Das unselige Drama um den Ausschluss der russischen Teilnehmerin Julia Samoylova vom Eurovision Song Contest 2017 in der ukrainischen Metropole Kiew wird Konsequenzen für beide Länder haben, wie die European Broadcasting Union am heutigen Tage nach einer Meldung von heute.de bekannt gab. Die Nachrichtensendung des ZDF zitiert den hauseigenen Leiter der Abteilung Internationale Angelegenheit und Vorsitzenden der EBU-Reference Group, Frank-Dieter Freiling, nach dessen Darstellung sich der gastgebende Sender sowie der ukrainische Premierminister verpflichtet hätten, alle Gäste der EBU wie des ESC in Kiew willkommen zu heißen. “Insofern ist das ein Verstoß gegen die Statuten, der sanktioniert werden muss”, so Freiling gegenüber heute.de. Doch auch die Russen müssten mit Sanktionen rechnen, “weil sie an verschiedenen verpflichtenden Sitzungen im Vorfeld in Kiew nicht teilgenommen haben”. Nächste Woche wolle man sich näher mit den Vorgängen beschäftigen. Dem ZDF-Mann zufolge gehe es dabei nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um die Höhe der Strafe. “Unsere Statuten sehen manches bei Verstößen vor, von einer Geldstrafe, dem Entzug der Sponsorenanteile bis zu einer Sperre von bis zu drei Jahren”, so Freiling, der zwischen den Zeilen ziemlich klar für einen Ausschluss der beiden Länder von den Wettbewerben 2018 bis 2020 plädiert. Eine offizielle Verkündigung sei jedoch nicht vor dem 12. Juni 2017 zu erwarten, dem ersten turnusmäßigen EBU-Treffen nach den diesjährigen Festspielen.
Der Ukraine könnte das Feiern bald vergehen
Nun würde ich, bei allem Verständnis für die Verärgerung der EBU, doch gerne einmal die schriftliche Vereinbarung zwischen dem austragenden ukrainischen Sender und den Genfern sehen, nach welcher sich das Gastgeberland tatsächlich verpflichtet haben soll, gegen eigene bestehende Gesetze zu verstoßen, nur um eine Unterhaltungsshow ausrichten zu dürfen. Man kann und muss den Ausschluss einer rollstuhlfahrenden Sängerin ja albern und schändlich finden, aber die Ukraine hatte im Vorfeld des Wettbewerbs keinen Zweifel daran gelassen, das Einreiseverbot auch gegen Eurovisionsteilnehmer/innen durchzusetzen, wenn sie – wie Julia – auf der Krim aufgetreten sein sollten. Was Frau Samoylova ja nun sogar noch einmal wiederholt: am 9. Mai 2017, dem Tag des ersten Semifinales (gleichzeitig der Jahrestag des Siegs der russischen Armee über Hitler), singt sie erneut im Rahmen der Feierlichkeiten auf der annektierten Halbinsel. Womit sie ihren wohlwollenden Status als unschuldiges Opfer perfider politischer Ränkespiele und jeglichen Mitleidsbonus endgültig verspielt hat, wie nicht nur die Prinzen finden. Die EBU, die es versäumt hat, auf diese Ankündigung zeitnah zu reagieren und den Wettbewerb woanders hin zu verlegen, trägt mit ihrer bisherigen Laissez-faire-Politik nach meinem Dafürhalten neben der Föderation, die offensichtlich von Anfang an nur ein schmutziges Spiel betrieb, die Hauptverantwortung für das diesjährige Desaster. Für eine Bestrafung der Ukraine, die bei aller noch so enttäuschenden Sturheit in der Sache vor allem das Opfer ist, kann ich keine Handhabe erkennen. Einen Ausschluss des Landes von künftigen Wettbewerben fände ich, offen gesagt, skandalös.
Ihr haben wir das ganze Drama mit zu verdanken: die fantastische Jamala holte den Wettbewerb nach Kiew
Er würde auch eine völlige Abkehr von der bisherigen Politik der EBU bedeuten, musste die Ukraine doch im Hinblick auf die Zulassung ihres subtil politischen Wettbewerbsbeitrages ‘1944’ von Jamala, gegen den die Russen seinerzeit so prompt wie folgenlos protestierten, und dem von den Jurys herbeigeführten Sieg eben jenes Songs die Genfer in ihrem verzweifelten Überlebenskampf gegen die ehemalige Besatzungsmacht doch fest an ihrer Seite wähnen. Schon das Verhalten der EBU vor dem endgültigen Aus für Samoylova, als man ebenfalls versuchte, die Verantwortung alleine Kiew zuzuschustern, befremdete in höchstem Maße und schien mir vor allem von dem Wunsch geprägt, Russland als zuschauer- und finanzkräftiges Eurovisionsland nicht zu verlieren. Insofern verwundert es fast ein wenig, dass die EBU nun auch Moskau mit einer dreijährigen Sperre bedroht, die ich im Übrigen, auch wenn die von Freiling angeführte Nichtteilnahme der russischen Delegation an den Vorbereitungstreffen die Annahme rechtfertigt, dass man von Anfang an nicht wirklich in Kiew auftreten wollte, ebenfalls für unangemessen halte und die nur noch einen weiteren Keil zwischen Europa und die Föderation treiben würde. Meines Erachtens sollte man in Genf lieber gründlich darüber nachdenken, die eigenen Statuten so anzupassen, dass ein ähnliches Desaster künftig möglichst ausgeschlossen werden kann, als jetzt Schwarzer Peter zu spielen. Oder?
Ich frage mich bei der Gelegenheit schon, warum die EBU im Hinblick auf Armeniens eindeutig provokantes und klar gegen die Regeln verstoßendes Berg-Karabach-Gewachtel nichts unternommen hat. Das zusammen mit den lächerlichen Strafen für Azerbaijan vor einigen Jahren, der “Wir drücken sämtliche Augen und Hühneraugen zu”-Taktik im Zusammenhang mit den geleakten Jury-Videos aus dem Vorjahr und anderen Beispielen hat dazu geführt, dass sich einige Länder benehmen, als sei der Songcontest ihre persönliche Spielwiese. Ich finde zwar 3 Jahre etwas krass aber ein Jahr Sperre für beide mindestens. Und bei der Gelegenheit gleich die Armenier und Azeris ganz deutlich verwarnen.
Mein Vorschlag:
Putin und Poroschenko lebenslang fom Contest ausschließen aber bitte kein Land!
Eine entsprechende Ansage (oder eine gegen Ihre Machtspiele auf Kosten des ESC) live im Bewerb fände ich viel besser und richtet sich an die wahren Personen die das ganze verbockt haben und bestraft nicht die Millionen Fans die der ESC auch in diesen beiden Ländern hat.
Die Ansage von Frau Schöneberger in Richtung der Machthaber in Baku 2012 war doch ein gutes Beispiel wie man damit umgehen könnte.
Und bitte Francesco rette uns das esc Karma für 2018…
Das war Anke Engelke. Babsi Schöneberger ist zu unpolitisch für sowas.
Ich schätze, aus einer gewissen Distanz gesehen, fällt es uns allen leicht, gemäß unserer persönlichen Meinung Sperren, Geldstrafen oder ähnliches zu fordern. Die EBU muss hingegen zwischen ihren eigenen ideellen Ansprüchen an diese Veranstaltung und der Finanzierbarkeit künftiger Ereignisse abwägen. Darüber hinaus vermute ich, dass sich sowohl die Ukraine als auch Russland (die sich beide im Recht wähnen) bei einer Sanktionierung für lange Zeit zurück zögen. Das Paradoxiemanagement, ein solches Dilemma zu entscheiden muss erst einmal gefunden werden.
Die EBU hat sich in diesem Fall bisher sehr angemessen verhalten:
– Goodwill gegenüber der Ukraine gezeigt und trotz Verstoß gegen die Wettbewerbs-Grundidee der ESC-Ausrichtung zugestimmt,
– 2 Vorschläge gegenüber Russland unterbreitet, die einen Auftritt in Kiew möglich gemacht hätten aber leider abgelehnt wurden.
Die angekündigten Strafsanktionen sind daher nur zu begrüßen, um den zerstrittenen Parteien aufzuzeigen, dass eine politische Instrumentalisierung des ESC unangebracht ist und die “ESC-Charta” anzuerkennen ist !
Sehr guter Artikel! Ich gebe dir auf jeden Fall Recht!
Die EBU hat es versäumt als Organisator des Contests für klare Ansagen zu sorgen. Die unpolitische Grundidee des Contests ist natürlich zu begrüßen, aber dann von der Ukraine zu fordern bestehende Gesetze auszusetzen o.ä. ist schlichtweg falsch. Die EBU kann von mir aus in klaren Worten dieses Theater beider Länder kritisieren, aber sie sollte dabei nicht vergessen auch kräftig Selbstkritik zu üben und am besten für die Zukunft schriftlich festhalten, wie der Verhaltenscodex der teilnehmenden Länder auszusehen hat.
Einen Ausschluss der Ukraine und Russland halte ich für problematisch, zumindest aus den von der EBU genannten Gründen. Ich hätte aber nichts dagegen beide Länder auszuschließen, wenn die EBU klar sagt, dass eine faire Beurteilung der Lieder des jeweiligen anderen Landes nicht möglich ist, solange dieser politische Konflikt besteht. Dabei muss die EBU aber darauf achten im gleichen Atemzug auch Armenien und Aserbaidschan auszuschließen.
Es wäre tatsächlich geradezu schön, wenn die EBU so ihre Prinzipien konsequent durchsetzt. Das ist heutzutage bei öffentlich agierenden Institutionen etc. leider sehr selten der Fall!
Die Ukraine hätte sich von Anfang an zugestehen müssen, dass sie bei ihrer Gesetzeslage keine 100% Teilnahmegarantie für alle Mitstreiter abgeben kann. Folglich hätte man sich die Ausrichtung gar nicht erst übertragen lassen dürfen.