Deut­scher Vor­ent­scheid 1968: Das ist das ers­te Mal für mich

Wencke Myhre, DE 1968
Die Auf­ge­trie­del­te: Wen­cke Myhre.

Auch 1968 blieb es hin­sicht­lich der Ermitt­lung des deut­schen Grand-Prix-Bei­tra­ges beim inter­nen Aus­wahl­ver­fah­ren. Aller­dings bequem­te sich der zustän­di­ge Hes­si­sche Rund­funk nach den Plei­ten der letz­ten Jah­re mit ange­staub­ten Durch­hal­te­schla­gern und womög­lich auch unter­schwel­lig ange­sta­chelt durch den revo­lu­tio­nä­ren Zeit­geist der im Lan­de toben­den Stu­den­ten­un­ru­hen end­lich zum längst über­fäl­li­gen Moder­ni­täts­sprung. Als Kom­po­nis­ten des aktu­el­len Bei­trags ver­pflich­te­te man den Easy-Lis­tening-Geni­us Horst Jan­kow­ski, Schöp­fer des fabel­haf­ten, schwung­voll-pop­pi­gen Instru­men­tal­ti­tels ‘Schwarz­wald­fahrt’ (ein US-Hit im Jah­re 1965!). Er schrieb das nicht min­der schwung­vol­le und pop­pi­ge ‘Ein Hoch der Lie­be’; ver­pass­te dem Stück einen Text, in dem es, wie fast immer im Schla­ger, unter­schwel­lig ums Pop­pen ging; ver­zier­te den Refrain mit poly­glot­ten Ein­spreng­seln in Eng­lisch, Fran­zö­sisch und Spa­nisch und bestand – Gip­fel der Inter­na­tio­na­li­tät – gegen alle ari­schen Wider­stän­de inner­halb der ARD dar­auf, dass die sehr popu­lä­re Nor­we­ge­rin Wen­cke Myh­re (‘Beiß nicht gleich in jeden Apfel’) den mal wie­der in Hans-Joa­chim Kulen­kampffs Sams­tags­abend­show EWG dem Publi­kum prä­sen­tier­ten Titel sin­gen sollte.

Dreh Dich im Krei­sel der Zeit: Wen­cke Myhre.

Eine sehr wei­se Ent­schei­dung, denn nicht nur gab es beim Grand Prix end­lich mal wie­der mehr als null Punk­te, auch die Plattenkäufer:innen gou­tier­ten den fröh­li­chen Song: Rang 18 in den deut­schen und 17 in den öster­rei­chi­schen Charts, nach den letz­ten vier Voll­flops mit eher grüb­le­ri­scher Ware eine sehr will­kom­me­ne Abwechs­lung! Wen­cke, die es 1983 noch­mals beim deut­schen Vor­ent­scheid ver­su­chen soll­te und den­sel­ben 1986 gar mode­rier­te, eröff­ne­te mit ihrer Teil­nah­me in Lon­don die deutsch-skan­di­na­vi­sche Ära beim Grand Prix: ihre bei­den Kol­le­gin­nen Siw Malmkvist (Schwe­den), die noch im glei­chen Jahr mit dem nicht min­der fröh­li­chen ‘Har­le­kin’ den Deut­schen Schla­ger-Wett­be­werb gewann, und Git­te Hæn­ning (Däne­mark), mit denen sie zwi­schen 2004 und 2007 prak­tisch pau­sen­los vor aus­ver­kauf­ten Häu­sern und fre­ne­tisch fei­ern­den Fans im Drei­er­pack auf­trat, folg­ten 1969 und 1973 und bescher­ten uns eben­falls respek­ta­ble Ergeb­nis­se beim euro­päi­schen Wett­sin­gen. “Die Skan­di­na­vie­rin­nen waren irgend­wie immer frei­er, nicht so ver­zopft”, nann­te ein­mal Chris­ti­an Bruhn (der Schöp­fer ihres größ­ten Hits ‘Lie­bes­kum­mer lohnt sich nicht’) den Grund für den Erfolg der nor­di­schen Sän­ge­rin­nen bei und für uns.

Siw im dro­gen­bun­ten Baby­stramp­ler beim Deut­schen Schla­ger-Wett­be­werb 1968 (Reper­toire­bei­spiel).

Was übri­gens nicht wei­ter ver­wun­dert. Denn nicht nur, dass die skan­di­na­vi­schen Län­der seit jeher gesell­schaft­lich sehr viel libe­ra­ler auf­ge­stellt sind, sie inves­tie­ren auch staat­li­cher­seits eini­ges mehr in die künst­le­ri­sche Nach­wuchs­för­de­rung als Deutsch­land. Wird der Musik­un­ter­richt an unse­ren Schu­len eher als Blüm­chen­fach wahr­ge­nom­men und den Kin­dern mit der obli­ga­to­ri­schen Block­flö­te der Spaß an der ver­meint­lich brot­lo­sen Kunst sys­te­ma­tisch aus­ge­trie­ben, so genießt er bei­spiels­wei­se in Schwe­den einen ganz ande­ren Stel­len­wert und eine deut­lich höhe­re finan­zi­el­le För­de­rung. Am Wich­tigs­ten aber: der Blick über den Tel­ler­rand, der in bevöl­ke­rungs­schwä­che­ren Län­dern bei­na­he auto­ma­tisch not­wen­dig ist. Und der dafür sorgt, dass inter­na­tio­na­le musi­ka­li­sche Trends dort sehr viel schnel­ler wahr­ge­nom­men und adap­tiert wer­den, wäh­rend die Deut­schen ten­den­zi­ell eher im eige­nen Saft schwit­zen. Gera­de in den Sech­zi­gern (und noch bis hin­ein in die Sieb­zi­ger) konn­te man das auch in den ger­ma­ni­schen Charts nach­ver­fol­gen, wo es eng­lisch­spra­chi­ge Titel deut­lich schwe­rer hat­ten, Käu­fer zu fin­den, und oft­mals die deut­schen Cover­ver­sio­nen erfolg­rei­cher waren als die Ori­gi­na­le. Könn­ten Sie bei­spiels­wei­se aus dem Stand den Text von ‘Let your Love flow’ von den Bel­la­my Brot­hers (1976) rezi­tie­ren? Aber die Ein­deut­schung die­ses Titels, ‘Ein Bett im Korn­feld’ von Jür­gen Drews, die ken­nen Sie – ob Sie wol­len oder nicht – von vor­ne bis hin­ten aus­wen­dig, nicht wahr?

Noch drei Minu­ten bis zu den Nach­rich­ten: Zeit für eine Schwarz­wald­fahrt mit Horst Jan­kow­ski (Reper­toire­bei­spiel).

Auch die Grö­ße des Mark­tes spielt eine wich­ti­ge – und in Sachen Grand Prix für uns eher nach­tei­li­ge – Rol­le. Wäh­rend die drei erwähn­ten Skan­di­na­vie­rin­nen den Löwen­an­teil ihres Ein­kom­mens als Schla­ger­sän­ge­rin­nen eben in Deutsch­land erziel­ten, und auch Bands wie Abba, a‑ha (Nor­we­gen) oder Aqua (Däne­mark) stets über den Hei­mat­markt hin­aus den­ken und auf die inter­na­tio­na­le Ver­markt­bar­keit ihrer Songs ach­ten muss­ten, reich­ten die Plat­ten­um­sät­ze im dritt­größ­ten Musik­markt der Welt für deut­sche Interpret:innen lan­ge Zeit locker aus, um gut davon leben zu kön­nen. Auch wenn das in Zei­ten von Spo­ti­fy mitt­ler­wei­le deut­lich schwie­ri­ger gewor­den ist: eine Hele­ne Fischer braucht die Käufer:innen jen­seits der Gren­zen des deutsch­spra­chi­gen Raums nicht und muss sich daher auch nicht nach den musi­ka­li­schen Befind­lich­kei­ten ande­rer Natio­nen rich­ten. Im Gegen­teil: sie bedient sich ja nur zu ger­ne kul­tu­rel­ler Ein­flüs­se von über­all her, dampf­strahlt die­se und presst sie mit dem unver­zicht­ba­ren Dis­co­fox­beat ins enge deut­sche Schla­ger­kor­sett. Hei­mi­sche Acts aber, die inter­na­tio­na­le Trends set­zen (wie das immer­hin in den Acht­zi­gern und Neun­zi­gern noch im Bereich Tech­no und Euro­dance der Fall war), sucht man in der Regel ver­ge­bens. Horst Jan­kow­ski, um abschlie­ßend end­lich wie­der zum Vor­ent­scheid 1968 zurück­zu­kom­men, gehör­te zu den sel­te­nen Ausnahmen.

1968 ein Hit in Deutsch­land: die Ein­deut­schung des bra­si­lia­ni­schen Titels ‘A ban­da’, gesun­gen von France Gall (LU 1965, Reper­toire­bei­spiel). Und ohne den char­man­ten fran­zö­si­schen Akzent wäre der kar­ne­val­eske deut­sche Text wirk­lich unerträglich.

Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1968

Einer wird gewin­nen. Sams­tag, 16. März 1968, aus dem Sen­de­stu­dio des Hes­si­schen Rund­funks in Frank­furt am Main. Eine Teil­neh­me­rin, Mode­ra­ti­on: Hans-Joa­chim Kulen­kampff (Song­prä­sen­ta­ti­on im Rah­men der TV-Show).

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 12.06.2021

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3 Comments

  • Das Niveau wie­der? Ach ja, die uralte Debat­te um Schie­bung beim 68er-Con­test. Fran­co, der mit dem Geld­köf­fer­chen durch Euro­pa getin­gelt sein soll und die Juries gekauft hat. Komisch nur, dass das abge­se­hen von Cliff Richard nie­man­den inter­es­siert. (Fai­rer­wei­se: Con­gra­tu­la­ti­ons wäre ein wesent­lich wür­di­ge­rer Sie­ger gewe­sen als La La La.) Und die Geschich­te von Cliff Richard, der sich nach dem zwei­ten Platz auf dem Her­ren­klo ein­sperr­te und Mas­siel ‘mit einem war­men Keh­len­druck’ gra­tu­lie­ren woll­te, ist ein alter Hut. Schie­bung hin oder her, allein durch die­ses Geba­ren, das eines Fünf­jäh­ri­gen unwür­dig gewe­sen wäre, hat sich die­ser Mensch disqualifiziert.

  • Jan­kow­ski war übri­gens nur zwei­te Wahl: Ursprüng­lich wur­de Bert Kaemp­fert, der Anfang der 60er-Jah­re als ers­ter Deut­scher einen Num­mer Eins-Hit in den USA lan­den konn­te, ange­fragt. Aus “Zeit­grün­den” sag­te er jedoch ab.

  • Bert Kaemp­fert, der erfolg­reichs­te deut­sche Kom­po­nist und Orches­ter­lei­ter der sech­zi­ger Jah­re, war den­noch in den ESC 1968 invol­viert; er arran­gier­te den Sie­ger­ti­tel LALA­LA für den ursprüng­li­chen Inter­pre­ten Joan Manu­el Ser­rat. Die­ser woll­te den Titel jedoch als Poli­ti­kum in kata­la­ni­scher Spra­che beim ESC vor­tra­gen, so dass die­ser auf Wei­sung des unde­mo­kra­ti­schen Fran­co-Regie­mes gesperrt wur­de. So trug dann die Inter­pre­tin Mas­siel den Titel in Cas­tel­lano, also der als Spa­nisch bezeich­ne­ten Spra­che in einem auch ver­än­der­ten Arran­ge­ment vor.

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