.

Den könn­te man, auch in Ver­bin­dung mit Text­zei­len wie “Träum von neu­em tech­ni­schen Schnick­schnack / Den bekommt man übri­gens auf Kre­dit” nun zwar theo­re­tisch eben­so als Kapi­ta­lis­mus­kri­tik dekla­rie­ren, das wäre aber in etwa so glaub­wür­dig wie die sei­ner­zei­ti­ge Behaup­tung, Jama­las ‘1944’ habe his­to­ri­sche Gescheh­nis­se auf­ge­ar­bei­tet und nicht etwa die aktu­el­le Beset­zung der Krim durch Russ­land. Dass die EBU im Jah­re 2016 rus­si­schen For­de­run­gen nach dem Aus­schluss des Titels nicht nach­kam, nun aber mit Dis­qua­li­fi­ka­ti­on droht, illus­triert erneut, welch eine Büch­se der Pan­do­ra man in Genf mit den Bestim­mun­gen über den “unpo­li­ti­schen” Cha­rak­ter des ESC und sei­ner Bei­trä­ge öff­ne­te und wie schnell sich die EBU damit dem Ver­dacht aus­setzt, mit zwei­er­lei Maß zu mes­sen. Denn so absto­ßend die plum­pe Dik­ta­to­ren-Beju­be­lung durch den umstrit­te­nen Song auch sein mag: der inhalt­li­chen Schwam­mig­keit der Anti-Poli­tik-Regel und ihrer fall­wei­sen oppor­tu­nen Aus­le­gung durch die EBU haf­tet etwas Will­kür­li­ches an und neigt erkenn­bar einer bestimm­ten geo­po­li­ti­schen Rich­tung zu.

So sehr ich den Song auch mag: um hier kei­ne poli­ti­sche Bot­schaft zu erken­nen, muss man schon mehr als zwei Augen zudrücken.

Nach­trag [23.04.2021]: Wie bereits in den Kom­men­ta­ren erwähnt, konn­te auch ein von der Band ein­ge­reich­ter, angeb­lich auf Hal­de her­um­lie­gen­der Ersatz­song die EBU nicht über­zeu­gen. Augen­schein­lich war man in Genf weni­ger um den Text besorgt als um die Kon­tro­ver­se, die von der Teil­nah­me einer Lukaschen­ko-treu­en Band am Euro­vi­si­on Song Con­test aus­geht. Damit ist das Land für 2021 drau­ßen und die Zahl der Starter:innen ver­rin­gert sich auf 39. Die­se Eier aus Stahl wünsch­te man sich halt auch, wenn es gegen Russ­land, Aser­bai­dschan oder Polen ginge…

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7 Comments

  • Was sind das eigent­lich für Schlaf­müt­zen in Genf? Das Musik­vi­deo am Diens­tag offi­zi­ell auf dem You­Tube-Kanal des Euro­vi­si­on Song Con­test ver­öf­fent­li­chen und dann nach zwei Tagen wie­der löschen, weil einem nun doch auf­ge­fal­len ist, dass der Text poli­tisch ver­an­lagt ist? War­um nicht kurz vor der Ver­öf­fent­li­chung prü­fen und erst jetzt wie­der dem öffent­li­chen Druck nach­ge­ben wie 2009 bei “We don’t wan­na put in”?
    Ich jeden­falls hof­fe sehr, dass die Bela­rus­sen da noch was Schö­nes aus dem Hut zau­bern! Not macht ja bekannt­lich erfin­de­risch! Könn­te mir lei­der vor­stel­len, dass bei einer Dis­qua­li­fi­ka­ti­on des Lan­des auch der gro­ße Bru­der Russ­land aus Soli­da­ri­tät nach­zie­hen wird. Aber ich mache mir da mal wie­der viel zu vie­le Gedanken!

  • Die Ähn­lich­kei­ten mit Geor­gi­en 2009 sind tat­säch­lich frappierend :
    Man schickt einen Song, der eigent­lich nur ein aus­ge­streck­ter Mit­tel­fin­ger ist.
    Im Fal­le Geor­gi­ens gegen Russ­land, bei Bela­rus gegen so ziem­lich den gan­zen Rest Europas.
    Die Ableh­nung der EBU und der anschlie­ßen­de belei­dig­te Rück­zug sind bereits einkalkuliert.

  • Ich sehe es ein wenig anders als der Sei­ten­in­ha­ber. Wobei bei „1944“ hat die EBU tat­säch­lich mil­de weg­ge­schaut, vor allem vor dem Hin­ter­grund, das im Jah­re davor der arme­ni­sche Titel von „Don‘t Deny“ auf „Face the Shadow“ abge­än­dert und eine Text­pas­sa­gen über­ar­bei­tet wer­den muss­ten. Das wäre aber auch schon ein Bei­spiel, wo ja ein west­lich gepräg­tes Land mit den Geg­nern Russ­land, Aser­bai­dschan und Tür­kei durch­aus in die Gegen­rich­tung sank­tio­niert wur­de. Das Glei­che gilt ja auch für das erwähn­te Geor­gi­en mit dem Put-In-Gate, auch hier ging die Sank­ti­on gegen einen kri­ti­schen Song­text über den rus­si­schen Prä­si­den­ten (klar war beim ESC 2009 in Mos­kau der EBU des­we­gen zu hei­kel). Es lief bis­her also nicht immer ein­sei­tig in Rich­tung Russ­land und sei­ne Vasal­len. Da aber der Text des weiß­rus­si­schen Songs ja ähn­lich plump gehal­ten war, wie der geor­gi­sche Pro­test­song 2009, mit Wort­spie­le­rien, die unschul­dig daher kom­men, aber im Kon­text eine unmiss­ver­ständ­li­che Bot­schaft haben, muss­te die EBU hier tätig wer­den. Da der Bei­trag dann auch noch im Semi 1 durch die rus­si­sche, aser­bai­dscha­ni­sche, nord­ma­ze­do­ni­sche und zyprio­ti­sche Jury durch­aus hät­te hoch gevo­tet hät­te wer­den kön­nen, wäre ja durch­aus auch ein Ein­zug ins Fina­le nicht aus­ge­schlos­sen wer­den kön­nen, und das wäre dann der Super-GAU gewe­sen. Der wäre dann nur abge­mil­dert wor­den, wenn dann bei der Tele­vo­te-Ver­kün­dung dann der Satz „Bela­rus, i‘m so sor­ry, but you recei­ved Zero points from the Euro­pean Tele­vo­ters“. Aber das wäre ja kei­nes­wegs sicher gewe­sen. Von daher applau­die­re ich der EBU für ihre Entscheidung.

  • Falls man nicht alle Fäl­le gleich behan­delt, könn­te das ja auch even­tu­ell damit zu tun haben, dass es sich um unter­schied­li­che Sach­la­gen han­delt… Viel­leicht wäre es ange­bracht nicht jedes Land, wo etwas schief­läuft, sofort mit Bela­rus und Russ­land in einen Topf zu wer­fen. Kri­ti­ker zu ver­gif­ten, Demons­tran­ten zu erschie­ßen, sich in frem­de Wah­len mas­siv ein­mi­schen, Fake-news welt­weit in Umlauf zu brin­gen, das hat schon eine ande­re “Qua­li­tät”. Nicht, dass das Miss­stän­de in ande­ren Län­dern recht­fer­tigt, aber man muss nicht immer alles in einen Topf wer­fen. Ich wer­de die Luka­shen­ko-Mario­net­ten und ihr uner­träg­li­ches Gejau­le sicher nicht in Rot­ter­dam vermissen.

  • Man kann’s auch so sehen: Letzt­end­lich offen­ba­ren sich sol­che Sys­te­me wie das von Lukaschen­ko durch sol­che Song­tex­te, vor­ge­tra­gen von einer Band, die schon see­ehr offen­sicht­lich vor­ge­scho­ben wird eine nur leicht ver­schlüs­sel­te Bot­schaft zu vermitteln.
    Viel­leicht wäre ja ein lang anhal­ten­der inter­na­tio­na­ler Shit­s­torm, nicht nur aus der ESC-Com­mu­ni­ty, son­dern wesent­lich brei­ter ange­legt, nicht wenig hilf­reich gewe­sen, was nun aber im Keim erstickt wurde.

  • Soeben hat die EBU bekannt­ge­ge­ben, dass auch der neue bela­rus­si­sche Bei­trag gegen die Regeln des ESCs ver­stößt und Bela­rus kei­ne Zeit mehr für einen neu­en Bei­trag hat. Damit ist Bela­rus dis­qua­li­fi­ziert für 2021. Irgend­wie scha­de, aber doch ver­ständ­lich. Hät­te trotz­dem ger­ne den neu­en, abge­lehn­ten Bei­trag gehört. Viel­leicht sickert da die kom­men­den Tage noch was durch.

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