Bevor heute Abend mit dem norwegischen Melodi Grand Prix und dem Finale des schwedischen Melodifestivalen zwei der drei letzten nationalen Vorentscheide der Eurovisionssaison 2018 über die Bühne gehen, gilt es noch ein Ergebnis des zurückliegenden Wochenendes nachzureichen, das mir bislang durchgerutscht ist. Nämlich das des Gastgeberlandes Portugal. Dort setzte sich vergangenen Sonntag im Finale des traditionsreichen Festival da Canção die 23jährige, bereits über mannigfache Casting-Show-Erfahrung verfügende Cláudia Pascoal durch. Und zwar mit dem Titel ‘O Jardim’ (‘Der Garten’), einer fragilen Trauerballade, von der pinkhaarigen Interpretin mit passgenauer, zurückhaltender Hingabe und zum Schluss hin fast brüchiger Stimme gesungen. Dabei erfuhr die in einem schwarzen Negligé auftretende Cláudia Unterstützung durch die Komponistin ihres Titels, die tomboyhafte Isaura, die anfänglich mit dem Rücken zum Publikum auf einem Hocker saß und dabei aussah wie das Michelin-Männchen. Was der gesamten Darbietung einen subtilen lesbischen Unterton verlieh.
“Ich gieße Deinen Garten”: singt Cláudia hier von der Grabpflege oder ist das ein lesbischer Code für bestimmte Stimulationstechniken?
Der umflorte, wenngleich deutlich unsubtiler, auch den Auftritt ihrer rothaarigen Konkurrentin Catarina Miranda, auch bekannt unter ihrem (hier allerdings nicht verwendeten) Künstlernamen Emmy Curl, die den Vorentscheid punktgleich mit Cláudia abschloss, welche allerdings im Publikumsvoting führte und damit den Gesamtsieg verbuchen konnte. Emmy sang in ‘Para sorrir eu não preciso de nada’ (‘Ich brauche nichts, um zu lächeln’) denn auch ganz offen davon, heute nichts weiter zum Glücklichsein zu benötigen, denn: “sie ist meine Geliebte”. Dass die Stimme des Wuschelschopfes dabei öfters mal die Grenze zwischen unter-die-Haut-gehend und Nägel-auf-der-Schiefertafel umtänzelte, machte ihre Darbietung merkwürdigerweise nur um so ergreifender, weswegen die sieben regionalen Jurys sie zu ihrer Königin kürten. Einen massiven Stimmensplit gab es hingegen bei der ESC-Veteranin Anabela Braz Pires (→ PT 1993), die für ihr besonders dröges ‘Para te dar abrigo’ zwar sieben Punkte beim nostalgisch gestimmten Publikum absahnen konnte, dafür jedoch nichts bei der Jury.
Ein stilisierter Anker als Kopfbemalung kommt in einer Seefahrernation wie Portugal natürlich immer gut an: Catarina Miranda.
Mit dem vierten Rang musste sich der vom Vorjahressieger Salvador Sobral unterstützte Liedermacher Janeiro begnügen. Der erfüllte nun wirklich all die Adjektive, die nach der mit gemischten Reaktionen aufgenommenen Siegesansprache Salvadors in Kiew (Stichwort: “Fast-Food-Musik”) von seinen Hatern fälschlicherweise dem sympathischen Hipsterschlumpf zugeordnet wurden. Mit dicken Kopfhörern bewaffnet und bei seinem Vortrag völlig in sich gekehrt agierend, wirkte Janeiro kein bisschen authentisch und aufrichtig, sondern autistisch und arrogant. Was sich noch einmal darin bestätigte, dass er sich weigerte, seinem Beitrag einen Titel zu geben: prätentiöser geht es nun wirklich nicht mehr. Mit lediglich zwei Mitleidszählern vonseiten des Publikums auf dem vorletzten Rang landete der Lieblingstitel des Blogbetreibers, der in seiner erfrischenden Fröhlichkeit auf das Angenehmste aus dem Depressionssee des FdC herausragende Easy-Listening-Schlager ‘Patati Patata’ des Damenduos Minnie & Rhayra, für den allerdings aufgrund der unterirdischen vokalen Leistung der Beiden nicht mehr herauszuholen war.
Diese Blumen hatte Cláudia wohl vergessen, zu gießen: Minnie & Rhayra.
Den absoluten Höhepunkt der wie gewohnt bis in die frühen Morgenstunden des Montags andauernden Show lieferte jedoch eine Hommage an die im Lande zurecht gottgleich verehrte, mittlerweile achtzigjährige (!) Simone de Oliveira (→ PT 1965, 1969), deren Auftritt im letzten Drittel des ihr zu Ehren veranstalteten Medleys nicht nur für Standing Ovations im Sendesaal sorgte, sondern auch den Blogger zuhause vor dem Livestream zum respektbezeugenden Aufstehen vor dem Bildschirm nötigte. Was für eine überwältigende Ausstrahlung, welch eine Persönlichkeit! Vor allem aber: was für ein herausragendes Vorbild zum Thema “Altern in Würde”! Simones altersangemessen in unübersehbaren und stolz präsentierten Faltenwürfen liegendes, verknautschtes Dobermanngesicht sollte all den bis zur Unkenntlichkeit gelifteten, lebendig mumifizierten Stars aus Film und Fernsehen als leuchtendes Beispiel dafür dienen, welch geradezu atemberaubend hinreißende, anmutige Schönheit in einem Antlitz liegen kann, dem das pralle, gelebte Leben seiner Trägerin nur so aus den Poren sprüht.
Was für eine fantastische Frau: die Song-Contest-Legende Simone de Oliveira.
Vorentscheid PT 2018 (Finale)
Festival da Canção. Sonntag, 4. März 2018, aus dem Pavilhão Multiusos in Guimarães, Portugal. 14 Teilnehmer/innen. Moderation: Sónia Araújo + Tânia Ribas de Oliveira.# | Interpret | Titel | TV | Jury | Gesamt | Platz |
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01 | Rui David | Sem medo | 04 | 04 | 08 | 05 |
02 | Susanna Travassos | A mensageira | 00 | 03 | 03 | 12 |
03 | Peter Serrado | Sunset | 03 | 00 | 03 | 10 |
04 | Joana Espadinha | Zero a zero | 00 | 05 | 05 | 09 |
05 | Lili | O vôo das Cegonhas | 05 | 01 | 06 | 08 |
06 | Catarina Miranda | Para sorrir não preciso de nada | 10 | 12 | 22 | 02 |
07 | Joana Barra Vaz | Anda estragar-me os planos | 00 | 07 | 07 | 07 |
08 | David Pessoa | Amor veloz | 00 | 00 | 00 | 14 |
09 | Minni & Rhayra | Patati Patata | 02 | 00 | 02 | 13 |
10 | Janeiro | Sem Título | 06 | 06 | 12 | 04 |
11 | Maria Inês Paris | Bandeira azul | 01 | 02 | 03 | 11 |
12 | Anabela | Para te dar abrigo | 07 | 00 | 07 | 06 |
13 | Cláudia Pascoal | O Jardim | 12 | 10 | 22 | 01 |
14 | Peu Madureira | Só por ela | 08 | 08 | 16 | 03 |
Der Siegertitel ist einfach toll. I like!
nächstes Jahr noch einmal in Lissabon? Durchaus vorstellbar!
vor der Darbietung noch schnell ein “Hallowach” eingeworfen und der Abend kann weitergehn
Trauergesang um die mit dem Rücken zum Publikum sitzende Freundin in einer Zwangsjacke? Ach nee, nur klassisches Portugiesisches, die Welt ist so schlecht, komm, lass uns sterben. Nichts Neues, mal mit pink aufgehübscht.