Auch in meinem Geburtsjahr wollte sich kein kommerziell erfolgreicher deutscher Schlagerstar mit einer Grand-Prix-Teilnahme die Karriere zugrunde richten, und so trug Hans-Otto Grünefeldt, der damalige Unterhaltungschef des Hessischen Rundfunks und Eurovisionsverantwortliche der ARD, der Sängerin Inge Brück auf, den deutschen Beitrag zu Gehör zu bringen, welcher der Sender erstmalig im Rahmen der ebenfalls vom hr verantworteten, quotenstarken Schunkelshow Zum blauen Bock der Öffentlichkeit präsentierte. Brücks einziger Hit, der kesse Schlager ‘Peter, komm heut Abend zum Hafen’, lag zu diesem Zeitpunkt zwar bereits zehn Jahre zurück. Doch konnte sie 1966 mit dem recht eleganten, dezent dramatischen ‘Frag den Wind’ das renommierte Internationale Songfestival in Rio de Janeiro gewinnen. Vielleicht, so die Hoffnung im Frankfurter Funkhaus am Dornbusch, gelänge ihr dasselbe ja auch in Wien, wo der europäische Wettbewerb 1967 stattfand.
Die Frisur: zu wissen, es ist Beton!
Auch Inges Lied suchte eine senderinterne Jury hinter verschlossenen Türen aus. Zu jener Zeit wussten eben die Verantwortlichen der öffentlich-rechtlichen Anstalten besser, was gut war fürs unmündige Volk. Der ausgewählte Tröstungsschlager ‘Anouschka’, das Durchhaltelied für eine sitzengelassene Frau, stammte aus der Feder von Hans Blum, einem der fleißigsten Schlagerkomponisten der Bundesrepublik, der später als Henri Valentino (‘Im Wagen vor mir’) selbst eine kleine Hitparaden-Karriere hinlegte und der – neben zahllosen anderen Erfolgstiteln – auch schon Alexandras Superhit ‘Zigeunerjunge’ schrieb. Eben jene muss er für ‘Anouschka’ ursprünglich im Sinn gehabt haben, wie eine spätere Einspielung des nur gut zweiminütigen deutschen Grand-Prix-Beitrags durch die viel zu jung verstorbene Ausnahmesängerin belegt: erst Alexandras einzigartiges, bitter-herbes Timbre verleiht der frappierenden Ambivalenz des Liedtextes zwischen (falscher?) Hoffnung und nagenden Zweifeln die notwendige Tiefe. Denn natürlich, erfahrene Schlagerkenner:innen hören es in Alexandras Interpretation sofort zwischen den Zeilen heraus, hat sich Anuschkas Beschäler in der Fremde längst ein neues Liebchen gesucht und denkt gar nicht daran, im Frühling zur heimischen Heulsuse zurückzukehren. Oder etwa doch? Ach, das Leben, es “ist ein einzig’ Hoffen und Sehnen” (Chou-Chou de Briquette, zitiert nach Ralf König)!
So hätte es klingen sollen (in der Fassung von Alexandra)!
Die tief religiöse Inge Brück, die später gemeinsam mit den Grand-Prix-Kolleg:innen Peter Horton und Katja Ebstein die Initiative Künstler für Christus gründete, sang den Titel in Wien handwerklich tadellos, ließ aber jegliches Gespür für die innere Zerrissenheit der Lied-Protagonistin vermissen. Viel zu sehr war sie damit beschäftigt, ihre Ärmchen zackig zur Musik zu schwenken, um ihre modischen Fledermausärmel optisch zur Geltung zu bringen. Ein müdes Mittelfeldergebnis war der Mühen Lohn, und nachdem Inges Aufnahme in den Plattenläden liegenblieb wie Blei, zog sie sich in die trostlosen Höhen des Westerwaldes zurück, wo sie sich dem von der Öffentlichkeit zu Recht wenig beachteten Genre des christlichen Erweckungsschlagers (und, deutlich erfolgreicher, der Schauspielerei) zuwendete. Wie ihre irische Eurovisionsmitstreiterin Dana positionierte sich Brück später politisch als strikte Abtreibungsgegnerin und sang mit dem ‘Wiegenlied für ein Ungeborenes’ (1986) sogar ein wirklich abscheuliches Agitationslied, in dem sie ihren Geschlechtsgenossinnen jegliches Recht auf Selbstbestimmung absprach und die von der Frauenbewegung mühsam erkämpfte Indikationsregelung als unverantwortliches Einfallstor für gewissenlose, kaltherzige Monster denunzierte. Was für eine furchtbare Frau!
Mit ihrer ganz eigenen Version von ‘Blowing in the Wind’ konnte Inge 1966 in Rio überzeugen (Repertoirebeispiel).
Deutsche Vorentscheidung 1967
Zum Blauen Bock. Samstag, 11. März 1967, aus dem Sendestudio des Hessischen Rundfunks, Frankfurt am Main. Eine Teilnehmerin, Moderation: Heinz Schenk (Songpräsentation im Rahmen der TV-Show).
Letzte Aktualisierung: 11.06.2021
Nichts gegen Inge Brück, eine gute Sängerin ist sie auch, aber tatsächlich gibt erst Alexandras dunkle, melancholische Stimme dem Lied das gewisse Etwas. Bei Frau Brück wirkt es irgendwie platter. Schade.